Montag, 17. September 2018


Musikfest Atmosphères, 15.-30.09.2018

Daniel Behle (Tenor), Sveinung Bjelland (Klavier), Alte Oper Frankfurt, 16.09.2018

Sveinung Bjelland (Klavier), Daniel Behle (Tenor)
Fotos: Wonge Bergmann

Viel Atmosphäre im Rahmen von Atmosphères


Eine höchst atmosphärische Liedsoiree gelang da dem umtriebigen Tenor, Daniel Behle (*1974), mit überwiegend selten gehörten Liedern aus dem böhmisch-mährischen Umkreis des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Bereits im vergangenen Jahr mit einer beeindruckenden Bearbeitung von Schuberts Winterreise auf sich aufmerksam gemacht (im Rahmen des Frankfurter Musikfestes „Fremd bin ich …“), hatte er eigens für das Musikfest Atmosphères ein Programm mit Liedern von György Ligeti (1923-2006), Béla Bartók (1881-1945), Leos Janáček, Antonin Dvořák (1841-1904), Johannes Brahms (1833-1897) sowie einer Eigenkomposition zusammengestellt, das sich auf zuweilen steinigen und abseitigen Pfaden bewegte.


Experimentierfreudig ist er allemal, wenn er auch, wie er selbst sagt, der Avantgarde nicht viel abgewinnen kann und spätestens bei der Freitonalität hängen geblieben sei. So schaffte er es, so unterschiedliche Komponisten in Linie und Lyrik zusammenzuhalten und einen harmonischen Bogen zwischen dem spätromantischen Duktus eines Johannes Brahms (von ihm sang er acht Lieder aus op. 43, 47, 57, 86 und 105) und der eher spröden und „brutalen“ (O-Ton) Sprache eines Béla Bartók (aus: Dorfszenen SZ 78) herzustellen.

Bartóks Liederzyklus Dorfszenen (1924) beschreibt das bäuerliche Leben. Behle, begleitet von dem norwegischen Pianisten Sveinung Bjelland (*1970), singt sie kantig, in der typisch bulgarisch-ungarischen Rhythmik, die bis heute noch unter der sogenannten 'Zigeunermusik' firmiert, aber immer mit versierter Melodik und romantischer Expression. 
So lassen sich auch viele Gemeinsamkeiten zwischen Bartók und Ligeti herstellen. Die drei Gedichte des ungarischen Lyrikers Sándor Weöres-Dal vertonte der noch junge Komponist während seiner Studienzeit in Budapest 1946/47 (Drei Lieder nach Texten von Sándor Veress). Man spürt noch die Hand Bartóks, wenngleich schon Ansätze seiner späteren flächigen Strukturen, vor allem in Fruchttraube, hörbar sind.

Dvořáks Zigeunermelodien op. 55, verlegt 1880/81 vom Simrock-Verlag, bestehen aus sieben Liedern nach deutschen Texten des tschechischen Dichteres Adolf Heyduk. Sehr melodisch und eingängig. Vor allem das mittlere Als die alten Mutter stumm und still erinnert an Wiener Caféhaus Musik und galt auch viele Jahrzehnte als das beliebteste aus diesem Zyklus. Zwischen fröhlichem Reigen (Mein Lied ertönt), Brahmschen Intermezzi (Rings ist der Wald so stumm) und slawischen Tänzen (Reingestimmt die Saiten!) erfreuten sich diese Lieder schon bald nach ihrer Veröffentlichung größter Beliebtheit und trugen nicht unwesentlich zum internationalen Erfolg des Komponisten bei. 


Hier wie auch in den folgenden Brahms Liedern konnte Behle sein ausgeprägtes romantisches Talent in Stimme und Gestus voll zur Geltung bringen. Sein kongenialer Klavierpartner stand ihm in Poesie und Feingliedrigkeit da in Nichts nach.

v.l.: Daniel Behle Tenor), Carolin Löffler (Mezzosopran), Julie Grutzka, Maren Schwier, Ekaterina Aleksandrova

Ein Zyklus zwischen Kunstlied und Kammeroper


Nach einer kurzen Einlage zu Beginn des Zweiten Teils mit drei Eigenkompositionen nach Texten vom persischen Dichter Hafis (Drei-Hafis-Lieder), die Behle für das Dresdener Liedfestival 2016 verfasst hat, alle im Duktus der Spätromantik, folgte das Tagebuch eines Verschollenen (1917/18) von Leos Janáček. Im Stile eines szenischen Dramas handelt dieser zweiundzwanzig-teilige Zyklus von der verbotenen Liebe eines Paares und seiner Flucht vor den unüberwindbaren gesellschaftlichen Zwängen.

Allein die Besetzung ist ungewöhnlich. Behles Stimme (hier als Janek) wird durch das Zigeunermädchen Zefka (gesungen von der Mezzosopranistin Carolin Löffler) ergänzt (Sätze 9-11) und ein dreistimmiger Chor (Maren Schwier, Julie Grutzka, Ekaterina Aleksandrova) kommentiert engelhaft die Dialoge des Liebespaares. Die orchestrale Begleitung des Klaviers sowie das Solo in Satz 13 (die Beschreibung der Liebesnacht) lassen aus dem Liederzyklus durchaus eine Kammeroper erahnen.
Janáček, der die Idee dazu angeblich aus einem Zeitungsbericht gewonnen haben will, hat hier die mährische Volksmusik und eingebauten, romatypischen Cymbalklängen, mit großer Leidenschaft und Liebe zum einfachen Volk, in mitreißende Töne und Klänge verwandelt. Behle transformierte  hier seine außergewöhnliche Stimme in ein opernhaftes Drama der Gefühle, Verzweiflung, Zuversicht und Schicksalsergebenheit. Gemeinsam mit der Mezzosopranistin, deren kräftig-klare Stimme auch im Altbereich überzeugte, und dem himmlischen Dreigestirn zwischen hellem Sopran und warmer Mittellage, gehörte dieses Stück zum Besten des Abends und erhielt zu Recht langanhaltenden Applaus.

Spannend seine Zugabe: Ein Flügelschlag, von ihm selbst komponiert, aus der Zeit seines Studiums in Hamburg und der Feder seines Freundes und Dichtes Manfred Mühlbauer, gehörte wiederum zum Avanciertesten des Abends. Am Rande der Tonalität, mit heftigen, unaufgelösten Dissonanzen, passte es so gar nicht zu seinem romantischen Faible und war dennoch von großer Expressivität und wunderbarer Klangfülle.

Ein atmosphärischer Abend, mit selten gehörten Liedern von Ligeti, Bartók und Janáček sowie bekannten Ohrwürmern von Dvořák und Brahms und einigen bemerkenswerten Eigenkompositionen, dem es allerdings keinesfalls abträglich gewesen wäre, hätte man die Brahmschen Lieder gestrichen. Nicht wegen ihrer Qualität, sondern allein wegen der Überfülle der zusammengestellten Lieder und des besseren Bezugs zum diesjährigen Musikfest Atmosphères, das sich, wie beabsichtigt, an der gleichnamigen Komposition György Ligetis in die Suggestivkraft seiner fantastischen Klangwolken entlang hangeln möchte.    



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