Musikfest Atmosphères, 15.-30.09.2018
hr-Sinfonieorchester
spielt unter der musikalischen Leitung von Christoph
Eschenbach (*1940) Werke von James Tenney, György Ligeti, Unsuk Chin, Anton
Bruckner und John Cage, Alte Oper Frankfurt, 27.09.2018
Christoph Eschenbach, hr-Sinfonieorchester (Foto: hr/ Sebastian Reimold) |
Kontrastierende Klang-Landschaften
Klangräusche mit atmosphärischen Höhepunkten bot dieser außergewöhnliche Konzertabend des hr-Sinfonieorchesters im Rahmen des Musikfestes Atmosphères. Mit Werken von James Tenney (1934-2006) Analog #1: Noise Study (1961), György Ligeti (1923-2006), Atmosphères (1961), Unsuk Chin(*1961) Le Silence des Sirènes (2014), der 7. Sinfonie (1984) von Anton Bruckner (1824-1896) sowie der im Rahmen des Nach(t)konzerts aufgeführten Imaginary Landscape Nr. 4 (1951) von John Cage (1912-1992), wurde der gut besetzte Große Saal der Alten Oper mit kontrastierenden Klang-Landschaften, nicht unähnlich dem Wechsel von Klimazonen, erfüllt.
James
Tenney, in den USA einer der ersten, der mit den
Möglichkeiten des computergestützten Komponierens experimentierte, reüssierte
quasi zeitgleich wie Ligeti mit seinem reinen Tonbandstück Analog #1: Noise Study (1961), das in den Bell Telephone Laboratories
in New Jersey auf einem von Max Mathews entwickelten Computerprogramm MUSIC entstand.
Ergebnis sind Geräusche, die Tenney auf seinen täglichen Autofahrten von seiner
Wohnung zur Arbeitsstätte wahrnahm, und zu einem viereinhalb-minütigen synthetischen
Klangrauschen konzentrierte. Eingespielt über raumfüllende Lautsprecher-Boxen
konnte man sich tatsächlich in Verkehrsgeräusche, Meeresrauschen und sogar eigene
Tunneltraumata versetzt fühlen.
Erstaunlich, wie nah diese Produktion an György Ligetis Atmosphères angelehnt war. Geschickt leitete Christoph Eschenbach von den digitalen Bandeinspielungen zu den
analogen Instrumenten des hr-Sinfonieorchesters über. Ligetis gigantische, an
Wolkenkratzer erinnernde Partitur, die sich bis zu 87 Systemen auftürmt, und
für ein Orchester mit mehr als einhundert Instrumentalisten gedacht ist, lässt
einen Klangdonner biblischen Ausmaßes erwarten. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Die leisen Schichten dominieren. Es ist das flirrende Pianissimo, das Hauchen
und tonlose Blasen, das Streicheln der Klaviersaiten und Schlagen der Trommeln mit weichen Tüchern, was den Charakter dieser
Klangskulptur ausmacht. Auch wenn Tenneys synthetische Produktion, im Gegensatz
zu Ligetis Klangfarbenspiel, das eine neue Ära der europäischen Musik
einleitete, seinerzeit in seiner Heimat wenig Aufmerksamkeit erhielt, sind doch die Klangerlebnisse
bei beiden Werken sehr ähnlich und man hätte kaum glauben mögen, wie wenig sich
digital und analog erzeugte Klängen schon damals unterschieden.
Unsuk
Chin
hat bereits mit Gougalōn (20.09. mit
dem Ensemble Modern) auf dem diesjährigen Musikfest auf sich aufmerksam gemacht.
Als ehemalige Schülerin von Ligeti glänzt ihre Musik durch grelles
Licht- und Farbenspiel. Immer angelehnt an Texte und Geschichten ist sie voller
einfallsreicher Theatralik, klanglichen Finessen und einem Touch Ironie und Skurrilität.
Auch Le
Silence des Sirènes für Sopran und Orchester gehört dazu. Marisol Montalvo, die amerikanische Sopranistin,
charakterisierte es im Vorgespräch zu diesem Konzert, als „schizophrenes Stück,
verrückt, mit einer zum Wahnsinn getriebenen Frau“. Und dies gelang ihr denn
auch vollständig. Mit äußerst flexibler, sirenenreiner verführerischer Stimme
rezitierte sie zwei Texte von James Joyce (Ulysses) und Homer (Odyssee), eine
Wortmusik von ungeheurer Kraft und Brillanz. Dazu ihre performativen Aktivitäten,
die in einem melodiösen Finale zwischen aufreizender Schönheit und
zerstörerischer Energie gipfelten. Drei unglaublich hohe Töne leiteten das
Schweigen der Sirenen ein. Ist es das Ende des Schreckens oder der kafkaeske Schrecken
ohne Ende? Ein kleiner Wermutstropfen war die Lautstärke des Orchesters, die
den betörenden Sirenengesang mitunter unhörbar werden ließ.
Marisol Montalvo, Christoph Eschenbach, hr-Sinfonieorchester (Foto: hr/Sebastian Reimold) |
Ein Bruckner ganz im Geiste Wagners
Die 7.
Sinfonie von Anton Bruckner wirkte auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper
und ließ vermuten, dass man dem konservativen Interesse vieler Abonnementsgäste
entgegenkam. Allerdings machte der riesige Klangkörper unter dem Dirigat Christoph Eschenbachs aus dieser, ganz
im Geiste Wagners gestalteten Sinfonie, ein spätromantisches Klangerlebnis von
grandioser Ruhe und aufwühlender Dämonie, das dem Klangfarbenspiel der
zeitgenössischen Kompositionen zumindest einen Gegenpol bot.
Viel Tristan
und Isolde und Meistersinger im
ersten Satz, Anleihen aus Tannhäuser
und dem Ring im Adagio, dazu vier Wagner-Tuben und viel Horn und Blech, aber auch
ein Bruckner-typisches Scherzo mit
auf- und absteigenden Trompetensignalen - ein Gefühl wie im Vorhof der Hölle - und einem Finale, in Reminiszenz des Kopfsatzes,
mit einem ins Mark gehenden Unisonoteils von größtmöglicher Energie, machten es
verständlich, dass die Siebente den späten
Durchbruch Bruckners in der damaligen Musikwelt einleitete.
Eschenbach dirigierte ohne Partitur, sparsam und mit
großer Aufmerksamkeit für das Detail. Seine Stärke sind eher die leisen Töne.
Das Gewaltige, Stürmische liegt ihm weniger, was den zeitgenössischen Stücken
entgegenkam, dem Bruckner allerdings etwas mehr zu vergönnen gewesen wäre. Der Beifall
war herzlich aber distanziert.
Zufall oder nicht?
John Cages Imaginary
Landscape Nr. 4 (insgesamt hat er fünf davon komponiert) versetzte das Rest-Publikum
zurück in die Welt der Moderne: ein Sprung ins kalte Wasser, von der Romantik in
die Landschaft der technischen Geräusche von 12 Transistorradios mit 24
Musikern, wovon 12 die Radiowellen bedienen und zwölf die Lautstärke und
Klangfarbe regulieren. Nach dem Zufallsprinzip des I-Ging erstellte Cage eine
Graphik mit 64 Möglichkeiten der Tempi, der Schichtungen, der Dauern, der
Aggregate (Verbindungen) und der Lautstärken.
1951 in New York unter der Leitung des Komponisten
mit wenig Erfolg uraufgeführt, besteht es aus Momentaufnahmen verschiedener
Radiosender, die von den jeweils stattfindenden Programmen abhängen. Mit
anderen Worten: Jede Vorstellung ist notgedrungen unterschiedlich. Unter der
Leitung des Flötisten Thaddeus Watson
(Mitglied des hr-Sinfonieorchesters) hörte man tatsächlich mehr Rauschen als Ton-,
Wort- oder Gesangssplitter. Dann allerdings – Soprangesang und ein Schlagerfetzen.
Mit „17 Grad in Nordhessen“ endete unter befreiendem Gelächter das sieben-minütige
Spektakel. Nach wie vor gehört John Cage zu den Komponisten, die noch
Fragezeichen in die herrschende Musikkultur setzen.
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