Touch, Tanzperformance von Sebastian Weber + Company, Kammerspiele Darmstadt, 11.09.2020
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| Fotos: Tom Dachs |
Berührung
in Zeiten von Corona
„Berührung
ist eine Ursprache des Menschen, die nicht erst seit Corona im Alltag immer
seltener gesprochen wird“, heißt es im Vorspann des Programms. Eine wahre
Feststellung, die das kalte, distanzierte und abweisende Klima in den
Kammerspielen des Staatstheaters in erschreckender Weise widerspiegelte. Da tummelten
sich einige wenige Menschen mit vermummten Gesichtern im Foyer bei gruftiger
Stille, abstandhaltend, gierig am Desinfektionsgerät hantierend, um dann in den
Saal einzutreten, der wegen der Corona Hygienemaßnahmen gerade einmal zu einem Fünftel besetzt werden konnte. Zweierplätze
mit bis zu sechs Stühlen Abstand zum nächsten Paar, dazwischen jeweils eine
freie Reihe, von Warnstreifen abgetrennt.
Man kam sich vor wie in einem Intensivzimmer eines Krankenhauses, es fehlte nur noch die Schutzkleidung. Weit weg von Berührung und jeglicher Kommunikation, die nur auf zwei Personen, wenn überhaupt, beschränkt blieb.
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| Lucia Ronchetti (Foto: HfMDK) |
Aber jetzt
zur Performance. Touch (2019 entstanden und erstmals in Darmstadt aufgeführt) ist ein Pas de Deux, hier von Ellen Duffy
und Nik Kemeny kreiert, und erzählt die Geschichte eines Paares in
Kombination von Stepptanz und Berührung. Stepptanz, das ist allgemein bekannt,
kennt eigentlich keine Berührung. Die Idee des Choreographen, Sebastian
Weber, selbst Stepptanzsolist, war es dabei, der Feststellung
nachzuforschen, dass sich Erwachsene kaum noch berühren: „Ich hatte von einem Haptik-Forscher
gehört, dass Erwachsene zu wenig berührt werden. Das hat mich getriggert, weil
es im Stepptanz auch überhaupt keine Berührung gibt.“ Herausgekommen ist eine hinreißende
choreographische Meisterleitung mit einem vielseitigen, dynamisch-ästhetischen
und ausdrucksstarken Tänzerpaar.
Auf einer 36
Quadratmeter großen Sandfläche (übrigens die Abstandsvorgabe während der ersten
Monate der sog. Pandemie) tanzte das Paar barfuß, in grauen ärmellosen
Hosenanzügen, ihre Geschichte in einem vierteiligen, 45 Minuten dauernden
Prozess. Zunächst eng verschlungen in einem hellblauen Lichtkreis mit hellrot
beleuchteter Fläche. Man hörte nichts außer den Geräuschen des Sandes, die
durch die fast zeitlupenlangsamen Bewegungen der beiden Gestalten erzeugt wurden.
Dann, nach fast 15 Minuten vollkommener fast schon beklemmender Stille der Wechsel
zu einem warmen Gelb mit dem Aufstehen der beiden Akteure.
Ein jazziger
Blues mit Saxophon, Kontrabass und Schlagzeug, in der Stimmung einer Bar nachts
um vier Uhr, begleitete die ersten Steppschritte des Paares. Elegant, mit
großen runden Bewegungen, die sich im Sand abbildeten, erzeugte dieser Teil
eine Stimmung der Zufriedenheit und der absoluten Eintracht. Ein Paar in
Harmonie und Liebe zueinander, immer in Berührung aber auch in Abstand.
Dann der Wechsel
zum Kampfmodus. Das Wollen, das Ablehnen, das Abblitzen, der Widerspruch stand
jetzt im Vordergrund des Handelns. Aikido ähnliche Bewegungen, Rhythmuswechsel,
Klatschen und schnelles Gehen im Achtel- und Sechszehntel Takt, mit schlangenhaften
solistischen Einlagen dominierten die Szenerie. Fantastische Steppeinlagen,
barfüßig auf Sand, das muss man mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen
gesehen haben – ein fantastisch rauschender Klang von unglaublicher
Eindringlichkeit.
Zurück
zur künstlerischen Freiheit?
Der Wechsel
zum lockeren lustvollen Spiel mit herrlichen Steppeinlagen und lachenden Gesichtern
zweier Tänzer, die Spaß an ihrem Tun haben, wurde in eine Coda überführt, die
wie der Ruf aus der Wüste eingeleitet wurde. Ein Gesang von weit her ließ das
Paar wieder zusammenwachsen. Das Licht in hellem Gelb wurde langsam gedimmt,
das Paar schob sich, trug sich, trommelte sich gegenseitig oder schmiegte sich
einfach an. Fast schon athletisch anmutende Hebetechniken prägten den Abschluss
dieser denkwürdigen Performance.
Huckepack
trug der Mann in zunehmender Dunkelheit seiner Partnerin aus dem Sandquadrat.
Heraus aus der Enge des vorgegebenen Abstands. Ein Hinweis auf die künstlerische
Freiheit, die in der Pandemie eine auch für die Künstler so unermessliche
Einschränkung erfahren hat.
Der Beifall
der wenigen Besucher war enthusiastisch. Aber wie wäre er bei vollem Saal
gewesen?
Welche Zukunft wünschen wir uns?
Welche Konsequenzen
der mittlerweile fast sieben Monate andauernde faktische Lockdown auf die
TänzerInnen haben wird, ist noch unabsehbar. Diese Frage kann auch der
Choreograph Sebastian Weber nicht beantworten. Die Abstandsregeln und
ausufernden Hygienevorschriften haben zumindest in der Company dazu geführt,
nachdem man sich wochenlang die Hände nicht geschüttelt hat, wie auch bei 36
Quadratmeter großen Abstandsvorschriften, sich jetzt regelmäßig testen zu
lassen und sich gleichzeitig völlig von anderen Menschen zu isolieren, um
wenigstens wieder tanzen zu können. Wenn er dann bemerkt, dass er „erste Ideen
für eine neue pandemie-sichere Produktion, die 2021 Premiere haben wird“
entwickelt habe, dann kann man nur hoffen, dass diese Produktion, bei allem Respekt vor der wunderbaren ideenreichen choreographischen Leistung, nie das Licht
der Welt erblicken wird, denn solch eine Zukunft wünscht sich nun wirklich
niemand.
Kommen wir
zurück zur Normalität, ohne Angst, ohne Ausgrenzung, ohne Panikmache, aber mit
Vernunft, Selbstbestimmtheit, Offenheit und Redlichkeit. Zurück zum Prinzip des Audiatur et altera pars. All das scheint
zurzeit in weiter Ferne zu liegen.



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