Donnerstag, 12. Juli 2018


Rheingau Musik Festival 2018

Benjamin Grosvenor (Klavier) im Fürst Metternich Saal von Schloss Johannisberg, 11.07.2018

Benjamin Grosvenor (Foto: Ansgar Klostermann)

Next Generation der Extraklasse


Ein absolut würdiger Vertreter der Next Generation, ein Ausnahmetalent wie einstmals Evgeny Kissin in den 1980er Jahren: Benjamin Grosvenor, 1992 im englischen Southend-on-Sea geboren, bereits seit 2004 auf den internationalen Bühnen unterwegs und jetzt, endlich, möchte man fast sagen, auf dem Rheingau Musik Festival angekommen. Sein Repertoire reichte an diesem denkwürdigen Abend (nebenbei bemerkt spielte parallel zum Konzert England gegen Kroatien im Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft 2018) von Johann Sebastian Bach (1685-1750) über Brett Dean (*1961) bis Maurice Ravel (1875-1937). Dazwischen noch Werke von Johannes Brahms (1833-1897), Claude Debussy (1862-1918) und Alban Berg (1885-1935). Nicht zu vergessen seine beiden Zugaben von Franz Liszt (1811-1886) und Edward Grieg (1843-1907).




Ein Crossover von Barock bis Moderne, das der junge Pianist mit einfühlsamer und durchdachter Hingabe in die doch unterschiedlichen Stilepochen exzellent meisterte. Da wären zunächst die Französischen Suiten (BWV 816) von Bach. Er spielte von den insgesamt sechs, die dem barocken Geschmack seiner Zeitgenossen Rameau und Couperin nachempfunden sind, die Fünfte (1722), und die mit tänzerischer Verve, schwungvollem Rhythmus, ausgefeilter Dynamik und nicht zuletzt, vor allem in der Schluss-Gigue, herausragender Virtuosität. Ein Kontrapunkt, der selbst im Prestissimo nie seine Wirkung verlor. András Schiff, der unumstrittene Meister dieser Epoche, hätte sicher seine Freude an dieser Interpretation gehabt.

Brahms Vier Klavierstücke op. 119 (1893) kombinierte Grosvenor mit drei Interludien, Hommage à Brahms (2013) von Brett Dean, einem australischen Komponisten, Bratschisten und Dirigenten in persona. Dean, bekannt durch Arrangements von Radio- und Filmmusiken, versucht hier, den Geist der vier doch sehr unterschiedlichen Klaviersätze in bildhaften Ergänzungen wie Engelsflügel I und II oder Hafenkneipenmusik  in die Moderne des 21. Jahrhunderts zu übertragen, wobei sein Ideenreichtum dem Brahmsschen Spätwerk eine fast schon avantgardistische Note erteilt. Man denkt hier unwillkürlich an Arnold Schönberg, der Brahms in einem Vortrag von 1933 als den „Fortschrittlichen“ und „großen Neuerer“ bezeichnete. Grosvenor, der mit Dean befreundet ist, verstand es in bester Manier, die Brücke zwischen Brahms und Dean zu bauen und aus beiden Kompositionen einen spannenden musikalischen Dialog zu zeichnen.

Benjamin Grosvenor (Foto: Ansgar Klostermann)

Analytische Schärfe – verständliche Präsentation – aberwitzige Fingerfertigkeit


Mit einer etwas spröden, aber durchaus beeindruckenden Fassung von Debussys Prélude à l´après-midi d´un faune (1921) von Leonard Borwick (1868-1925) leitete Grosvenor den zweiten Teil des Abends ein. Eine Hommage an Debussys 100. Todestag, eher distanziert als atmosphärisch, eher von klarem Licht durchflutet als impressionistisch nebulös. Nur wenig Debussy aber von großer analytischer Schärfe. Alban Bergs Sonate op. 1 (1908/11) gehört in die expressionistische Moderne und stellte somit zu Debussys Nachmittag eines Fauns in der vorgetragenen Version keinen so großen Kontrast dar. Eine Sonate in der klassischen Form gehalten, mäßig bewegt im Tempo, in h-Moll geschrieben, aber nur zu Anfang und zu Ende auf diese Tonart zurückgreifend. Ein Frühwerk, das gespickt ist mit Tritonus-, Quart- und Septsprüngen, mit atonalen Elementen, deren Harmonik und Melodik sich kaum noch auf ein tonales Zentrum beziehen, aber von großer Meisterschaft der Komposition zeugt. Grosvenor verstand es, dieses ungeheuer komplexe Opus bis in seine Einzelheiten zu sezieren und es in seiner Feinheit und Dichte absolut verständlich zu präsentieren.

Dann das Finale: Das überaus virtuos, kaum spielbare, weil technisch unmenschlich anspruchsvolle Gaspard de la nuit (1908) von Maurice Ravel nach Texten des französischen Romantikers Aloysius Bertrand (1807-1844). Drei Dichtungen begleiten und prägen die Musik: Es sind Ondine (Die Wassernixe), Le gibet (Der Galgen) und Scarbo (Der listige Kobold). Auch hier fehlen tonales Zentrum und Leittönigkeit wie bei Berg, aber es werden Geschichten erzählt, düstere, geheimnisvolle Szenen geschildert, verrücktes Gelächter, groteskes Grinsen, schauerliche Worte in Töne gefasst. Ein Spiel mit den Gefühlen und Befindlichkeiten, mal Schrecken, mal Verführung, mal höhnisches Lachen, mal gleißende Lichtblitze. Immer aber bleibt der Hörer in Hab-Acht-Stellung. Was passiert jetzt? Komm ich aus der Geschichte wieder raus? Grosvenor zeigte in dieser Interpretation sein ganzes Können auf den Tasten. Klein gewachsen, ruhig über die Tastatur gebeugt, vollführte er aberwitzige Fingerübungen und setzte den vollbesetzten Fürst Metternich Saal mit seinem Spiel förmlich unter Strom.

Seine zwei Zugaben, aus Franz Liszts Gnomenreigen (1863) eine rasende Presto scherzando Etüde sowie einem ruhigen Lied aus Edward Griegs Lyrischen Stücken, bestätigten nurmehr sein Ausnahmetalent. Mit Grosvenor hat das Rheingau Musik Festival einen Künstler der Next Generation gewonnen, der auch in Zukunft die Musikszene des Rhein-Main-Gebiets bereichern und beflügeln sollte.  

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