Rheingau Musik Festival 2018
Benjamin Grosvenor (Klavier) im Fürst Metternich Saal von Schloss Johannisberg, 11.07.2018
Benjamin Grosvenor (Foto: Ansgar Klostermann) |
Next Generation der Extraklasse
Ein absolut würdiger Vertreter der Next Generation, ein Ausnahmetalent wie einstmals Evgeny Kissin in den 1980er Jahren: Benjamin Grosvenor, 1992 im englischen Southend-on-Sea geboren, bereits seit 2004 auf den internationalen Bühnen unterwegs und jetzt, endlich, möchte man fast sagen, auf dem Rheingau Musik Festival angekommen. Sein Repertoire reichte an diesem denkwürdigen Abend (nebenbei bemerkt spielte parallel zum Konzert England gegen Kroatien im Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft 2018) von Johann Sebastian Bach (1685-1750) über Brett Dean (*1961) bis Maurice Ravel (1875-1937). Dazwischen noch Werke von Johannes Brahms (1833-1897), Claude Debussy (1862-1918) und Alban Berg (1885-1935). Nicht zu vergessen seine beiden Zugaben von Franz Liszt (1811-1886) und Edward Grieg (1843-1907).
Ein Crossover von Barock bis Moderne, das der junge
Pianist mit einfühlsamer und durchdachter Hingabe in die doch unterschiedlichen
Stilepochen exzellent meisterte. Da wären zunächst die Französischen Suiten (BWV 816) von Bach. Er spielte von den insgesamt sechs,
die dem barocken Geschmack seiner Zeitgenossen Rameau und Couperin
nachempfunden sind, die Fünfte (1722), und die mit tänzerischer Verve, schwungvollem Rhythmus, ausgefeilter
Dynamik und nicht zuletzt, vor allem in der Schluss-Gigue, herausragender Virtuosität. Ein Kontrapunkt, der selbst im
Prestissimo nie seine Wirkung verlor. András Schiff, der unumstrittene Meister
dieser Epoche, hätte sicher seine Freude an dieser Interpretation gehabt.
Brahms Vier Klavierstücke
op. 119 (1893) kombinierte Grosvenor mit drei
Interludien, Hommage à Brahms
(2013) von Brett Dean, einem australischen Komponisten, Bratschisten und Dirigenten
in persona. Dean, bekannt durch Arrangements von Radio- und Filmmusiken, versucht
hier, den Geist der vier doch sehr unterschiedlichen Klaviersätze in bildhaften
Ergänzungen wie Engelsflügel I und II oder Hafenkneipenmusik in die
Moderne des 21. Jahrhunderts zu übertragen, wobei sein Ideenreichtum dem
Brahmsschen Spätwerk eine fast schon avantgardistische Note erteilt. Man denkt
hier unwillkürlich an Arnold Schönberg, der Brahms in einem Vortrag von 1933
als den „Fortschrittlichen“ und „großen Neuerer“ bezeichnete. Grosvenor, der
mit Dean befreundet ist, verstand es in bester Manier, die Brücke zwischen
Brahms und Dean zu bauen und aus beiden Kompositionen einen spannenden musikalischen
Dialog zu zeichnen.
Benjamin Grosvenor (Foto: Ansgar Klostermann) |
Analytische Schärfe – verständliche Präsentation – aberwitzige Fingerfertigkeit
Mit einer etwas spröden, aber durchaus
beeindruckenden Fassung von Debussys Prélude
à l´après-midi d´un faune (1921) von Leonard Borwick (1868-1925) leitete
Grosvenor den zweiten Teil des Abends ein. Eine Hommage an Debussys 100. Todestag,
eher distanziert als atmosphärisch, eher von klarem Licht durchflutet als
impressionistisch nebulös. Nur wenig Debussy aber von großer analytischer
Schärfe. Alban Bergs Sonate op. 1
(1908/11) gehört in die expressionistische Moderne und stellte somit zu Debussys
Nachmittag eines Fauns in der
vorgetragenen Version keinen so großen Kontrast dar. Eine Sonate in der
klassischen Form gehalten, mäßig bewegt im
Tempo, in h-Moll geschrieben, aber nur zu Anfang und zu Ende auf diese Tonart
zurückgreifend. Ein Frühwerk, das gespickt ist mit Tritonus-, Quart- und Septsprüngen,
mit atonalen Elementen, deren Harmonik und Melodik sich kaum noch auf ein
tonales Zentrum beziehen, aber von großer Meisterschaft der Komposition zeugt.
Grosvenor verstand es, dieses ungeheuer komplexe Opus bis in seine Einzelheiten
zu sezieren und es in seiner Feinheit und Dichte absolut verständlich zu
präsentieren.
Dann das Finale: Das überaus virtuos, kaum
spielbare, weil technisch unmenschlich anspruchsvolle Gaspard de la nuit (1908) von Maurice Ravel nach Texten des
französischen Romantikers Aloysius Bertrand (1807-1844). Drei Dichtungen begleiten
und prägen die Musik: Es sind Ondine (Die
Wassernixe), Le gibet (Der Galgen)
und Scarbo (Der listige Kobold). Auch
hier fehlen tonales Zentrum und Leittönigkeit wie bei Berg, aber es werden Geschichten
erzählt, düstere, geheimnisvolle Szenen geschildert, verrücktes Gelächter,
groteskes Grinsen, schauerliche Worte in Töne gefasst. Ein Spiel mit den Gefühlen
und Befindlichkeiten, mal Schrecken, mal Verführung, mal höhnisches Lachen, mal
gleißende Lichtblitze. Immer aber bleibt der Hörer in Hab-Acht-Stellung. Was
passiert jetzt? Komm ich aus der Geschichte wieder raus? Grosvenor zeigte in
dieser Interpretation sein ganzes Können auf den Tasten. Klein gewachsen, ruhig
über die Tastatur gebeugt, vollführte er aberwitzige Fingerübungen und setzte
den vollbesetzten Fürst Metternich Saal mit seinem Spiel förmlich unter Strom.
Seine zwei Zugaben, aus Franz Liszts Gnomenreigen (1863) eine rasende Presto scherzando Etüde sowie einem ruhigen
Lied aus Edward Griegs Lyrischen Stücken,
bestätigten nurmehr sein Ausnahmetalent. Mit Grosvenor hat das Rheingau Musik
Festival einen Künstler der Next Generation
gewonnen, der auch in Zukunft die Musikszene des Rhein-Main-Gebiets bereichern
und beflügeln sollte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen