Eislermaterial
(1998)
von Heiner Goebbels mit Josef Bierbichler und dem Ensemble Modern, Bockenheimer
Depot 12.05.2018
![]() |
Hanns Eisler Bronze-Statuette (Foto: Barbara Fahle) |
„Man wundert sich still, dass man doch nicht froh ist“
„Armut sparet nicht noch Mühe“ singen die 16 Musiker des Ensemble Modern, eine Kinderhymne von Bertold Brecht, die Hanns Eisler (1898-1962) im Jahre 1950 vertonte. Von Brecht als bewusstes Gegenstück zur Wiedereinführung der bundesdeutschen Nationalhymne gedacht, die er durch Nationalsozialismus korrumpiert glaubte, ist sie von Eisler ebenfalls als kritisches Gegenstück zur DDR Hymne Auferstanden aus Ruinen verstanden worden. Eine Kinderhymne also, die das kritische Potential Eislers bereits im Eingangslied von Eislermaterial deutlich macht. Textlich wie musikalisch. Nach Iring Fetscher gab es keine Hymne (damals in beiden Deutschlands), „die die Liebe zum eigenen Land so schön, so rational, so kritisch begründet, und keine, die mit so versöhnlichen Zeilen endet.“ Nämlich: „Und weil wir dieses Land verbessern, lieben und beschirmen wir´s. Und das liebste mag´s uns scheinen, so wie andern Völkern ihrs.“
Heiner
Goebbels (*1952), nicht allein bekannt als Komponist,
sondern auch als Mitbegründer des Linksradikalen
Blasorchesters (1976) und aktiver Kämpfer gegen unsoziale Wohnungs- und
Stadtplanungspolitik des Frankfurter Magistrats in den 1970er Jahren,
betrachtet Hanns Eisler (1898-1962), wie er sagt, von Anfang an als seinen
Mentor und kompositorischen Wegbereiter. Eisler vermittele für ihn zugleich
Fortschritt und Rücknahme (Thema auch seiner Diplomarbeit).
Im Vorgespräch mit Nikolaus Müller-Schöll hob er den Widerspruch
von Text und Inhalt bei Eisler hervor. Sprache sei für ihn nie nur Inhalt,
sondern vor allem auch Form. Es komme nicht auf das Was an, sondern auf das Wie
der Vermittlung. Und gerade darin habe Eisler eine Meisterschaft gewonnen, die
er, Goebbels, auch für sich gefunden habe. Die auf der Bühnenmitte auf einem
Bücherberg thronende bronzene Eislerstatuette stehe
sinnbildlich dafür, sei ein Hommage an ihn.
Eislermaterial,
eine rein subjektive Zusammenstellung von 21 Liedern, kleinen Orchesterstücken,
Balladen, zwei eingeblendeten Hörstücken mit Originalaufnahmen von Gesprächen
zwischen Eisler und Hans Bunge (1919-1990) über Brecht, besteht aus einer
musikalischen Vielfalt, die das gesamte Spektrum Eislerscher Kompositions- und Sprachkunst
abdeckt. Und das nicht nur über die Musik. Goebbels schafft aus dem vielfältigen
Material ein szenisches Konzert, ein Lehrstück der besonderen Art. Keine fertige
Komposition, sondern ein Arrangement, das den Musikern weitgehende Selbstständigkeit
in der Umsetzung abverlangt: „Jedermann muss die gesamte Partitur kennen, Vereinbarungen
und Abmachungen treffen. Jeder ist für das Ganze verantwortlich.“
Musikalische Solidarität und intime sozialpsychologische Studie
Dazu sitzen die Musiker auf Bänken in einer Art
Hufeisen angeordnet am Rande der Bühne, einschließlich des Sängers und
Rezitators, Josef Bierbichler. Sie spielen unterschiedliche Instrumente (im
12. Lied: Vom Sprengen des Gartens zum
Beispiel spielen alle 16 Instrumentalisten auf Blechblasinstrumenten), es gibt
keine Instrumentengruppen und die beiden Tastenspieler stehen mit dem Rücken
zur Bühnenmitte und verständigen sich durch Spiegel. Die Partitur ist nicht
immer auskomponiert und überlässt die Zwischenspiele weitgehend den Instrumentalisten.
Improvisationen, Free-Jazz Partien (hier sei der Saxophonist und
Bassklarinettist, Matthias Stich, hervorgehoben) und extrem kontrastierende
Orchestereinlagen wie in Nr. 2: Allegro
Assai und Nr. 17: Finale:
Improvisation sind gewollt und fordern von den Instrumentalisten höchste Konzentration
und ausgeprägtes gegenseitiges Verständnis. Zweck dieser Übung ist die
gelebte Solidarität, die vom Ensemble Modern, das dieses Werk bereits über 70
Mal auf die Bühne brachte, in herausragender Frische und Überzeugung realisiert
wurde.
Josef
Bierbichler (*1948), bekannt als Schauspieler und
Nicht-Sänger, erwies sich als das gelebte Readymade von Hanns Eisler Stimme. Mit
heller Kopfstimme, immer am Rande des Überschlagens, war sie der Eislers zum
Verwechseln ähnlich. „Eisler und Bierbichler“, meinte Goebbels im Gespräch, „die
passen zusammen.“ Er sang mit Zurückhaltung, unkämpferisch (geradezu das Gegenteil
von Ernst Busch, der die Arbeiterlieder Hanns Eislers in Kampfesstimmung interpretierte), selbstironisch, mitunter lamentierend an den Rand
einer seltsamen Gebrechlichkeit, ja Hinfälligkeit. Seine Ballade vom
zerrissenen Rock (Nr. 13): „In diesem Lande, in dieser Zeit …“ mit zitternder Stimme rezitiert, gehörte mit
zum Berührendsten seiner gesanglichen Auftritte.
Das Solidaritätslied: „Vorwärts und nicht
vergessen, worin unsere Stärke besteht…“, ein Kampflied der kommunistischen
Arbeiterbewegung aus den 1920er Jahren (Nr. 20.), hätte den Abend mit klassenkämpferischer
Attitüde und Triumpfgesang beenden können.
Aber nein. Das wäre Eisler und Goebbels nicht gerecht geworden.
Mit Nachdenklichkeit und einem Schuss Resignation im
Rückblick auf die Jugendzeit lässt Goebbels
das Publikum zurück. Aus: „Und endlich stirbt die Sehnsucht doch“, nach einem
Gedicht von Peter Altenberg (1859-1919), komponierte Eisler im Jahre 1953 eine
nachdenkliche Canzone, die durchaus einen subjektiven Rückblick auf die eigene Vergangenheit,
eine persönliche Lebensbilanz zulässt: „Wie in verwehte Jugendtage blickst du
zurück, und irgendeiner sagt dir weise 'S´ist Dein Glück!' Da denkt man, dass
es vielleicht wirklich so ist, wundert sich still, dass man doch nicht froh
ist.“
Die Bühne wird in Dunkel gehüllt und überlässt das
Publikum sich selbst, das wiederum kaum Zeit braucht, in Jubelstürme auszubrechen.
Eislermaterial ist eine intime sozialpsychologische Studie, die die enge geistige und musikalische Verbundenheit
zwischen Hanns Eisler und Heiner Goebbels (beide haben sich niemals getroffen) erhellend aufdeckt und zeitlos wachhält.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen