Montag, 27. November 2017

TRANSIT, cresc … Biennale für moderne Musik in Frankfurt, Wiesbaden und Hanau, 22. bis 26. November 2017
… Und links das Meer – Internationales Kompositionsseminar, Abschlusskonzert der cresc ... Biennale für Moderne Musik 2017, Werke junger Komponisten, Sendesaal des Hessischen Rundfunks, 26.11.2017

v.l.n.r.: Matej Bonin, Enno Poppe, Andreas Eduardo Frank, Malte Giesen, Ole Hübner, Vladimir Gorlinsky,
hinten: Ensemble Modern (Fotos: Tim Wegner)


Fünf Komponisten auf einer Straße, die noch keiner ging


Auch hier wieder das Motto des Abends: "... Und links das Meer ..." nach einem gleichnamigen, etwas verkürzten Werktitel des jungen Komponisten, Ole Hübner (*1993), der, gemeinsam mit vier weiteren Streitern, Vladimir Gorlinsky (*1984), Andreas Eduardo Frank (*1987), Malte Giesen (*1988) und Matej Bonin (*1986), das Finale des Festivals bestritt. Das im Rahmen der cresc ... Biennale eingerichtete Kompositionsseminar nutzten die fünf, um im Sinne von TRANSIT eigene Kompositionen zu entwickeln, sich auszuprobieren, Neuland zu entdecken, Grenzen auszuloten, sie eventuell zu überschreiten. Eine Schubertianische Winterreise ins Ungewisse, eine Straße zu gehen, die noch keiner (zurück) ging.

Matej Bonins Shimmer II  (2017, UA) schimmerte denn auch nebelhaft, voll unbestimmter Schwingungen und flirrender Passagen. Aufgeregt und umherirrend war es schwer, Hörbeziehungen und musikalische Zusammenhänge herzustellen. Die elektronischen Tropfen zum Abschluss versöhnten mit dem vorhergehenden Klangpastiche.

Malte Giesens Surrogat/Extension für großes Ensemble, Klavier und Keyboard (2017, UA) lebte durch seine clusterhafte Akkordik und dem Wechselspiel von Klavier und Keyboard Set-up. Es warnte, appellierte, rief und forderte auf. Lange Oktavakkorde, virtuose Läufe, stampfende Trauermarsch-Sequenzen, heftige tonartlose Arpeggien und Akkordfetzen auf präpariertem Flügel und im Ensemble Tutti machten das Stück höchst expressiv, wenngleich am Rande der Effekthascherei. Bemerkenswert der Schluss, eine kleine Sekunde, immer wiederholt von Keyboard und Flügel, unisono, unterschiedliche Tonstärke und Tempi, eine gefühlte Ewigkeit andauernd. Zusammenkommen? TRANSIT? Die Frage stellte sich an dieser Stelle zumindest.

Ole Hübners gesamter Titel lautet: Drei Menschen, im Hintergrund Hochhäuser und Palmen und links das Meer für verstärktes, großes Ensemble, Acht-Kanal-Zuspielung und Live-Elektronik (2017, UA). Der erste Eindruck ist kolossal. Unverständliche, übersteuerte Satzfetzen umrunden den Saal. Man versteht nur bruchstückhaft: „Über die Schulter zu schauen“, oder „Eine Erinnerung“. Frauen-, Kinder- und Männerstimme? Drei Menschen. Instrumental rauscht es gewaltig, der Kontrabass hämmert dazwischen, Sprache und Musik geraten in heftigstes Gegeneinander, es zischt, knackt, grummelt. Klavier und  Keyboard kommunizieren in einfachen Motiven, begleitet vom Klangteppich der Instrumentalisten. Alles baut sich auf bis zu einer undurchdringlichen, fast aufdringlichen Klangfläche, rhythmisiert sich und spitzt sich zur deutlich vernehmbaren Textpassage zu: „Da sind die drei, im Hintergrund Hochhäuser und Palmen … eine große Person mit langem blauem Kleid, vielleicht ein Frau … links und rechts sind zwei kleine Menschen, vielleicht Kinder? … Tief steht die Sonne, es ist kurz vor 18.30 Uhr, eine Sehnsucht …“ Elektronisches Rauschen, Menschenstimmen, organischer Klangteppich, Meereswellen und drei Blechbläser: Horn, Posaune und Trompete beenden in sphärischen Höhen und zartestem Pianissimo die beim ersten Hören nicht immer verständliche Geschichte.

Vladimir Gorlinskys Hymns and Lylas of Mascow Securalism (2017, UA) entpuppte sich als Sound Performance mit dadaistischen Zügen und sportlichem Kreis- oder, wenn man so will, Transitverkehr. Acht Mitglieder des Ensemble Modern bewegten sich durch mehrere Lichtzonen zu präparierten Positionen, die aus einem liegenden Kontrabass, einer Tonne, mehreren Tamtams, einem Flügel und diversen Materialien wie Silberpapier, Dämpfer, Kabel, Metallstäbchen etc. bestanden. Sie zischten, raschelten, rauschten, schlugen und rissen, schrien und nuschelten über viele Minuten, alle waren in Bewegung und verschwanden irgendwann im Dunkeln. War es musique concrète, gar Fluxus? Irgendwie wirkte diese Nummer trotz diese Bezüge nicht besonders originell, wenngleich der in Moskau geborene Künstler damit wohl Anspielungen auf die Machtverhältnisse in Russland intendierte.

Den Abschluss des Festivals gestaltete Andreas Eduardo Frank mit How to pronounce Alpha –  Zwischenlaut und Überzahl (2017 UA). Auf der Suche nach dem "Gesamtkunstwerk" bot er mit dieser Komposition eine Art Fastnachtsparade, zumindest einen großen Festumzug zum Schmunzeln und Mitwippen. Im konsequenten vierviertel Takt ließ er die Instrumentalisten, die in Zweierreihe aufgestellt waren, mit Händen und Füßen arbeiten, gleichzeitig ihre Instrumente auffallend klanglos bedienen, immer aber rhythmisch, synkopisch und laut. Dazu sang man Vokale, rief Oh, Ah und Uh und zählte zum Finale von eins bis acht. Zwei Musiker näherten sich von der Seite des Saal und bliesen in  Donald-Duck-Trickfilm-Phonetik durch ihre Hände, näherten sich langsam dem Ensemble und dem auf der Bühne tanzenden, gymnastische Armübungen vollziehenden Enno Poppe, der, wie das Ensemble Modern, sichtlich Spaß an dieser Nummer hatte. Ein Ganzkörper-Gesamtkunstwerk war es denn auch tatsächlich.
Enno Poppe (Dirigent), Ensemble Modern (Foto: Tim Wegner)

Ein witziger Ausklang mit stehenden Ovationen des leider mäßig besuchten Sendesaals. Fünf noch sehr junge Komponisten zeigten ihre Experimentierfreudigkeit, ihren Willen zur Grenzüberschreitung und ihre Fähigkeit, der Adornoschen Tendenz des Materials, das heißt den Möglichkeiten des vorgeformten Materials gerecht zu werden. Nicht alles war gelungen, nicht alles stimmig, aber alle zeigten ihr Talent und die Kraft ihrer Musikalität.


Möge cresc 2019 daran anknüpfen können.

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