Freitag, 28. September 2018


Musikfest Atmosphères, 15.-30.09.2018

hr-Sinfonieorchester spielt unter der musikalischen Leitung von Christoph Eschenbach (*1940) Werke von James Tenney, György Ligeti, Unsuk Chin, Anton Bruckner und John Cage, Alte Oper Frankfurt, 27.09.2018

Christoph Eschenbach, hr-Sinfonieorchester (Foto: hr/ Sebastian Reimold)



Kontrastierende Klang-Landschaften


Klangräusche mit atmosphärischen Höhepunkten bot dieser außergewöhnliche Konzertabend des hr-Sinfonieorchesters im Rahmen des Musikfestes Atmosphères. Mit Werken von James Tenney (1934-2006) Analog #1: Noise Study (1961), György Ligeti (1923-2006),  Atmosphères (1961), Unsuk Chin(*1961) Le Silence des Sirènes (2014), der 7. Sinfonie (1984) von Anton Bruckner (1824-1896) sowie der im Rahmen des Nach(t)konzerts aufgeführten Imaginary Landscape Nr. 4 (1951) von John Cage (1912-1992), wurde der gut besetzte Große Saal der Alten Oper mit kontrastierenden Klang-Landschaften, nicht unähnlich dem Wechsel von Klimazonen, erfüllt.


James Tenney, in den USA einer der ersten, der mit den Möglichkeiten des computergestützten Komponierens experimentierte, reüssierte quasi zeitgleich wie Ligeti mit seinem reinen Tonbandstück Analog #1: Noise Study (1961), das in den Bell Telephone Laboratories in New Jersey auf einem von Max Mathews entwickelten Computerprogramm MUSIC entstand. Ergebnis sind Geräusche, die Tenney auf seinen täglichen Autofahrten von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte wahrnahm, und zu einem viereinhalb-minütigen synthetischen Klangrauschen konzentrierte. Eingespielt über raumfüllende Lautsprecher-Boxen konnte man sich tatsächlich in Verkehrsgeräusche, Meeresrauschen und sogar eigene Tunneltraumata versetzt fühlen.

Erstaunlich, wie nah diese Produktion an György Ligetis Atmosphères angelehnt war. Geschickt leitete Christoph Eschenbach von den digitalen Bandeinspielungen zu den analogen Instrumenten des hr-Sinfonieorchesters über. Ligetis gigantische, an Wolkenkratzer erinnernde Partitur, die sich bis zu 87 Systemen auftürmt, und für ein Orchester mit mehr als einhundert Instrumentalisten gedacht ist, lässt einen Klangdonner biblischen Ausmaßes erwarten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die leisen Schichten dominieren. Es ist das flirrende Pianissimo, das Hauchen und tonlose Blasen, das Streicheln der Klaviersaiten und Schlagen der Trommeln mit weichen Tüchern, was den Charakter dieser Klangskulptur ausmacht. Auch wenn Tenneys synthetische Produktion, im Gegensatz zu Ligetis Klangfarbenspiel, das eine neue Ära der europäischen Musik einleitete, seinerzeit in seiner Heimat wenig Aufmerksamkeit erhielt, sind doch die Klangerlebnisse bei beiden Werken sehr ähnlich und man hätte kaum glauben mögen, wie wenig sich digital und analog erzeugte Klängen schon damals unterschieden.

Unsuk Chin hat bereits mit Gougalōn (20.09. mit dem Ensemble Modern) auf dem diesjährigen Musikfest auf sich aufmerksam gemacht. Als ehemalige Schülerin von Ligeti glänzt ihre Musik durch grelles Licht- und Farbenspiel. Immer angelehnt an Texte und Geschichten ist sie voller einfallsreicher Theatralik, klanglichen Finessen und einem Touch Ironie und Skurrilität.

Auch Le Silence des Sirènes für Sopran und Orchester gehört dazu. Marisol Montalvo, die amerikanische Sopranistin, charakterisierte es im Vorgespräch zu diesem Konzert, als „schizophrenes Stück, verrückt, mit einer zum Wahnsinn getriebenen Frau“. Und dies gelang ihr denn auch vollständig. Mit äußerst flexibler, sirenenreiner verführerischer Stimme rezitierte sie zwei Texte von James Joyce (Ulysses) und Homer (Odyssee), eine Wortmusik von ungeheurer Kraft und Brillanz. Dazu ihre performativen Aktivitäten, die in einem melodiösen Finale zwischen aufreizender Schönheit und zerstörerischer Energie gipfelten. Drei unglaublich hohe Töne leiteten das Schweigen der Sirenen ein. Ist es das Ende des Schreckens oder der kafkaeske Schrecken ohne Ende? Ein kleiner Wermutstropfen war die Lautstärke des Orchesters, die den betörenden Sirenengesang mitunter unhörbar werden ließ.

Marisol Montalvo, Christoph Eschenbach, hr-Sinfonieorchester (Foto: hr/Sebastian Reimold)

Ein Bruckner ganz im Geiste Wagners


Die 7. Sinfonie von Anton Bruckner wirkte auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper und ließ vermuten, dass man dem konservativen Interesse vieler Abonnementsgäste entgegenkam. Allerdings machte der riesige Klangkörper unter dem Dirigat Christoph Eschenbachs aus dieser, ganz im Geiste Wagners gestalteten Sinfonie, ein spätromantisches Klangerlebnis von grandioser Ruhe und aufwühlender Dämonie, das dem Klangfarbenspiel der zeitgenössischen Kompositionen zumindest einen Gegenpol bot.

Viel Tristan und Isolde und Meistersinger im ersten Satz, Anleihen aus Tannhäuser und dem Ring im Adagio, dazu vier Wagner-Tuben und viel Horn und Blech, aber auch ein Bruckner-typisches Scherzo mit auf- und absteigenden Trompetensignalen - ein Gefühl wie im Vorhof der Hölle - und einem Finale, in Reminiszenz des Kopfsatzes, mit einem ins Mark gehenden Unisonoteils von größtmöglicher Energie, machten es verständlich, dass die Siebente den späten Durchbruch Bruckners in der damaligen Musikwelt einleitete.

Eschenbach dirigierte ohne Partitur, sparsam und mit großer Aufmerksamkeit für das Detail. Seine Stärke sind eher die leisen Töne. Das Gewaltige, Stürmische liegt ihm weniger, was den zeitgenössischen Stücken entgegenkam, dem Bruckner allerdings etwas mehr zu vergönnen gewesen wäre. Der Beifall war herzlich aber distanziert.

Zufall oder nicht?


John Cages Imaginary Landscape Nr. 4 (insgesamt hat er fünf davon komponiert) versetzte das Rest-Publikum zurück in die Welt der Moderne: ein Sprung ins kalte Wasser, von der Romantik in die Landschaft der technischen Geräusche von 12 Transistorradios mit 24 Musikern, wovon 12 die Radiowellen bedienen und zwölf die Lautstärke und Klangfarbe regulieren. Nach dem Zufallsprinzip des I-Ging erstellte Cage eine Graphik mit 64 Möglichkeiten der Tempi, der Schichtungen, der Dauern, der Aggregate (Verbindungen) und der Lautstärken.

1951 in New York unter der Leitung des Komponisten mit wenig Erfolg uraufgeführt, besteht es aus Momentaufnahmen verschiedener Radiosender, die von den jeweils stattfindenden Programmen abhängen. Mit anderen Worten: Jede Vorstellung ist notgedrungen unterschiedlich. Unter der Leitung des Flötisten Thaddeus Watson (Mitglied des hr-Sinfonieorchesters) hörte man tatsächlich mehr Rauschen als Ton-, Wort- oder Gesangssplitter. Dann allerdings – Soprangesang und ein Schlagerfetzen. Mit „17 Grad in Nordhessen“ endete unter befreiendem Gelächter das sieben-minütige Spektakel. Nach wie vor gehört John Cage zu den Komponisten, die noch Fragezeichen in die herrschende Musikkultur setzen.

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