Ensemble
Modern und Neue Vokalsolisten
Stuttgart, Alte Oper Frankfurt, 24.10.2018
Video aus Ballett für Eleven (2018) von Brigitta Muntendorf (Foto: Donaueschinger Musiktage) |
Zwischen
Pragmatismus und Idealismus
Drei Frankfurter Erstaufführungen, direkt aus einem
der Zentren für Neue Musik, dem beschaulichen Donaueschingen, importiert,
erwarteten das Publikum im vollbesetzten Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt: D´Amore (2018) vom Franco-Argentinier Oscar Strasnoy (*1970); ein Konzert für
Viola D´amore (Garth Knox) und Ensemble,
HEY (2018) von Isabel Mundry (*1963) für Stimmen und Ensemble sowie Ballett für Eleven (2018) von Brigitta Muntendorf (*1982) für elf
Musiker, Videoprojektionen und Elektronik.
Alle drei Stücke changierten zwischen Pragmatismus
und Idealismus, zwischen politischem Anspruch und reinem L´art pour L´art. Oscar Strasnoy befragte in seinem Werk
gängige Geschlechterrollen und wählte dazu eine Mischung aus barockem Soloinstrument,
eine Viola D´amore, und einem modernen Ensemble, 18 Instrumentalisten. Eine
Reise durch acht „Klischees der Liebe“, wozu Schallplatteneinspielungen, japanische
Nō-Gesänge, Werbeclips und Datings gehörten. Die vom Schotten, Garth Knox, herrlich gespielte, mit
reichlich Obertönen bereicherte, vierzehnsaitige Viola D´amore, repräsentierte
den weiblichen, während das Ensemble den männlichen vertrat, dabei aber nicht
den kontrastierenden Part, sondern eher die Inspirationen des Soloinstruments
erweiterte und ergänzte. Ein Zusammenspiel, das an hin und her geschlagene Bälle,
mitunter an Morsezeichen erinnerte, immer aber in kreisförmigen Schleifen
aufzugehen schien.
Hervorragend der Klang der Viola D´amore, eine
hinreißend verführerische Kadenz vom Solisten, ein androgynes Duett zwischen
Knox auf der barocken vierzehn saitigen und Megumi Kasakawa auf der modernen viersaitigen Bratsche sowie witzige
wie auch befremdliche Einspielungen der Vinylplatten. Dennoch hatte das
Stück Längen und konnte seinem Anspruch, die Polyphonie der Welt musikalisch
umzusetzen, weitgehend nicht gerecht werden. Wie sagte doch der Komponist mit
einem verschmitzten Lächeln im Vorgespräch mit Björn Gottstein: „Alles in der
Liebe wiederholt sich“, so auch die Musik, die dabei leider in weiten Teilen doch einschläfernde Wirkung erzeugte.
Sehr politisch und idealistisch wollte dagegen Isabel
Mundry mit ihrem neuen Werk HEY
verstanden werden. Als Grundlage diente ihr dabei der Amoklauf in München im
Jahre 2016 (neun Tote) und dabei besonders der Dialog zwischen dem Attentäter
und einem Anwohner, das, millionenfach auf YouTube angeklickt, auf die Komponistin
derart verwirrend wirkte, dass sie es musikalisch verarbeiten musste.
Mundrys stark gekürztes Werk (statt ursprünglich 35 jetzt
nur noch 15 Minuten) will die Absurdität des Zwiegesprächs, den Leerraum der
Sprachlosigkeit, aber auch die gewalttätige Sprache in rhythmische Formeln und
spezielle Klangartikulationen umsetzen. Sie selbst spricht von Neuland, das sie
beackert. Sie suche nicht mehr nach Ausdruck, sondern nach Abdruck, ohne genau zu
wissen, wie sich das musikalisch umsetzen lässt.
Sie hat sich für einen Chor (hier die ausgezeichneten
Neue Stuttgarter Vocalsolisten), Tonbandeinspielungen, E-Gitarre (Prof.
Christopher Brandt) und elektronische Verzerrer entschieden, wobei der Chor die
Stimme des Anwohners und das Tonband die des Amokläufers übernimmt.
Das Ensemble schwankte zwischen tonlosem Blasen,
Gestöhne und Aufbrausen. Ein ständiges Crescendo bis zum Gebrüll begleitete
Satzfetzen wie „Wer bist du Alter? oder „Was machst du für´n Scheiß“ und Wörter
wie „Arsch“ oder „Kacke“.
Die langen Pausen zwischen den Sprechfetzen sind es,
die Mundry interessieren. Sie sollen gesellschaftliche Realität widerspiegeln,
eine Realität, die sie in fremde Klanglichkeit in einer befremdlichen Situation
umsetzen möchte. Abgesehen davon, dass die Auswahl des Dialogs nicht sonderlich
überzeugen konnte (ein Ausnahmedialog in einer höchst aufgeheizten und
unübersichtlichen Situation mit anschließendem Suizid des Amokläufers, der wohl kaum verallgemeinerbar ist), hinterließ
die Musik weniger einen beabsichtigten „Abdruck“ als vielmehr eine beängstigende
Aneinanderreihung von extremen Crescendi über alle Instrumente verteilt, die
den Hörer (oder Höreindruck?) arg auf die Probe stellten. Was Abdruck ist oder sein soll, blieb
auch nach dieser Aufführung im Dunkeln.
Der Künstler als Zombie?
Der Körper als Projektionsfläche war Thema von Brigitta Muntendorfs Ballett für Eleven. Elf
Musiker des Ensemble Modern
verwandelten sich zu Zombie-ähnlichen Figuren, mit weißhaariger Perücke, blind
und stumm, hinkend und schwankend und verformten Körpern. Echt auf der Bühne sowie
auf Video projiziert (Kostüme: Sita Messer, Video: Andreas Huck und Roland
Nebel).
Eine Performance, die eher Fragen aufwarf als welche
zu beantworten. Projektionen als Korsett, als Feindbilder, als Erwartung an den
Künstler? Tatsächlich war man in weiten Teilen an Michael Jacksons Thriller, ein Musikvideo von 1983, erinnert,
ein Meilenstein des Horrors und der Werwölfe mit unglaublich guter Rockmusik
und perfekter Tanzperformance. Hier allerdings wirkte alles irgendwie
halbherzig und blieb in Vielem einfach in den Anfängen stecken, einschließlich
fehlendem Ballett, unausgegoren.
Musikalisch mit Rockeinlagen, eine Waldszene
mit Paar, ganz im Fahrwasser von Thriller
(es fehlten lediglich die Gräber), Gesangseinlagen, eher Katzengejammer, mit
dem Text „Für immer und ewig“, dazwischen herrlich skurrile Videoeinblendungen der Ensemblemitglieder
mit Cheerleader-Pompons (die Lacher blieben da nicht aus), eine Groteske mit
einem selbst ernannten Dirigenten, der den sprichwörtlichen Takt vorgab: „Heute
bin ich der Chef!“ sowie viel Nebel und Stöhnen. Am Schluss der Song: „I´m in
love with you“, eine Allerweltslyric, die mit einem „I´m sorry“-Ritornell, zum
Viervierteltakt verwandelt, mit Martinshorn zum Finale führte. Diffuse Dunkelheit
allüberall – wie zu Anfang.
30 Minuten lang stellte sich denn doch die Frage: Für
wen und für was tun sie das? Musikalisch eher dünn und einfallslos und in der
Performance weitgehend unbeholfen. Sehr mutig allerdings das Ensemble Modern,
viel Gelächter im Publikum und wenig von dem umgesetzt, was die Komponistin
bzw. die Komposition versprochen hat.
Ein insgesamt durchwachsener Abend mit Werken,
wo Ideal und kompositorische Praxis kaum zusammenkamen. Werke, die durchaus noch den
Status des work in progress einnehmen sowie einem Ensemble Modern (eingeschlossen
die Neue Vocalsolisten aus Stuttgart), dass sich wirklich unglaublich flexibel
zeigte, dabei aber gewisse Grenzen nicht überschreiten sollte. Nicht zu
vergessen der Dirigent, Bas Wiegers,
der mit tänzerischem Elan und aufmunternden Gesten durch die zum Teil vertrackten
Partituren führte. Das Publikum dankte es mit freundlichem Beifall.
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