Donnerstag, 25. Oktober 2018


Ensemble Modern und Neue Vokalsolisten Stuttgart, Alte Oper Frankfurt, 24.10.2018

Video aus Ballett für Eleven (2018) von Brigitta Muntendorf (Foto: Donaueschinger Musiktage)


Zwischen Pragmatismus und Idealismus


Drei Frankfurter Erstaufführungen, direkt aus einem der Zentren für Neue Musik, dem beschaulichen Donaueschingen, importiert, erwarteten das Publikum im vollbesetzten Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt: D´Amore (2018) vom Franco-Argentinier Oscar Strasnoy (*1970); ein Konzert für Viola D´amore (Garth Knox) und Ensemble, HEY (2018) von Isabel Mundry (*1963) für Stimmen und Ensemble sowie Ballett für Eleven (2018) von Brigitta Muntendorf (*1982) für elf Musiker, Videoprojektionen und Elektronik.

Alle drei Stücke changierten zwischen Pragmatismus und Idealismus, zwischen politischem Anspruch und reinem L´art pour L´art. Oscar Strasnoy befragte in seinem Werk gängige Geschlechterrollen und wählte dazu eine Mischung aus barockem Soloinstrument, eine Viola D´amore, und einem modernen Ensemble, 18 Instrumentalisten. Eine Reise durch acht „Klischees der Liebe“, wozu Schallplatteneinspielungen, japanische Nō-Gesänge, Werbeclips und Datings gehörten. Die vom Schotten, Garth Knox, herrlich gespielte, mit reichlich Obertönen bereicherte, vierzehnsaitige Viola D´amore, repräsentierte den weiblichen, während das Ensemble den männlichen vertrat, dabei aber nicht den kontrastierenden Part, sondern eher die Inspirationen des Soloinstruments erweiterte und ergänzte. Ein Zusammenspiel, das an hin und her geschlagene Bälle, mitunter an Morsezeichen erinnerte, immer aber in kreisförmigen Schleifen aufzugehen schien. 

Hervorragend der Klang der Viola D´amore, eine hinreißend verführerische Kadenz vom Solisten, ein androgynes Duett zwischen Knox auf der barocken vierzehn saitigen und Megumi Kasakawa auf der modernen viersaitigen Bratsche sowie witzige wie auch befremdliche Einspielungen der Vinylplatten. Dennoch hatte das Stück Längen und konnte seinem Anspruch, die Polyphonie der Welt musikalisch umzusetzen, weitgehend nicht gerecht werden. Wie sagte doch der Komponist mit einem verschmitzten Lächeln im Vorgespräch mit Björn Gottstein: „Alles in der Liebe wiederholt sich“, so auch die Musik, die dabei leider in weiten Teilen doch einschläfernde Wirkung erzeugte.

Sehr politisch und idealistisch wollte dagegen Isabel Mundry mit ihrem neuen Werk HEY verstanden werden. Als Grundlage diente ihr dabei der Amoklauf in München im Jahre 2016 (neun Tote) und dabei besonders der Dialog zwischen dem Attentäter und einem Anwohner, das, millionenfach auf YouTube angeklickt, auf die Komponistin derart verwirrend wirkte, dass sie es musikalisch verarbeiten musste.

Mundrys stark gekürztes Werk (statt ursprünglich 35 jetzt nur noch 15 Minuten) will die Absurdität des Zwiegesprächs, den Leerraum der Sprachlosigkeit, aber auch die gewalttätige Sprache in rhythmische Formeln und spezielle Klangartikulationen umsetzen. Sie selbst spricht von Neuland, das sie beackert. Sie suche nicht mehr nach Ausdruck, sondern nach Abdruck, ohne genau zu wissen, wie sich das musikalisch umsetzen lässt.

Sie hat sich für einen Chor (hier die ausgezeichneten Neue Stuttgarter Vocalsolisten), Tonbandeinspielungen, E-Gitarre (Prof. Christopher Brandt) und elektronische Verzerrer entschieden, wobei der Chor die Stimme des Anwohners und das Tonband die des Amokläufers übernimmt.
Das Ensemble schwankte zwischen tonlosem Blasen, Gestöhne und Aufbrausen. Ein ständiges Crescendo bis zum Gebrüll begleitete Satzfetzen wie „Wer bist du Alter? oder „Was machst du für´n Scheiß“ und Wörter wie „Arsch“ oder „Kacke“.

Die langen Pausen zwischen den Sprechfetzen sind es, die Mundry interessieren. Sie sollen gesellschaftliche Realität widerspiegeln, eine Realität, die sie in fremde Klanglichkeit in einer befremdlichen Situation umsetzen möchte. Abgesehen davon, dass die Auswahl des Dialogs nicht sonderlich überzeugen konnte (ein Ausnahmedialog in einer höchst aufgeheizten und unübersichtlichen Situation mit anschließendem Suizid des Amokläufers, der wohl kaum verallgemeinerbar ist), hinterließ die Musik weniger einen beabsichtigten „Abdruck“ als vielmehr eine beängstigende Aneinanderreihung von extremen Crescendi über alle Instrumente verteilt, die den Hörer (oder Höreindruck?) arg auf die Probe stellten. Was Abdruck ist oder sein soll, blieb auch nach dieser Aufführung im Dunkeln.

Der Künstler als Zombie?


Der Körper als Projektionsfläche war Thema von Brigitta Muntendorfs Ballett für Eleven. Elf Musiker des Ensemble Modern verwandelten sich zu Zombie-ähnlichen Figuren, mit weißhaariger Perücke, blind und stumm, hinkend und schwankend und verformten Körpern. Echt auf der Bühne sowie auf Video projiziert (Kostüme: Sita Messer, Video: Andreas Huck und Roland Nebel).

Eine Performance, die eher Fragen aufwarf als welche zu beantworten. Projektionen als Korsett, als Feindbilder, als Erwartung an den Künstler? Tatsächlich war man in weiten Teilen an Michael Jacksons Thriller, ein Musikvideo von 1983, erinnert, ein Meilenstein des Horrors und der Werwölfe mit unglaublich guter Rockmusik und perfekter Tanzperformance. Hier allerdings wirkte alles irgendwie halbherzig und blieb in Vielem einfach in den Anfängen stecken, einschließlich fehlendem Ballett, unausgegoren. 
Musikalisch mit Rockeinlagen, eine Waldszene mit Paar, ganz im Fahrwasser von Thriller (es fehlten lediglich die Gräber), Gesangseinlagen, eher Katzengejammer, mit dem Text „Für immer und ewig“, dazwischen  herrlich skurrile Videoeinblendungen der Ensemblemitglieder mit Cheerleader-Pompons (die Lacher blieben da nicht aus), eine Groteske mit einem selbst ernannten Dirigenten, der den sprichwörtlichen Takt vorgab: „Heute bin ich der Chef!“ sowie viel Nebel und Stöhnen. Am Schluss der Song: „I´m in love with you“, eine Allerweltslyric, die mit einem „I´m sorry“-Ritornell, zum Viervierteltakt verwandelt, mit Martinshorn zum Finale führte. Diffuse Dunkelheit allüberall –  wie zu Anfang.

30 Minuten lang stellte sich denn doch die Frage: Für wen und für was tun sie das? Musikalisch eher dünn und einfallslos und in der Performance weitgehend unbeholfen. Sehr mutig allerdings das Ensemble Modern, viel Gelächter im Publikum und wenig von dem umgesetzt, was die Komponistin bzw. die Komposition versprochen hat.

Ein insgesamt durchwachsener Abend mit Werken, wo Ideal und kompositorische Praxis kaum zusammenkamen. Werke, die durchaus noch den Status des work in progress einnehmen sowie einem Ensemble Modern (eingeschlossen die Neue Vocalsolisten aus Stuttgart), dass sich wirklich unglaublich flexibel zeigte, dabei aber gewisse Grenzen nicht überschreiten sollte. Nicht zu vergessen der Dirigent, Bas Wiegers, der mit tänzerischem Elan und aufmunternden Gesten durch die zum Teil vertrackten Partituren führte. Das Publikum dankte es mit freundlichem Beifall.

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