Happy New Ears
2017/18: Portrait Carola Bauckholt, Werkstattkonzert im Foyer
der Oper Frankfurt mit dem Ensemble Modern, 05.06.2018
Carola Bauckholt (Foto: Regine Körner) |
Treibstoff und Poesie – Ein Abend der Antipoden
Treibstoff ist die Kraftquelle jeglicher Bewegung überhaupt. Treibstoff für Ensemble (1995) von Carola Bauckholt (*1959) will genau diesem Phänomen, dem Wunsch nach Motorik, der Frage danach, was uns antreibt, immer vorwärts gehen zu müssen, musikalisch nachgehen. Ein Oktett des Ensemble Modern mit vier Streichern, Klavier, Perkussion, Flöte und Klarinette imitiert denn auch verschiedene Gangarten aus dem tierischen wie menschlichen Bereich. Ein ächzender Elefant, eine watschelnde Ente, ein Pferdeschnauben, ein hetzendes Fantasietier, vielleicht ein Mensch? Nein, das wäre zu wenig. Treibstoff kämpft mit konservativen musikalischen Mitteln, also altbewährtem Instrumentarium, um „Fortbewegungsklänge“ (Bauckholt) und vermittelt ein Gewimmel an Klanglebewesen, die chaotisch nach vorne streben, jedes für sich allein und dennoch in eine Richtung: nach vorwärts. Aber wohin? Das bleibt offen.
Im Gespräch mit dem Lyriker und Literaturkritiker, Jan Wagner (*1971), er selbst bezeichnet
sich als begeisterter Musiklaie, bekennt sich Bauckholt zum Quietschen: „Das Quietschen
ist meine sentimentale Ader. Es ist überall und enthält eine Menge Obertöne.“
Zum Beispiel das Quietschen einer Haustür, von Wagner vom Smartphone vorgespielt,
erinnerte sie an eine „Trauerente“, ein wunderbares musikalisches Material für
ein Musikstück. Auf gleicher Stufe stehen bei ihr Tiergeräusche, die, wie auch
in Treibstoff, einen Großteil ihrer Musik
inspiriere: „Tierklänge sind hoch interessant, weil sie viel mit den menschlichen
Geräuschen gemeinsam haben.“ Warum,
fragt sie, auf den Schriftsteller John Berger (1927-2017) verweisend, schauen
wir so gerne Tiere an, gehen so gerne in Zoos? Ihre Antwort: „Weil wir über die
Tiere uns selbst bewusst werden.“
Ein Stichwort für Jan Wagner, aus seinem Gedichtband
'Australien' Im Auge der Qualle vorzutragen.
Schlussreim: „Die Qualle, eine Lupe, die den Atlantik vergrößert.“
Schraubdichtung
für Sprechstimme, Cello, Kontrafagott und Schlagzeug
(1989/90) zeigte eine weitere Facette der Komponistin. Dieses nur sechsminütige
Werk ist eine onomatopoetische Auseinandersetzung von Sprache und Musik, eine musikalische
Nachahmung von außermusikalischen Schallereignissen. Es sind Wörter aus dem
Werkzeugkasten, wie Schraube, Schraubenzieher, Axt oder Schraubbolzen, die
scheinbar zusammenhanglos aneinandergereiht werden. Bauckholt geht hier auf die
Suche nach der musikalischen Substanz der verschiedenen Werkzeuge, deren
Sprachklang sie, durch einen Sprecher, zerhackt, zerstückelt, überspitzt,
montiert und durch Wischen, Reiben, Klopfen, Stoßen instrumental untermalt. Der
Kontrabassist Paul Cannon zeigte als
Sprecher große sprachliche Differenziertheit mit einem Schuss Humor und das
Trio um Johannes Schwarz
(Kontrafagott), Eva Böcker
(Violoncello) und Rumi Ogawa
(Schlagzeug) ließ tiefe Blicke in die scheinbare Unordnung eines
Werkzeugkastens zu.
Nach einem kurzen Intermezzo Versuch über die Seife von Jan Wagner, ein poetisches Gedankenspiel
mit der Schlusszeile: „Und alle sitzen wir am Tisch: mondloser Abend, duftende
Hände“, folgte Stirn und Ei für
Schlagquartett. Es besteht, abgesehen vom Klicken einiger Blechdosen und
dem Gebrauch von EC-Kärtchen, ausschließlich aus der Bearbeitung der Kleidung von Eva Böcker, Rainer Römer (einziger Schlagzeuger), Megumi Kasakawa und Giorgios
Panagiotidis. Ihre 'Allwettermontur' (Windjacken, Regenhosen und Gamaschen) wurde
zum Material von Klang- und Rhythmuserzeugung. Es wischte, klopfte, rieb,
kratzte, riss und fetzte. Mal jeder für sich, mal in Gruppen, mal im
rhythmischen Einklang, im Marsch, im Menuett, in Zweier Beats oder Dreivierteltakt.
Ein witzige, artikulationsreiche Performance, die in einem wilden Gerangel
endete. Hirn und Ei ist übrigens auch ein österreichisches Gericht, äußerst beliebt,
gesund und nahrhaft, wofür das Quartett die beste Werbung bot.
Treibstoff für Ensemble bildete den Abschluss
des vielseitigen Abends, allerdings „aufgeschnitten“ (Bauckholt) für Gedichte
von Jan Wagner. Bauckholt betonte noch einmal ihre Affinität zum Wort und zur
Literatur (sie verwies unter anderem auf ihre Komposition Brunnen von 2013, zu Texten von Jean Paul), wenngleich bei ihr eher
das Geräusch vorherrsche. Für sie sei jedes Stück Neuland, insofern seien Worte
mit Sinn, oder Lyrik mit Musik durchaus denk- und machbar. Ein Aufatmen Jan
Wagners, der insgesamt sechs Gedichte aus seinen Regentonnenvariationen und Selbstportrait
mit Bienenschwarm (2014) vortrug.
Mal in musikalische Abschnitte zwischengeschoben,
mal mit tiefen Orgelpunkten und tastenden Begleitstimmen untermalt, las er am Schluss
seines Vortrags aus Von einem Pferd: „Ist es
ein Fuchs, ein Schimmel oder Rappe? ... Es rührt sich nicht, steht da und sieht
ins Land.“ Die Kartoffel fällt in den Wassereimer, Glissandi, Tremoli und Rasseln kommen
zur Ruhe, und Schluss ist.
Carola Bauckholt und Jan Wagner: So richtig fanden
sie an diesem Abend nicht zusammen. Bauckholts Nachdenken über das Hören ist gleichzeitig
das Nachdenken über das Phänomen der Wahrnehmung. Ihre Lautsphären bewegen sich
zwischen Tier- Signal- und Umwelt. Ihre Botschaft ist die Überraschung und die
Lust am Neuen, noch nicht gehörten Klang und Geräusch. Jan Wagner, durch und
durch Wortkünstler von höchster poetischer Sensibilität, wirkte dagegen eher
als Antipode, denn als Moderator oder Gesprächspartner. Seine poetische,
komplexe Sprache konnte nicht so recht mit dem musikalischen Verständnis von
Bauckholt zusammenfinden. Die Verbindung von Treibstoff und Poesie wirkte denn auch ein wenig akademisch, um
nicht zu sagen artifiziell.
Dennoch ein interessanter Abschluss der Happy New Ears Reihe 2017/18. Auf ein Neues
in der kommenden Saison mit Rolf Riehm, Olga Neuwirth, Fausto Romitelli und
Georg Friedrich Haas.
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