Billy
Budd
(1951), Oper in zwei Akten und sieben Szenen von Benjamin Britten (1913-1976), Oper
Frankfurt, zweite und letzte Wiederaufnahme, 19.05.2018
Björn Bürger (Billy Budd), Foto: Barbara Aumüller |
Überall wird das Spiel der Unschuld ertränkt
Feierte die Premiere von Billy Budd im November 2007 an der Oper Frankfurt unter der Regie von Richard Jones und der musikalischen Leitung von Paul Daniel bemerkenswerte Erfolge (Wolfgang Sandner von der FAZ nannte sie einen großen musikalischen Wurf und Hans-Klaus Jungheinrich zählte sie zu den Höhepunkten der Opernkunst), so verspricht ihre Wiederaufnahme, mit personellen Veränderungen in der musikalischen Leitung und der Besetzungen der Hauptrollen, die nahtlose Fortsetzung der Frankfurter Erstaufführung vor knapp elf Jahren.
Billy
Budd von Benjamin Britten (1913-1976),
nach dem gleichnamigen Textbuch von Herman Melville (1819-1891), bekannt durch
seinen Bestseller Moby Dick (1851)
und den Librettisten Edward Morgan Forster (1879-1970) und Eric John Crozier
(1914-1994), ist eine dramatische Erzählung in zwei Akten und sieben Szenen und beschreibt eine Art Dreiecksverhältnis
zwischen Männern: dem fröhlichen, allseits beliebten und begehrenswerten Billy
Budd, die Verkörperung der Unschuld und des Guten, dem habgierigen und
grundbösen Schiffsprofos, John Claggart, der Billy begehrt, aber ihn zu
vernichten droht, wenn er ihn nicht besitzen kann und dem Kapitän Edward Fairfax Vere, der
seine freundschaftlichen Gefühle zu Billy hinter der Fassade der strengen Ordnung
und Gesetze auf dem Schiff, dem schwimmenden staatlichen Mikrokosmos, verbirgt.
Ein homoerotischer Prozess, eingebettet in die gewaltsamen
Zustände auf einem englischen Kriegsschiff zurzeit des ersten Koalitionskriegs
der europäischen Mächte gegen die Auswirkungen der Französischen Revolution
(1792-1797). Hier ist es die Indomitable,
die Unbezwingbare, auf die es Billy Budd durch Zwangsrekrutierung verschlägt.
Vormals Matrose auf dem Handelsschiffs Rights
o´ Man, wird ihm sein engagierter Ausruf: „Auf Wiedersehen ... Rights of
Man!“ (Menschenrechte) zum Verhängnis. Von diesem Zeitpunkt an steht er bei den
Offizieren unter dem Verdacht der Sympathie zu den Franzosen bzw. der Französischen
Revolution, der sich allerdings in keiner Weise erhärten lässt.
Kapitän Vere, vom Tenor und Debütanten, Michael McCown, mit verzweifeltem und
zweifelndem Impetus und subtiler Stimme gesungen, ist ein Feingeist (er liest Plutarch und
residiert in einer Art Bibliothek), hat sofort die Reinheit und Unschuld des Billy
Budd erkannt und hält seinen schützenden Arm über ihn. „Das ist nur die Jugend“,
versucht er die Offiziere (Simon Bailey
als Mr. Redburn, Magnus Baldvinsson
als Mr. Flint und Brandon Cedel als Lieutenant Ratcliff) zu beruhigen. Man spürt förmlich seinen Widerspruch zwischen Gesetz
und Ordnung und der Suche nach dem Wahren, Guten und Schönen. An diesem Konflikt
wird er scheitern, wenn er, wider besseres Wissen, Billy Butt dem Gesetz der
Menschen gehorchend opfern muss.
John Claggart, gnadenlos-geradlinig und überzeugend
vom Bass und Debütanten, Thomas Faulkner,
verkörpert, ist die Personifizierung des Bösen. Er nutzt diesen Verdacht zu einem
teuflischen Plan. Mit erzwungener Hilfe zweier Matrosen (Squeak, Theo Lebow, ein unterwürfiger Dummkopf,
und The Novice, Michael Porter, in
ständiger Angst vor der Folter seines Vorgesetzten) verschafft er sich
Argumente zur Bezichtigung Billy Budds, eine Meuterei anzetteln zu wollen.
Höhepunkt seiner Intrige und homoerotischen Abwehr ist die Arie: „Ach Schönheit,
Liebreiz, Gutherzigkeit …“ in der dritten Szene des 1. Aktes. Ähnlich wie Jago
in Verdis Oper Otello, fühlt sich
Claggart verdammt, das Gute zu zerstören. Er wünscht sich eine Ordnung, wie sie
in der Hölle herrscht, wobei ihm die Unschuld Billy Budds im Wege steht. Sein
homoerotischer Bezug zu ihm symbolisiert Budds rotes Tuch, das er ihm entwendet
hat und während seiner Arie nervös durch die Hände gleiten lässt. Es ist eine
vergiftete, bösartige Liebe. Die Reinheit und Unschuld Budds lässt sich nicht besitzen, also muss sie
vernichtet werden.
Bildmitte v.l.n.r.: Theo Lebow (Squeak), Hans-Jürgen Lazar (Red Whiskers), Alfred Reiter (Dansker), Björn Burger (Billy Budd), Chor und Statisterie, Foto: Barbara Aumüller |
Gut und Böse stehen außerhalb der Gesellschaft
Billy Budd, hinreißend gespielt und gesungen vom
Tenor und Debütanten, Björn Bürger,
scheint eine biblische Gestalt darzustellen. Zumindest ist der
heilsgeschichtliche Aspekt nicht zu übersehen. Budd, ein Parzifal, ein Jesus,
ein Isaak, ist in seiner Naivität und Unschuld ein vollkommenes Geschöpf. Er
ist das Gute. Insofern ist er beliebt und verkörpert auf dem unmenschlichen
Schiff im wahrsten Sinne die Menschenrechte. Aber wie Claggart als Teufel, so
steht Budd als Engel außerhalb der der Gesellschaft (Übrigens ist die Herkunft
beider unbekannt). Budd allerdings hat den Makel, immer dann, wenn die Ungerechtigkeit
überhandnimmt, zu stottern und die Kontrolle über sich zu verlieren. So im
ersten Akt, erste Szene, wenn er seine Herkunft (er ist ein Findelkind) angeben soll, in der dritten
Szene des 1. Aktes, als er Squeak beim Durchsuchen seiner Sachen erwischt und
ihn, als dieser ihn mit dem Messer attackiert, niederschlägt. Höhepunkt sind
die Anschuldigungen Claggarts bei Kapitän Vere. Fassungslos vor solcher
Niedertracht, bleiben ihm die Worte im Halse stecken, er verliert die Kontrolle
und in zorniger Aufwallung erschlägt er ihn. Zu seiner
Verteidigung vor dem Standgericht hat er
nichts weiter zu sagen als: „Ich wollte widersprechen, aber meine Zunge
gehorchte mir nicht mehr.“
Das Böse ist zwar zerstört, aber das Gute hat sich
mit der Tat ebenfalls ins Unrecht gesetzt. Vere ist verwirrt. Ähnlich wie Pontius
Pilatus in der biblischen Passionsgeschichte wäscht er seine Hände in Unschuld,
das heißt er überlässt das Todesurteil seinen Offizieren. Der Engel muss
gehängt werden, wider besseres Wissen. Aber im Gegensatz zu Pilatus, der an
Jesus keine Schuld entdecken kann und ihn dem Todesurteil der Juden überlässt, sieht
sich Vere eher als Teil der Tragödie: „Es ist nicht sein Verhör, sondern meins“,
singt er verzweifelt und ahnt Furchtbares, als er Billy Budd das Urteil überbringt: „Welches
Tribunal wird mich richten, wenn ich das Gute vernichte?“ Vere, der Schöngeist,
der Philosoph wird zum Boten des Todes.
Hier versagen alle Worte und Musik wird zum
Vermittler des Unsagbaren. Britten lässt 34 Akkorde in Dur und Moll erklingen,
die alle einen F-Dur Ton enthalten. Oft sind die Wechsel unsanft, springen im
Tritonus von d-Moll zu As-Dur, oder vom klaren hellen C-Dur zum kratzigen
fis-Moll, mal Tutti, mal Orchestergruppen, vom dreifach-Forte bis zum dreifach
Piano. Ein Dynamik voller Spannung und Leidenschaft. Es ist die unaussprechliche
Liebe des Kapitäns zu Billy Budd. Es ist „die Liebe, die das Verstehen
übersteigt“, so Vere in seinem abschließenden Epilog. Seine Entscheidung ist
nicht mehr rückgängig zu machen. Mit dem finalen Ruf nach der Indomitable, seinem Schiff, der
Unbezwingbaren, ist immerhin die Hoffnung verbunden, irgendwann das Land zu
finden, wo das Schiff für immer ankern kann: „Ich hab´ im Sturm ein weithin
leuchtendes Segel gesichtet, das nicht Schicksal heißt, und ich bin´s
zufrieden.“
Björn Bürger (Billy Budd) im Gefängnis |
Die Opern Billy
Budd, Peter Grimes und Turn of the Screw drehen sich alle um
den Tod eines Jungen oder jungen Mannes, schreibt der britische Musikwissenschaftler
Alex Ross, und fasst sie in ihrem Gehalt mit einem Vers aus William Butler Yeats
(1865-1939) berühmten Gedicht The Second
Coming (1919) zusammen: „Und überall wird das Spiel der Unschuld ertränkt.“
Britten, der sich zeit seines Lebens stark mit den Opfern identifizierte,
entdeckte womöglich bei sich selbst auch etwas von den Tätern. Und steckt nicht
in uns allen dieser schicksalhafte Widerspruch?
Eine überaus gelungene Produktion in der Regie von Richard Jones (wie 2007), mit einem riesigen,
von Blechbläsern, Schlagwerk und Holzbläsern dominierten Frankfurter Opern- und
Museums Orchester, das die eindringliche Musiksprache Brittens unter der souveränen
Leitung Erik Nielsens voll zur Geltung
kommen ließ, einem bestens präparierten Chor (Tilman Michael) und Kinderchor (Nikolaus Henseler) und, wie immer, einem Sängerensemble der
Extraklasse, allen voran Hans-Jürgen
Lazar, als Red Whiskers, Alfred
Reiter, als Dansker, Michael Porter,
als Novize, Mikolay Trabka, als Donald,
Barnaby Rea, als Mr. Bosun, Peter Marsh als Deckaufsicht sowie die
beiden Schiffsmaate, Dietrich Voll
und Thesele Kemane. Alle übrigens Mitglieder
des Opernstudios.
Nächste Vorstellungen: 21. und 25.05. sowie 02. und 09.06.2018
Nächste Vorstellungen: 21. und 25.05. sowie 02. und 09.06.2018
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