Dienstag, 24. Juli 2018


49. Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, 14.07. bis 28.07. 2018:

Tarzan, eine Musik-Theater-Performance von und mit God´s Entertainment, Uraufführung, Orangerie Darmstadt, 23.07.2018


Szene aus Tarzan und der Schwan (Fotos: Kristof Lemp)


Wer oder was  ist Tarzan?


Wie beim Wiener Hofball sitzen die Gäste an großen runden Tischen mit Tischschmuck und Snacks und werden von überaus höflichen KellnerInnen bedient: „Was möchten Sie trinken? Wir können Ihnen alles anbieten!“ Aber schon hier wird der Fake offensichtlich. Es gibt nichts außer Wasser und Gin Tonic. Die Snacks reichen nicht für die jeweils acht Personen an den Tischen. Aber egal. Immerhin begleiten beruhigende Harfentöne das Geschehen vor der Orangerie am Rande des wunderschönen barocken Gartens und die Gäste kommen sich ob dieser ungewöhnlichen Szenerie näher.


Ein Streichquartett beginnt zu spielen. Aber statt mit Bogen und Klangerzeugung bearbeiten die Musiker ihre Instrumente mit Pinseln voll weißer Farbe. Töne? Lediglich diejenigen vom Park und Umgebung. Zwischendurch ein vermeintliche Green-Beret-Truppe von acht schwarz gekleideten Musikern, die martialisch mit ihren Instrumenten im Marschlaufschritt den Park durchqueren sowie ein Badmintonspiel im Hintergrund, dessen Schläge durch elektronische Verstärkung weithin hörbar sind.

Streichquartett mit Pinseln voll weißer Farbe

Eine mit Hunderten von Teebeuteln bekleidete schwarze Lady, ein imposanter Anblick, betritt das Feld zwischen den Tischen, lässt sich wie Kundry in Wagners Parsifal die Füße waschen, besteigt dann ein Taufbecken, unschuldig von allen Sünden befreit, und begießt sich mit einer Karaffe Wasser. Dann schöpft sie offensichtlich Tee aus dem Becken und wiederholt den rituellen Vorgang mehrere Male während in der Zwischenzeit ein Conférencier im Habitus eines Gurus, ganz in weiß, eine Teezeremonie zelebriert. „Inhale courage, exhale fear!“ (Atme Mut ein und Angst aus!) lautet sein Credo und alle machen mit. Tee aus dem Taufbecken wird ausgeschenkt und die, die davon trinken werden rein und unschuldig. Oder? Eine Ballade des Oberpriesters mit dem Tenor: “We all fuck the Germans … the Americans …” etc. und der Schlussstrophe: “First you must fuck me!” entlässt das edle Publikum in den Dschungel, der Performance zweiter Teil.

Die aus Wien stammende Künstlergruppe God´s Entertainment (GE) arbeitet seit 2006 zusammen und ist bereits durch diverse Performances, wie Das Tierreich (2011), eine Performance Party, und VIENNA international (2010), ein Tourismusprojekt mit fingierten Pilgerstätten, aufgefallen. Ihr künstlerischer Anspruch ist es, die Öffentlichkeit mit ihrer künstlerischen Sicht der politischen und kulturellen Weltereignisse zu konfrontieren. In Koproduktion mit den Darmstädter Ferienkursen und der Kulturfabik Kampnagel Hamburg entstand ihr neuestes Projekt Tarzan.

Tarzan, seit hundert Jahren der „König des Dschungels“, mal von Johnny Weissmüller (1904-1984), dem fünfmaligen Olympiasieger im Schwimmen und bekannt für seinen Tarzan-Jodler, mal von Lex Barker (1909-1973), dem legendären, unsterblichen Old Shatterhand-Darsteller diverser  Karl-May-Verfilmungen, gespielt, ist ihr neuestes Projekt, denn Tarzan hat bis heute seine Faszination nicht verloren. Von seinem Entdecker Rice Burroughs (1875-1950) seit 1912 als einzige Projektionsfläche für Mut, Angst, Sehnsucht, Ausbruch aus allen Konventionen und Weltenretter gedacht, wird er für GE im Jahre 2018 eher zu einer Frau, dazu eine afrikanische.

Szene Tarzan als Dompteur (Foto: Kristof Lemp)

Erst wenn die Erdkugel weiß ist, gibt es kein Schwarz mehr


Man sitzt auf Jutesäcken. Eng ist es und schwül in der in einen Dschungel verwandelten Orangerie. Zu hören sind die üblichen Geräusche aus dem unbekannten, vom zivilisierten Stadtmenschen nie betretenen Urwald: Paradiesvögel kreischen, der Dschungel-Leopard lässt sein gefährliches Katzenknurren vernehmen. Zirpen, Frösche, Kröten und das ewige Tropfen des Wassers von den Blättern erfüllen den Raum mit exotischem Flair. Die schwarze Lady erscheint im Halbdunkel, gefangen unter einer Kreatur, die sich als Schwan entpuppt. Lohengrin lässt grüßen.

Aber die Dinge entwickeln sich. Eine Erdkugel wird auf einer Videoleinwand sichtbar und Strich für Strich zu einer weißen Kugel verwandelt. Dazwischen verteilen zwei Performer einen Berg von Büchern auf die Bühne, während der weibliche Lohengrin zum Dompteur mutiert. Mit einem Streichbogen „zwingt“ er einige Zuschauer zu von ihm vorgegebenen Bewegungen. Beeindruckende Szenerie, denn es kommt zu grotesken Spiegelgebilden.

Dann wird aus der weißen Erdkugel ein idyllisches Naturbilderkonglomerat mit Untertexten, die leider nicht lesbar sind, aber auf das durch den Menschen verursachte Ende der Welt hindeuten. Die Green-Beret-Truppe trägt jetzt Blech-Tropenhelme, die wie umgedrehte Salatschüsseln aussehen, und streicht mit ihren Bögen darüber. Gleichzeitig peitschen zwei Männer und eine Frau die auf der Bühne verteilten Bücher aus. Eine symbolische Bücherverbrennung der afrikanischen Art? Möglicherweise an Frantz Fanon (1925-1961), dem engagierten Antikolonialisten (Die Verdammten dieser Erde) und Tarzan-Fan erinnernd, der die Figur des Tarzan als afrikanischen Befreiungskämpfer identifizierte. Seine Bücher galten als Antithese zu denen der westlichen Welt: „Der schwarze Mensch erscheint aus der Perspektive der Weißen als minderwertig, aber umgekehrt ist der Weiße mit seinen Errungenschaften Zivilisation, Kultur, kurz Intellekt, nachahmenswert.“ (Fanon)

GE lässt einen Mann und eine Frau die Kleider wechseln. Die weibliche und männliche Truppe marschiert auf, dreht ihren Rücken zum Publikum und zieht die Hosen bis zum Rand der Poporitze. Eine gezogen Linie mit Filzstift wird zur Metapher von Gender-Gleichberechtigung. Der Schwan erscheint. Jetzt auf den Schultern eines weißen Mannes, der Frauenkleidung trägt. Lohengrin entschwindet nicht zum Gral, weil man (Elsa) ihn bekanntlich nach seiner Herkunft gefragt hat, sondern kämpft den Kampf um Gleichberechtigung, für Gender Rechte, gegen Rassismus, der, wie sollte es anders sein, unentschieden endet.
Szene aus Gender-Gleichberechtigung

Stille, zaghaftes Klatschen, wieder Stille, dann mutigeres Klatschen und Licht. Irritation allüberall, aber viel Stoff zur Diskussion. Eine gut zweistündige Performance voller Spannung, weil sie permanent große Erwartungen erzeugte, ihre Versprechungen aber bewusst nie erfüllte. Ein Übermaß an Ideen mit viel Intensität vorgetragen, wobei das Publikum großartig mitspielte. Wer ist heute Tarzan? Ein Lohengrin aus der Gralsburg? Ein Guru mit massenpsychologischen Fähigkeiten? Eine Afrikanerin mit der Wirkung einer Kundry aus Wagners Parsifal oder eine(r) mit der Weisheit einer Erda aus dem Ring der Nibelungen?

Man merkte, dass God´s Entertainment Richard Wagners Oeuvre sowie sein Vorliebe zu starken Frauen bestens kennt und künstlerisch umgesetzt hat. Karl Marx´ Feststellung, dass der gesellschaftliche Fortschritt sich „an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts  messen“ lassen muss, wurde in dieser Performance ein künstlerischer Weg gewiesen, dessen Ziele allerdings doch Vieles offen ließ.

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