Dienstag, 23. Oktober 2018


49. Deutsches Jazz Festival Frankfurt , 22. und 25.-28.10 2018

Albert Mangelsdorff  zum 90.: Hut ab! Eröffnungskonzert in der Alten Oper Frankfurt, 22.10.2018


49. Deutsches Jazzfestival Frankfurt: hr-Bigband mit Jim McNeely (Mitte) und Nils Wogram (links, mit Posaune)
Foto: Hessischer Rundfunk

Weltmeister oder Vorsitzender? Nein!  Eine Lichtgestalt


Er war der ungekrönte Weltmeister auf der Posaune, meinte zumindest einmal Jazzgitarrist und Wegbegleiter, Volker Kriegel (1943-2003). Oder war er eher der Vorsitzende aller deutscher Jazzmusiker, wie ihn der Jazzmusiker, Komponist und Autor, Ernst-Ludwig Petrowsky (*1933), titulierte? Beide Bezeichnungen lehnte Albert Mangelsdorff (1928-2005) strikt ab. Unbestritten war er der deutsche Botschafter in Sachen Jazz, Deutschlands bekanntester und wohl auch beliebtester Jazzposaunist der Nachkriegszeit, eine Lichtgestalt, in dessen Schatten zwar die meisten seiner Zunft agierten, aber dennoch von seinem Vorbild, seiner Kollegialität und seinem uneigennützigen politischen und sozialen Engagement profitierten.


Albert Mangelsdorff (1928-2005) tat das, was er am besten konnte, und das tat er auf unvergleichliche Weise mit seiner ganz eigenen Interpretation der Jazzmusik. Unverwechselbar und solitär sein Spiel mit Multiphonics, ein spezielles Anblasen des Instruments mit gleichzeitigem Singen in das Mundstück, sowie seine Inside-Outside Improvisationen, ein Wechselspiel zwischen Harmonien und Disharmonien. Mangelsdorff über sich selbst: „Der Jazzmusiker muss seine Umwelt reflektieren. Ich wollte immer ich selbst sein und habe gemacht, was ich für richtig hielt. Für meine Musik heißt das, dass ich mich selbst spiele.“

In der nahezu vollbesetzten Alten Oper Frankfurt traf sich zum Auftakt des 49. Jazzfestivals Frankfurt die Creme der zeitgenössischen Jazzposaunisten, wie Stefan Lottermann, Nils Wogram, Samuel Blaser und Günther Bollmann, einige Weggefährten wie Christoph Lauer (Saxophone), Joachim Kühn (Piano) und Pierre Favre (Schlagzeug), dazu Bruno Chevillon am Kontrabass, Tom Schlüter am Klavier, Daniel Humair an den Drums und vor allem die hr-Bigband unter der Leitung von Jim McNeely. Ein dreistündiges Feuerwerk unter dem Motto: Hut ab! Für Albert Mangelsdorff.

Gleich zu Anfang eine Eröffnungsfanfare der vier Posaunisten, die unter die Haut ging. Der Trombone workshop, ein Septett mit vier Posaunen, Klavier, Bass und Drums, spielte Servant Duty aus dem Bereich des Cool-Jazz, ein Tribut an Albert, das mit einem Posaunen-Schlagzeug-Duo (Wogram/Favre) gleich seinen ersten Höhepunkt erfuhr. Multiphonics wechselten mit treibender aber sensibler und einfühlsamer Perkussion. Ein perfektes Zusammenspiel.

Mit dem Trio Triplicitiy (Blaser/Favre/Chevillon) kam der gute alte Free-Jazz zu seinem Recht. Eine Mischung aus rhythmischer Komplexität und Virtuosität nach dem Muster einer Eingangsmotivik, um die herum heftig improvisiert wird, um schlussendlich wieder am Anfang anzukommen. Alles sehr professionell, halteben cool und distanziert.

Als Hut ab!-Gruppe fungierte dann das Quintett Lauer/Lottermann/Kühn/Chevillon/Humair. Es zollte mit drei Stücken Along Gate, Beat Sony und Hut ab ihre Reverenz an Albert Mangelsdorff. Aus einfacher Motivik, Pentatonik, klassischer Thematik und witzigen Einfällen (Humair spielt mit Bogen und Kanten) zauberten die Magiere an ihren Instrumenten mal bluesige und rockige Passagen wie in Beat Sony, mal extrem pochende Free-Elemente wie in Alone Gate, oder Groove und Swing in Hut ab auf die Bühne. Alles schon irgendwie mal gehört, aber alles mit großer Routine, feinster Technik und professionellem Zusammenspiel von fünf Ausnahmesolisten präsentiert. Allein der Funke wollte nicht so recht überspringen.


v.l.n.r.: Nils Wogram, Stefan Lottermann, Günter Bollmann, Samuel Blaser  (Foto: Hessischer Rundfunk)


Der Geist Mangelsdorffs schwebte über der hr-Bigband


Die hr-Bigband markierte das Highlight dieses Eröffnungskonzert. Dabei hatte sich McNeely eine geniale Idee zu Eigen gemacht. Er nahm sich das legendäre Konzert der Berliner Jazz-Tage am 06. November 1976 mit Albert Mangelsdorff (Posaune), Jaco Pastorius (Bassgitarre) und Alphonse Mouzon (Drums) vor (verewigt im MPS-Album Trilogue und auf YouTube anzuhören und zu sehen), arrangierte die fünf Stücke für großes Jazzorchester und präsentierte sie mit Nils Wogram an der Posaune und der hr-Bigband eigens für diesen denkwürdigen Abend dem Publikum sowie der Öffentlichkeit (das Konzert wurde im hr 2 vollständig übertragen).

Einfache Motive und simple Themenbildung, wie sie Mangelsdorff bevorzugte, dominierten das Gesamtbild, immer aber sehr virtuos ausgesponnen, wie in Trilogue (Nr. 1) oder in Ant Step on an Elefant Toe (Nr. 5), vertrackt gruppiert wie in Accidental Meeting (Nr. 4) oder rhythmisch variiert wie in Foreign Fun (Nr. 3).

Der Geist Mangelsdorffs schwebte über der Bigband, die unter der Führung McNeelys perfekt harmonierte und einen großartigen Counterpart zum Solisten, Nils Wogram, bildete. Wogram betonte in einer kurzen Zwischenrede seine ausgesprochene Affinität zu Mangelsdorff und seiner musikalischen wie sozialen Haltung. Jedenfalls waren seine eigenwilligen Soloeinlagen, seine Multiphonics und inside-Outside Impros, alles andere als der Versuch einer Imitation seines Vorbilds. Wogram kreierte vielmehr einen eigenen Stil und gehört damit durchaus zu jenen, die das Vermächtnis des großen Albert Mangelsdorff weiterführen und weiterentwickeln.

Hut ab! – für dieses Konzert. Ein würdiges Tribut an einen Titan der Jazzmusik. Nicht alles glänzte, Vieles hatte Patina angesetzt, aber Einiges, vor allem die hr-Bigband mit Nils Wogram, ließ den Jazz doch noch vor Lebendigkeit strotzen. Man darf auf die kommenden Festivaltage gespannt sein.


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