Musikfest Atmosphères, 15.- 30.09.2018
Bamberger
Symphoniker mit Frank
Peter Zimmermann (Violine) und
das Quartett der Kritiker, Alte Oper
Frankfurt, 30.09.2018
v.l.: Joachim Mischke, Eleonore Büning (Moderation), Susanne Benda, Max Nyffeler (Foto: Wonge Bergmann) |
Atmosphères-Aufnahmen in der Musikkritik
Zum Abschluss des Musikfestes belichtete das Quartett der Kritiker mit Susanne Benda (Stuttgarter Nachrichten), Eleonore Büning (freie Journalistin), Max Nyffeler (NZZ) und Joachim Mischke (Hamburger Abendblatt), noch einmal berühmte Schallplatten und CD-Aufnahmen von György Ligetis Atmosphères (1961). Alle vier gehören als Fach-Juroren dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik e.V. an, einer Instanz von 156 Musikkritikern, die seit ihrer Gründung im Jahre 1980 neu erschienene Einspielungen sichtet und bewertet.
Von Atmosphères
gibt es seit seiner Uraufführung (1961) in Donaueschingen unter Hans Rosbaud insgesamt
16 Einspielungen, wovon sie im Albert-Mangelsdorff-Saal der Alten Oper acht
vorstellten, darunter das Original von Hans Rosbaud, erst 1964
veröffentlicht, die Aufnahme mit Ernest Bour und dem SWF-Sinfonieorchester
(1966) sowie diejenigen von Leonard Bernstein mit den New Yorker Sinfonikern
(1964, US-amerikanische EA), Jonathan Nott mit den Berliner Symphonikern (2001),
Claudio Abbado mit den Wiener Philharmonikern (1988) und David Afkham mit dem
Gustav Mahler Jugendorchester (2010).
Ein etwas unstrukturiertes Gespräch (Moderation:
Eleonore Büning), der Werkabsicht des Komponisten wohl angemessen, machte die
Kluft zwischen Regieanweisung des Komponisten und musikalischer Interpretation
deutlich. 'Unmerklich und süßest sollen die Töne ausfranzen. Einzelstimmen
nicht identifizierbar sein', so sinngemäß Ligeti. Aber nur zwei der Aufnahmen
konnten diesem Anspruch halbwegs gerecht werden. Das Original von Hans Rosbaud
und die CD von Jonathan Nott, die Max Nyffeler mit den polychromen Gemälden von
Hans Richter verglich.
Dagegen wichen diejenigen von Leonard Bernstein und
Claudio Abbado extrem ab. Benda nannte letztere „Wienerisch nett“ und für Büning
war Bernsteins Schallplatte schlicht eine „Showtime“, sehr expressiv, pathetisch.
Alle vier waren sich darin einig, dass die Interpretationen von Abbado und
Bernstein am wenigsten die „Auflagen“ Ligetis erfüllten. David Afkham wiederum
lag dazwischen. Benda lobte seine Akkordik, die „wie Stelen emporragen“. Auch Nyffeler
konnte dessen Schlusspassage überzeugen: vor allem das „exakte Decrescendo und
der langgezogene Nachhall auf den Klaviersaiten bis zur Stille von nahezu 19
Sekunden“.
Zeitgründe zwangen zu einer sehr verkürzten Schlussdiskussion
über die Frage: Was hat Atmosphères
in der Musikwelt eigentlich verändert? Benda sah darin eine Wiederentdeckung
der Sinnlichkeit, Mischke hielt sie für einen Türöffner für neue musikalische
Ideen und Nyffeler stellte fest, dass mit Atmosphères
der Klang mit der Struktur gleichgesetzt wurde und sowohl den Serialismus, die
elektronische Musik als auch die Pop-Musik enorm bereichert habe.
Das Musikfest 2018 zeigte in vielen Beiträgen,
welchen Einfluss dieses Schlüsselwerk der Moderne auf die zeitgenössische
Musikproduktion genommen hat.
vorne v.l.: Jakub Hrůša (Dirigent), Frank Peter Zimmermann (Solovioline), Mitglieder der Bamberger Symphoniker (Foto: Wonge Bergmann) |
Eine Zeitreise in die osteuropäische Musikkultur
Mit Atmosphères
begann auch das Konzert im Großen Saal der Alten Oper. Ein letztes Mal
erklang das dem Musikfest 2018 titelgebende Werk mit den Bamberger Symphonikern
unter der Leitung ihres Chefdirigenten Jakub
Hrůša. Seine Interpretation lag zwischen Bernsteins 'Showtime' und Afkhams
standfester Statik, klar aufgegliedert mit herausstechenden Instrumenten (Posaunen,
Streicher, Flöten). Zeitlich auf kaum sieben Minuten gestaucht (neun bis 10 Minuten
sind eher üblich) wirkte dieses Stück weniger wie ein glatte Wasseroberfläche mit
säuselndem Wind als vielmehr wie ein aufgewühltes Meer mit heftigen Böen.
Frank
Peter Zimmermann nahm das Publikum mit auf eine böhmisch-ungarische
Reise. Mit dem selten gespielten Konzert
für Violine und Orchester Nr. 1 (1932-1934) von Bohuslav Martinů
(1890-1959), zunächst verschollen und erst 1973 mit dem Chicago Symphony
Orchestra unter George Solti und Josef Suk (Violine) uraufgeführt, zeigte
Zimmermann eindrucksvoll die gesamte Palette der Griff- und Streichkunst auf der
Stradivari von 1711 („Lady Inchiquin“). Im neoklassischen Stil war seine
gesamte Motorik gefordert. Ob treibend, tänzerisch und feurig im Allegro des Kopfsatzes, melodiös und
volksnah im Andante oder kämpferisch im
Schlachtgetümmel mit Marschmusik, Militärtrommel und wilden Tanzeinlagen im
abschließenden Attacca: Allegretto: Zimmermann
beherrschte Rhythmus, Ausdruck und Technik mit spielerischer Leichtigkeit. Man
spürte förmlich seine Freude am Spiel und seine Verbundenheit mit dem Orchester
und dem Dirigenten. Immer entspannt und lächelnd aber dennoch höchst
konzentriert und exakt.
Seine Zugabe, Melodia
aus Béla Bartóks Violinsonate (Sz
117) mit Vogelgezwitscher, Tremolos und dreistimmigen Passagen, geriet zu einer
Arie von eleganter Schönheit. Langer und herzlicher Applaus entließ einen Ausnahmekünstler
auf der Violine.
Ein Naturschauspiel aus den böhmisch-mährischen
Wäldern sollte die Große Suite aus der
Oper Das schlaue Füchslein (1922/23) von Leos Janáček
(1854-1928) werden. Ein „tschechischer Sommernachtstraum“, den Jakub Hrůša nach
der Vorlage der Oper zu einer erlebnisreichen Geschichte zusammengefügt hat. Er
selbst bezeichnet sie als eine „Liebeserklärung an die hinreißende Oper“, die
Trauer und Freude, Melancholie und Unheimliches miteinander verbindet. In zwei
großen Blöcken mit 23 Szenen erzählt sie von dem Zauber des Waldes, vom Förster
und dem Füchslein, von Freundschaft und Gefangenschaft und dem bösen,
unglücklichen Ende des Füchsleins.
Mit großem Instrumentarium, transparenter Klarheit
und musikalischer Leichtigkeit, mit gewaltigen Akkorden, flimmernder Luft und aufreizendem
Vogelgeschrei, mit Traumbildern, Waldesrauschen und Ballettszenen: Die Suite ist
eine Herausforderung für Orchester und Dirigent gleichermaßen. Hrůša verstand
es prächtig, seine Bamberger Symphoniker auf die gut 55-minütige Reise in das musikalische
Reich von Janáčeks eigentümlicher Polyphonie und slawischer Rhythmik mitzunehmen.
Die Zugabe, der Ungarische
Tanz Nr. 21 (1880) von Johannes Brahms, bearbeitet für Orchester von Antonin
Dvorák, ein kurzes knackiges Bravourstück, ließ noch einmal die ungeheure
Affinität des Orchesters zur slawischen Musik erkennen.
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