Tri Sestry (1998), Oper in drei Sequenzen von Peter Eötvös
(*1944), Premiere und Frankfurter Erstaufführung in der Oper Frankfurt,
09.09.2018
Moskau: der Traum der Träume
v.l.n.r.: Ray Chenez (Irina), David DQ Lee (Mascha), Mikolay Trabka (Andrei), Dimitry Egorov (Olga) Foto: Monika Rittershaus |
Der Anfang ist zugleich das Ende, der immerwährende Kreislauf des Lebens. Die drei Schwestern, Olga, Mascha und Irina besingen vor einem riesigen Rahmen, einer schäbigen Schaukel und einem schmucklosen Kinderkarussell die Leere ihres vergangenen Lebens. Bei traurigsten Mollklängen aus dem Orchestergraben hören sie die Musik heiter klingen. In einer Art Renaissance-Gesang mit Akkordeonbegleitung, Symbol der russischen Seele, trösten sie sich damit, dass alles zur Erinnerung wird und in der Zukunft eine neues Leben beginnt: „Wir bleiben zurück – allein. Und beginnen unser Leben erneut. Unser Leben.“
Tri
Sestry (1998), von Eötvös selbst als das ideale Drama für
seine Oper bezeichnet, folgt eigentlich keiner Handlung. Die Schwestern Olga,
Irina und Mascha leben gemeinsam mit ihrem Bruder Andrei in einem einsamen Kaff
und träumen vom kosmopolitischen Moskau. Moskau ist das Sinnbild ihrer Träume,
Wünsche und Hoffnungen.
Das in drei Sequenzen und 26 Nummern (zwölf für
Irina, neun für Andrei und fünf für Mascha) aufgeteilte, gut zwei Stunden
andauernde Werk besteht hauptsächlich aus Dialogen, oder besser gesagt Monologen,
denn man redet in Permanenz aneinander vorbei. Hauptthema ist der Abschied,
symbolisiert durch den Tod (Baron Tusenbach), die Abreise (Werschinin) und die
zurückgebliebene Leere. Das Fazit könnte man nach Aussage der Regisseurin, Dorothea Kirschbaum, so zuspitzen: „Nach
vielem Gerede bleibt alles so wie es war“, womit wir wieder beim Prolog der
Oper angelangt wären.
Wenn es denn so wäre, warum dann eine abendfüllende
Oper? Eötvös (*1944), der diese Oper gemeinsam mit dem Librettisten Claus H. Henneberg
(1936-1998) nach dem gleichnamigen Roman (1901) von Anton P. Tschechow
(1860-1904) komponierte, brauchte dieses Sujet, weil es, wie er meint, neben
der Bewältigung des frühen Todes seines Sohnes Gyuri (1995), alles enthält, was
das Leben beschreibt: die komplizierten Beziehungen, die verpassten
Gelegenheiten, die Melancholie der täglichen Erfahrungen, die Trennungsängste
und Lebensleere. In diesem Werk geht es um Fragen der menschlichen Existenz
überhaupt und wer kann dies besser in Szene setzen als Tschechow mit seiner
unnachahmlichen humorvollen Art, Tragödie mit der Komödie zu verschmelzen.
Allseits bekannt sein Bonmot kurz vor seinem Tode 1904: „Du fragst, was ist das
Leben? Das ist, als wollte man fragen: Was ist eine Mohrrübe? Ein Mohrrübe ist
eine Mohrrübe, mehr ist dazu nicht zu sagen.“
Und wer könnte besser dazu geeignet sein als Peter
Eötvös, dieses Drama in ein Musiktheater umzusetzen. Als großer Verehrer der
russischen Kultur und Sprache, lässt er eine Musik von außerordentlicher Vitalität
und Einfühlsamkeit erklingen.
Alle handelnden Personen haben einen eigenen Charakter
und werden instrumental begleitet. So
bekommen
unter anderem Olga die Altflöte, Mascha die Klarinette, Irina die Oboe, Andrei das Fagott, Natascha,
seine Frau, das Saxophon mit Kuhglocken, Soljony,
der Liebhaber Irinas, das Schlagwerk,
Baron Tusenbach, der zweite
Liebhaber Irinas, zwei Hörner zugeschrieben. Ähnlich der Leitmotivik bei Richard
Wagner werden die instrumentalen Begleitungen variiert, bei Dialogen oder
Gruppen entsprechend erweitert, sogar bei Subtexten (gedanklichen Passagen)
immer wieder eingesetzt, sodass die innere wie äußere Handlungsebene immer nachvollziehbar
bleibt.
Auch hat er sich für zwei Orchestergruppen
entschieden, wobei eine 18-köpfige im Orchestergraben die
Charaktereigenschaften der Personen abbildet, während die 50-köpfige, oberhalb
der Bühne postiert, atmosphärisch den Raumklang zum Geschehen beisteuert. Auch
gibt es keine Frauen, nur Rockrollen,
weil hier keine typisch weiblichen, sondern allgemein menschliche Themen
abgehandelt werden. Ebenfalls verbindet er traditionelle mit avantgardistischen
Elementen. Eine leere Quinte, die, aufgefüllt mit einem Zusatzton, einen Moll-, Dur-
oder dissonanten Dreiklang ergibt, ein Tritonus als spannungsgeladene Ergänzung.
Ebenfalls zitiert er Peter Tschaikowskis Gremin-Arie
aus Eugen Onegin (Sequenz 1, Nr. 4) wie Beethovens Sonate Les Adieux (Sequenz 1 Nr. 11), adaptiert
in die Liebesarie von Mascha (Sequenz 3, Nr. 25), Leonard Bernsteins Song Maria aus der West Side Story, oder bedient sich barocker Formen wie der
Passacaglia (Sequenz 3, Nr. 24).
Der Gesang tendiert zum Sprechen. Immer wenn Emotionen
aufkommen sind die sängerischen Qualitäten gefordert, nicht zu verwechseln mit
der barocken Zweiteilung von Arie und Rezitativ, sondern eher
situationsabhängig. Besonders gelungen bei der etwas bösartigen Natascha sowie
dem ewig betrunkenen Doktor, in deren Rollen diese neuartige Technik wunderbar
eingearbeitet ist.
Ensemble (Foto: Monika Rittershaus) |
Ein
existentialistisches Kreislauf-Erlebnis der Gegenwart
Überhaupt waren die Sänger wie ihre Spielweise ein
besonderer Höhepunkt dieser Premiere. Olga, sie verkörpert als Älteste der Geschwister
eine Art Mutterrolle ohne am Leben teilzunehmen (deshalb auch keine eigene
Sequenz), wurde vom Countertenor Dimitri
Egorov mit Bravour zelebriert. Ihre oberlehrerhafte Attitüde war ihm im
wahrsten Sinne auf den Leib geschnitten (ein farblich- konservatives,
wadenlanges bis zur Halskrause eng geschnittenes Kleid). Sehr weiblich und
mädchenhaft dagegen Irina, vom Countertenor Ray
Chenez, zwischen Enttäuschung und Begehren changierend, überzeugend
dargestellt. Mascha, eine elegante etwas hochnäsige Schönheit wurde vom Countertenor
David DQ Lee (übrigens Debütant)
perfekt auf die Bühne gebracht. Man vergaß oft den Mann in ihm. Andrei, der
Bruder der Schwestern, hatte im Bariton Mikołaj
Trąbka einen würdigen Vertreter. Er träumt von Büchern, anderen Welten und
beklagt seine Bequemlichkeit. Hervorragend sein Monolog aus der zweiten Sequenz
(Nr. 20).
Bemerkenswert die Rolle des Doktors, einem Trunkenbold,
der sich für einen Nichtsnutz hält, mit schauspielerischer Überzeugungskraft
vom Tenor Mark Milhofer (Debütant) gesungen, und die der Natascha, die Ehefrau
Andreis, deren Exaltiertheit vom Countertenor Eric Jurenas (Hausdebüt) viele Lacher im Publikum hervorrief.
Zu einem der musikalischen Höhepunkte müssen die
beiden Liebesarien von Baron Tusenbach und Soljony an Irina zählen (Sequenz 1, Nr. 6 und 7). Hier glänzten der
Bassbariton Krešimir Stražanac sowie
der Bass Barnaby Rea. Unbedingt zu
erwähnen noch der Bariton Iain Mac Neil
als Werschinin mit seiner hinreißenden Liebeserklärung an Mascha, warm und
überzeugend schön, sowie Alfred Reiter
als die Amme Anfisa. Ein Bass von außerordentlicher Tiefe in harschem Kontrast
zu seiner Rolle.
Dorothea
Kirschbaum (Regie) ist mit ihrem Team um Ashley Martin-Davis (Bühnenbild: spartanisch einfach mit wechselnder Wohnküche und kargem Spielplatz), Michaela Barth (Kostüme: sehr gut
ausgedacht und auf die Charaktere zugeschnitten), Joachim Klein (Licht: effektvoll wie simpel zwischen rot – Feuer
und Soldaten – und weiß changierend), Christina
Becker (Video: die begleitenden Comic-Filmchen während der Traumszenen
waren ein echter Hingucker) und last but not least Nikolai Petersen und Dennis
Russell Davies (Musikalische Leitung: ihr Doppeldirigat gehörte zur Meisterleistung
der Synchronizität) und Mareike Wink
(Dramaturgie: ihre Moderationen und Interviews im Vorfeld der Premiere waren
beste Öffentlichkeitsarbeit) ein großer Wurf gelungen.
Was macht diese Oper so sehenswert? Ganz einfach:
Gehen sie hin und beurteilen sie selbst. Dieses tragisch-lethargische Drama ist
zugleich eine Komödie für Musik (Eötvös). Sie ist in nuce ein
existentialistisches Kreislauf-Erlebnis der Gegenwart. Peter Eötvös, zu Gast bei
der Frankfurter Erstaufführung, konnte dieser Inszenierung sicher vollkommen
zustimmen, wie auch das begeisterte Frankfurter Publikum
Nächste Termine: 12., 14., 20., 23., 30. September sowie 03. Oktober
Eine kleine Korrektur: für ERIC JURENAS war es das Hausdebüt an der Oper Frankfurt.
AntwortenLöschenSein Rollendebüt als Natasha hat Herr Jurenas bereits im März 2016 unter dem Dirigat von Peter Eötvös an der Wiener Staatsoper gegeben.
Hat auch jemand dirigiert an dem Abend??
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