Dienstag, 17. Juli 2018


49. Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, 14.07. bis 28.07. 2018:

Bright Darkness, Ensemble Nikel spielt Werke von Enno Poppe, Ann Cleare, Mark Barden und Klaus Lang, Orangerie Darmstadt, 16.07.2018

Ensemble Nikel (Fotos: Kristof Lemp)


Die Komplexität des Klangs öffnet neue Welten


Man mag es kaum glauben, dass das junge, vor Energie strotzende Ensemble Nikel bereits seit mehr als zehn Jahren die Neue-Musik-Welt mit ihren Interpretationen begeistert. Zum dritten Mal auf den Internationalen Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik spielte es Werke von Enno Poppe, Ann Cleare, Mark Barden und Klaus Lang. Die Besonderheit das Abends: die Uraufführung von Klaus Langs Bright Darkness im malerischen Garten der Orangerie.


Fleisch, so nennt sich das bereits im November 2017 auf den „Bludenzer Tage für zeitgemäße Musik“ uraufgeführte Stück von Enno Poppe (*1969). Bekannt dafür, seinen Werken haptische Namen wie Fell, Brot oder Scherben zu verleihen, nimmt er hier das Fleisch von seiner Muskelzelle bis zum lebendigen Endprodukt unter die musikalische Lupe. Für Saxophon, E-Gitarre, Synthesizer und Schlagzeug geschrieben, wer denkt hier nicht an eine Jazz- oder Rock-Formation, entwickelt die dreiteilige Komposition eine höchst beeindruckende Dynamik. Fühlt man sich zunächst in einen Schlachthof versetzt, ängstliche Schreie, ein unerträgliches Geheule und beängstigende Geschäftigkeit, wechselt das Geschehen in ein fast beruhigendes Adagio, ein Lamento, das unter die Haut geht, um dann abschließend in ein stoßhaftes, rockiges, heftiges Pulsieren überzugehen. Wie ein Aufbäumen gegen alles, was das Fleisch verletzt. Das Ensemble Nikel mit Yaron Deutsch an der E-Gitarre, Patrick Stadler an den Saxophonen, Brian Archinal am Schlagwerk und Antoine Françoise an den Tasten zeigte hier bereits seine virtuose Meisterschaft und musikalische Vitalität und verstand es exzellent, Poppes Klangsprache vom Mikrobereich in die Komplexität der Welt zu übertragen.

Ann Cleare stellte The Square of yellow light that is your window (zu deutsch: das Quadrat des gelben Lichts, das dein Fenster ist) von 2013/2014 vor. Hierin geht es um Augen, um das Sehen im 360-Grad-Modus einer Libelle sowie dem einer Tiefseekrake in absoluter Dunkelheit. Konkret wetteifern ein Trio von Klavier, E-Gitarre und Perkussion, die Tiefseekrake, mit dem Saxophon, die Libelle, miteinander. Ein ständiger Disput zwischen der wilden, ungezähmten Natur des Trios in seiner pechschwarzen Umgebung und dem multiperspektiven Blickwinkel des Saxophons, das Lichtfenster: das erkenntnisfähige, bewegliche, vernünftige, das vorausschauende, zukunftsweisende. 
Cleare, eine sehr experimentierfreudige irische Komponistin, schaffte hier eine musique concrète instrumentale, in der alle Möglichkeiten der Klangbildung bis an die Grenzen ausgereizt wurden. Ein fantastischer Blick aus dem Fenster, oder wie Oscar Wilde, auf den sich die Komponistin beruft, einmal schrieb: „Wir sind alle in der Gosse, aber einige von uns schauen in die Sterne.“

Mark Bardens (*1980) Witness (2012) beschreibt die Sicht des Beobachters, der Wahrnehmung in der doppelten Bedeutung des Substantivs: als Zeuge einer Tat und des Verbs: als nimm es wahr. Drei Mitglieder des Quartetts sind um den Flügel postiert und bearbeiten sowohl die Tastatur, als auch das Innenleben des Geräts. Lediglich der Saxophonist (hier am Sopran) nimmt eine eigenständige Rolle ein. Dennoch merkt man sogleich die hohe Aufmerksamkeit, die sich alle vier gegenseitig zukommen lassen. Klänge und Töne sind höchst präzise ausgeführt, genauestens akzentuiert, haargenau getimt. Gleichzeitig aber viel Improvisation und Eigenständigkeit der Auslegung der Partitur.
Man spürte eine Rückwärtsbewegung, gleichsam als ob der Anfang der Höhepunkt des Werks und der Schluss der Rückzug in die Stille sei. Überflüssig zu erwähnen, dass die Präparation des Klaviers äußerst einfallsreich mit E-Bows, Melodika und melodikaähnlichen Blasinstrumenten ergänzt und somit eigenwillige Klangstrukturen im Obertonbereich erzeugt wurden. Auch hier zeigte das Ensemble Nikel seine große instrumentale Bandbreite und die Vielfalt musikalischer Klangerzeugung.

Ensemble Nikel, v.l.: Brian Archinal (Marimba), Patrick Stadler (Saxophon), Antoine Francoise (E-Piano),
Yaron Deutsch (E-Gitarre) 



Die Orangerie: ein großer philosophischer Garten


Bright Darkness (2017) von Klaus Lang (*1971) war nicht allein Motto des Abends, sondern gleichzeitig Uraufführung eines gut einstündigen Werkes, das, ein Auftragswerk des Komponisten für das Ensemble Nikel, bereits auf den oben genannten Bludenzer Tagen seine Erstaufführung erfuhr, auf den Darmstädter Ferienkursen aber in neues Terrain verlegt wurde, nämlich in den barocken Garten der Orangerie. Eine Stunde vor Sonnenuntergang, so die Absicht, sollte das opulente, minimalistische Werk beginnen und langsam in die absolute Dunkelheit hinüberwachsen.
Eine wunderbare Kulisse in der Rotunde, quasi der Mittelpunkt des Parks, empfing die zahlreiche Zuhörerschaft. Der Maxime des Komponisten folgend, wonach Musik hörbar gemachte Zeit ist, agierten die Vier auf Marimba, E-Klavier, E-Gitarre sowie Sopran- und Tenorsaxophonen in sphärischer Dichte und ewig langen Ostinato-Passagen. 

In minimalistischer Manier, lediglich unterbrochen von Tanzrhythmen einer in der Nähe stattfindenden Geburtstagsfeier, wuchs das Klangnetz zwischen Dreiton- und Zweiton- Motiven, insgesamt fünfmal unterbrochen durch Glockenpassagen, langsam in die Nacht hinein. Vor allem die Habanera, der Hardrock und der Sirtaki füllten die immer wieder drohende Leere mit Leben. Aber auch die Bewegungen und Geräusche der Menschen, die verblassenden Farben der Blumen und Pflanzen wie die alle Viertelstunde einsetzenden Kirchenglocken sorgten für eine Lebendigkeit, die der Finsternis einen besonderen Glanz verlieh. Eine Super Idee, die auch mit äußeren Störfaktoren durchaus eine wunderbare Synthese eingegangen ist.

Ein Abend mit vier sehr unterschiedlichen Komponisten, eigenwilligen Komposition und einem Ensemble Nikel, das allein durch seine Präsenz, Vitalität, Virtuosität und Expressivität ein erweitertes Lichtfeld in der Neuen Musik abbildet. Ein Auftaktkonzert ganz im Sinne der diesjährigen Idee der Ferienkurse, nämlich ein großer „philosophischer Garten“ (Platon/Thomas Schäfer) zu sein, auf dem die Musik und Kunst unserer Zeit diskutiert wird.
 

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