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Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, 14.07. bis 28.07. 2018:
Rage Thormbones und die Verleihung des Kranichsteiner Musikpreises 2018, Lichtenbergschule (Großer Saal), 28.07.2018
Eine Preisverleihung mit ungeteilter Zustimmung
Unter sengender Hitze und Schwüle verlief die Vergabe des Kranichsteiner Musikpreises an hoffnungsvolle Komponisten und Interpreten. Seit seiner Gründung im Jahre 1952 wurde er bislang 36-mal an insgesamt 179 Preisträger vergeben, worunter so bekannte Komponisten wie Wolfgang Rihm, 1978, Mark Andre und Isabel Mundry, 1996, Stefan Prins, 2010, Johannes Kreidler, 2012 und nicht zuletzt Celeste Oram, 2016 (er präsentierte in diesem Jahr die Uraufführung des monumentalen Musiktheaters Tautitotito), gehören.
Mit Spannung erwartete das Publikum die Preisverleihung,
die die Jury, bestehend aus der Komponistin Joanna Bailie, der Musikjournalistin
Therese Beyer und dem Interpreten/Oboisten Peter Veale, mit größter Umsicht und
komplexem Auswahlverfahren in diesem Jahr zu gleichen Teilen an drei
KomponistInnen vergab: die 27-jährige Sara Glojnarić (Komposition
/ Kroatien), der 26-jährige Martin Hirsti-Kvam (Komposition / Norwegen) sowie der 29-jährige Oliver Thurley (Komposition
/ Groß Britannien). „Sie bildet das breite Spektrum ab, was Komposition in der Neuen Musik
heute ist und sein kann. Alle drei haben uns mit ihrer handwerklichen
Raffinesse, ihrer Konsequenz und ihrer Eigenständigkeit beeindruckt“, heißt es
unter anderem in der Begründung. Des weiteren ging der Hauptpreis für Interpretation,
dotiert mit 3.000 EUR, an den 29-jährigen Carlo Siega (E-Gitarre/ Italien). Er,
so die Jury, überzeugte nicht nur im Rahmen des Workshops „Études for Electric Guitar“ (Yaron Deutsch), sondern auch bei seinem Solo-Set im „Open Space“, wo
er zusätzlich die Live-Elektronik selbst in die Hand nahm.
Die Auswahl fand die ungeteilte
Zustimmung des Publikums und wurde frenetisch gefeiert. Bevor Rage
Thormbones, zwei außergewöhnliche Posaunisten und Klangkünstler aus den
Vereinigten Staaten, Matt Barbier und
Weston Olencki, übrigens eine
zufällig entstandene Formation auf den Ferienkursen 2014, den Saal mit absolut
avantgardistisch-experimenteller Klangkunst begeisterten, dankte der Chef und
Organisator, Dr. Thomas Schäfer, seinen Mitarbeitern und Helfern und zollte,
indem er jeden Einzelnen mit Namen nannte und auf die Bühne bat, größte
Anerkennung: „Kunst“, so seine Worte, „braucht nicht allein ernste Diskussion,
sondern vor allem Zusammenarbeit. Ein gutes Team ist die Voraussetzung für
alles Gelingen.“ Als Geschenk bekamen alle einen kleinen Windmacher, Symbol für
die Hitze der Tage nicht nur im wörtlichen Sinne. Großen Dank richtete er auch
an das Publikum: „A great pleasure to be part of you!“, was es mit lang
anhaltendem Beifall goutierte.
Das Ethos des Experimentierens in der Musik
Rage Thormbones (frei
übersetzt: wütende Brustbeine) traten auf mit vier Kompositionen, besser
Arbeiten auf: Von Laura Steenberge Morpheus
Laughs, Orpheus Wakes (2018), von Sam Pluta Matrix (2017), von Lester St. Louis Proxy Medium, von Michelle Lou, untitled
three part construction (2014), sowie einer Eigenkomposition mit dem Titel:
piece for two trombones (2018). Alle
Stücke waren entweder Welt- oder Europa-Premieren, was allein darauf
zurückzuführen ist, dass das Duo selten bis gar nicht in Europa auftritt. Eine bedauerliche Tatsache, wie das
Konzert belegte.
Denn was die Beiden boten, gab der Neuen
Musik frische Kraft und zeugte von dem unbedingten Willen von Komponisten und Interpreten,
Klänge und Materialen neu auszuloten, Originalität und Risiko bis an die Grenzen
des Möglichen zu auszureizen und dazu noch Kreativität und ausgezeichnete
Bühnenpräsenz abzuliefern. Allein Morpheus/Orpheus,
der Gott des Traumes und der Sänger der Verführung, ein zehnminütiges atemloses
Brubbeln im mezzo voce, das langsam
in eine Terz hinüberwuchs, währenddessen sich die Bläser annäherten, das Instrument
des anderen führten und schließlich in einer wunderbar geblasenen harmonischen
Sext umarmten, war, abgesehen von der Augenweide, eine herrliche Gratwanderung
zwischen Himmel und Hölle, zwischen Traum und Wirklichkeit.
Keines der Stücke ist mit herkömmlicher
Sprache einzuordnen oder zu beschreiben. So ist zum Beispiel Matrix, eine Hommage an George Lewis
(ein amerikanischer Posaunist aus dem Jazz-Avantgardebereich), eine äußerst
anstrengende Auseinandersetzung zwischen Blech und Technik. Mit einem Computer
verkabelt, hörte man überwiegend Klacken, Rauschen, Radiowellen, Morsesignale, Donner
und Explosionen. Beide improvisierten dazu, so, als ob sie das Verhältnis
zwischen Computer und Mensch, die Interaktionen zwischen den Computern und sich
selbst erforschen wollten.
Auch Proxy
Medium gehört in den Bereich des Experiments. Nach einem Video Intermezzo
im Free Style des Jazz (Elemente von Archi Shepp und George Lewis ließen sich
heraushören) spielte das Duo, mit Plastikschläuchen verbunden, einen ganz
eigenen Sound, eine Art musique concrète instrumentale mit elektronischen
Mitteln. Hellste technisch erzeugte Obertöne wechselten mit tiefstem Rauschen,
wobei beides das menschliche Reiz-Reaktionsystem arg strapazierte. Vor allem
die Blastechniken sind es, die beide so auszeichnen, wobei im herkömmlichen
Sinne vom genuinen Posaunenton keine Rede mehr sein kann.
So auch das abschließende Stück untitled three part construction. Ergänzt
durch Madison Greenstone, ließ das
Trio allerlei Geräuschmacher auf einem wohl-präparierten Tisch mit einem Posaunen-Solo
von Matt Barbier kooperieren. Ein höchst experimentelles Teil mit
Transistorradios, elektronisch verfremdeten Snare Drums, Kugellagern aus
Spielautomaten, Hämmerchen und vor allem viel elektronischem Schnickschnack
reizte den diffusen Klang der Posaune bis zum Zerreißen. Es schnaufte und
stampfte bis man sich in einen Zug ins Jenseits versetzt fühlte. Arthur Honeggers
(1892-1955) Komposition: Pacific 231
(1923) kam da unwillkürlich in Sinn, nur mit dem Unterschied der Apokalypse des
21. Jahrhunderts. Großartig und beklemmend in Einem.
Weston Olencki fühlt sich eigenen
Aussagen zufolge dem „Ethos der amerikanischen experimentellen Kunst verpflichtet“
und erkundet vor diesem Hintergrund das Spektrum klanglicher Möglichkeiten. In
gemeinsamer Arbeit mit den genannten Komponisten bot das Posaunen-Duo einen künstlerischen
Leckerbissen (wenn auch extrem gewürzt), der dem Anspruch der Ferienkurse,
Vorreiter der neuen Musik zu sein, in allen kompositorischen und interpretatorischen
Bereichen gerecht wurde.
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