Sonntag, 19. August 2018


Rheingau Musik Festival 2018

Die West Side Story (1961), Musik von Leonard Bernstein (1918-1990), Film mit Livemusik des Sinfonieorchesters Basel unter der Leitung von Ernst van Tiel, Wiesbaden, RheinMain CongressCenter, 18.08.2018



Sinfonieorchester Basel im RheinMain CongressCenter am 18.08.2018 (Fotos: Ansgar Klostermann)

Eine mitreißende Story


Es war gleichzeitig eine Premiere des Rheingau Musik Festivals (RMF) im seit vier Monaten wiedereröffneten und nach modernsten Erkenntnissen neu gestalteten RheinMain CongressCenter (RMCC), wie der Intendant und Geschäftsführer, Michael Herrmann, in einer kurzen Begrüßung des zahlreich erschienenen Publikums feststellte, sowie die Erstaufführung der Bernsteinschen West Side Story in der Filmversion von 1961 (Regie: Jerome Robbins und Robert Wise) mit der originalen Filmmusik (Leonard Bernstein) vom Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Ernst van Tiel in Wiesbaden. Und man kann es vorwegnehmen: Ein Musical zum Lachen und zum Weinen, ein dreistündiges Spektakel, das musikalisch, schauspielerisch und tänzerisch begeisterte und niemanden so aus der Halle herauskommen ließ, wie er hineingegangen war.


Bekanntlich geht es in diesem Musical, das bereits am 26.09.1957 seine Uraufführung im New Yorker Winter Garden erfuhr, um zwei rivalisierende Gangs, den Jets und den Sharks, die um die Vorherrschaft in der New Yorker Westside (oder Eastside) kämpfen. Das Szenario findet hauptsächlich auf einem Basketballspielfeld statt, das aus der Luftperspektive (beeindruckende Luftaufnahmen von New York City) auch ein Gefängnis sein könnte, trostlos mit hohen Gittern umzäunt und von abweisenden Gemäuern umgeben. Die Jets repräsentieren das weiße Amerika, obwohl sie selbst überwiegend aus Osteuropa stammen, und die Sharks sind Puerto-Ricaner, Migranten. Schon äußerlich unterscheiden sie sich durch Haarfarbe, Kleidung und Teint. Ihre Anführer Riff (Jets) und Bernardo bzw. Nardo (Sharks) sind die unangefochtenen Alpha Männchen, die Mädchen, wie zu dieser Zeit üblich, gehören zum männlichen Dekors, kokettieren und flirten und werden eher als Trophäen betrachtet.

Wenn es doch so einfach wäre. Denn da ist noch Tony –  eigentlich gehört er nicht mehr zu den Jets, weil er endlich ein bürgerlich-glückliches Leben führen möchte, und wird dennoch von Riff zur Teilnahme zum finalen Bandenkrieg überredet –, der sich Hals über Kopf in Maria verliebt. Nur gehört sie den Sharks an und ist eigentlich Chino aus den eigenen Reihen versprochen. Das Unglück nimmt seinen Lauf und endet mit dem Tod Tonys, ganz im Sinne seiner literarischen Vorlage von Shakespeares Romeo und Julia.

auf der Leinwand: Tony (Richard Beymer) und Maria (Natalie Wood), Basel Sinfonieorchester mit Dirigent Ernst van Tiel

Ein Drama von höchster Aktualität


Ein Liebesdrama verknüpft mit einem Bandenkrieg von großer Intensität und Dichte, mit anspruchsvollen Tänzen (Choreographie: Jerome Robbins, 1918-1998), herrlich zugespitzten und noch heute modernen Texten (Librettist: Arthur Laurents, 1917-2011) sowie einer Musik (Leonard Bernstein, 1918-1990) zwischen lateinamerikanischen Rhythmen und europäischer Oper, zwischen Jazz und Folklore, die bis heute nichts aber auch gar nichts von ihrer Vitalität und Frische verloren hat.

Jeder einzelne Akteur auf der Bühne ist eine meisterhafter Tänzer und Schauspieler, herausgehoben natürlich die Hauptprotagonisten Riff (Russ Tamblyn), Bernardo (George Chakiris) Maria (Natalie Wood), Tony (Richard Beymer) sowie Anita (Rita Moreno) und die beiden Polizisten Schrank und Kupke (Simon Oakland und William Bramley).

Die Songs sind bis heute Ohrwürmer, wer kennt nicht Somewhere, Tonight, I have a Love, America oder das mit Fingerschnipsen begleitete, pochende Rumble, das immer dann zu hören ist, wenn die beiden Parteien gegeneinander geraten. Einschränkend muss man allerdings dazu bemerken, dass die Gesänge der Schauspieler gedoubelt wurden. So übernahm den Gesangpart der Maria die damals bekannte Sopranistin Marni Nixon (1930-2016), und den von Tony der Bariton Jimmy Bryant (*1929). Einzig Rita Moreno (*1931) sang als Anita ihre Songs selbst, und das in einem ausgezeichneten und warmen Mezzotimbre.

Bernstein nutzt neben einer ausgeklügelten Leitmotivik charakteristische musikalische Mittel, um Jets und Sharks auseinanderzuhalten. So sind die Jets von hektischem Rhythmus und synkopischen Elementen begleitet, während die Sharks eher tänzerisch und beschwingt konnotiert sind. Eine Mischung, die immer dann überlagert und geschichtet wird, wenn, die beiden Gruppen zusammenkommen oder aneinander geraten. Lyrisch, aber nie theatralisch sind die Liebesszenen und intimen Abschnitte. Einfach himmlisch die Szene im Brautmodengeschäft wo Maria ihren Freundinnen mit ihrem Song I feel pretty geheimnisumwittert ihre Liebe zu Tony gesteht. Oder das darauffolgende Duett zwischen Maria und Tony One Hand one Heart, unüberbietbar an Authentizität. Keine Szene war überflüssig, alles verwob sich stimmig miteinander. Es war eine Freude, dem Musical zu folgen.

Ernst van Tiel, zurzeit Chefdirigent des Polish Baltic Philharmonic Orchestra, führte das groß besetze Sinfonieorchester Basel (vier Perkussionisten, Flügel, Harfe, Mandoline, vierfach besetzte Bläsergruppen)  präzise (ein Monitor lieferte ihm sämtliche Daten zum Filmablauf) und souverän durch den dreistündigen Film. Alles war perfekt elektronisch vernetzt und gemischt, sodass Musik und Handlung lückenlos miteinander verschmolzen. Der studierte Pianist und Perkussionist ist bekannt für seine orchestralen Filmprojekte und Filmmusikaufnahmen. Die West Side Story gehört neben Raiders of the Lost Ark (Jäger des verlorenen Schatzes) von Steven Spielberg mit der Musik von John Williams und How to Train Your Dragon (Drachenzähmen leicht gemacht), Regie: Cris Sander/Dean DeBlois, Musik: John Powell, zu seinen aktuellen Hits.

Die West Side Story thematisiert Konflikte junger Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, was bis heute in Zeiten der Flüchtlingsströme und globalem Kulturaustausch an Aktualität nichts verloren hat. Die Verfilmung wurde mit 10 Oscars ausgezeichnet. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

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