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Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, 14.07. bis 28.07. 2018:
Dance
& Music, Präsentation des Workshops mit Stefan
Prins (Komponist) und Daniel Linehan
(Choreograph), Uraufführung
Lichtenbergschule (Große Sporthalle), 27.07.2018
Aus dem Programm der Internationalen Ferienkurse 2018 (Foto: Frédérico Iovino) |
Heiß ging es her
„Welcome to the Lichtenberg-Sauna!“ begrüßten die beiden Initiatoren dieses außergewöhnlichen interdisziplinären Workshop-Projekts, Stefan Prins (*1979) und Daniel Linehan (*1982), das zahlreich erschienene Publikum in der abgedunkelten Sporthalle der Lichtenbergschule. Bei gefühlten 40 Grad Celsius präsentierten die beiden Konzeptkünstler mit neunzehn Performern – alle Teilnehmer der diesjährigen Ferienkurse, keine ausgewiesenen Tänzer und spontan zusammengestellt –, in sieben sehr unterschiedlichen Choreographien, ein work in progress, das einige Sternstunden zu bieten hatte.
Gleich die erste Einstudierung, Miniature 1, gehörte dazu. Diego Kohn (Violine) und Léonard Engel
(Tanz), versuchten die winzigsten Details zwischen Klang und Bewegung
herauszumodellieren. Vollkommen nackt bewegte sich der Tänzer im Zeitlupentempo
zum elektronisch verzerrten Klang der Violine. Wie ein antiker Diskuswerfer
verwrang er sich bis zum Extrem, um dann wieder in die ursprüngliche Grundhaltung
zurückzukehren. Ein Akt, der sich über viele Minuten hinzog: äußerst
schweißtreibend und von höchster Anstrengung. In einer Art entspannter
Jogabewegung (die Figur des Schwans) endete die Miniatur, immer begleitet vom
aufreizenden Klang der Geige, der jede Faser der Muskulatur widerspiegelte. Ein
fantastischer Einstieg in das Tanzereignis.
In Wsh/Shhhip-p-p-p
kämpften vier Frauen um einen Stuhl. Es rutschte, schleifte, rieb und kratzte,
begleitet von Zuckungen und Krämpfen der Tänzerinnen. Es war wohl ein
Nachdenken über sich selbst, über das Verhältnis vom Sichtbaren zum
Unsichtbaren, über das Individuelle und Kollektive, über die Unschärfen des
Daseins überhaupt. Eine anspruchsvolle Performance, die nicht immer
nachzuvollziehen war.
Dann aber Carry Things mit Varinia Canto Vila und Reilly Spitzfaden. Sie verkörperten die
Friktionen und Disharmonien, aber durchaus auch die Harmonien der beiden
Protagonisten, Stefan Prins und Daniel Linehan, während der zwölf Tage
Probezeit. Es war ein Stück zwischen Chaos und Ordnung, zwischen klarer
objektiver Struktur und ausufernder unkontrollierter Subjektivität. Das Mikro
wurde zum Stethoskop der Befindlichkeiten. Der Herzschlag zum Gradmesser der
Emotionen. Zittern und Abwehr, laute Rufe wie 'Bah' oder 'Bäh', sogar das Wort
'Chef' war herauszuhören, bestimmten die Choreografie. Das Ende zeigte sich in
der Abwehr, im Wegdrücken alles Hinderlichen und der symbolischen Abgabe aller
Beschwernis in den Äther. Große Empathie der Akteure und ästhetische Darstellungskraft
zeichnete dieses Stück aus.
Das Zwischenspiel im Atrium der Schule wurde in der
Hitze des Abends dankend angenommen. Fünf Akteure, vier Instrumentalisten und
ein Tänzer verwischten in Flickery
Reality die Linien zwischen Musiker und Tänzer. Elektronische Einspielungen
mit Urwaldgeräuschen wechselten mit Klanglinien von Flöte, zwei Geigen und
Tenorsaxophon. Wer war Tänzer, wer Spieler? Alle und alles vermischten sich.
Die Instrumente wurden getauscht, dann bewegte sich die Truppe im Zeitlupen-Tangoschritt,
während ein anderer in wilder Ekstase durch die Reihen hetzte. Wieder schien
ein Kampf stattzufinden, der sich aber in Nichts auflöste. Alle verschwanden
nacheinander vom Innenraum des Hofes. Was blieb? - Das Zurück in die mittlerweile
durchgelüftete Sporthalle.
Eine Generation nimmt sich auf die Schippe
In not sure
zeigen drei Tänzer, was man sich wünschen, aber nicht erreichen kann. Es ist
die Demonstration des Scheins. Mit einer E-Gitarre, einer normalen Gitarre und
einem Computer auf einem Tisch, wiederholen die Drei fünfmal das Verbeugen,
ohne einen Ton von sich gegeben zu haben. Lediglich in Unterwäsche gekleidet,
demonstrieren sie damit die gnadenlose Kunst-Welt, der sie sich mit Haut und
Haar verkaufen müssen, um erfolgreich zu sein.
Mit dem Hinweis: „Don´t forget to applause!“ zeigten
die Drei in einem Video ihre Vorbereitungen und Übungen zu dieser Performance, sehr
komplex und intensiv, stellten sich dann vor ihr eigenes Bildmaterial und erreichten
durch geschickte Lichteffekte eine Symbiose zwischen Schein und Sein. Eine perfekte
Idee war es. Keiner vergaß zu applaudieren.
Etüde
of Time gehörte zu den weniger guten Ideen des Abends,
erinnerte eher an eine Peepshow oder einen Balztanz zwischen Violinist, Diego
Kohn, und Tänzerin, Fang-Yun Yang, als an eine – wie wohl beabsichtigt –,
Relativierung der Zeit. Eine schöne Frau muss noch lange nicht die Zeit stehen
lassen.
Dagegen war taped
der absolute Hammer. Auf der spärlich bestückten Bühne (Videoleinwand, Winderzeuger
und Tisch mit Tonbandgerät) performten drei TänzerInnen, Constance Diard, Enzo
Pauschet und Fang-Yun Yang, sowie Monika Reusch als Komponistin und Felix Nagel
als DJ am Type Recorder, eine gesellschaftskritische Sequenz der Generation X,
die selbstreflexiv, ironisch und vor allem musikalisch und tänzerisch das
Highlight des Abends markierte. Mit Musik von den Queen, der berühmten britischen Rockband der 1970er und 1980er
Jahre - wem kommt da nicht Freddy Mercury in den Sinn - und dem Ohrwurm Take on
me (1984) von der norwegischen Popband a-ha,
mit Windmaschine, Glamour, Discotänzen zwischen Perfektion und grotesker
Verfremdung, könnte dieses Schlussstück auch als kritische Auseinandersetzung
mit der heutigen Generation Y, die 1990 und später geborenen, durchgehen.
Denn nichts war, wie es sein sollte, oder man es
sich wünschte. Die Musiken waren verzerrt, der DJ malträtierte den Recorder
aufs Schändlichste (man fürchtete, dass er jeden Moment zu Bruch gehe). Die
Szene mit der Windmaschine mutierte zusehends zu einem Selfie der Selbstbespiegelung.
Das Haar flog, die Schnipsel verteilten sich auf der Bühne, die Musik röhrte,
aber die Lust auf mehr reduzierte sich bis auf den Nullpunkt. Take on me bestand schlussendlich nur
noch aus extrem verzerrten Rock-Zuckungen mit roboterhaften Tanzbewegungen der wirklich
guten TänzerInnen.
Ausgedacht als Dekonstruktion der
Plastic-People-Dekade (Frank Zappa) der 1980er Jahre, avancierte diese Tanzperformance zu
einem zeitgenössischen Blick auf diejenigen, die überwiegend die Sporthalle
füllten, nahm sie förmlich auf die Schippe. Und die hatten wohl verstanden,
denn der Applaus sagte alles.
Großes Lob an alle Akteure, die zu diesem seltenen,
aber beeindruckenden Abend beigetragen haben. Danse & Music war ein Workshop, der zu Recht die Frage
aufwirft, ob nicht einmal in Zukunft beide Kunstformen zum Schwerpunktthema der
Ferienkurse gemacht werden sollten.
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