Samstag, 12. Mai 2018


Internationale Maifestspiele Wiesbaden: 30.04. bis 31.05.2018

Ennui – Geht es immer so weiter? mit Peter Simonischek und der Franui Musicbanda
Staatstheater Wiesbaden, 11.05.2018

Peter Simonischek (Foto: Staatstheater Wiesbaden)

Langeweile als unterhaltsames Divertimento


„Geht das immer so weiter?“, fragt der Sprach- und Sprechkünstler Ernst Jandl (1925-2000) in Leise Unruhe (1982-1989), natürlich über den Rezitator Peter Simonischek (*1946), und resümiert: „Ach ginge es doch immer so weiter!“, um fortzufahren: „Vielleicht wird es besser, vielleicht wird es ja besser? … Nein, es wird nicht besser!“ Ein resignierter Blick auf die Weltläufte, der das gesamte Programm des Abends beherrscht.


Ursache für alle Unbilden ist die Langeweile: „Was Wunder, dass es rückwärts geht mit dieser Welt!“, leitet Simonischek seine Brechtsche Moritat ein und erklärt die Ursache allen Übels auf dieser Welt mit der allseits grassierenden Langeweile. Langeweile bereits bei den Göttern, die deshalb die Menschen auf diese Erde gesetzt haben, Langeweile in der Bibel, im Koran und der Thora, in der Geschichtsschreibung, der Literatur, in Wissenschaft und Ausbildung. Kurz: Langeweile regiert die Welt. Simonischek spricht mit sonorer Stimme, sein Ton schwankt zwischen Verzweiflung und Zuversicht, zwischen Ironie und Lamento. Er spricht Textpartikel von Arthur Schopenhauer, Søren Kierkegaard, Georg Büchner, Blaise Pascal, aber auch von Ernst Jandl, Hans Magnus Enzensberger, Eckhard Henscheid oder John Cage. Ernstes und nicht so Ernstes, Bonmots und Geistreiches.

Dazu die Franui Musicbanda aus dem österreichischen Dorf Innervillgraten, einer Ortschaft im Tiroler Bezirk Lienz, aus dem alle zehn Instrumentalisten stammen. Deshalb auch erwähnenswert, weil sich ihr Name aus einer Almwiese oberhalb des Dorfes, in 2300m Höhe gelegen, ableitet. Wer denkt da nicht an die Biermösl Blosn, ein musikalischer Familienbetrieb aus dem Bayerischen Günzlhofen, deren Name sich auf das Haspelmoor in der Nähe von Fürstenfeldbruck zurückführt. Auch sonst gibt es Parallelen: Kabarett und beißende Gesellschaftskritik, Tradition und Moderne eingebettet in Folklore und virtuose Eigenkompositionen, messerscharfer Witz und intelligente Boshaftigkeit.

Franui spielte Divertimenti von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Eric Satie (1866-1925), aber auch Einwürfe von Franz Schubert (1797-1828, ihrem „Hausheiligen“), Béla Bartók (1881-1945) und John Cage (1912-1992). Freie musikalische Untermalungen und hauseigene Bearbeitungen für Tuba (Andreas Fuetsch), Hackbrett (Bettina Rainer), Posaune (Martin Senfter), Akkordeon (Markus Kraler), Harfe und Zither (Angelika Rainer) sowie Klarinette (Johannes Eder), Saxophon (Romed Hopfgartner), Trompete (Markus Rainer, Andreas Schett) und Violine (Nikolai Tunkowitsch).

Die Wechsel von Musik und Rezitation gelangen kurzweilig und passend. Franui versteht sich als „Umspannwerk“ zwischen Klassik, Folklore und zeitgenössischer Musik. Arrangements, kompositorische Interpretationen und geschickte rhythmische und stilistische Abwechslung zwischen Tango, Ländler, Marsch, Choral sowie Trauer und Freude: halteben Divertissements im besten Sinne der Unterhaltung und des Zeitvertreibs.

Und die Moral von der Geschicht´? Natürlich John Cages (1912-1992) Zen-Weisheit aus seiner Schrift The Empty Mind: „Wenn es dir nach zwei Minuten langweilig ist, dann probier es vier Minuten. Wenn es dir nach vier Minuten immer noch langweilig ist, dann probier es acht Minuten. Wenn es dir nach acht Minuten … usw.“

Franui Musicbanda (Foto: Staatstheater Wiesbaden)


Eine runde, unterhaltsame Lesung mit Musik, bei der es nie langweilig wurde, mehr aber auch nicht. Ennui (Langeweile) als Aufforderung, der Langeweile nachzugeben, um wieder an die Ursprünge des Lebens anknüpfen zu können. Denn, erinnern wir uns, die Götter haben die Menschen aus Langeweile auf den Globus gesetzt. 

Bei aller Wertschätzung der Programmauswahl, des Rezitators und hundertmaligen "Jedermann" Verkörperers, Peter Simonischek, und der musikalischen Qualität der Franui Musicbanda unter Markus Kraler und Andreas Schett, kam alles doch eher brav und ein Tic zu  unterhaltsam herüber. Es fehlten Biss, Gschmäh, Hinterlist und ein wenig Schadenfreude, was die Thematik durchaus hergegeben hätte. Daran konnten auch die bunten mit Watte gefüllten Mozartischen Plexiglaswürfel nichts ändern. 

Die abschließende Zugabe, ein Trauermarsch für den „Anlassfall“ (gemeint dem Anlass der Thematik Ennui angemessen) mit dem Text: „Lasst´s obi, Lasst´s obi, die Ganes!“ (aus dem Ladinischen übersetzt: „Lasst sie unten, lasst sie unten, die Hallodri“), konnte da lediglich noch ein Schmunzeln hervorkitzeln. Trotzdem viel Beifall und ein sehr zufriedenes Wiesbadener Festival-Publikum.


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