Sonntag, 20. Mai 2018


Billy Budd (1951), Oper in zwei Akten und sieben Szenen von Benjamin Britten (1913-1976), Oper Frankfurt, zweite und letzte Wiederaufnahme, 19.05.2018



Björn Bürger (Billy Budd), Foto: Barbara Aumüller

Überall wird das Spiel der Unschuld ertränkt


Feierte die Premiere von Billy Budd im November 2007 an der Oper Frankfurt unter der Regie von Richard Jones und der musikalischen Leitung von Paul Daniel bemerkenswerte Erfolge (Wolfgang Sandner von der FAZ nannte sie einen großen musikalischen Wurf  und Hans-Klaus Jungheinrich zählte sie zu den Höhepunkten der Opernkunst), so verspricht ihre Wiederaufnahme, mit personellen Veränderungen in der musikalischen Leitung und der Besetzungen der Hauptrollen, die nahtlose Fortsetzung der Frankfurter Erstaufführung vor knapp elf Jahren.


Billy Budd von Benjamin Britten (1913-1976), nach dem gleichnamigen Textbuch von Herman Melville (1819-1891), bekannt durch seinen Bestseller Moby Dick (1851) und den Librettisten Edward Morgan Forster (1879-1970) und Eric John Crozier (1914-1994), ist eine dramatische Erzählung in zwei Akten und sieben Szenen und beschreibt eine Art Dreiecksverhältnis zwischen Männern: dem fröhlichen, allseits beliebten und begehrenswerten Billy Budd, die Verkörperung der Unschuld und des Guten, dem habgierigen und grundbösen Schiffsprofos, John Claggart, der Billy begehrt, aber ihn zu vernichten droht, wenn er ihn nicht besitzen kann und dem Kapitän Edward Fairfax Vere, der seine freundschaftlichen Gefühle zu Billy hinter der Fassade der strengen Ordnung und Gesetze auf dem Schiff, dem schwimmenden staatlichen Mikrokosmos, verbirgt.

Ein homoerotischer Prozess, eingebettet in die gewaltsamen Zustände auf einem englischen Kriegsschiff zurzeit des ersten Koalitionskriegs der europäischen Mächte gegen die Auswirkungen der Französischen Revolution (1792-1797). Hier ist es die Indomitable, die Unbezwingbare, auf die es Billy Budd durch Zwangsrekrutierung verschlägt. Vormals Matrose auf dem Handelsschiffs Rights o´ Man, wird ihm sein engagierter Ausruf: „Auf Wiedersehen ... Rights of Man!“ (Menschenrechte) zum Verhängnis. Von diesem Zeitpunkt an steht er bei den Offizieren unter dem Verdacht der Sympathie zu den Franzosen bzw. der Französischen Revolution, der sich allerdings in keiner Weise erhärten lässt.

Kapitän Vere, vom Tenor und Debütanten, Michael McCown, mit verzweifeltem und zweifelndem Impetus und subtiler Stimme gesungen, ist ein Feingeist (er liest Plutarch und residiert in einer Art Bibliothek), hat sofort die Reinheit und Unschuld des Billy Budd erkannt und hält seinen schützenden Arm über ihn. „Das ist nur die Jugend“, versucht er die Offiziere (Simon Bailey als Mr. Redburn, Magnus Baldvinsson als Mr. Flint und Brandon Cedel als Lieutenant Ratcliff) zu beruhigen. Man spürt förmlich seinen Widerspruch zwischen Gesetz und Ordnung und der Suche nach dem Wahren, Guten und Schönen. An diesem Konflikt wird er scheitern, wenn er, wider besseres Wissen, Billy Butt dem Gesetz der Menschen gehorchend opfern muss.

John Claggart, gnadenlos-geradlinig und überzeugend vom Bass und Debütanten, Thomas Faulkner, verkörpert, ist die Personifizierung des Bösen. Er nutzt diesen Verdacht zu einem teuflischen Plan. Mit erzwungener Hilfe zweier Matrosen (Squeak, Theo Lebow, ein unterwürfiger Dummkopf, und The Novice, Michael Porter, in ständiger Angst vor der Folter seines Vorgesetzten) verschafft er sich Argumente zur Bezichtigung Billy Budds, eine Meuterei anzetteln zu wollen. Höhepunkt seiner Intrige und homoerotischen Abwehr ist die Arie: „Ach Schönheit, Liebreiz, Gutherzigkeit …“ in der dritten Szene des 1. Aktes. Ähnlich wie Jago in Verdis Oper Otello, fühlt sich Claggart verdammt, das Gute zu zerstören. Er wünscht sich eine Ordnung, wie sie in der Hölle herrscht, wobei ihm die Unschuld Billy Budds im Wege steht. Sein homoerotischer Bezug zu ihm symbolisiert Budds rotes Tuch, das er ihm entwendet hat und während seiner Arie nervös durch die Hände gleiten lässt. Es ist eine vergiftete, bösartige Liebe. Die Reinheit und Unschuld Budds lässt sich nicht besitzen, also muss sie vernichtet werden.


Bildmitte v.l.n.r.: Theo Lebow (Squeak), Hans-Jürgen Lazar (Red Whiskers), Alfred Reiter (Dansker), Björn Burger (Billy Budd),  Chor  und Statisterie, Foto: Barbara Aumüller

Gut und Böse stehen außerhalb der Gesellschaft


Billy Budd, hinreißend gespielt und gesungen vom Tenor und Debütanten, Björn Bürger, scheint eine biblische Gestalt darzustellen. Zumindest ist der heilsgeschichtliche Aspekt nicht zu übersehen. Budd, ein Parzifal, ein Jesus, ein Isaak, ist in seiner Naivität und Unschuld ein vollkommenes Geschöpf. Er ist das Gute. Insofern ist er beliebt und verkörpert auf dem unmenschlichen Schiff im wahrsten Sinne die Menschenrechte. Aber wie Claggart als Teufel, so steht Budd als Engel außerhalb der der Gesellschaft  (Übrigens ist die Herkunft beider unbekannt). Budd allerdings hat den Makel, immer dann, wenn die Ungerechtigkeit überhandnimmt, zu stottern und die Kontrolle über sich zu verlieren. So im ersten Akt, erste Szene, wenn er seine Herkunft (er ist ein Findelkind) angeben soll, in der dritten Szene des 1. Aktes, als er Squeak beim Durchsuchen seiner Sachen erwischt und ihn, als dieser ihn mit dem Messer attackiert, niederschlägt. Höhepunkt sind die Anschuldigungen Claggarts bei Kapitän Vere. Fassungslos vor solcher Niedertracht, bleiben ihm die Worte im Halse stecken, er verliert die Kontrolle und in zorniger Aufwallung erschlägt er ihn. Zu seiner Verteidigung vor dem Standgericht  hat er nichts weiter zu sagen als: „Ich wollte widersprechen, aber meine Zunge gehorchte mir nicht mehr.“

Das Böse ist zwar zerstört, aber das Gute hat sich mit der Tat ebenfalls ins Unrecht gesetzt. Vere ist verwirrt. Ähnlich wie Pontius Pilatus in der biblischen Passionsgeschichte wäscht er seine Hände in Unschuld, das heißt er überlässt das Todesurteil seinen Offizieren. Der Engel muss gehängt werden, wider besseres Wissen. Aber im Gegensatz zu Pilatus, der an Jesus keine Schuld entdecken kann und ihn dem Todesurteil der Juden überlässt, sieht sich Vere eher als Teil der Tragödie: „Es ist nicht sein Verhör, sondern meins“, singt er verzweifelt und ahnt Furchtbares, als er Billy Budd das Urteil überbringt: „Welches Tribunal wird mich richten, wenn ich das Gute vernichte?“ Vere, der Schöngeist, der Philosoph wird zum Boten des Todes.

Hier versagen alle Worte und Musik wird zum Vermittler des Unsagbaren. Britten lässt 34 Akkorde in Dur und Moll erklingen, die alle einen F-Dur Ton enthalten. Oft sind die Wechsel unsanft, springen im Tritonus von d-Moll zu As-Dur, oder vom klaren hellen C-Dur zum kratzigen fis-Moll, mal Tutti, mal Orchestergruppen, vom dreifach-Forte bis zum dreifach Piano. Ein Dynamik voller Spannung und Leidenschaft. Es ist die unaussprechliche Liebe des Kapitäns zu Billy Budd. Es ist „die Liebe, die das Verstehen übersteigt“, so Vere in seinem abschließenden Epilog. Seine Entscheidung ist nicht mehr rückgängig zu machen. Mit dem finalen Ruf nach der Indomitable, seinem Schiff, der Unbezwingbaren, ist immerhin die Hoffnung verbunden, irgendwann das Land zu finden, wo das Schiff für immer ankern kann: „Ich hab´ im Sturm ein weithin leuchtendes Segel gesichtet, das nicht Schicksal heißt, und ich bin´s zufrieden.“

Björn Bürger (Billy Budd) im Gefängnis

Die Opern Billy Budd, Peter Grimes und Turn of the Screw drehen sich alle um den Tod eines Jungen oder jungen Mannes, schreibt der britische Musikwissenschaftler Alex Ross, und fasst sie in ihrem Gehalt mit einem Vers aus William Butler Yeats (1865-1939) berühmten Gedicht The Second Coming (1919) zusammen: „Und überall wird das Spiel der Unschuld ertränkt.“ Britten, der sich zeit seines Lebens stark mit den Opfern identifizierte, entdeckte womöglich bei sich selbst auch etwas von den Tätern. Und steckt nicht in uns allen dieser schicksalhafte Widerspruch?



Eine überaus gelungene Produktion in der Regie von Richard Jones (wie 2007), mit einem riesigen, von Blechbläsern, Schlagwerk und Holzbläsern dominierten Frankfurter Opern- und Museums Orchester, das die eindringliche Musiksprache Brittens unter der souveränen Leitung Erik Nielsens voll zur Geltung kommen ließ, einem bestens präparierten Chor (Tilman Michael) und Kinderchor (Nikolaus Henseler) und, wie immer, einem Sängerensemble der Extraklasse, allen voran Hans-Jürgen Lazar, als Red Whiskers, Alfred Reiter, als Dansker, Michael Porter, als Novize, Mikolay Trabka, als Donald, Barnaby Rea, als Mr. Bosun, Peter Marsh als Deckaufsicht sowie die beiden Schiffsmaate, Dietrich Voll und Thesele Kemane. Alle übrigens Mitglieder des Opernstudios.

Nächste Vorstellungen: 21. und 25.05. sowie 02. und 09.06.2018

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