Teodor
Currentzis und das Orchester MusicAeterna mit der Sopranistin Nadezhda Pavlova in der Alten Oper
Frankfurt, 15.05.2018
![]() |
Teodor Currentzis und Instrumentalisten des MusicAeterna Orchester (Foto: Tibor Pluto) |
Teodor Currentzis und Jean-Philippe Rameau, ein perfektes Paar im Geiste
Wer kennt heutzutage in Deutschland noch den wichtigsten und umstrittensten französischen Komponisten des 18. Jahrhunderts, Jean Philippe Rameau (1683-1764)? Geschweige denn seine Musik? Tatsächlich war er Zeitgenosse Johann Sebastian Bachs und Georg Friedrich Händels. Sein theoretisches Werk Traité de l´Harmonie (1722/26) gehört bis heute zu den wichtigsten Grundlagen der Harmonielehre und der mathematischen Fundierung der Tonsysteme in Dur und Moll. Kein Musikstudent kommt ohne es aus. Sein Werkschaffen ist durchaus mit seinen deutschen Koryphäen vergleichbar, schrieb er doch, neben Cembalo- und Instrumentalwerken, Kantaten und Motetten auch zahlreiche Opern, darunter lyrische Tragödien, Ballette, Komödien und heroische Pastoralsinfonien.
Diesen, die geheiligten Stätten der Pariser Opernwelt
provozierende Komponisten (man denke an den berühmt-berüchtigten Streit
zwischen den sogenannten Lullysten (Anhänger des 1687 tragisch verstorbenen
sakrosankten Hofkomponisten Ludwig XIV., Jean-Baptiste Lully) und den Ramisten
(Anhänger Rameaus): Ein öffentlicher Disput über Tradition und Moderne nach der
Uraufführung von Rameaus erster Oper Hippolyte
et Aricie (1733); oder gar an den Jahre andauernden Buffonistenstreit, bei dem
es um das Ideal des angeblich Natürlichen in der italienischen gegenüber dem
Künstlichen in der französischen Musik vor allem im Hinblick auf Rameau ging.), diesen Komponisten
also hat Teodor Currentzis (*1973) ausgewählt und zum, wie er meint, „Lenker von Apolls
Sonnenwagen“ auserkoren.
Zweiundzwanzig Stücke aus zehn Opern, darunter
Ouvertüren, Präludien, Arien, Ballette und Zwischenspiele werden ergänzt durch
drei der insgesamt fünf Pièces de clavezin
en concert (1741), für Cembalo, Violine, Gambe und Theorbe. Das große
Orchester ist bestückt mit historischen Instrumenten, wie Barocktrompeten,
Barockfagotte und Barockoboen, die bekanntlich ohne Klappensysteme und einem
geringeren Tonumfang wie ihre modernen Nachfolger, sich durch große Farbigkeit,
Weichheit und Ausdruckstärke auszeichnen. Dazu Trommeln, Pauken und Hölzer
sowie die ganze Palette von barocken Streichinstrumenten, wie Gamben, kurzhalsige
Barockgeigen, Theorben und Gitarren. Ein barocker Klangapparat von außergewöhnlicher
Größe (ca. 100 Instrumentalisten) und eben solchem Klangreichtum.
![]() |
Nadezhda Pavlova und Teodor Currentzis, Instrumentalisten des MusicAeterna Orchesters (Foto (Tibor Pluto) |
Barockmusik im „Sound of Light“
Dazu eine Sängerin, die russische Sopranistin Nadezhda Pavlova, die, von der romantischen
Oper kommend, sowohl durch gesangliche Leichtigkeit in den deklamatorischen
und rezitativischen Parts überzeugte, als auch durch ihre wunderbaren Höhen,
die bis zum unglaublichen e´´´ reichten und den Großen Saal der Alten Oper im
wahrsten Sinne zum Klang des Lichts erhob. Und das ohne Anstrengung.
Spannung und Erholung waren perfekt getimed. Gesang,
Kammermusik, Orchester, Soli und Tutti immer in wohltuenden Häppchen dargeboten.
Dazu ein durchgehendes Plaisir von Tänzen, Liebesgeschichten, wilden
Gefühlsausbrüchen, Verrücktheiten wie das Hühnergegacker in La Poule, Nr. 2 aus Pièces
de clavezin en concert, oder die marschähnlichen Rondos mit Militärtrommel,
Tamburin, Holzrassel und Drehorgel beim Auszug des Orchesters von der Bühne zum
Abschluss des ersten, wie beim Einzug auf die Bühne zu Beginn des Zweiten Teils der Programmfolge.
Teodor Currentzis versteht es, die Barockmusik in
voller Lebendigkeit auf die Bühne zu zaubern. Das aber ist sicher nicht sein
Alleinstellungsmerkmal. Da hat er einige gewichtige Vorgänger, wie beispielsweise Nikolaus
Harnoncourt oder John Eliot Gardiner. Nein, Currentzis wirkt vor allem durch
seine tänzerische, extrem rhythmisch akzentuierte, kontrastreiche
Interpretation dieser doch für uns heute im Normalfall ziemlich eintönig
wirkenden Musik.
Mit übergroßem Orchester (im barocken Zeitalter nicht üblich),
sehr ausgeprägtem persönlichen Engagement (er tanzt und stampft, läuft durch die Reihen,
motiviert und zeigt gestisch, wie er sich die musikalische Gestaltung vorstellt),
einer hinreißenden Stimmung unter den perfekt ausgebildeten Instrumentalisten (sie
spielen stehend, stampfend und tanzend in höchster Präzision die schwierigsten
Passagen), einer ausgeklügelten Performance und nicht zuletzt mit einer Sängerin,
die vor allem in ihrer Zugabe das gesamte Repertoire ihres stimmlichen und schauspielerischen
Könnens auspackte, dazu noch souverän Currentzis, der zwischenzeitlich zum Militärtrommler
wurde, am Dirigententisch ersetzte: All das zusammengenommen macht das Unikat
von Teodor Currentzis und seiner Truppe
aus.
Dabei kommt ihm die Musik Jean-Philippe Rameaus offensichtlich
sehr entgegen. Bekanntlich ein Außenseiter, Streiter für seine Musik, ein
Neuerer der Orchesterzusammensetzung, ein Avantgardist der Effekte und ein erfolgreicher Opernschreiber zeigt
Rameau doch viele Parallelen zu seinem griechisch-russischen "Wiedergänger". Claude
Debussy, ein große Anhänger von Rameaus Musik, schrieb 1908 in einer Kolumne des
Le Figaro über die geplante Wiederaufnahme
von dessen Hippolyte et Aricie an der
Grand Opera Paris: „Es steht zu befürchten, dass unsere Ohren die Fähigkeit
verloren haben, feinfühlig und aufmerksam jener Musik zuzuhören, die sich allen
unschönen Lärm versagt; wer sie jedoch aufzunehmen versteht, den überrascht
ihre liebenswerte Vornehmheit … Hören wir das Herz von Rameau schlagen.“
In
Frankreich über 50 Jahre vergessen, in Deutschland über 200 Jahre, hat Currentzis
diesen Geist, die „bezaubernde Art Musik zu schreiben“ auf die Bühnen der Musikwelt
zurückgeholt. Darin ist er Außenseiter, Streiter und Neuerer, aber zugleich auch ein einzigartiger Barockinterpret.
Das Publikum überschlug sich förmlich vor
Begeisterung. Stehende Ovationen, drei Zugaben aus Rameaus Les Indes Galantes (1735) und viele Blumen aus dem Auditorium waren
Zeichen dafür, dass ein „Musiker des alten Frankreich“ (Debussy) im 21. Jahrhundert auch in der übrigen Welt seine Anhänger findet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen