Aris
Quartett, Alte Oper Frankfurt, 17.10.2018
Aris Quartett mit v.l.: Anna Katharina Wildermuth, Lukas Sieber, Caspar Vinzens, Noémi Zipperling (Foto: Aris Quartett) |
Schwere Kost leicht angerührt
Das noch sehr junge Aris Streichquartett mit Anna Katharina Wildermuth (1. Violine), Noémi Zipperling (2. Violine) Caspar Vinzens (Bratsche) und Lukas Sieber (Violoncello), bereits vielfach ausgezeichnet und zu den kometenhaften Aufsteigern in der Musikszene zählend, hatte sich ein äußerst schwieriges Programm ausgesucht. (Die unterstrichenen Buchstaben ergeben den Namen der Gruppe.) Es ging gleich ans Eingemachte dreier epocheprägenden Komponisten: Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Contrapuncti I-IV aus der Kunst der Fuge (BWV 1080), Ludwig van Beethovens (1770-1827) Streichquartett cis-Moll op. 131 (1826) und Dimitri Schostakowitschs (1906-1975) Streichquartett c-Moll op. 110 (1960).
Warum ans Eingemachte? Bachs Kunst der Fuge gehört
zu dessen Spätwerken (beendet Anfang der 1740er Jahre) und besteht aus einer
Sammlung von 14 Fugen und vier Kanons über ein einziges Thema. Mit dieser
Sammlung brachte Bach seine kontrapunktische Kunst zur Vollendung. Er schrieb
es eigentlich für Cembalo oder Orgel. Es ist aber wegen seiner Komplexität und
Kompliziertheit kaum spielbar. Man hielt es deshalb lange Zeit für ein
abstraktes, rein theoretisches Werk mit eigentlich lehrhaftem Charakter. Eher
also etwas für Musikkenner und Theoretiker. Erschienen ist es erst nach seinem
Tode.
Das Aris
Quartett hatte sich seine ersten, für Streichquartett bearbeiteten vier
Fugen, Bach nennt sie einfache Fugen, vorgenommen. Die erste stellt die
Grundform des Themas vor, die zweite punktiert es mit tänzerischem Impetus, die
dritte kehrt das Thema um und die vierte erweitert die Umkehrung durch
chromatische Einschübe. Sehr romantisch und schwungvoll geriet diese
Interpretation, ließ allerdings ein wenig das Wesen der kontrapunktischen
Polyphonie, das Herausarbeiten der gleichberechtigten Stimmen, vermissen.
Dimitri Schostakowitsch schrieb sein achtes
Streichquartett (1960) zu einer Zeit höchster persönlicher Konflikte und
Unbilden (er wurde ungewollt Mitglied
der KPdSU und war als Vorsitzender des Komponistenverbandes der UdSSR vorgesehen,
sollte zur gleichen Zeit eine Musik zu einem Film der DEFA über die
Bombardierung Dresdens schreiben und litt zudem unter einer schweren
Rückenmarkerkrankung). Opus acht
wurde unter diesen Voraussetzungen zu einem ganz persönlichen Manifest: ein
autobiographisches Werk, das seine Spannung zum Sowjetregime, seine
Antikriegshaltung und seinen humanitären Ethos in musikalischer Sprache voll
zur Geltung kommen ließ. So verwendete er Motive aus seiner ersten (1925) und achten Sinfonie (1943),
seinem ersten Cellokonzert (1959) wie auch seiner umstrittenen Oper Lady Macbeth von Mzensk (1930/32).
Schostakowitsch hat dieses Werk sich selbst gewidmet,
um der Nachwelt seine existentiellen Konflikte zu vermitteln und nicht von
ungefähr beginnt es mit einer Fuge in der Tonfolge seines Namens d-es-c-h wie
seine Initialen D. Sch., eine Musik voller Trauer und Verzweiflung. Ein sehr persönliches Dokument, das von
seinen Interpreten viel, ja sehr viel politische und psychologische, aber auch
fundierte Kenntnis der Umstände der Entstehung eines solchen Werkes abverlangt.
Das Aris
Quartett spielte das ineinander übergehende fünfsätzige Monument insgesamt
mit großem romantischem Impetus, dem allerdings in weiten Teilen das Tragische
und Widerständige, das Aufmüpfige wie das Resignierende der Tonsprache fehlte.
Perfekt gespielt, alles rund und gefällig, aber leider nur wenig
Schostakowitsch herauszuhören.
Eher Glätte und Weichmacher als Wollust und Leid
Auch Beethovens Streichquartett
op. 131 beginnt mit einer Fuge. Dieses Spätwerk ist ebenfalls von
einem Menschen geschrieben, der, schwer erkrankt und seit Jahren vollkommen
taub, nur noch wenige Monate zu leben hat. Richard Wagner nannte op. 131,
nachdem er es erstmals gehört hatte, ein „Bußgebet, eine Berathung (sic.) mit
Gott im Glauben an des ewig Gute“. Ein siebensätziges, fast 40 Minuten
dauerndes Monumentalwerk, in dem Beethoven jegliches Form- und Harmonieverständnis
seiner Zeit verlässt, einen Variationensatz im Andante (Nr. 4) einfügt, der ein eigenständiges Quartett sein
könnte, ein Adagio (Nr. 6) von grade
einmal 28 Takten zu einem Satz werden lässt, um dann im finalen Allegro zu einem klassischen Sonatensatz
zurückzukommen, so als ob er mit einem Augenzwinkern sagen möchte: Alles gut,
ich habe das Vorherige nicht so gemeint. Auch dieses sehr persönliche Werk
wird, wie bei Bachs Kunst der Fuge,
erst posthum aufgeführt und zwar 1828 in Halberstadt.
Das Aris
Quartett spielte auch dieses Werk technisch ohne Makel, aber, nicht dem
zerrissenen und verzweifelten Charakter des Werkes entsprechend. Vieles geriet
zu süßlich und romantisch verträumt. Das Presto
(Nr. 5), ein kindhaftes Scherzo, und das Adagio
(Nr. 6), eine fugierte
Überleitung zum Finale, überzeugten zwar in der 1. Geige und im
Violoncello, der Schlusssatz aber ließ die geforderte Spannung vermissen, die
Richard Wagner seinerzeit so formulierte: „Das ist der Tanz der Welt selbst:
wilde Lust und schmerzliche Klage, Liebesentzücken, höchste Wonnen, Jammer,
Rasen, Wollust und Leid.“ Dagegen hier eher Glätte und viel Weichmacher.
Der Beifall im voll besetzten Mozart Saal war
herzlich, eine Zugabe deshalb Plicht. Man spielte von Josef Haydn den letzten
Satz aus seinem Sommeraufgangsquartett,
B-Dur op. 76. Wunderbar, jugendlich
frisch und, wie in vielen Kritiken herausgehoben: rasant, spannungsreich und
mitreißend. Man sollte meinen, dass dieses junge Quartett das
klassisch-romantische Repertoire von Haydn, Mozart über Schubert, Schumann bis
zum frühen Beethoven musikalisch beherrscht, aber für den späten Beethoven und
vor allem für Schostakowitsch noch etwas Zeit und Reife benötigt. Ansonsten ist
dieses Quartett eine echte Bereicherung der insgesamt doch sehr umfangreichen
Liste der internationalen Streichquartette, wovon allerdings nur wenige herausragen.
Das Aris-Quartett könnte eines davon werden.
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