Donnerstag, 18. Oktober 2018


Aris Quartett, Alte Oper Frankfurt, 17.10.2018

Aris Quartett mit v.l.: Anna Katharina Wildermuth, Lukas Sieber, Caspar Vinzens, Noémi Zipperling (Foto: Aris Quartett)

Schwere Kost leicht angerührt


Das noch sehr junge Aris Streichquartett mit Anna Katharina Wildermuth (1. Violine), Noémi Zipperling (2. Violine) Caspar Vinzens (Bratsche) und Lukas Sieber (Violoncello), bereits vielfach ausgezeichnet und zu den kometenhaften Aufsteigern in der Musikszene zählend, hatte sich ein äußerst schwieriges Programm ausgesucht. (Die unterstrichenen Buchstaben ergeben den Namen der Gruppe.) Es ging gleich ans Eingemachte dreier epocheprägenden Komponisten: Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Contrapuncti I-IV aus der Kunst der Fuge (BWV 1080), Ludwig van Beethovens (1770-1827) Streichquartett cis-Moll op. 131 (1826) und Dimitri Schostakowitschs (1906-1975) Streichquartett c-Moll op. 110 (1960).


Warum ans Eingemachte? Bachs Kunst der Fuge gehört zu dessen Spätwerken (beendet Anfang der 1740er Jahre) und besteht aus einer Sammlung von 14 Fugen und vier Kanons über ein einziges Thema. Mit dieser Sammlung brachte Bach seine kontrapunktische Kunst zur Vollendung. Er schrieb es eigentlich für Cembalo oder Orgel. Es ist aber wegen seiner Komplexität und Kompliziertheit kaum spielbar. Man hielt es deshalb lange Zeit für ein abstraktes, rein theoretisches Werk mit eigentlich lehrhaftem Charakter. Eher also etwas für Musikkenner und Theoretiker. Erschienen ist es erst nach seinem Tode.

Das Aris Quartett hatte sich seine ersten, für Streichquartett bearbeiteten vier Fugen, Bach nennt sie einfache Fugen, vorgenommen. Die erste stellt die Grundform des Themas vor, die zweite punktiert es mit tänzerischem Impetus, die dritte kehrt das Thema um und die vierte erweitert die Umkehrung durch chromatische Einschübe. Sehr romantisch und schwungvoll geriet diese Interpretation, ließ allerdings ein wenig das Wesen der kontrapunktischen Polyphonie, das Herausarbeiten der gleichberechtigten Stimmen, vermissen.

Dimitri Schostakowitsch schrieb sein achtes Streichquartett (1960) zu einer Zeit höchster persönlicher Konflikte und Unbilden (er  wurde ungewollt Mitglied der KPdSU und war als Vorsitzender des Komponistenverbandes der UdSSR vorgesehen, sollte zur gleichen Zeit eine Musik zu einem Film der DEFA über die Bombardierung Dresdens schreiben und litt zudem unter einer schweren Rückenmarkerkrankung). Opus acht wurde unter diesen Voraussetzungen zu einem ganz persönlichen Manifest: ein autobiographisches Werk, das seine Spannung zum Sowjetregime, seine Antikriegshaltung und seinen humanitären Ethos in musikalischer Sprache voll zur Geltung kommen ließ. So verwendete er Motive aus seiner ersten (1925) und achten Sinfonie (1943), seinem ersten Cellokonzert (1959) wie auch seiner umstrittenen Oper Lady Macbeth von Mzensk (1930/32).

Schostakowitsch hat dieses Werk sich selbst gewidmet, um der Nachwelt seine existentiellen Konflikte zu vermitteln und nicht von ungefähr beginnt es mit einer Fuge in der Tonfolge seines Namens d-es-c-h wie seine Initialen D. Sch., eine Musik voller Trauer und Verzweiflung.  Ein sehr persönliches Dokument, das von seinen Interpreten viel, ja sehr viel politische und psychologische, aber auch fundierte Kenntnis der Umstände der Entstehung eines solchen Werkes abverlangt.

Das Aris Quartett spielte das ineinander übergehende fünfsätzige Monument insgesamt mit großem romantischem Impetus, dem allerdings in weiten Teilen das Tragische und Widerständige, das Aufmüpfige wie das Resignierende der Tonsprache fehlte. Perfekt gespielt, alles rund und gefällig, aber leider nur wenig Schostakowitsch herauszuhören.

Eher Glätte und Weichmacher als Wollust und Leid


Auch Beethovens Streichquartett op. 131 beginnt mit einer Fuge. Dieses Spätwerk ist ebenfalls von einem Menschen geschrieben, der, schwer erkrankt und seit Jahren vollkommen taub, nur noch wenige Monate zu leben hat. Richard Wagner nannte op. 131, nachdem er es erstmals gehört hatte, ein „Bußgebet, eine Berathung (sic.) mit Gott im Glauben an des ewig Gute“. Ein siebensätziges, fast 40 Minuten dauerndes Monumentalwerk, in dem Beethoven jegliches Form- und Harmonieverständnis seiner Zeit verlässt, einen Variationensatz im Andante (Nr. 4) einfügt, der ein eigenständiges Quartett sein könnte, ein Adagio (Nr. 6) von grade einmal 28 Takten zu einem Satz werden lässt, um dann im finalen Allegro zu einem klassischen Sonatensatz zurückzukommen, so als ob er mit einem Augenzwinkern sagen möchte: Alles gut, ich habe das Vorherige nicht so gemeint. Auch dieses sehr persönliche Werk wird, wie bei Bachs Kunst der Fuge, erst posthum aufgeführt und zwar 1828 in Halberstadt.

Das Aris Quartett spielte auch dieses Werk technisch ohne Makel, aber, nicht dem zerrissenen und verzweifelten Charakter des Werkes entsprechend. Vieles geriet zu süßlich und romantisch verträumt. Das Presto (Nr. 5), ein kindhaftes Scherzo, und das Adagio (Nr. 6), eine fugierte Überleitung zum Finale, überzeugten zwar in der 1. Geige und im Violoncello, der Schlusssatz aber ließ die geforderte Spannung vermissen, die Richard Wagner seinerzeit so formulierte: „Das ist der Tanz der Welt selbst: wilde Lust und schmerzliche Klage, Liebesentzücken, höchste Wonnen, Jammer, Rasen, Wollust und Leid.“ Dagegen hier eher Glätte und viel Weichmacher.

Der Beifall im voll besetzten Mozart Saal war herzlich, eine Zugabe deshalb Plicht. Man spielte von Josef Haydn den letzten Satz aus seinem Sommeraufgangsquartett, B-Dur op. 76. Wunderbar, jugendlich frisch und, wie in vielen Kritiken herausgehoben: rasant, spannungsreich und mitreißend. Man sollte meinen, dass dieses junge Quartett das klassisch-romantische Repertoire von Haydn, Mozart über Schubert, Schumann bis zum frühen Beethoven musikalisch beherrscht, aber für den späten Beethoven und vor allem für Schostakowitsch noch etwas Zeit und Reife benötigt. Ansonsten ist dieses Quartett eine echte Bereicherung der insgesamt doch sehr umfangreichen Liste der internationalen Streichquartette, wovon allerdings nur wenige herausragen. Das Aris-Quartett könnte eines davon werden. 

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