Mittwoch, 13. Juni 2018


STORY WATER, ein musikalisch-choreographisches Projekt mit dem Ensemble Modern und der Tanzkompanie Emanuel Gat Danse, Probe im LAB Frankfurt, 13.06.2018

Mitglieder des Ensemble Modern und der Emanuel Gat Danse-Kompanie bei der Probe (Foto: Julia Gat)

Zwei Kunstgattungen gehen einen Weg


Der in Israel geborene Emanuel Gat (*1969) gründete seine Kompanie Emanuel Gat Danse im Jahre 2004 und ist seit 2007 mit seiner Tanzkompanie im französischen Istres (Provence) beheimatet. Mit etlichen Preisen ausgezeichnet erhielt er erste internationale Aufmerksamkeit mit seiner originellen Interpretation von Strawinskys Le Sacre du Printemps (2004). Seine ganz spezielle Art, Musik und Tanz völlig neu auszuloten, mag auch darin begründet sein, dass er Musik studierte und durchaus mit Noten und Partituren umzugehen weiß.


STORY WATER, sein neuestes Projekt liegt quasi seit 2015 in der Luft. In diesem Jahr nämlich trafen sich Ensemble Modern und Emanuel Gat Danse erstmals und tauschten Ideen einer gemeinsamen Produktion aus. Kein klassisches Tanzprojekt sollte es sein, sondern eines, wo Tanz und Musik zu einer Einheit verschmelzen, quasi in einem gemeinsamen Wasser schwimmen. Mit drei Stücken von Pierre Boulez Derivé  II (1989-2009), Rebecca Saunders Fury II (2010) sowie einem Folk Danse (eine gemeinsam geschaffene Tanzpartitur mit beliebten Folksongs) werden tradierte Grenzen und Zuständigkeiten überschritten und neue unbekannte Wege von Klang und Tanz, von Musik und Choreografie gewagt.

Boulez´ Derivé II, in seiner letzten Version von 2009, untersucht musikalische Phänomene von Zeit und Rhythmus. Ein elfköpfiges Ensemble leitet aus einer Sechstonreihe in einem 50-minütigen Parforceritt höchst komplexe Strukturen ab. Es ist, wie Boulez einmal selbst dazu sagte, eine „Forschungsarbeit über die Periodizität“, eine höchst konzentrierte, systematische und virtuose work in progress, durchaus auch für den Tanz geeignet.

Emanuel Gat macht hieraus einzigartige Bewegungsfolgen. Seine zehn Tänzerinnen und Tänzer (zwei waren leider verletzt) korrespondierten mit den Instrumenten, den Instrumentengruppen (Streicher, Bläser), differenzierten zwischen Schlagwerk, Tastenanschlag und Harfenzupfen. Selbst die Schichtungen und rhythmischen Verschiebungen wurden choreographisch umgesetzt. Ein Partiturenspiel von bester Detailkenntnis mit gleichzeitiger Freiheit der Interpretation eines jeden Tänzers. Kaum zu glauben, dass Klangfarbe, rhythmische Komplexität und serielle Systematik im Tanz sichtbar und erfahrbar gemacht werden können.

Ähnliches gilt für Rebecca Saunders Fury II, das sie bereits im Februar 2017 im Rahmen der Werkstattreihe Happy New Ears vorgestellt hatte. Es ist ein dreizehn-minütiges Konzert für Kontrabass und sieben Instrumentalisten. Fury könnte auch mit der Raserei eines Verrückten oder mit den römischen Rachegöttinnen in Verbindung gebracht werden. Paul Cannon, der Kontrabassist des EM, sitzt jedenfalls inmitten der Bühne, kommuniziert sowohl mit den Tänzern, als auch mit den Instrumentalisten. Eigentlich dominieren Klangpaletten wie farbige Gemälde, wobei der Bass als Resonanzverstärker fungiert. Plötzliche eruptive Ausbrüche zerstören die Farben, um sie umso farbenfroher wieder zusammenzusetzen. Ein Wechselspiel von emotionaler Wucht und verhaltener Stille.


Die spannungsgeladenen Klangfelder werden durch virtuose Gruppenspiele in ständigen Wechseln zwischen vier/zwei/zwei/zwei oder drei/drei/zwei/zwei in ihre Einzelteile zerlegt und immer wieder neu zu einer Einheit zusammengesetzt. Herausragende einzigartige Tanzformationen machen aus den Klängen bewegliche Figuren. Tiefen wie Höhen, Lautstärken, Akkorde, Dissonanzen, Reihen, Signale, gar Melodien transponieren in menschliche Bewegung. Tanz und Musik treten in eine neue Dimension, beide werden zur Einheit.

Eine außerordentlich interessante Probe, bei der lediglich FolkDanse (2018) fehlte, eine achtminütige Koproduktion von beiden Ensembles.

STORY WATER ist ein bahnbrechendes Projekt von Tanz und Musik, weil es ein völlig neues Verhältnis zwischen beiden Kunstgattungen herstellt. Es ist wie Tanz ohne Musik und Musik ohne Tanz: beide Gattungen bestehen auf ihrem Eigenwert und bilden dennoch als Ganzes ein Neues: STORY WATER. Tanz und Musik als Erzählung vom Wasser mit seinen unendlichen Eigenschaften, wie Lösemittel, elektrischer Leiter, Energieüberträger, Wärme- und Kältespeicher, Synonym des Kreislaufs und vieles anderes mehr zu sein. Emanuel Gat Dance und Ensemble Modern (musikalische Leitung: Franck Ollu und Josep Planells Schiaffino) sind avantgardistische Choreographie und avancierteste zeitgenössische Musik – zwei Kunstgattungen, die einen Weg gehen. Unbedingt erlebens-, hörens- und sehenswert.

Mitglieder der Ensemble Modern und Emanuel Gat Danse-Kompanie bei der Probe
im Frankfurt LAB (im Vordergrund Emanuel Gat), Foto: Julia Gat

Am 19.07. findet in Avignon die Uraufführung statt (dazu  20., 21., 22. und 23.07). Weitere Aufführungen im Rahmen des Beethoven Festes in Bonn (09.09), in Antwerpen (14.12.) und in Paris (10., 11., 12. und 13.01.2019).
Wichtig für das Rhein-Main-Gebiet: 07. und 08.11. im Frankfurt LAB

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