Norma
(1831), Oper in zwei Akten von Vincenzo Bellini (1801-1835), Oper Frankfurt,
14.06.2018 (Premiere der Neuinszenierung von Christof Loy, 10.06.2018)
Elza van den Heever (Norma), Chor und Statisten der Oper Frankfurt (Fotos: Barbara Aumüller) |
Eine Tragödie mit Zeitkolorit
Wir befinden uns im Untergrund. Partisanen planen den Aufstand gegen die Besatzer ihrer Heimat. Man wartet auf den Angriffsbefehl ihrer Anführerin, Norma, die Tochter des Oberpriesters Oroveso, die hellseherisch aus den Zeichen des Mondes den rechten Zeitpunkt erkennen soll. Doch Norma führt ein Doppelleben. Sie hat ein heimliches Liebesverhältnis mit Pollione, dem Gouverneur der Besatzer, sogar zwei Kinder von ihm, und steckt, da sie eigentlich ein gemeinsames Leben mit ihm plant, in einer schier unlösbaren Zwickmühle.
Christof
Loy
(Regie) hat in weniger als einem halben Jahr (O-Ton) aus einem Sujet, das
eigentlich in der Zeit der römischen Besetzung Galliens spielt (wer kennt nicht
Gaius Julius Cäsars Der Gallische Krieg
und die entsprechenden Geschichten aus Asterix
und Obelix von René Goscinny), ein modernes, hochaktuelles Widerstandsdrama
mit religiösen Bezügen gezaubert. Nach dem Libretto von Felice Romani (1788-1865)
geht es in dieser Tragödie um moralische Maximen, um Ideale, die den Menschen
zwar leiten sollten, die aber in den seltensten Fällen zu erfüllen sind. Wer
denkt da nicht an Aus einem Totenhaus
von Leoš Janáček, wo richtig und falsch, gut und schlecht durcheinander geraten
und dennoch deutlich wird, dass „in jeder Kreatur ein Funke Gottes“ steckt.
Der 'Funke Gottes' geht quer durch die Handlung der
Oper. Norma liebt Pollione, der aber liebt Adalgisa, die Unterpriesterin, mit
der er gemeinsam fliehen möchte. Norma und Adalgisa sind ihrem unterdrückten Volk
verpflichtet und geraten zusätzlich in Konflikt mit ihrem religiösen und kriegerischen
Auftrag. Oroveso, Vater von Norma, ist Anführer der Aufständigen, hasst die Besatzer
(Pollione) und wartet auf das Zeichen des Angriffs von seiner Tochter.
Pollione, der Prokonsul und Feldherr der Besatzer, setzt sich über kulturelle
und traditionelle Grenzen hinweg, gewinnt die Liebe der Priesterinnen, zeugt
mit Norma zwei Kinder, schafft Zwietracht und lässt das sozialpsychologische Gefüge
des besetzten Volkes auseinanderbrechen. Alle Maßstäbe geraten durcheinander
und die Frage bleibt zu stellen, wie unter diesen Umständen ein richtiges
moralisches Leben überhaupt noch möglich ist.
Eine hochdramatische Tragödie, mit schlichten
Mitteln auf die Bühne gebracht. Ein karges Bühnenbild (Raimund Orfeo Voigt), lediglich Tisch und Stühle vor holzgetäfelten
Wänden. Räumlich reduziert und konzentriert entsprechend der psychologischen Zuspitzung
zwischen den Protagonisten: groß, wenn das rachsüchtige Volk auftritt, klein,
wenn Norma in sich selbst zu versinken scheint, mit sich selbst spricht (wie im
2. Akt, als sie die Kinder töten möchte). Ebenso die Kostüme (Ursula Renzenbrink) im Stile der Kriegsmode
der 1940er Jahre: einfach, funktional, grau bis schwarz. Nur Adalgisa, die
Reine, scheinbar Unbescholtene, trägt Weiß bis zur bitteren Erkenntnis, dass
auch sie sich ungewollt mit Schuld beladen hat.
Elza van den Heever (Norma), Gaelle Arquez (Adalgisa) |
Belcanto in höchster Meisterschaft
Norma ist die höchste Bestätigung für einen Belcanto-Sopran. Und hier konnte Elza von den
Heever restlos überzeugen. Allein ihre Arie an die keuche Mondgöttin (Casta Diva, 1. Akt) rührte zu Tränen. In drei Stunden, nahezu ohne Pause, führte sie mit größter Differenziertheit
der Gesangstechnik durch die unterschiedlichsten Gefühlswelten. Von verliebt
bis hasserfüllt, von fordernd bis flehend. Ihre Stimme beherrschte alle
Register der Virtuosität und Koloratur. Immer frei, aber nie in ein klassisches
Schönsein eingezwängt. Belcanto von höchster Expressivität.
Natürlich mussten
neben ihr weder Pollione (Stefano La Colla)
noch Adalgisa (Gaëlle Arquez) zurückstehen.
Beide brillierten ohne jegliche Einschränkung. Allein La Collas Tenorarie Adalgisa stand mit mir am Venusaltar (1.
Akt), eine Liebeserklärung voller Wollust und Begehren mit schwindelnden Höhen,
die er mit warmer Stentorstimme problemlos meisterte, gehörte zum frühen Höhepunkt
der Oper. Grandios sein Schlussduett mit Norma Mit der Reue ist neue Liebe eingekehrt (2. Akt), eine Arie voller Zärtlichkeit
und Empathie. Gaëlle Arquez wiederum zeigte ihre Stärken in den melodiösen Rezitativen, in den
Duetten und vor allem in ihrer Sopranarie zum Ende des 1. Aktes, in der sie Norma
eine verhängnisvolle Liebe zu einem Besatzer gesteht. Eine Liebeserklärung von
hellster Frische und tiefster Innerlichkeit.
Norma erinnert sich an ihren eigenen Fehltritt, gibt
sie frei und gerät beim Erscheinen Polliones und der Bestätigung, dass er es
ist („Er ist es!“), in den sich Adalgisa verliebt hat, außer sich. Normas
gestammelte Schreckensrufe, Polliones Verwirrung und Adalgisas bittere
Erkenntnis der Wahrheit führten in ein abschließendes spannungsgeladenes Terzett,
dass mit dem Racheschwur Normas die Dramatik in absolute Höhen trieb.
Der Chor (Tilman
Michael), Sinnbild des rachsüchtigen Volkes, sang und spielte, umgeben von
Büchern und Intellektuellen, mit größter Intensität und Partisanenflair. Immer
den Aufstand planend und voller Unruhe, gerät er beim Racheschwur Normas: Krieg, Gemetzel, Vernichtung! in Kriegs-
und Schlachtlaune. „Guerra, Guerra,
Krieg, Krieg!“ schreit er. Ein wildes Tohuwabohu auf der Bühne. Fantastisch der
Schluss der Szene: Sonnenlicht (hier Sinnbild für das Licht der Tugend und Ideale)
lässt das Dunkel der Bühne erhellen, alle schauen nach oben und singen mit
süßer Melodie vom „Sieg, den die Kinder noch erleben sollen“.
Stefano La Colla (Pollione), Elza van den Heever (Norma), Chor und Statisten der Oper Frankfurt |
Textbuch und Musik als ideale Ergänzung
Die Musik Bellinis (1801-1835) ist wesentlich
geprägt vom damaligen Geschmack. Mit Rossini und Donizetti gehört er zum
Komponisten-Dreigestirn der Belcanto Oper und ist zugleich wohl der echteste
Romantiker unter den Dreien. Antonio
Fogliani (musikalische Leitung) beherrschte kongenial Bellinis gesamte Palette
musikalischer Sprachnuancen und emotionaler Gefühlswelten. Textbuch und Musik
ergänzten sich, melodischer Schwung und dramatische Zuspitzung gerieten unter
seinem Dirigat zu einem wahren Höhepunkt der Opernkunst: Orchester und Sänger
machten aus der großen Tragödie ein „Ohrenkitzel“ (Richard Wagner), der Freude
am schönen Gesang wie den kritischen Blick ins eigene Innenleben freigab.
Zwar stirbt Norma auf dem Scheiterhaufen, Pollione
folgt ihr freiwillig nach. Zurück bleiben die verzweifelte und verlassene Adalgisa und ein führerloses Volk. Christof Loy
aber lässt bewusst vieles offen: Norma (ver)brennt nicht. Das Eingeständnis ihrer Fehler macht sie glücklich.
Die Liebe hat gesiegt, oh Himmel,
singt sie. Ihr Vater, Oroveso, vom Bassbariton Robert Pomakov bewegter Anteilnahme gesungen, nimmt tränenreich die
beiden Kinder des Erzfeindes, seine Enkel, an. Pollione erkennt seinen
Fehltritt und bekennt sich zu Norma. Adalgisa, die Unterpriesterin, wird Norma
ersetzen. Sie kann der Tradition ihres Volkes treu bleiben und als geistig
religiöse Führerin das Ruder übernehmen.
Alles gut also? Keineswegs. Erinnert
sei an den Satz Janáčeks: „In jeder Kreatur steckt ein Funke Gottes.“ Will
heißen: Keiner ist frei von Fehlern, keiner kann von sich behaupten, alles
richtig zu machen, aber jeder ist für sein Tun verantwortlich. Das aber ist
ohne geistiges Ziel, ohne zielgerichtetes Handeln nicht möglich. Der Funke
Gottes bedeutet 'das Licht der Tugend', hier das Ideal des Mitgefühls, der
Verantwortung und der bedingungslosen Liebe.
Norma
avancierte bekanntlich seit ihrer Uraufführung 1831 in Mailand zur
meistgespielten Oper aller Zeiten. Noch 187 Jahre später ist ihre Thematik so
aktuell wie eh und je und der Gesang wie die Musik haben von ihrer Frische und Expressivität
nichts eingebüßt. Eine Oper, eine Tragedia
lirica, die allerdings kein Mittelmaß verträgt und nur von den besten
Belcanto-SängerInnen bestritten werden sollte. Mit Elza van den Heever, Stefano
La Colla und Gaëlle Arquez hat die Oper Frankfurt drei Künstler engagiert, die
diesen außergewöhnlichen Anspruch mit Bravour meisterten.
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