Sonntag, 13. Mai 2018


Eislermaterial (1998) von Heiner Goebbels mit Josef Bierbichler und dem Ensemble Modern, Bockenheimer Depot 12.05.2018

Hanns Eisler Bronze-Statuette (Foto: Barbara Fahle)

„Man wundert sich still, dass man doch nicht froh ist“

„Armut sparet nicht noch Mühe“ singen die 16 Musiker des Ensemble Modern, eine Kinderhymne von Bertold Brecht, die Hanns Eisler (1898-1962) im Jahre 1950 vertonte. Von Brecht als bewusstes Gegenstück zur Wiedereinführung der bundesdeutschen Nationalhymne gedacht, die er durch Nationalsozialismus korrumpiert glaubte, ist sie von Eisler ebenfalls als kritisches Gegenstück zur DDR Hymne Auferstanden aus Ruinen verstanden worden. Eine Kinderhymne also, die das kritische Potential Eislers bereits im Eingangslied von Eislermaterial deutlich macht. Textlich wie musikalisch. Nach Iring Fetscher gab es keine Hymne (damals in beiden Deutschlands), „die die Liebe zum eigenen Land so schön, so rational, so kritisch begründet, und keine, die mit so versöhnlichen Zeilen endet.“ Nämlich: „Und weil wir dieses Land verbessern, lieben und beschirmen wir´s. Und das liebste mag´s uns scheinen, so wie andern Völkern ihrs.“


Heiner Goebbels (*1952), nicht allein bekannt als Komponist, sondern auch als Mitbegründer des Linksradikalen Blasorchesters (1976) und aktiver Kämpfer gegen unsoziale Wohnungs- und Stadtplanungspolitik des Frankfurter Magistrats in den 1970er Jahren, betrachtet Hanns Eisler (1898-1962), wie er sagt, von Anfang an als seinen Mentor und kompositorischen Wegbereiter. Eisler vermittele für ihn zugleich Fortschritt und Rücknahme (Thema auch seiner Diplomarbeit).
Im Vorgespräch mit Nikolaus Müller-Schöll hob er den Widerspruch von Text und Inhalt bei Eisler hervor. Sprache sei für ihn nie nur Inhalt, sondern vor allem auch Form. Es komme nicht auf das Was an, sondern auf das Wie der Vermittlung. Und gerade darin habe Eisler eine Meisterschaft gewonnen, die er, Goebbels, auch für sich gefunden habe. Die auf der Bühnenmitte auf einem Bücherberg thronende  bronzene Eislerstatuette stehe sinnbildlich dafür, sei ein Hommage an ihn.

Eislermaterial, eine rein subjektive Zusammenstellung von 21 Liedern, kleinen Orchesterstücken, Balladen, zwei eingeblendeten Hörstücken mit Originalaufnahmen von Gesprächen zwischen Eisler und Hans Bunge (1919-1990) über Brecht, besteht aus einer musikalischen Vielfalt, die das gesamte Spektrum Eislerscher Kompositions- und Sprachkunst abdeckt. Und das nicht nur über die Musik. Goebbels schafft aus dem vielfältigen Material ein szenisches Konzert, ein Lehrstück der besonderen Art. Keine fertige Komposition, sondern ein Arrangement, das den Musikern weitgehende Selbstständigkeit in der Umsetzung abverlangt: „Jedermann muss die gesamte Partitur kennen, Vereinbarungen und Abmachungen treffen. Jeder ist für das Ganze verantwortlich.“

Musikalische Solidarität und intime sozialpsychologische Studie


Dazu sitzen die Musiker auf Bänken in einer Art Hufeisen angeordnet am Rande der Bühne, einschließlich des Sängers und Rezitators, Josef Bierbichler. Sie spielen unterschiedliche Instrumente (im 12. Lied: Vom Sprengen des Gartens zum Beispiel spielen alle 16 Instrumentalisten auf Blechblasinstrumenten), es gibt keine Instrumentengruppen und die beiden Tastenspieler stehen mit dem Rücken zur Bühnenmitte und verständigen sich durch Spiegel. Die Partitur ist nicht immer auskomponiert und überlässt die Zwischenspiele weitgehend den Instrumentalisten. Improvisationen, Free-Jazz Partien (hier sei der Saxophonist und Bassklarinettist, Matthias Stich, hervorgehoben) und extrem kontrastierende Orchestereinlagen wie in Nr. 2: Allegro Assai und Nr. 17: Finale: Improvisation sind gewollt und fordern von den Instrumentalisten höchste Konzentration und ausgeprägtes gegenseitiges Verständnis. Zweck dieser Übung ist die gelebte Solidarität, die vom Ensemble Modern, das dieses Werk bereits über 70 Mal auf die Bühne brachte, in herausragender Frische und Überzeugung realisiert wurde.

Josef Bierbichler (*1948), bekannt als Schauspieler und Nicht-Sänger, erwies sich als das gelebte Readymade von Hanns Eisler Stimme. Mit heller Kopfstimme, immer am Rande des Überschlagens, war sie der Eislers zum Verwechseln ähnlich. „Eisler und Bierbichler“, meinte Goebbels im Gespräch, „die passen zusammen.“ Er sang mit Zurückhaltung, unkämpferisch (geradezu das Gegenteil von Ernst Busch, der die Arbeiterlieder Hanns Eislers in Kampfesstimmung interpretierte), selbstironisch, mitunter lamentierend an den Rand einer seltsamen Gebrechlichkeit, ja Hinfälligkeit. Seine Ballade vom zerrissenen Rock (Nr. 13): „In diesem Lande, in dieser Zeit  …“ mit zitternder Stimme rezitiert, gehörte mit zum Berührendsten seiner gesanglichen Auftritte.

Das Solidaritätslied: „Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht…“, ein Kampflied der kommunistischen Arbeiterbewegung aus den 1920er Jahren (Nr. 20.), hätte den Abend mit klassenkämpferischer Attitüde  und Triumpfgesang beenden können. Aber nein. Das wäre Eisler und Goebbels nicht gerecht geworden.

Mit Nachdenklichkeit und einem Schuss Resignation im Rückblick auf die Jugendzeit lässt Goebbels das Publikum zurück. Aus: „Und endlich stirbt die Sehnsucht doch“, nach einem Gedicht von Peter Altenberg (1859-1919), komponierte Eisler im Jahre 1953 eine nachdenkliche Canzone, die durchaus einen subjektiven Rückblick auf die eigene Vergangenheit, eine persönliche Lebensbilanz zulässt: „Wie in verwehte Jugendtage blickst du zurück, und irgendeiner sagt dir weise 'S´ist Dein Glück!' Da denkt man, dass es vielleicht wirklich so ist, wundert sich still, dass man doch nicht froh ist.“

Die Bühne wird in Dunkel gehüllt und überlässt das Publikum sich selbst, das wiederum kaum Zeit braucht, in Jubelstürme auszubrechen. Eislermaterial ist eine  intime sozialpsychologische Studie, die die enge geistige und musikalische Verbundenheit zwischen Hanns Eisler und Heiner Goebbels (beide haben sich niemals getroffen) erhellend aufdeckt und zeitlos wachhält.  

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