Quatuor Ébène spielt Beethovens Streichquartette Nr. 4 op. 18/4 und Nr. 12 op. 127, Großer Saal der Alten Oper Frankfurt, Nachholtermin vom 04.Juni, 13.09.2020 (eine Veranstaltung der Frankfurter Museumsgesellschaft e.V.)
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| Quatuor Ébène, v. l.: Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure, Marie Chilemme, Raphaël Merlin Foto: Alte Oper Frankfurt |
Beethoven Streichquartette unter
Hygienebedingungen
Es ist das
erste Auftreten des außergewöhnlichen Streichquartetts Quatuor Ébène mit
Pierre Colombet, 1. Violine, Gabriel Le Magadure, 2. Violine, Marie
Chilemme, Viola, und Raphaël Merlin, Violoncello, seit dem Lockdown am
13. März dieses Jahres, verbunden mit dem Versprechen des ersten Vorsitzenden
der Museumsgesellschaft, Dr. Burkhard Bastuck, den geplanten Zyklus der
insgesamt 16 Streichquartette Beethovens noch in diesem Jahr mit drei weiteren
Konzerten zu Ende zu bringen. Vor ca. 400 verstreuten Besuchern im großen Saal
der Frankfurter Alten Oper frohlockte er, dass es endlich wieder los gehe
(Beifall) mit der beiläufigen Nebenbemerkung: „Wir müssen dieses Angebot wahrnehmen“,
was viele, mitunter kleinliche Einschränkungen eines meines Erachtens überzogenen Hygienekonzepts
mit einbezog. Dazu gehörten die permanenten Verhaltens-Durchsagen, die fatal an
das George Orwellsche Leben in seinem berühmt berüchtigten Buch 1984 (1949)
erinnerten.
Auch das
Quartett trat zunächst mit Masken auf die Bühne (welche hygienische Bedeutung
sollte das wohl haben?), um dann erfreulicherweise das gesamte Konzert davon
keinen Gebrauch mehr zu machen. Ein weiterer Pluspunkt für ihr Auftreten, das
mit keinem Superlativ genügend gelobt werden könnte.
Eigentlich
sollten drei Quartette auf dem Programm stehen. Aus Corona-Gründen (Pausen sind
verboten, man könnte ja zusammenkommen und miteinander sprechen) wurde
allerdings das ebenfalls vorgesehene Streichquartett A-Dur op. 18/5 gestrichen
und auf das Streichquartett c-Moll op. 18/4 (1799) sowie das Streichquartett
Es-Dur op. 127 (1824/25) reduziert.
„Gut für
ein Scheißpublikum“?
Das
erstgenannte gehört noch zur frühen Schaffensphase Beethovens, die noch stark von
Mozarts und Haydns Werk geprägt ist. Mit seinen ersten sechs Quartetten,
entstanden zwischen 1798 und 1800, katapultierte sich Beethoven mit der damals
allseits beliebten Gattung – nahezu in jeder „gebildeten Familie“ spielte man
regelmäßig Streichquartette aus einem Fundus aus mehr als 250 Kompositionen – in die Herzen der Wiener Society. Das
wahrscheinlich vorletzte der sechs ersten Quartette, das besagte op. 18/4, in
der "Schicksalstonart" c-Moll geschrieben, hat sehr starke Bezüge zu seiner Klaviersonate
c-Moll op. 13, die Pathétique, die Beethoven zur gleichen Zeit niederschrieb
und noch heute zu seinen beliebtesten Sonaten gehört.
Pathetisch
und dramatisch mit Doppelschlägen, Tremolos und höchst akzentuierten Sforzati glänzte
denn auch der erste Satz, Allegro ma non tanto, um dann in einem
düsteren c-Moll auszuklingen, ein typisch früher Beethoven mit all seinem
jugendlichen Temperament, das das junge Quartett völlig authentisch auf ihre Instrumente
übertrug. Fugatisch mit einem Hauch von Portato dann das Scherzo des
zweiten Satzes. Ein verliebter Part mit einem gehörigen Schuss Humor. Sehr
gesanglich gespielt und es mag die Behauptung zutreffen, dass dies seiner
damaligen Geliebten Josephine Brunswick gegolten habe.
Ein Menuetto
in rasendem Dreiertakt mit lyrischem Seitenthema sollte die Brücke zum
abschließenden Allegro-Prestissimo darstellen. Ein Rondo mit kantablem
Thema. Wieder mit Reminiszenzen an das abschließende Rondo der Pathétique-Klaviersonate.
Ein rasendes Stretto mit langer Coda, eine Besonderheit des frühen
Beethoven, beendete eine Komposition, die Beethoven selbst als Ausdruck seiner
natürlichen Empfindung bezeichnete, aber für wenig kunstvoll erachtete: „Das
ist ein echter Dreck! Gut für das Scheißpublikum“, soll er gesagt haben. Na ja.
Hätte er das Quatuor Ébène Quartett gehört, er hätte seine Meinung
bestimmt revidiert.
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| Quatuor Ébène, v. l.: Marie Chilemme, Pierre Colombet, Raphaël Merlin, Gabriel Le Magadure Foto: warnerclassics.com |
„Ein verdutztes
Publikum“?
Nach einer
kurzen Verschnaufpause, das Quartett spielt tatsächlich immer im Grenzbereich auch
seiner physischen Kräfte, folgte op. 127. In heroischem Es-Dur verfasst
und die späten Quartette Beethovens einleitend (zwischen dem letzten Streichquartett
op. 95 lagen 14 Jahre) erfuhr dieses Werk seine Uraufführung am 06.März 1825
mit dem Schuppanzigh-Quartett, einem Wiener Starensemble des frühen 19. Jahrhunderts.
Allerdings soll diese Uraufführung ein glatter Reinfall gewesen sein.
Beethovens Neffe Karl zumindest äußerte sich dazu: Es habe viel Störungen
gegeben und nichts sei so „recht zusammengegangen“. Das Publikum habe den Saal „ziemlich
verduzt“ verlassen, schreibt auch der Musikkritiker und Schriftsteller Anton Schindler (1795-1864).
Sei´s drum. Was Quatuor Ébène bot sollte alle Bedenken gegenüber diesem Werk mit einem Wisch hinwegfegen. Einem akkordischen sechstaktigen Maestoso im Zweiviertel Takt folgte umgehend ein Hauptthema mit fast sehnsüchtiger Melodie. Überhaupt brillierte dieser Satz durch extremste Stimmungswechsel, immer wieder an das erhabene Maestoso anknüpfend. Bekanntlich schrieb Beethoven zu dieser Zeit an seiner 9. Sinfonie und hatte seine letzten Klaviersonaten (op. 109-111) bereits ediert. Viel Lyrisches zum Beispiel aus seinem op. 109, den Variationen des zweiten Satzes, und dem kantablen dritten Satz der Neunten waren zumindest im Duktus herauszuhören.
Hinreißend auch der folgende Variationen
Satz, Adagio ma non troppo, voller Sehnsucht nach Ruhe, mit
schluchzenden Passagen, tänzerischen, marschähnlichen Sequenzen, feierlichen
Expressionen, jubelnden Szenen, kontroversen Disputationen. Zwar sind die
Variationen nicht durchnummeriert (was übrigens auch für seine Variationen der,
folgenden Quartette zutrifft), aber doch in Stimmung und Expression klar
voneinander zu unterscheiden. Wie sagte doch zurecht der amerikanische
Musiktheoretiker Charles Rosen (1927-2012): Die Variationen vermitteln „weniger den Eindruck,
dass sie ein Thema ausschmücken, als dass sie seine Essenz entdecken.“
Das Scherzando
Vivace des dritten Satzes ist eigentlich eine Fuge mit extremen dynamischen
Wechseln und ständigem Changieren zwischen Dur und Moll. Eine große Disputatio,
die in ein Finale mündet, das wieder einmal vieles aus der 9.
Sinfonie enthält. Gleichsam sinfonisch in einem Sonatenrondo angelegt fehlt eigentlich nur noch
der Gesang, der dann die Gattung der Sinfonien ("Freude schöner Götterfunken")
revolutionieren wird.
Ein großer und erhabener Abend
Das Quartett
verstand es ausgezeichnet, das Leben eines Mannes in völliger Taubheit und
Einsamkeit – „... ich lebe beinahe allein in dieser größten Stadt Deutschlands“,
schrieb Beethoven wenige Jahre zuvor an seinen Freund Carl Amenda – aus dieser
gewaltigen, fast 40 Minuten andauernden Partitur herauszuarbeiten und für den
Hörer nachvollziehbar werden zu lassen. Ein Werk voller Rührung aber auch von
ungeheuerlicher Tatkraft und beharrlichem Widerstand gegen die Unbilden des
Lebens.
Es folgen
noch vier weitere Quartette bis zu Beethoven Tod zwei Jahre später. Vier
Quartette, die noch in diesem Jahr (geplant) auf dem Programm dieses einzigartigen Quartetts stehen
werden.
Ein großer
und erhabener Abend, leider mit dem bedrückenden Gefühl, in einer Welt von
Unfreiheit und Bevormundung leben zu müssen und das alles unter dem Vorwand,
die Gesundheit der Menschen schützen zu wollen. Und das seit sieben Monaten mit
bereits unabsehbaren menschlichen und wirtschaftlichen Kollateralschäden, wobei
sich die Frage stellt, nach all den wissenschaftlichen Gegen-Expertisen zur herkömmlichen
Politik, wem überhaupt geholfen und wessen Gesundheit überhaupt geschützt
werden soll. Ein Beethoven in heutiger Lage hätte vermutlich nur Spott und Hohn
dafür übriggehabt. Leider fehlt aktuell ein Künstler dieses aufmüpfigen Kalibers.


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