Mittwoch, 18. Juli 2018


49. Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, 14.07. bis 28.07. 2018:

Tautitotito, Musiktheater von Celeste Oram, eine unauthorisierte Musikgeschichte Neuseelands, Uraufführung in der Centralstation Darmstadt, 17.07.2018


Tautitotito Ensemble, Akt II "Philosophie der Musik Neuseelands" (Foto: Kristof Lemp)




Ein Musiktheater voller Geschichten aus Neuseeland

Tautitotito kommt aus dem Maorischen und bedeutet so viel wie Streitgesang. Aber was will das Team um Celeste Oram (*1990), Kranichsteiner Musikpreisträgerin für Komposition 2016, nun wirklich mit diesem opulenten, dreistündigen Monumentalwerk zum Ausdruck bringen? Es sind weniger die angekündigten Streitgesänge als vielmehr ein breit angelegte Auseinandersetzung mit der spezifisch Neuseeländischen Kolonialgeschichte, und die aufgeteilt in vier jeweils selbständige, voneinander unabhängige Akte.


Zwar soll das Radio Tautitotito sozusagen die Klammer bilden, aber das gelingt nur unzureichend. Es beginnt mit einer Radio Séance über Vera Wyse Munro (1897-1966), einer Pionierin der Radiokultur auf der Insel. Ihre Konstruktion des Crystal Radios machte es möglich, mit der übrigen Welt, über die Ozeane hinaus, in Kontakt zu treten. Ihr Geist wurde gesucht und empfangen. Viel Text über ihr Leben, an Cage angelehnte Mesostics über das Medium Radio, seine Bedeutung für die menschliche Kommunikation und Überbringer von Messages. Eingerahmt wurde das Ganze in wunderbare Songs mit Streichquartett Begleitung (Keir GoGwilt, Alex Taylor, Sebastian Gwilt, Lucien Werner) und traditionellen Maori Instrumenten (Rob Thorne), wie Kauri Muschel (Putara), Steine und Klanggefäße sowie Windkreisel und Koauau, eine an beiden Enden offene Flöte, die in der Mitte lediglich ein Loch aufweist.

Der zweite Teil handelte von der Philosophie der Neuseeländischen Musik. Hier standen Theodor W. Adorno (1903-1969) und Richard Fuchs (1887-1947) im Focus der Handlung. Rekurriert wird auf die 1. Cambridge Sommer Musikschule von 1946, auf der Adorno einige Lectures hielt und Fuchs, ein Amateurkomponist, sein Zweites Streichquartett (1945) vorstellte. Lange Textpassagen, in dialektischer Manier rezitiert (man saß hintereinander, sprach im Gleichklang und wechselte zwischendurch die Kleider), wurden durch spätromantische Salonmusik untermalt. Alles gekonnt, aber sehr kopflastig und bezugsarm. Die dritte Person, Gustav Renirs (1903-1949) ein Anarchist und Anhänger der Zwölftonmusik, sollte zwar eingebaut werden, spielte aber keine Rolle. Vielleicht auch ein Grund, warum dieser Teil fragmentiert und zusammenhanglos wirkte.
Die Furie des Verschwindens und die Gewalt der Geschichte, wozu Walter Benjamin noch herhalten musste, ließen sich kaum vermitteln. Schön dafür der Abschlusssong mit Text von Heinrich Heine: „Ich hatte einst ein schönes Vaterland“ (1832).

Tautitotito Ensemble, Akt III "Singspiel" (Foto: Kristof Lemp)

Ein Singspiel und fliegende Dinosaurier mit Aufklärungsabsicht


Der dritte Teil nannte sich „Ein Singspiel“ und bezog sich unmissverständlich auf Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte (1791): Auf Maorisch: He Pūtórino Mākutu. Angelehnt an ein Erlebnis von Georg Forster (1754-1794), (hier als Papageno) ein intellektueller Mitreisender auf James Cooks zweiter Eroberungsreise in die Südsee, das er 1784 während eines Besuchs in Wien mit Mozart hatte, rekonstruierte das Team das Problem von Musik und ihrer Bedeutung für den Kolonialismus und seinem Gegenteil, der Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit und Humanität.
Mit Musiken aus Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie (Allegretto), eine feierliche Prozession, aus Franz Schuberts Winterreise (Nr. 5: Der Lindenbaum und 15: Die Krähe) sowie diversen Partien aus Mozarts Zauberflöte, gepaart mit Gesangseinlagen von seinem Librettisten Emanuel Schikaneder aus Der Zauberflöte zweiter Teil (1798), wirkte dieser Teil insgesamt geschlossener, wenngleich gesanglich lediglich die Sopranistin Nina Guo wirklich überzeugen konnte. Das Puppenspiel und die eingeschobenen Videos wirkten eher aufgesetzt, als dass sie das Geschehen auf der Bühne ergänzten bzw. bereicherten.

Zugespitzt auf die Suche nach der perfekten Musik (Pamina und Tamino) endete der Akt mit Schuberts Gesang Die Krähe. Eine Anspielung auf: Bis dass der Tod euch scheidet. Die Krähe als Freund und Symbol des Todes zugleich. He Pūtórino Mākutu soll eine „Allegorie“ auf die Aufklärungsfähigkeit der Musik sein, den Geist der Freundschaft und Liebe anmahnen aber auch vor der Bedrohung der Einsamkeit warnen. Leider überwog auch hier eher das Unvollkommene, Unfertige, als das Wohldurchdachte. Einzig die sensible und innovative Begleitung von Rob Thorne auf den traditionellen Maori-Instrumenten bot einen Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne. Er füllte die Szenen im wahrsten Sinne mit dem Geist der Ethnien Neuseelands.

Der Schlussteil nannte sich Flying Dinosaurs, handelte von einer Welt außerhalb menschlicher Existenz, von einem „Zustand der Apokalypse“.
Eine Frau sitzt am Rande der Bühne, spielt mit einem Recorder während aus einem Off alle Wetter und Unwetter verkündet werden: vom Tsunami bis zum Taifun, alles dabei. Es sind die Wellen von Radio Tautitotito, die hier wieder zu ihrem Recht kommen. Eine elektroakustische Performance, die den Klang des Äthers, den Raum des Alls in Wellengeräusche verwandeln und durch weißes Rauschen grenzenlose Kulisse vermitteln soll. Ein Schwungseil erzeugt dazu Windgeräusche und das laute Röhren der Kaurimuschel gibt dem Sound einen klanglichen Orientierungspunkt.

Was ist die Message? - fragt man sich nach diesem allzu langen, über 30-minütigen Finale: Ist es der ewige Klang des Kosmos´, ist es die Harmonia Mundi oder gar die Disharmonia Mundi? Alles bleibt offen, zumal sich der Saal der Centralstation leider schon ziemlich geleert hatte und die wenigen Zurückgebliebenen angestrengt in das Programm schauten, um wenigstens ein wenig vom Vorgang auf der Bühne zu verstehen.

Tautitotito Quartett (Foto: Kristof Lemp)

Mit minimalem Bühnenaufwand, teilweise sehr guten Einzelakteuren (SängerInnen und InstrumentalistInnen) blieb dieses Kunstwerk zwischen langen Lesepassagen, historischer Zeigefingeraufklärung, Folklore-Einlagen, Arrangements (weniger Komposition), entlehnt aus der Klassik und Romantik, Radiorauschen und Mehrsprachigkeit, doch weitestgehend hinter dem von Celeste Oram gesetzten Anspruch zurück. Es war weder eine „polystilistische Kabarettshow“ noch konnten die erzeugten Klanglandschaften nichtmenschlicher Wesen, vor allem im Schlussteil, ein zukünftiges „erfülltes Leben“ erträumen lassen. 

Zurück blieben allerdings viele Fragen zu den angesagten „Streitgesängen“ und der Wunsch, nicht alle Ideen auf einmal in Musik und Theater umsetzen zu sollen, denn keines der vier Teile war aufeinander bezogen und jedes wiederum in sich unvollkommen, oder wie Adorno gesagt hätte, weitestgehend unstimmig. Schade. Großes Lob allerdings gebührt den Akteuren, die allesamt auf gutem musikalischem Niveau agierten.

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