TRANSIT, cresc … Biennale für moderne Musik in
Frankfurt, Wiesbaden und Hanau, 22. bis 26. November 2017
… Und links das Meer
– Internationales Kompositionsseminar, Abschlusskonzert der cresc ... Biennale für Moderne Musik 2017, Werke junger Komponisten, Sendesaal des Hessischen Rundfunks,
26.11.2017
v.l.n.r.: Matej Bonin, Enno Poppe, Andreas Eduardo Frank, Malte Giesen, Ole Hübner, Vladimir Gorlinsky, hinten: Ensemble Modern (Fotos: Tim Wegner) |
Fünf Komponisten auf einer Straße, die noch keiner ging
Auch hier wieder das Motto des Abends: "... Und links das Meer ..." nach einem gleichnamigen, etwas verkürzten Werktitel des jungen Komponisten, Ole Hübner (*1993), der, gemeinsam mit
vier weiteren Streitern, Vladimir
Gorlinsky (*1984), Andreas Eduardo Frank (*1987), Malte Giesen (*1988) und Matej Bonin (*1986), das Finale des Festivals bestritt. Das im Rahmen der cresc ... Biennale
eingerichtete Kompositionsseminar nutzten die fünf, um im Sinne von TRANSIT
eigene Kompositionen zu entwickeln, sich auszuprobieren, Neuland zu entdecken, Grenzen
auszuloten, sie eventuell zu überschreiten. Eine Schubertianische Winterreise ins Ungewisse, eine Straße zu gehen, die noch keiner (zurück) ging.
Matej Bonins Shimmer
II (2017, UA) schimmerte denn auch
nebelhaft, voll unbestimmter Schwingungen und flirrender Passagen. Aufgeregt
und umherirrend war es schwer, Hörbeziehungen und musikalische Zusammenhänge herzustellen. Die elektronischen
Tropfen zum Abschluss versöhnten mit dem vorhergehenden Klangpastiche.
Malte Giesens Surrogat/Extension
für großes Ensemble, Klavier und Keyboard (2017, UA) lebte durch seine
clusterhafte Akkordik und dem Wechselspiel von Klavier und Keyboard Set-up. Es
warnte, appellierte, rief und forderte auf. Lange Oktavakkorde, virtuose Läufe,
stampfende Trauermarsch-Sequenzen, heftige tonartlose Arpeggien und Akkordfetzen
auf präpariertem Flügel und im Ensemble Tutti machten das Stück höchst expressiv,
wenngleich am Rande der Effekthascherei. Bemerkenswert der Schluss, eine kleine
Sekunde, immer wiederholt von Keyboard und Flügel, unisono, unterschiedliche Tonstärke und Tempi,
eine gefühlte Ewigkeit andauernd. Zusammenkommen? TRANSIT? Die Frage stellte sich an dieser Stelle zumindest.
Ole Hübners gesamter Titel lautet: Drei Menschen, im Hintergrund Hochhäuser und Palmen und links das Meer
für verstärktes, großes Ensemble, Acht-Kanal-Zuspielung und Live-Elektronik
(2017, UA). Der erste Eindruck ist kolossal. Unverständliche, übersteuerte
Satzfetzen umrunden den Saal. Man versteht nur bruchstückhaft: „Über die Schulter zu
schauen“, oder „Eine Erinnerung“. Frauen-, Kinder- und Männerstimme? Drei
Menschen. Instrumental rauscht es gewaltig, der Kontrabass hämmert dazwischen, Sprache
und Musik geraten in heftigstes Gegeneinander, es zischt, knackt, grummelt.
Klavier und Keyboard kommunizieren in
einfachen Motiven, begleitet vom Klangteppich der Instrumentalisten. Alles baut
sich auf bis zu einer undurchdringlichen, fast aufdringlichen Klangfläche,
rhythmisiert sich und spitzt sich zur deutlich vernehmbaren Textpassage zu: „Da sind
die drei, im Hintergrund Hochhäuser und Palmen … eine große Person mit langem blauem Kleid, vielleicht ein Frau … links und rechts sind zwei kleine Menschen,
vielleicht Kinder? … Tief steht die Sonne, es ist kurz vor 18.30 Uhr, eine
Sehnsucht …“ Elektronisches Rauschen, Menschenstimmen, organischer
Klangteppich, Meereswellen und drei Blechbläser: Horn, Posaune und
Trompete beenden in sphärischen Höhen und zartestem Pianissimo die beim ersten Hören nicht immer verständliche Geschichte.
Vladimir Gorlinskys Hymns
and Lylas of Mascow Securalism (2017, UA) entpuppte sich als Sound
Performance mit dadaistischen Zügen und sportlichem Kreis- oder, wenn man so will, Transitverkehr.
Acht Mitglieder des Ensemble Modern bewegten sich durch mehrere Lichtzonen zu
präparierten Positionen, die aus einem liegenden Kontrabass, einer Tonne,
mehreren Tamtams, einem Flügel und diversen Materialien wie Silberpapier, Dämpfer,
Kabel, Metallstäbchen etc. bestanden. Sie zischten, raschelten, rauschten, schlugen und
rissen, schrien und nuschelten über viele Minuten, alle waren in Bewegung und verschwanden irgendwann im Dunkeln. War es musique concrète, gar Fluxus? Irgendwie wirkte diese Nummer trotz diese Bezüge nicht besonders originell, wenngleich
der in Moskau geborene Künstler damit wohl Anspielungen auf die Machtverhältnisse in
Russland intendierte.
Den Abschluss des Festivals gestaltete Andreas Eduardo Frank mit How to pronounce Alpha – Zwischenlaut und Überzahl (2017 UA). Auf
der Suche nach dem "Gesamtkunstwerk" bot er mit dieser Komposition eine Art
Fastnachtsparade, zumindest einen großen Festumzug zum Schmunzeln und Mitwippen.
Im konsequenten vierviertel Takt ließ er die Instrumentalisten, die in
Zweierreihe aufgestellt waren, mit Händen und Füßen arbeiten, gleichzeitig ihre
Instrumente auffallend klanglos bedienen, immer aber rhythmisch, synkopisch und
laut. Dazu sang man Vokale, rief Oh, Ah und Uh und zählte zum Finale von eins
bis acht. Zwei Musiker näherten sich von der Seite des Saal und bliesen in Donald-Duck-Trickfilm-Phonetik durch ihre Hände, näherten sich langsam dem Ensemble und dem auf
der Bühne tanzenden, gymnastische Armübungen vollziehenden Enno Poppe, der, wie
das Ensemble Modern, sichtlich Spaß an dieser Nummer hatte. Ein Ganzkörper-Gesamtkunstwerk war es denn auch tatsächlich.
Enno Poppe (Dirigent), Ensemble Modern (Foto: Tim Wegner) |
Ein witziger Ausklang mit stehenden Ovationen des leider
mäßig besuchten Sendesaals. Fünf noch sehr junge Komponisten
zeigten ihre Experimentierfreudigkeit, ihren Willen zur Grenzüberschreitung und
ihre Fähigkeit, der Adornoschen Tendenz des Materials, das heißt den
Möglichkeiten des vorgeformten Materials gerecht zu werden. Nicht alles war
gelungen, nicht alles stimmig, aber alle zeigten ihr Talent und die Kraft ihrer
Musikalität.
Möge cresc 2019
daran anknüpfen können.
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