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Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, 14.07. bis 28.07. 2018:
Tarzan,
eine Musik-Theater-Performance von und mit God´s
Entertainment, Uraufführung, Orangerie Darmstadt, 23.07.2018
Szene aus Tarzan und der Schwan (Fotos: Kristof Lemp) |
Wer oder was ist Tarzan?
Wie beim Wiener Hofball sitzen die Gäste an großen runden Tischen mit Tischschmuck und Snacks und werden von überaus höflichen KellnerInnen bedient: „Was möchten Sie trinken? Wir können Ihnen alles anbieten!“ Aber schon hier wird der Fake offensichtlich. Es gibt nichts außer Wasser und Gin Tonic. Die Snacks reichen nicht für die jeweils acht Personen an den Tischen. Aber egal. Immerhin begleiten beruhigende Harfentöne das Geschehen vor der Orangerie am Rande des wunderschönen barocken Gartens und die Gäste kommen sich ob dieser ungewöhnlichen Szenerie näher.
Ein Streichquartett beginnt zu spielen. Aber statt
mit Bogen und Klangerzeugung bearbeiten die Musiker ihre Instrumente mit
Pinseln voll weißer Farbe. Töne? Lediglich diejenigen vom Park und Umgebung.
Zwischendurch ein vermeintliche Green-Beret-Truppe von acht schwarz gekleideten
Musikern, die martialisch mit ihren Instrumenten im Marschlaufschritt den Park
durchqueren sowie ein Badmintonspiel im Hintergrund, dessen Schläge durch
elektronische Verstärkung weithin hörbar sind.
Streichquartett mit Pinseln voll weißer Farbe |
Eine mit Hunderten von Teebeuteln bekleidete
schwarze Lady, ein imposanter Anblick, betritt das Feld zwischen den Tischen,
lässt sich wie Kundry in Wagners Parsifal
die Füße waschen, besteigt dann ein Taufbecken, unschuldig von allen Sünden
befreit, und begießt sich mit einer Karaffe Wasser. Dann schöpft sie
offensichtlich Tee aus dem Becken und wiederholt den rituellen Vorgang mehrere
Male während in der Zwischenzeit ein Conférencier im Habitus eines Gurus, ganz
in weiß, eine Teezeremonie zelebriert. „Inhale courage, exhale fear!“ (Atme Mut
ein und Angst aus!) lautet sein Credo und alle machen mit. Tee aus dem
Taufbecken wird ausgeschenkt und die, die davon trinken werden rein und
unschuldig. Oder? Eine Ballade des Oberpriesters mit dem Tenor: “We all fuck
the Germans … the Americans …” etc. und der Schlussstrophe: “First you must
fuck me!” entlässt das edle Publikum in den Dschungel, der Performance zweiter
Teil.
Die aus Wien stammende Künstlergruppe God´s Entertainment (GE) arbeitet seit
2006 zusammen und ist bereits durch diverse Performances, wie Das Tierreich (2011), eine
Performance Party, und VIENNA
international (2010), ein Tourismusprojekt mit fingierten Pilgerstätten,
aufgefallen. Ihr künstlerischer Anspruch ist es, die Öffentlichkeit mit ihrer künstlerischen
Sicht der politischen und kulturellen Weltereignisse zu konfrontieren. In
Koproduktion mit den Darmstädter Ferienkursen und der Kulturfabik Kampnagel
Hamburg entstand ihr neuestes Projekt Tarzan.
Tarzan,
seit hundert Jahren der „König des Dschungels“, mal von Johnny Weissmüller
(1904-1984), dem fünfmaligen Olympiasieger im Schwimmen und bekannt für seinen
Tarzan-Jodler, mal von Lex Barker (1909-1973), dem legendären, unsterblichen Old
Shatterhand-Darsteller diverser Karl-May-Verfilmungen,
gespielt, ist ihr neuestes Projekt, denn Tarzan
hat bis heute seine Faszination nicht verloren. Von seinem Entdecker Rice
Burroughs (1875-1950) seit 1912 als einzige Projektionsfläche für Mut, Angst,
Sehnsucht, Ausbruch aus allen Konventionen und Weltenretter gedacht, wird er
für GE im Jahre 2018 eher zu einer Frau, dazu eine afrikanische.
Szene Tarzan als Dompteur (Foto: Kristof Lemp) |
Erst wenn die Erdkugel weiß ist, gibt es kein Schwarz mehr
Man sitzt auf Jutesäcken. Eng ist es und schwül in
der in einen Dschungel verwandelten Orangerie. Zu hören sind die üblichen
Geräusche aus dem unbekannten, vom zivilisierten Stadtmenschen nie betretenen
Urwald: Paradiesvögel kreischen, der Dschungel-Leopard lässt sein gefährliches
Katzenknurren vernehmen. Zirpen, Frösche, Kröten und das ewige Tropfen des
Wassers von den Blättern erfüllen den Raum mit exotischem Flair. Die schwarze
Lady erscheint im Halbdunkel, gefangen unter einer Kreatur, die sich als Schwan
entpuppt. Lohengrin lässt grüßen.
Aber die Dinge entwickeln sich. Eine Erdkugel wird auf
einer Videoleinwand sichtbar und Strich für Strich zu einer weißen Kugel
verwandelt. Dazwischen verteilen zwei Performer einen Berg von Büchern auf die
Bühne, während der weibliche Lohengrin zum Dompteur mutiert. Mit einem
Streichbogen „zwingt“ er einige Zuschauer zu von ihm vorgegebenen Bewegungen.
Beeindruckende Szenerie, denn es kommt zu grotesken Spiegelgebilden.
Dann wird aus der weißen Erdkugel ein idyllisches
Naturbilderkonglomerat mit Untertexten, die leider nicht lesbar sind, aber auf
das durch den Menschen verursachte Ende der Welt hindeuten. Die Green-Beret-Truppe
trägt jetzt Blech-Tropenhelme, die wie umgedrehte Salatschüsseln aussehen, und streicht
mit ihren Bögen darüber. Gleichzeitig peitschen zwei Männer und eine Frau die auf
der Bühne verteilten Bücher aus. Eine symbolische Bücherverbrennung der
afrikanischen Art? Möglicherweise an
Frantz Fanon (1925-1961), dem engagierten Antikolonialisten (Die Verdammten dieser Erde) und
Tarzan-Fan erinnernd, der die Figur des Tarzan als afrikanischen
Befreiungskämpfer identifizierte. Seine Bücher galten als Antithese zu denen der westlichen Welt: „Der schwarze Mensch erscheint aus der Perspektive
der Weißen als minderwertig, aber umgekehrt ist der Weiße mit seinen
Errungenschaften Zivilisation, Kultur, kurz Intellekt, nachahmenswert.“ (Fanon)
GE lässt einen Mann und eine Frau die Kleider
wechseln. Die weibliche und männliche Truppe marschiert auf, dreht ihren Rücken
zum Publikum und zieht die Hosen bis zum Rand der Poporitze. Eine gezogen Linie
mit Filzstift wird zur Metapher von Gender-Gleichberechtigung. Der Schwan
erscheint. Jetzt auf den Schultern eines weißen Mannes, der Frauenkleidung
trägt. Lohengrin entschwindet nicht zum Gral, weil man (Elsa) ihn bekanntlich nach
seiner Herkunft gefragt hat, sondern kämpft den Kampf um Gleichberechtigung, für Gender Rechte, gegen Rassismus, der, wie sollte es anders sein, unentschieden endet.
Szene aus Gender-Gleichberechtigung |
Stille, zaghaftes Klatschen, wieder Stille, dann
mutigeres Klatschen und Licht. Irritation allüberall, aber viel Stoff zur Diskussion.
Eine gut zweistündige Performance voller Spannung, weil sie permanent große Erwartungen
erzeugte, ihre Versprechungen aber bewusst nie erfüllte. Ein Übermaß an Ideen mit viel Intensität
vorgetragen, wobei das Publikum großartig mitspielte. Wer ist heute Tarzan? Ein
Lohengrin aus der Gralsburg? Ein Guru mit massenpsychologischen Fähigkeiten?
Eine Afrikanerin mit der Wirkung einer Kundry aus Wagners Parsifal oder eine(r) mit der Weisheit einer Erda aus dem Ring der Nibelungen?
Man merkte, dass God´s
Entertainment Richard Wagners Oeuvre sowie sein Vorliebe zu starken Frauen bestens
kennt und künstlerisch umgesetzt hat. Karl Marx´ Feststellung, dass der
gesellschaftliche Fortschritt sich „an der gesellschaftlichen Stellung des
schönen Geschlechts messen“ lassen muss,
wurde in dieser Performance ein künstlerischer Weg gewiesen, dessen Ziele
allerdings doch Vieles offen ließ.
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