Rheingau Musik Festival 2018
„Aus
der Neuen Welt“, Werke von Leonard Bernstein und Antonin
Dvořák, Abschlusskonzert zum 100. Geburtstag Leonard Bernsteins, Basilika des Klosters
Eberbach, 24.08.2018
Tschechischer Philharmonischer Chor Brno, Philharmonie Brno, musikalische Leitung Leoš Svárovský, in der Basilika des Klosters Eberbach (Fotos: Ansgar Klostermann) |
Geistliche Musik mit jugendlicher Dynamik
Mit den selten aufgeführten geistlichen Werken
Leonard Bernsteins (1918-1990), der Missa
Brevis (1988) und den Chichester
Psalms (1965) sowie Antonin Dvořáks (1841-1904) letzter Sinfonie e-Moll op. 95, genannt auch: „Aus
der neuen Welt“, endete, übrigens ein Tag vor dem tatsächlichen Geburtstag des
wohl bekanntesten amerikanischen Komponisten der Neuzeit, die Hommage, die ihm das
Rheingau Musik Festival mit zahlreichen Konzerten widmete. Ein beeindruckender
Abschluss in der vollbesetzten Basilika, den der Chor und die Philharmonie aus
dem tschechischen Brünn (Brno), unter der Leitung von Leoš Svárovský, auf höchstem sängerischen und musikalischem Niveau
präsentierten.
Die Missa
Brevis für Countertenor (Knabenalt), gemischten Chor und Perkussion sollte
Bernsteins letztes Vokalwerk sein. Er widmete sie seinem Freund und Begleiter,
Robert Shaw, dem scheidenden Musikdirektor des Atlanta Symphony Orchestra, dem
er mit dieser kurzen (sie dauert lediglich zwölf Minuten) sechsteiligen, an der
katholischen Liturgie orientierten Messe seinen Tribut erwies.
62 SängerInnen, ein Countertenor, Jan Mikušek, und drei Perkussionisten
der Brünner Symphoniker offerierten die religiöse Seite des Komponisten, der,
als Jude, den Dialog zwischen den Religionen zu seinem Credo machte, denn für
ihn war der Glaube ein Wertesystem, das Halt und Perspektiven bot. Missa Brevis ist weder katholisch noch
jüdisch, sondern, auf die Musik bezogen, völlig undogmatisch. Fordernd im Kyrie, hymnisch im Gloria, mit hellem, sehr jugendlichem Gesang von Mikušek,
dialogisch fragend im Sanctus,
lyrisch im Benedictus, kontrapunktisch
im Agnus Dei, bei rhythmischer
Anlehnung an Igor Strawinsky, und tänzerisch, einem schwarzen Gospel ähnlich im
abschließenden Dona nobis pacem. Da
wird der Totengesang zum jazzigen Blues. Eine Ironie auf die Endlichkeit? Das Halleluja
und das Amen im Finale, im Unisono über mehrere Oktaven gesungen, ließen alle
Zweifel schwinden. Ein liebevolles Lob an den Schöpfer des Kosmos´, der an nichts
mangeln lässt und uns die rechten Pfade weist (frei nach Psalm 23, 1-4) aus
Bernsteins Chichester Psalms.
Die sind 23 Jahre früher entstanden. Dieses aus insgesamt
sieben Psalmen aus dem hebräischen Tanach bestehende Werk, strotzt nur so vor
Jugendlichkeit und Vitalität. Mit dieser sakralen Poesie für Countertenor,
gemischten Chor und Orchester (in Hebräisch gesungen und ein Auftragswerk des Dekans
von Chichester), eingeteilt in ein Maestoso
ma energico, Andante con moto, ma tranquillo
und ein Prélude, Sostenuto molto-Adagio,
schafft Bernstein ein Flair von Musical. Es beginnt mit einem gewaltigen
Auftakt (Wacht auf, Psalter und Harfe),
gefolgt von einem jazzigen Swing in Gospel-Manier, mit Pauke, Harfe,
Glockenspiel und synkopischem Gesang (Jauchzet
dem Herrn alle Lande). Dann wunderbare Blue Notes im langsamen Andante (Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts
mangeln) und eine abschließenden Streichersequenz (ein bisschen an Peter Tschaikowskys
Streicherserenade erinnernd) mit
einer Melodie wie aus Steven Spielbergs Historiendrama Schindlers Liste
(Fürwahr, ich habe meine Seele gestillt
und beruhigt).
Auch hier kommt Bernstein wieder zu seiner
musikalischen und kompositorischen Absicht zurück, nämlich ein Vermittler
zwischen den Menschen zu sein. Eigentlich sollten die Chichester Psalms ursprünglich „Psalms of the Youth“ heißen, was
den musikalischen Kern dieser Psalmen absolut trifft: Sie sind frisch,
bescheiden, einfach, gut verständlich und, trotz „simplem Es-Dur“ (Bernstein),
ein modernes vor Selbstbewusstsein sprühendes Werk. Großartig das Finale, ein Adagio im Pianissimo, unisono im Tutti,
hinreißend und von großer Eintracht und Brüderlichkeit beseelt.
ganz vorne stehend v.l.: Leoš Svárovský, Jan Mikušek, Petre Fiala (Choreinstudierung) |
Ein musikalischer Brückenschlag zwischen Europa und Amerika
Die Neunte
op. 95 von Antonin Dvořák, oft
gehört, oft gespielt, klang von der Philharmonie Brno wie eine Neugeburt. Mit minimalen
Gesten, aber detaillierter Kenntnis jedes Taktes dieser 45-minütigen Sinfonie,
kitzelte Svárovský aus jeder Faser der Instrumentalisten den Geist von
Aufbruch, Selbstfindung und Freiheit.
Während seines dreijährigen Aufenthaltes in Amerika
(1892-1895) entstanden, sollte op. 95
eigentlich eine Brücke zwischen Europa und Amerika spannen. Seine Feststellung,
dass die Musik der Schwarzen mit denen der Indianer „praktisch identisch war“,
ließ er in diesem Werk musikalisch dahingehend wirksam werden, dass er ihren
Geist, nicht aber ihre Melodien und Rhythmen in seine Musik einfließen ließ: „Diesen
Geist [der ethnischen Musik Amerikas] habe ich in meiner neuen Sinfonie zu
reproduzieren versucht, ohne die Melodien tatsächlich zu verwenden. Ich habe schlichtweg originäre Themen
geschrieben, welche die Eigenheiten der indianischen Musik verkörpern, und mit
den Mitteln moderner Rhythmen, Harmonie, Kontrapunkt und orchestraler Farbe
entwickelt.“ So ist die Englischhorn-Melodie im Largo des 2. Satzes in der Skala der Pentatonik verfasst, die
bei den Indianern gebräuchlich war. Ebenso weisen die Synkopen im 1. Satz
(Allegro molto) auf den Schwarzen Blues hin. Alles in allem aber ist diese Sinfonie
eine Böhmische. Eine Beschreibung der amerikanischen Musik aus der Sicht eines
Osteuropäers, ein Gemisch aus der Folklore der Alten und der Neuen Welt.
Und genau diese Mischung war es, die die
Philharmonie Brno in anschaulicher Manier herausarbeitete. Es tanzte und
swingte, es wechselte zwischen Melancholie und Totenklage im Largo (2. Satz) zum sprunghaften Scherzo (3. Satz), vom Schwungvoll-synkopischen
und Urgewaltigen im Allegro molto (1. Satz) zur mitreißenden Dynamik im letzten
Satz (Allegro con fuoco). Bereits die Uraufführung am 16. Dezember in der
Carnegie Hall in New York war ein voller Erfolg. Die Zeitungen schrieben, dass
noch nie ein Komponist einen solchen Erfolg feiern konnte wie Antonin Dvořák
mit seiner Neunten. Ähnlich war es in
der Basilika des Klosters Eberbach. Der Beifall und die Bravo-Rufe wollten kein
Ende nehmen. Alles stand und machte seiner Begeisterung Luft, so, als ob sich der
Triumph der Uraufführung von 1893 wiederholen sollte.
Mit einer feurigen Zugabe aus den Slawischen-Tänzen, mit denen Dvořák in
den USA vor seinem Aufenthalt bereits berühmt wurde, endete dieser Zyklus zum
100. Geburtstag von Leonard Bernstein. Er wird noch lange in bester Erinnerung
bleiben.
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