Sonntag, 29. Juli 2018


49. Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, 14.07. bis 28.07. 2018:

Rage Thormbones und die Verleihung des Kranichsteiner Musikpreises 2018, Lichtenbergschule (Großer Saal), 28.07.2018

Verleihung des Kranichsteiner Musikpreises 2018
v.l.: Joanna Bailie (Jury), Carlo Siega (Interpretation), Peter Veale (Jury), Martin Hirsti-Kvam (Komposition), Theresa
Beyer (Jury), Sara Glojnaric (Komposition), Foto: Kristof Lemp 

Eine Preisverleihung mit ungeteilter Zustimmung


Unter sengender Hitze und Schwüle verlief die Vergabe des Kranichsteiner Musikpreises an hoffnungsvolle Komponisten und Interpreten. Seit seiner Gründung im Jahre 1952 wurde er bislang 36-mal an insgesamt 179 Preisträger vergeben, worunter so bekannte Komponisten wie Wolfgang Rihm, 1978, Mark Andre und Isabel Mundry, 1996, Stefan Prins, 2010, Johannes Kreidler, 2012 und nicht zuletzt Celeste Oram, 2016 (er präsentierte in diesem Jahr die Uraufführung des monumentalen Musiktheaters Tautitotito), gehören.



Mit Spannung erwartete das Publikum die Preisverleihung, die die Jury, bestehend aus der Komponistin Joanna Bailie, der Musikjournalistin Therese Beyer und dem Interpreten/Oboisten Peter Veale, mit größter Umsicht und komplexem Auswahlverfahren in diesem Jahr zu gleichen Teilen an drei KomponistInnen vergab: die 27-jährige Sara Glojnarić (Komposition / Kroatien), der 26-jährige Martin Hirsti-Kvam (Komposition / Norwegen) sowie der 29-jährige Oliver Thurley (Komposition / Groß Britannien).Sie bildet das breite Spektrum ab, was Komposition in der Neuen Musik heute ist und sein kann. Alle drei haben uns mit ihrer handwerklichen Raffinesse, ihrer Konsequenz und ihrer Eigenständigkeit beeindruckt“, heißt es unter anderem in der Begründung. Des weiteren ging der Hauptpreis für Interpretation, dotiert mit 3.000 EUR, an den 29-jährigen Carlo Siega (E-Gitarre/ Italien). Er, so die Jury, überzeugte nicht nur im Rahmen des Workshops „Études for Electric Guitar“ (Yaron Deutsch), sondern auch bei seinem Solo-Set im „Open Space“, wo er zusätzlich die Live-Elektronik selbst in die Hand nahm.   

Die Auswahl fand die ungeteilte Zustimmung des Publikums und wurde frenetisch gefeiert. Bevor  Rage Thormbones, zwei außergewöhnliche Posaunisten und Klangkünstler aus den Vereinigten Staaten, Matt Barbier und Weston Olencki, übrigens eine zufällig entstandene Formation auf den Ferienkursen 2014, den Saal mit absolut avantgardistisch-experimenteller Klangkunst begeisterten, dankte der Chef und Organisator, Dr. Thomas Schäfer, seinen Mitarbeitern und Helfern und zollte, indem er jeden Einzelnen mit Namen nannte und auf die Bühne bat, größte Anerkennung: „Kunst“, so seine Worte, „braucht nicht allein ernste Diskussion, sondern vor allem Zusammenarbeit. Ein gutes Team ist die Voraussetzung für alles Gelingen.“ Als Geschenk bekamen alle einen kleinen Windmacher, Symbol für die Hitze der Tage nicht nur im wörtlichen Sinne. Großen Dank richtete er auch an das Publikum: „A great pleasure to be part of you!“, was es mit lang anhaltendem Beifall goutierte.

Rage Thormbones: Weston Olencki und Matt Barber (Foto: Kristof Lemp)

Das Ethos des Experimentierens in der Musik


Rage Thormbones (frei übersetzt: wütende Brustbeine) traten auf mit vier Kompositionen, besser Arbeiten auf: Von Laura Steenberge Morpheus Laughs, Orpheus Wakes (2018), von Sam Pluta Matrix (2017), von Lester St. Louis Proxy Medium, von Michelle Lou, untitled three part construction (2014), sowie einer Eigenkomposition mit dem Titel: piece for two trombones (2018). Alle Stücke waren entweder Welt- oder Europa-Premieren, was allein darauf zurückzuführen ist, dass das Duo selten bis gar nicht in Europa  auftritt. Eine bedauerliche Tatsache, wie das Konzert belegte.

Denn was die Beiden boten, gab der Neuen Musik frische Kraft und zeugte von dem unbedingten Willen von Komponisten und Interpreten, Klänge und Materialen neu auszuloten, Originalität und Risiko bis an die Grenzen des Möglichen zu auszureizen und dazu noch Kreativität und ausgezeichnete Bühnenpräsenz abzuliefern. Allein Morpheus/Orpheus, der Gott des Traumes und der Sänger der Verführung, ein zehnminütiges atemloses Brubbeln im mezzo voce, das langsam in eine Terz hinüberwuchs, währenddessen sich die Bläser annäherten, das Instrument des anderen führten und schließlich in einer wunderbar geblasenen harmonischen Sext umarmten, war, abgesehen von der Augenweide, eine herrliche Gratwanderung zwischen Himmel und Hölle, zwischen Traum und Wirklichkeit.

Keines der Stücke ist mit herkömmlicher Sprache einzuordnen oder zu beschreiben. So ist zum Beispiel Matrix, eine Hommage an George Lewis (ein amerikanischer Posaunist aus dem Jazz-Avantgardebereich), eine äußerst anstrengende Auseinandersetzung zwischen Blech und Technik. Mit einem Computer verkabelt, hörte man überwiegend Klacken, Rauschen, Radiowellen, Morsesignale, Donner und Explosionen. Beide improvisierten dazu, so, als ob sie das Verhältnis zwischen Computer und Mensch, die Interaktionen zwischen den Computern und sich selbst erforschen wollten.
Auch Proxy Medium gehört in den Bereich des Experiments. Nach einem Video Intermezzo im Free Style des Jazz (Elemente von Archi Shepp und George Lewis ließen sich heraushören) spielte das Duo, mit Plastikschläuchen verbunden, einen ganz eigenen Sound, eine Art musique concrète instrumentale mit elektronischen Mitteln. Hellste technisch erzeugte Obertöne wechselten mit tiefstem Rauschen, wobei beides das menschliche Reiz-Reaktionsystem arg strapazierte. Vor allem die Blastechniken sind es, die beide so auszeichnen, wobei im herkömmlichen Sinne vom genuinen Posaunenton keine Rede mehr sein kann.

So auch das abschließende Stück untitled three part construction. Ergänzt durch Madison Greenstone, ließ das Trio allerlei Geräuschmacher auf einem wohl-präparierten Tisch mit einem Posaunen-Solo von Matt Barbier kooperieren. Ein höchst experimentelles Teil mit Transistorradios, elektronisch verfremdeten Snare Drums, Kugellagern aus Spielautomaten, Hämmerchen und vor allem viel elektronischem Schnickschnack reizte den diffusen Klang der Posaune bis zum Zerreißen. Es schnaufte und stampfte bis man sich in einen Zug ins Jenseits versetzt fühlte. Arthur Honeggers (1892-1955) Komposition: Pacific 231 (1923) kam da unwillkürlich in Sinn, nur mit dem Unterschied der Apokalypse des 21. Jahrhunderts. Großartig und beklemmend in Einem.

v.l.: Lester St. Louis (Komponist), Weston Olencki, Matt Barber (Foto: Kristof Lemp)

Weston Olencki fühlt sich eigenen Aussagen zufolge dem „Ethos der amerikanischen experimentellen Kunst verpflichtet“ und erkundet vor diesem Hintergrund das Spektrum klanglicher Möglichkeiten. In gemeinsamer Arbeit mit den genannten Komponisten bot das Posaunen-Duo einen künstlerischen Leckerbissen (wenn auch extrem gewürzt), der dem Anspruch der Ferienkurse, Vorreiter der neuen Musik zu sein, in allen kompositorischen und interpretatorischen Bereichen gerecht wurde.

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