Samstag, 25. August 2018


Rheingau Musik Festival 2018

„Aus der Neuen Welt“, Werke von Leonard Bernstein und Antonin Dvořák, Abschlusskonzert zum 100. Geburtstag Leonard Bernsteins, Basilika des Klosters Eberbach, 24.08.2018

Tschechischer Philharmonischer Chor Brno, Philharmonie Brno, musikalische Leitung Leoš Svárovský, in der Basilika des Klosters Eberbach
(Fotos: Ansgar Klostermann)

Geistliche Musik mit jugendlicher Dynamik


Mit den selten aufgeführten geistlichen Werken Leonard Bernsteins (1918-1990), der Missa Brevis (1988) und den Chichester Psalms (1965) sowie Antonin Dvořáks (1841-1904) letzter Sinfonie e-Moll op. 95, genannt auch: „Aus der neuen Welt“, endete, übrigens ein Tag vor dem tatsächlichen Geburtstag des wohl bekanntesten amerikanischen Komponisten der Neuzeit, die Hommage, die ihm das Rheingau Musik Festival mit zahlreichen Konzerten widmete. Ein beeindruckender Abschluss in der vollbesetzten Basilika, den der Chor und die Philharmonie aus dem tschechischen Brünn (Brno), unter der Leitung von Leoš Svárovský, auf höchstem sängerischen und musikalischem Niveau präsentierten.

Die Missa Brevis für Countertenor (Knabenalt), gemischten Chor und Perkussion sollte Bernsteins letztes Vokalwerk sein. Er widmete sie seinem Freund und Begleiter, Robert Shaw, dem scheidenden Musikdirektor des Atlanta Symphony Orchestra, dem er mit dieser kurzen (sie dauert lediglich zwölf Minuten) sechsteiligen, an der katholischen Liturgie orientierten Messe seinen Tribut erwies.

62 SängerInnen, ein Countertenor, Jan Mikušek, und drei Perkussionisten der Brünner Symphoniker offerierten die religiöse Seite des Komponisten, der, als Jude, den Dialog zwischen den Religionen zu seinem Credo machte, denn für ihn war der Glaube ein Wertesystem, das Halt und Perspektiven bot. Missa Brevis ist weder katholisch noch jüdisch, sondern, auf die Musik bezogen, völlig undogmatisch. Fordernd im Kyrie, hymnisch im Gloria, mit hellem, sehr jugendlichem Gesang von Mikušek, dialogisch fragend im Sanctus, lyrisch im Benedictus, kontrapunktisch im Agnus Dei, bei rhythmischer Anlehnung an Igor Strawinsky, und tänzerisch, einem schwarzen Gospel ähnlich im abschließenden Dona nobis pacem. Da wird der Totengesang zum jazzigen Blues. Eine Ironie auf die Endlichkeit? Das Halleluja und das Amen im Finale, im Unisono über mehrere Oktaven gesungen, ließen alle Zweifel schwinden. Ein liebevolles Lob an den Schöpfer des Kosmos´, der an nichts mangeln lässt und uns die rechten Pfade weist (frei nach Psalm 23, 1-4) aus Bernsteins Chichester Psalms.

Die sind 23 Jahre früher entstanden. Dieses aus insgesamt sieben Psalmen aus dem hebräischen Tanach bestehende Werk, strotzt nur so vor Jugendlichkeit und Vitalität. Mit dieser sakralen Poesie für Countertenor, gemischten Chor und Orchester (in Hebräisch gesungen und ein Auftragswerk des Dekans von Chichester), eingeteilt in ein Maestoso ma energico, Andante con moto, ma tranquillo und ein Prélude, Sostenuto molto-Adagio, schafft Bernstein ein Flair von Musical. Es beginnt mit einem gewaltigen Auftakt (Wacht auf, Psalter und Harfe), gefolgt von einem jazzigen Swing in Gospel-Manier, mit Pauke, Harfe, Glockenspiel und synkopischem Gesang (Jauchzet dem Herrn alle Lande). Dann wunderbare Blue Notes im langsamen Andante (Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln) und eine abschließenden Streichersequenz (ein bisschen an Peter Tschaikowskys Streicherserenade erinnernd) mit einer Melodie wie aus Steven Spielbergs Historiendrama Schindlers Liste (Fürwahr, ich habe meine Seele gestillt und beruhigt). 

Auch hier kommt Bernstein wieder zu seiner musikalischen und kompositorischen Absicht zurück, nämlich ein Vermittler zwischen den Menschen zu sein. Eigentlich sollten die Chichester Psalms ursprünglich „Psalms of the Youth“ heißen, was den musikalischen Kern dieser Psalmen absolut trifft: Sie sind frisch, bescheiden, einfach, gut verständlich und, trotz „simplem Es-Dur“ (Bernstein), ein modernes vor Selbstbewusstsein sprühendes Werk. Großartig das Finale, ein Adagio im Pianissimo, unisono im Tutti, hinreißend und von großer Eintracht und Brüderlichkeit beseelt.


ganz vorne stehend v.l.: Leoš Svárovský, Jan Mikušek, Petre Fiala (Choreinstudierung)

Ein musikalischer Brückenschlag zwischen Europa und Amerika

Die Neunte op. 95 von Antonin Dvořák, oft gehört, oft gespielt, klang von der Philharmonie Brno wie eine Neugeburt. Mit minimalen Gesten, aber detaillierter Kenntnis jedes Taktes dieser 45-minütigen Sinfonie, kitzelte Svárovský aus jeder Faser der Instrumentalisten den Geist von Aufbruch, Selbstfindung und Freiheit.

Während seines dreijährigen Aufenthaltes in Amerika (1892-1895) entstanden, sollte op. 95 eigentlich eine Brücke zwischen Europa und Amerika spannen. Seine Feststellung, dass die Musik der Schwarzen mit denen der Indianer „praktisch identisch war“, ließ er in diesem Werk musikalisch dahingehend wirksam werden, dass er ihren Geist, nicht aber ihre Melodien und Rhythmen in seine Musik einfließen ließ: „Diesen Geist [der ethnischen Musik Amerikas] habe ich in meiner neuen Sinfonie zu reproduzieren versucht, ohne die Melodien tatsächlich zu verwenden.  Ich habe schlichtweg originäre Themen geschrieben, welche die Eigenheiten der indianischen Musik verkörpern, und mit den Mitteln moderner Rhythmen, Harmonie, Kontrapunkt und orchestraler Farbe entwickelt.“ So ist die Englischhorn-Melodie im Largo des 2. Satzes in der Skala der Pentatonik verfasst, die bei den Indianern gebräuchlich war. Ebenso weisen die Synkopen im 1. Satz (Allegro molto) auf den Schwarzen Blues hin. Alles in allem aber ist diese Sinfonie eine Böhmische. Eine Beschreibung der amerikanischen Musik aus der Sicht eines Osteuropäers, ein Gemisch aus der Folklore der Alten und der Neuen Welt.

Und genau diese Mischung war es, die die Philharmonie Brno in anschaulicher Manier herausarbeitete. Es tanzte und swingte, es wechselte zwischen Melancholie und Totenklage im Largo (2. Satz) zum sprunghaften Scherzo (3. Satz), vom Schwungvoll-synkopischen und Urgewaltigen im Allegro molto (1. Satz) zur mitreißenden Dynamik im letzten Satz (Allegro con fuoco). Bereits die Uraufführung am 16. Dezember in der Carnegie Hall in New York war ein voller Erfolg. Die Zeitungen schrieben, dass noch nie ein Komponist einen solchen Erfolg feiern konnte wie Antonin Dvořák mit seiner Neunten. Ähnlich war es in der Basilika des Klosters Eberbach. Der Beifall und die Bravo-Rufe wollten kein Ende nehmen. Alles stand und machte seiner Begeisterung Luft, so, als ob sich der Triumph der Uraufführung von 1893 wiederholen sollte.

Mit einer feurigen Zugabe aus den Slawischen-Tänzen, mit denen Dvořák in den USA vor seinem Aufenthalt bereits berühmt wurde, endete dieser Zyklus zum 100. Geburtstag von Leonard Bernstein. Er wird noch lange in bester Erinnerung bleiben.

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