Montag, 14. September 2020

Quatuor Ébène spielt Beethovens Streichquartette Nr. 4 op. 18/4 und Nr. 12 op. 127, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, Nachholtermin vom 04.Juni, 13.09.2020 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e.V.)

Quatuor Ébène, v. l.: Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure, Marie Chilemme,
Rapha
ël Merlin
Foto: Alte Oper Frankfurt


Beethoven Streichquartette unter 

Hygienebedingungen

Es ist das erste Auftreten des außergewöhnlichen Streichquartetts Quatuor Ébène mit Pierre Colombet, 1. Violine, Gabriel Le Magadure, 2. Violine, Marie Chilemme, Viola, und Raphaël Merlin, Violoncello, seit dem Lockdown am 13. März dieses Jahres, verbunden mit dem Versprechen des ersten Vorsitzenden der Museumsgesellschaft, Dr. Burkhard Bastuck, den geplanten Zyklus der insgesamt 16 Streichquartette Beethovens noch in diesem Jahr mit drei weiteren Konzerten zu Ende zu bringen. Vor ca. 400 verstreuten Besuchern im großen Saal der Frankfurter Alten Oper frohlockte er, dass es endlich wieder los gehe (Beifall) mit der beiläufigen Nebenbemerkung: „Wir müssen dieses Angebot wahrnehmen“, was viele, mitunter kleinliche Einschränkungen eines meines Erachtens überzogenen Hygienekonzepts mit einbezog. Dazu gehörten die permanenten Verhaltens-Durchsagen, die fatal an das George Orwellsche Leben in seinem berühmt berüchtigten Buch 1984 (1949) erinnerten.

Auch das Quartett trat zunächst mit Masken auf die Bühne (welche hygienische Bedeutung sollte das wohl haben?), um dann erfreulicherweise das gesamte Konzert davon keinen Gebrauch mehr zu machen. Ein weiterer Pluspunkt für ihr Auftreten, das mit keinem Superlativ genügend gelobt werden könnte.

Eigentlich sollten drei Quartette auf dem Programm stehen. Aus Corona-Gründen (Pausen sind verboten, man könnte ja zusammenkommen und miteinander sprechen) wurde allerdings das ebenfalls vorgesehene Streichquartett A-Dur op. 18/5 gestrichen und auf das Streichquartett c-Moll op. 18/4 (1799) sowie das Streichquartett Es-Dur op. 127 (1824/25) reduziert.


„Gut für ein Scheißpublikum“?

Das erstgenannte gehört noch zur frühen Schaffensphase Beethovens, die noch stark von Mozarts und Haydns Werk geprägt ist. Mit seinen ersten sechs Quartetten, entstanden zwischen 1798 und 1800, katapultierte sich Beethoven mit der damals allseits beliebten Gattung – nahezu in jeder „gebildeten Familie“ spielte man regelmäßig Streichquartette aus einem Fundus aus mehr als 250 Kompositionen –  in die Herzen der Wiener Society. Das wahrscheinlich vorletzte der sechs ersten Quartette, das besagte op. 18/4, in der "Schicksalstonart" c-Moll geschrieben, hat sehr starke Bezüge zu seiner Klaviersonate c-Moll op. 13, die Pathétique, die Beethoven zur gleichen Zeit niederschrieb und noch heute zu seinen beliebtesten Sonaten gehört.

Pathetisch und dramatisch mit Doppelschlägen, Tremolos und höchst akzentuierten Sforzati glänzte denn auch der erste Satz, Allegro ma non tanto, um dann in einem düsteren c-Moll auszuklingen, ein typisch früher Beethoven mit all seinem jugendlichen Temperament, das das junge Quartett völlig authentisch auf ihre Instrumente übertrug. Fugatisch mit einem Hauch von Portato dann das Scherzo des zweiten Satzes. Ein verliebter Part mit einem gehörigen Schuss Humor. Sehr gesanglich gespielt und es mag die Behauptung zutreffen, dass dies seiner damaligen Geliebten Josephine Brunswick gegolten habe.

Ein Menuetto in rasendem Dreiertakt mit lyrischem Seitenthema sollte die Brücke zum abschließenden Allegro-Prestissimo darstellen. Ein Rondo mit kantablem Thema. Wieder mit Reminiszenzen an das abschließende Rondo der Pathétique-Klaviersonate. Ein rasendes Stretto mit langer Coda, eine Besonderheit des frühen Beethoven, beendete eine Komposition, die Beethoven selbst als Ausdruck seiner natürlichen Empfindung bezeichnete, aber für wenig kunstvoll erachtete: „Das ist ein echter Dreck! Gut für das Scheißpublikum“, soll er gesagt haben. Na ja. Hätte er das Quatuor Ébène Quartett gehört, er hätte seine Meinung bestimmt revidiert.

Quatuor Ébène, v. l.: Marie Chilemme, Pierre Colombet, Raphaël  Merlin,
Gabriel Le Magadure

Foto: warnerclassics.com

 
„Ein verdutztes Publikum“?


Nach einer kurzen Verschnaufpause, das Quartett spielt tatsächlich immer im Grenzbereich auch seiner physischen Kräfte, folgte op. 127. In heroischem Es-Dur verfasst und die späten Quartette Beethovens einleitend (zwischen dem letzten Streichquartett op. 95 lagen 14 Jahre) erfuhr dieses Werk seine Uraufführung am 06.März 1825 mit dem Schuppanzigh-Quartett, einem Wiener Starensemble des frühen 19. Jahrhunderts. Allerdings soll diese Uraufführung ein glatter Reinfall gewesen sein. Beethovens Neffe Karl zumindest äußerte sich dazu: Es habe viel Störungen gegeben und nichts sei so „recht zusammengegangen“. Das Publikum habe den Saal „ziemlich verduzt“ verlassen, schreibt auch der Musikkritiker und Schriftsteller Anton Schindler (1795-1864).

Sei´s drum. Was Quatuor Ébène bot sollte alle Bedenken gegenüber diesem Werk mit einem Wisch hinwegfegen. Einem akkordischen sechstaktigen Maestoso im Zweiviertel Takt folgte umgehend ein Hauptthema mit fast sehnsüchtiger Melodie. Überhaupt brillierte dieser Satz durch extremste Stimmungswechsel, immer wieder an das erhabene Maestoso anknüpfend. Bekanntlich schrieb Beethoven zu dieser Zeit an seiner 9. Sinfonie und hatte seine letzten Klaviersonaten (op. 109-111) bereits ediert. Viel Lyrisches zum Beispiel aus seinem op. 109, den Variationen des zweiten Satzes, und dem kantablen dritten Satz der Neunten waren zumindest im Duktus herauszuhören. 

Hinreißend auch der folgende Variationen Satz, Adagio ma non troppo, voller Sehnsucht nach Ruhe, mit schluchzenden Passagen, tänzerischen, marschähnlichen Sequenzen, feierlichen Expressionen, jubelnden Szenen, kontroversen Disputationen. Zwar sind die Variationen nicht durchnummeriert (was übrigens auch für seine Variationen der, folgenden Quartette zutrifft), aber doch in Stimmung und Expression klar voneinander zu unterscheiden. Wie sagte doch zurecht der amerikanische Musiktheoretiker Charles Rosen (1927-2012): Die Variationen vermitteln „weniger den Eindruck, dass sie ein Thema ausschmücken, als dass sie seine Essenz entdecken.“

Das Scherzando Vivace des dritten Satzes ist eigentlich eine Fuge mit extremen dynamischen Wechseln und ständigem Changieren zwischen Dur und Moll. Eine große Disputatio, die in ein Finale mündet, das wieder einmal vieles aus der 9. Sinfonie enthält. Gleichsam sinfonisch in einem Sonatenrondo angelegt fehlt eigentlich nur noch der Gesang, der dann die Gattung der Sinfonien ("Freude schöner Götterfunken") revolutionieren wird.


Ein großer und erhabener Abend

Das Quartett verstand es ausgezeichnet, das Leben eines Mannes in völliger Taubheit und Einsamkeit – „... ich lebe beinahe allein in dieser größten Stadt Deutschlands“, schrieb Beethoven wenige Jahre zuvor an seinen Freund Carl Amenda – aus dieser gewaltigen, fast 40 Minuten andauernden Partitur herauszuarbeiten und für den Hörer nachvollziehbar werden zu lassen. Ein Werk voller Rührung aber auch von ungeheuerlicher Tatkraft und beharrlichem Widerstand gegen die Unbilden des Lebens.

Es folgen noch vier weitere Quartette bis zu Beethoven Tod zwei Jahre später. Vier Quartette, die noch in diesem Jahr (geplant) auf dem Programm dieses einzigartigen Quartetts stehen werden.

Ein großer und erhabener Abend, leider mit dem bedrückenden Gefühl, in einer Welt von Unfreiheit und Bevormundung leben zu müssen und das alles unter dem Vorwand, die Gesundheit der Menschen schützen zu wollen. Und das seit sieben Monaten mit bereits unabsehbaren menschlichen und wirtschaftlichen Kollateralschäden, wobei sich die Frage stellt, nach all den wissenschaftlichen Gegen-Expertisen zur herkömmlichen Politik, wem überhaupt geholfen und wessen Gesundheit überhaupt geschützt werden soll. Ein Beethoven in heutiger Lage hätte vermutlich nur Spott und Hohn dafür übriggehabt. Leider fehlt aktuell ein Künstler dieses aufmüpfigen Kalibers.  

 

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