Internationale
Maifestspiele Wiesbaden: 30.04. bis 31.05.2018
S&S, Doppelballettabend der GöteborgsOperans Danskompani im Staatstheater Wiesbaden, 17.05.2018 (Premiere: 16.05.2018)
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Ensemble des GöteborgsOperans Danskompani (Foto: GöteborgsOperans Danskompani) |
Tanzperformance vom Feinsten
S&S steht für die Anfangsbuchstaben beiden Choreographen Sang Jijia (*?) und Sharon Eyal (*1971): der aus China stammende Jijia mit As It Were (2018) für 12 Tänzer und die aus Israel
stammende Eyal mit Autodance (2018) für 14 Tänzer.
In der Komposition von elektronischer Klangmusik (Dickson Dee, genannt CASH) und moderatem House-Techno (Ori Lichtik), einer ausgeklügelten
Lichttechnik (David Stokholm und Alon Cohen), sparsamen, aber fein
ausgedachten Bühnenbildern (Leo Chung)
und schlichten, bestechend wirksamen Kostümen (Kid Fing Pop und Rebecca
Hyttig), bot die Kompanie mit zwei unterschiedlichen und doch im Geiste
sehr ähnlichen Choreographien zwei Tanzperformances von außerordentlicher Strahlkraft
und hinreißender tänzerischer Noblesse bei extremer figürlicher Komplexität.
As It Were von Sang Jijia, ein Tisch mit einem Berg von schwarzen
Seidenpapierschnipseln, verschieden hoch aufgehängte Holzrahmen und sieben Tänzer. Weißes,
elektronisch erzeugtes Rauschen begleitet die aus der Dunkelheit kommenden sich
konvulsivisch bewegenden, in Alltagskostüme gekleideten Tänzer, wovon zwei ein
nacktes (in fleischfarbene Trikots gehülltes) Paar vom Tisch freigraben, das
sich leichtfüßig von der Bühne entfernt und nicht mehr auftaucht.
Zeitgleich regnet
es während der gesamten Vorstellung schwarze Seidenpapierschnipsel von der
Decke (Grimms Sterntaler lässt grüßen). Hier aber geht es nicht um die Selbstlosigkeit eines armen
Mädchens, das mit vom Himmel regnenden Goldtalern belohnt wird, sondern um das
Alleinsein, die Nicht-Kommunikation, die selbstverschuldete Atomisierung des
Menschen. Es ist ein Kampf der Geschlechter, der sich auf der Bühne austobt.
Unschwer erkennt man die tänzerische Ausbildung des Choreographen bei William
Forsythe (*1949)
Die Rahmen sind
Symbole für Regeln, Ordnung, Grenzen, der Tisch für Mauer, Hindernis und
Widerstand. Nicht der Reichtum regnet vom Himmel, sondern die bittere schwarze
Erkenntnis, dass die Gier, der Wille zur Macht, die allseitige Konkurrenz einsame
und unglückliche menschliche Wesen zurücklässt. Höchst emotional und ausdrucksstark
hierbei die Tisch- und Rahmennummer im Schlussteil der fast einstündigen Performance
sowie der finale Gruppentanz innerhalb eines der Rahmen: alle für sich, kein
Berühren, keine Hoffnung. Die Rahmen verschieben sich gegeneinander und die Dunkelheit
kehrt zurück. Das Ungesagte bleibt ungesagt.
Gemeinsam sind sie einsam
In Autodance von Sharon Eyal werden die
Tänzer auf eine rituelle Reise geschickt. Im Gegensatz zu As It Were hat hier die Musik den Charakter eines martialischen
Marschierens. Begleitet von rhythmischem Techno-zweier-Beat, der sich in
minimalistischer Variation durch das ganze Stück zieht, schreiten die Tänzer
in fleischfarbenen Trikots über die nackte Bühne. Lediglich unterschiedlich
angeordnete Lichtkegel geben dem Geschehen Farbe und Eindringlichkeit. Nichts
wird erzählt und dennoch erzählen die Tänzer alles über ihr Innerstes, ihre Träume
und Wünsche. Alle im Gleichschritt, mal solistisch, mal in Zweier-, Vierer-, Siebener- und Vierzehnergruppen, komplex und doch synchron, zusammen und doch auseinander,
expressiv und doch verschlossen, explosiv und doch introvertiert, zügellos und
doch streng.
Extreme Widersprüche in einem rituellen Akt der Selbstaufopferung.
Auf sich zurückgeworfen versuchen die Tänzer an ihre physischen und psychischen
Grenzen zu gehen, sie gar zu überschreiten, um festzustellen, dass ihre
Selbstbezogenheit alle anderen auch betrifft: Gemeinsam sind sie einsam. Ihr
Kampf, ihre Grenzüberschreitung, und das im wahrsten tänzerischen Sinne, sind
zugleich Kämpfe und Grenzüberschreitungen der anderen. Großartige,
beeindruckende Performance, vor allem in den Gruppentänzen an Pina Bauschs Jahrhundert-Choreographie
zu Strawinskys Sacre du Printemps (1913/1975)
erinnernd.
GöteborgsOperans Danskompani unter der künstlerischen Leitung von Katrin Hall gehört nicht nur zur
größten Tanzkompanie Skandinaviens, sondern auch zum Besten, was die Welt
zurzeit zu bieten hat. Ein absolut genialer Wurf, der dem Hessischen Staatstheater
Wiesbaden, unter der Intendanz von Eric
Uwe Laufenberg, mit ihrer Einladung zu den diesjährigen Maifestspielen gelungen
ist. Das Publikum wusste dies durch ausgiebigen, ekstatischen Beifall zu goutieren.
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