Samstag, 11. August 2018


Rheingau Musik Festival 2018

Ben Kim (Klavier) mit Werken von Claude Debussy (1862-1918) und Modest Mussorgski (1839-1881), Schloss Johannisberg, 10.08.2018

Ben Kim (Foto: Ansgar Klostermann)

Musikalische Bilder von großer Schönheit


Bereits im vergangenen Jahr bei seinem Debütkonzert auf dem Rheingau Musik Festival mit dem LOTTO-Förderpreis für außergewöhnliche Nachwuchstalente ausgezeichnet und Erster Preisträger des ARD Musikwettbewerbs 2006, spielte der nicht mehr ganz so junge US-Amerikaner Ben Kim (*1983) im Rahmen von Next Generation Werke von Claude Debussy (1862-1918): Estampes für Klavier (1903) und Études, 2. Buch (1915) sowie Bilder einer Ausstellung (1886) von Modest Mussorgski (1839-1881).


Eine wunderbare Zusammenstellung, denn es geht hier um Gemälde, Stiche, Aquarelle, Lithographien und vor allem bildhafte Vorstellungen. Debussy soll zu seinen Estampes, die er im Sommer 1903 während eines Aufenthaltes in Bichain im nördlichen Burgund  komponierte, gesagt haben: „Wenn man sich Reisen nicht leisten kann, muss man sie durch Fantasie ersetzen.“ 
Ben Kim führte über Frankreich und Spanien in die arabische und asiatische Welt, ließ Gebäude entstehen, wie die Pagoden (Pagodes), die mehrgeschossigen, turmartigen Bauwerke, zu finden in ostasiatischen Raum, führte in die Alhambra (La Soirée dans Grenade) und die prächtige Architektur der ehemals maurischen Stadt Granada, um schließlich die Regentropfen eines paradiesischen Gartens (Jardins sous la pluie) irgendwo auf dieser Welt zu genießen. Regentropfenbilder von atemberaubender Schönheit. Kims stark pedaliertes Spiel wirkte allerdings eher noch suchend. In eher mäßigem Tempo mit großer tänzerischer Attitüde ließen die Estampes ein ganz eigenwilliges, sehr individuelles Bild des Pianisten entstehen.

Die Études dagegen zeigten die virtuose und interpretatorische Klasse des Pianisten. Er selbst sprach in einer kurzen Einleitung (in deutscher Sprache) zu den sechs äußerst komplexen und schwierigen Übungen des zweiten Buches, sie seien „wie fünffach destillierter Wodka, eine Palette voller Farben“. Ein ausgereiftes Spätwerk Debussys, zu dem er warnte, es solle sich nur derjenige seiner annehmen, der auch die entsprechenden Hände dazu habe. 
Kim brillierte hier durch Leichtigkeit, Gesanglichkeit und Poesie. Tatsächlich ließ er Bilder entstehen, die an die zwölf Jahre zuvor entstandenen Estampes erinnerten. Vor allem in der zehnten Übung, Pour les sonorités opposées (Für die gegensätzliche Klangwerte), ließ er ein Klangfarbenspiel von höchster Eindrücklichkeit entstehen. Bilder von Claude Monet, Max Liebermann oder auch Paul Gauguin kamen vor das sinnliche Auge. Ein Zyklus von großer Intensität, ganz eng an die Lautstärke-, Tempo- und Artikulationsangaben des Komponisten angelehnt. Kims Interpretation war ausgereift, mitunter nachdenklich und traf blendend das Atmosphärische des Debussyschen Stils.

Ben Kim (Foto: Ansgar Klostermann)

Gemälde mit kleinen Fehlern


Eine ganz andere Atmosphäre bot dagegen Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky. Angeregt von der postumen Ausstellung seines Freundes Victor Hartmann (1824-1873) im Jahre 1874, komponierte er zu zehn seiner Bilder eine Programmmusik: quasi einen Besuch der Galerie mit wiederholter, variierender  Promenade, das Einhergehen zwischen den Gemälden. Zwar sind nur einige der Werke noch erhalten (Bild fünf bis zehn), aber das erst fünf Jahre nach Mussorgskis Tod von seinem Freund Nikolai Rimski-Korsakow veröffentlichte Werk erfreut sich bis heute höchster Beliebtheit und hat nicht nur eine weltberühmte Orchesterbearbeitung (1922) von Maurice Ravel (1875-1937) erfahren, sondern auch eine Vielzahl von Arrangements für Streicher, Bläser und diverse Instrumentierungen. Selbst Debussy, und hier schließt sich der Kreis des Klavierabends, liebte die Musik Mussorgskis, vor allem dessen Oper Boris Godunow (1870), und ließ sich in seiner Oper Pelléas et Mélisande (1902) von ihm inspirieren. Ob er allerdings seine Bilder einer Ausstellung kannte, ist nicht gesichert. 

Kraftvoll und eindrücklich ließ Kim die Gemälde am Hörer vorbeiziehen. Sprunghaft der Gnom, kantabel und ein wenig schmerzliche Erinnerung im alten Schloss, kapriziös in den Tuilerien, schwerfällig mit dem Ochsenkarren, ballettös die Küken, gravitätisch und streitbar  in Samuel Goldenberg und Schmuyle, scherzhaft auf dem Marktplatz in Limoges, ausgedehnt in den Katakomben, mit Feuer in der Hütte der Baba-Yaga und schließlich mit majestätischer Grandezza am Tor von Kiew. Bei aller Lebendigkeit und Freude, mit der Kim durch die virtuelle Galerie führte, konnten viele technische Fehler nicht verhehlen, dass er dieses Werk noch nicht so recht beherrschte. Auch musste er (noch) vom Blatt spielen. Viele Stellen waren gehudelt (vor allem der Marktplatz in Limoges ging so ziemlich daneben) oder klangen noch unfertig (beim Tor von Kiew). Schade, denn vielleicht wäre es besser gewesen, das sattsam bekannte Werk noch etwas ruhen zu lassen.

Dem Publikum war es egal. Es klatschte frenetisch und forderte Zugaben, die auch folgten: eine selten gespielte Mazurka (1891) und Clair de Lune aus der Suite Bergamasque (1905), beide von Claude Debussy. Hier wiederum bewies Kim, dass er zu Recht mit größten Auszeichnungen dekoriert ist und einen Sonderplatz in der Next Generation einnimmt.

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