L´Orfeo
(1607), Oper in einem Prolog und fünf Akten von Claudio Monteverdi (1567-1643),
Kammerspiele des Staatstheaters Darmstadt, Premiere 08.09.2018
Ensemble (Foto: Nils Heck) |
Orpheus als Warnung an die Hybris der Menschheit
Das Dramma per
musica beginnt mit einer von Trompeten geschmetterten Fanfare im übervollen
Foyer der Kammerspiele Darmstadt. Mit freundlichen Gesten wird das Publikum in
den Saal geleitet, wo wenig später die eingangs gespielte Toccata, übrigens die weithin bekannte Erkennungsmelodie des Euroradios
der EBU, wiederholt wird und in den Prolog der dramatischen Märchenwelt der
Antike einführt.
L´Orfeo,
anlässlich des Geburtstags des Herzogs Francesco Gonzaga in seinem Palast 1607
uraufgeführt, gilt vielen als die erste Oper überhaupt. Entstanden in der
damals führenden Gelehrtenvereinigung, der Accademia
degli Invaghiti (Akademie der Vernarrten), der die gesamte wissenschaftliche
und kulturelle Elite der Stadt Mantua angehörte, darunter auch Monteverdi (1567-1643) und
sein Librettist Alessandro Striggio (1540-1592), wollte man mit dieser Favola in Musica nach der griechischen
Sage von Orpheus und Eurydice ein Stück Kultur- und Musikgeschichte schreiben.
Der Orpheus-Mythos bewegt die Menschen von der
Antike bis zum heutigen Tag. Es ist die Frage von Werden und Vergehen, von Höhe
und Tiefe, von Ratio und Irratio, von Ordnung und Chaos und letztendlich von
Leidenschaft und Kontrolle, die von den Göttern Apollo und Dionysos (Bacchus) verkörpert
werden. Orpheus, der Sohn des Apolls, liebt Eurydice abgöttisch. Aber liebt er
sie wirklich? Oder nur sich selbst? Tatsächlich geht er für seine Geliebte in die Hölle und kann sowohl Caronte (Charon), den greisen Fährmann zum Totenreich, als auch
Pluto, den Herrscher der Unterwelt und seine Gefährtin Prosperina (Persephone)
von seiner Kunst überzeugen.
Die Bedingung aber ist schier unmenschlich. Orpheus
darf seine Geliebte auf dem Weg zurück in die Oberwelt nicht anschauen. Warum
das? Pluto öffnet mit dieser Forderung die Kernfrage allen Lebens, denn sie ist
verbunden mit dem Versprechen an Prosperina, dass sie sein eheliches Bett nicht
mehr verlässt. Dazu muss man wissen, dass Persephone (Prosperina) die Fruchtbarkeitsgöttin
alljährlich mindestens acht Monate auf der Erde verweilt, um für das Werden und
Vergehen des Lebens zu sorgen. Ohne sie wäre Leben auf der Erde unmöglich, der
Tod wäre die notwendige Folge.
Das Experiment der Rückholung seiner Geliebten aus
der Unterwelt muss also misslingen. Der Tod muss um des Lebens willen
akzeptiert werden. Zu Recht stellt sich dann die Frage, ob Orpheus überhaupt
seine Geliebte zurückholen wollte, ob er nicht vielmehr „eine Vision von sich
selbst als demjenigen, der seine Liebe zur Schau stellt“ verfolgte (Slavoj Žižek).
Tatsächlich bekommt Eurydike gerade einmal 17 Takte
Gesang im 5. Akt, während Orpheus nahezu während der gesamten Handlung präsent
ist und eine Vielzahl von Arien zu bewältigen hat. Orpheus ist das Spiegelbild
des Künstlers, aber auch das des modernen Menschen: alles ist möglich, ewiges
Glück und ewiger Ruhm. Und er muss scheitern, um des Lebens willen. Monteverdi und
Striggio bieten dem Publikum kein Deus ex
Machina im Sinne des Alles wird gut, sondern erteilen eine Lehre. Apoll,
der göttliche Vertreter der Ordnung und des Maßes führt den höchst
verzweifelten todessüchtigen Orpheus auf den sprichwörtlichen Erdboden zurück.
Er verspricht ihm viel mehr als die Liebe zu Eurydice. Er verspricht ihm ewiges
Leben, ewige Liebe, ewiges Glück im Himmel, bei den Göttern, unter der
Voraussetzung, dass er als Mensch den Exzess meidet, seine Gefühle besiegt. Denn nur der kann ewigen Ruhm ernten, der sich selbst besiegt. Eine Warnung an
die Hybris der Menschheit, sich den Göttern gleichstellen zu wollen. Heute noch
so aktuell, wie vor über 400 Jahren.
David Pichlmaier als Orfeo (Foto: Nils Heck) |
Eine mitreißend gesungene und gespielte Favola in Musica
Knapp zwei Stunden lang begeisterten das Publikum ein junges Gesangsteam
und ein erfrischendes Orchester mit überwiegend historischen Instrumenten (Ltg.
Joachim Enders) sowie ein einfallsreiches Bühnenbild (Geelke Gaycken)
und witzige, sehr fantasiereiche Kostüme (Geraldine Arnold).
Herauszuheben sind David Pichlmaier als Orfeo, der in mittlerer Stimmlage alle
Register der Gefühlswelt zog: von Schmachten, Schmeicheln, Verzweiflung, bis Zorn und bitterster Niedergeschlagenheit,
alles mit größter Inspiration und schauspielerischer Überzeugung vorgetragen.
Daneben Apollo, Eurydice, Speranza und La musica in einer Person, nämlich von Robert Crowe gesungen und gespielt. Die
New York Times schrieb über ihn als
„männlicher Sopran mit atemberaubender Gabe“, und das war in der Tat so. Crowe
schlüpfte mit einer chamäleonhaften Selbstverständlichkeit in jede dieser
Rollen, wie es nur wenige können. Man merkte, dass er die Absichten seiner
Protagonisten in aller Tiefe durchschaute.
Wunderbar enigmatisch der tiefe Bass von Marko Spehar als Charon bzw. Caronte,
warm und verführerisch der Mezzosopran von Cathrin
Lange, die als Prosperina in ihrem verführerisch schwarzen Outfit die
Blicke auf sich zog. Pluto, mit heldenhaftem Bass von Christian Tschelebiew gesungen, konnte der Verführungskunst seiner
Geliebten nicht widerstehen, war dennoch mit allen Wassern gewaschen. In
giftigem Grün schließlich die Messagiera, die, von der Mezzosopranistin Elisabeth Hornung mit unheilvollem Timbre
gesungen, die Nachricht vom tödlichen Schlangenbiss überbringen musste.
Ein fünfköpfiger Madrigalchor ergänzte das
neunköpfige Ensemble mit Chorälen und Madrigalen, und zwei Schäfer mit
baritonalen Stimmen rundeten die Gesellschaft auf der Bühne ab.
Die Musik von Monteverdi, heute vielfach rezipiert,
könnte man als Popmusik der beginnenden Renaissance bezeichnen. Üppig
instrumentiert mit Streichern, Blockflöten, Basso Continuo, Regal, Theorben,
Gamben, Zinken und Posaunen plus Schlagwerk, bietet sie fetzige Rhythmen, und
verbunden mit dem Gesang, liedhafte Arien und eingängige Melodien (Man denke
nur an die Eingangs-Toccata, die
heute noch die Erkennungsmelodie des Euroradios ist). Spannend auch die
instrumentalen Zuordnungen von Tod und Leben. So sind dem Leben (Orpheus, Schäfer, Chor und den
Nymphen weitestgehend Streicher, Blockflöten und Cembalo zugeordnet, während dem
Tod (Pluto, Caronte) die Blechbläser, Zinken und Posaunen gehören. Ein
spannendes Wechselspiel immer dann, wenn sich Tod und Leben in einer Person
(Orpheus) oder einem Personenkreis (Orpheus und Eurydice in der Unterwelt)
widerspiegeln.
Hier vor allem hat es die Regie (Joachim Bode) und die musikalische
Leitung (Joachim Enders) absolut
überzeugend geschafft, die Dialektik von Gesang und instrumentaler Musik, von
äußerer Handlung und innerer Haltung, von Trauer und Freude und nicht zuletzt
die Liebe als Maß aller Dinge deutlich zu machen. Eine von Anfang bis zum Schluss
mitreißende Favola in Musica, ein
Drama aus großer Fallhöhe bis an die Grenze der Selbstvernichtung und einem Lieto fine für Vernunftbegabte.
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