Kit
Armstrong (Klavier) und das Ensemble Resonanz, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, 28.01.2018.
(veranstaltet vom Verein Frankfurter Bachkonzerte e.V.)
Kit Armstrong (Foto: Jason Alden) |
Eine pianistische Begabung auf der Suche: mutig, innovativ, experimentell
„Polyfusion“ ist das Stichwort des kontrastreichen Konzertabends im vollbesetzten Saal der Alten Oper Frankfurt. Eine Kombination aus Polyphonie (Mehrstimmigkeit) und Fusion als Verbindung zwischen Musikepochen, Interpreten und Publikum. Kit Armstrong – im letzten Jahr begeisterte er noch im Mozartsaal mit einem Ligeti/Bach Programm der Sonderklasse – und das Ensemble Resonanz – heimisch im resonanzraum auf Hamburgs St. Pauli und bekannt für seine innovativen und dialogischen Musikformate – boten dementsprechend eine Zeitreise durch fast 400 Jahre mit Werken von William Byrd (1543-1623) über Johann Sebastian Bach (1675-1750), Conlon Nancarrow (1912-1997) bis zu György Ligeti (1923-2006).
Unterschiedlicher könnten die Musiken kaum sein, ja
wenn es nicht einen gäbe, nämlich György Ligeti, der sich zu seinen Lebzeiten
in alle drei 'verliebte'. In die von William Byrd, einem englischen
Virginalisten (Kastencembalo), der ca. 500 Werke hinterließ und mit seinen
liedhaften weltlichen Kanons Aufsehen erregte. In die von Johann Sebastian Bach,
eigentliche eine Selbstverständlichkeit, und vor allem in die von Conlon
Nancarrow. Seine Musik
hielt er für die absolut größte seiner Zeit: „I affirm with all my serious judgement that Nancarrow is the
absolutely greatest living composer.” (Ligeti 1988)
Kit Armstrong und das
Ensemble Resonanz versuchten diesen Extrem-Spagat unter der Gefahr der
Überdehnung auszuloten.
Gerahmt durch Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV
1050, während seines Köthener Aufenthalt von 1717 bis 1723 entstanden, mit
lediglich neun Streichern und Armstrong am Cembalo, und dem Konzert für Cembalo d-Moll BWV 1052, in
seiner Leipziger Zeit um 1738 komponiert, mit 12 Streichern und Bechstein-Flügel, ursprünglich für Violine gedacht, trat er ein wenig in
die Fußstapfen von Andras Schiffs Cappella
Andrea Barca. Eine geniale Polyfusion, die hier allerdings nicht durchweg
überzeugen konnte. So klang das Cembalo im Brandenburgischen Konzert reichlich piepsig,
die Einsätze waren nicht immer stimmig und im Cembalo-Konzert, glücklicherweise
auf dem Piano, gerieten die Tempi allzu oft schleppend, das Adagio glich einem
Largo, nahe am Lamento, und das Schlussallegro, der Kantate 188: Ich habe meine Zuversicht nachempfunden,
verschwamm in allzu vielen Romantizismen. Eine Interpretation, die dem
Bachschen Duktus wenig gerecht wurde, aber offensichtlich gefiel.
Ligetis Konzert für Klavier und Orchester (1986),
ein fünfteiliges, äußerst originelles Werk mit mannigfaltigen
klaviertechnischen Ideen, kontrastierte Bachs Brandenburgisches. Mit 22 Instrumentalisten, einem ausgefallenen
Perkussionsapparat – Flexatone (Sound einer Säge), Slide Whistle, Okarina,
Trillerpfeife, Zimbeln, Glockenspiel, Xylophon etc. –, mit Blech- und
Holzbläsern und einem Klavierpart von ausgefallenen Klangmixturen (Ligeti
selbst spricht von „kolorierte Klavierstimme wie Zeichnungen“), schuf er eine
24-minütige Tonillusion voll komplexer Polyphonie und verwirrender Polytempik.
Vor allem die Sätze
vier, Allegro risoluto, molto ritmico –
Attaca subito, und fünf, Presto
luminoso: Fluido, costante, sempre molto ritmico, beide vom Komponisten
später hinzugefügt, glänzen durch extreme harmonische Verschiebungen,
strukturelle Schichtungen sowie unerhörte Klangfarben.
Hier zeigte
Armstrong, unter dem nicht immer sicheren Dirigat von Johannes Fischer, sein
ausdifferenziertes pianistisches Können. Sein weicher, fließender Anschlag ließ mitunter impressionistische
Spuren anklingen. Ganz im Gegensatz zum Ensemble: Im ersten Satz, Vivace molto ritmico e presto, nicht
ganz bei der Sache, fand es sich zwar im darauf folgenden Lento e deserto zurecht, wobei seine
Interpretation an vielen Stellen löchrig, ja konturlos wirkte und so gar nicht,
wie vorgeschrieben, angriffslustig, lebendig und überaus rhythmisch. Da gibt
es durchaus noch Luft nach oben.
Zwei musikalische Lebensläufe, die kaum unterschiedlicher sein können
William Byrd und
Conlon Nancarrow. Was verbindet eigentlich beide? Auf den ersten Blick nichts. Aber
auf den zweiten schon:
Armstrong mischte drei Stücke von Byrd mit zweien von
Nancarrow. Er selbst spielte A Fancy,
ein typischer Spätrenaissance-Song mit heftigen Verzierungen und
improvisatorischen Einlagen, und A
Mistress Mine, ein dreistimmiger blumiger Kanon. Ein Resonanz-Streichquintett präsentierte etwas uninspiriert
ein Madrigal Browning/The Leaves Be Green.
Dazwischen, gedacht als Hörerlebnis der besonderen Art, zwei der „51 Studies
for selfplaying piano“ von Nancarrow. Study for Player Piano No. 8, ein brutal komplexer Boogie für mindestens zehn Hände, und No. 11, ein Ragtime, akkordisch,
synkopisch verschoben bis zur Unkenntlichkeit, für mindestens sieben Pianisten.
Natürlich nichts für Menschenhand. Ein präparierter Bösendorfer-Flügel, programmiert mit Lochstreifen, erklang wie von einem
Geist bespielt und erheiterte das Publikum. Die Kombination live und maschinell
sollte zwei Welten zusammenführen.
Vom Leben des William
Byrd ist nur so viel bekannt, als er, ein Zeitgenosse Shakespeares und der
Tudors, in London als weithin bekannter Organist wirkte und den Ruf eines
englischen Palestrinas genoss, wogegen Nancarrow, von radikaler Gesinnung – er
kämpfte im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Kommunisten und ging später
ins mexikanische Exil – und zu Lebzeiten wenig bekannt, die Idee Henry Cowells
(1897-1965) Anfang des 20. Jahrhunderts, Lochstreifen in automatische Klaviere
zu stanzen, übernahm und irrsinnig komplizierte Rhythmuskonstruktionen
fabrizierte, die sonst nur ein vielarmiger Pianistenroboter hinbekommen würde. Beiden
gemeinsam ist, dass sie erst in den 1980er Jahren wiederentdeckt wurden. Zwei
musikalische Lebensläufe, die kaum unterschiedlicher sein können.
Ein Abend also der Gegensätze
und Kontraste, des Experiments mit den Epochen und Gattungen. Nicht alles war
perfekt, manches unausgegoren, die Zusammenstellungen etwas beliebig, aber
alles mit Herz und Hingabe präsentiert. Die Zugabe, ein innig-versunken
gespieltes Choralvorspiel von Johann Sebastian Bach, verbunden mit einem herzlichen Dank dafür,
vor dem Frankfurter Publikum auftreten zu dürfen, ließ die Sympathien, die
Armstrong bereits im vergangenen Jahr erwarb, noch einmal anwachsen. Großer,
warmer Applaus für einen jungen, mutigen und innovativen jungen Pianisten.
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