Donnerstag, 4. Oktober 2018


Saint François d´Assise (1983), Oper von Olivier Messiaen (1908-1992), Staatstheater Darmstadt, 03.10.2018 (Premiere 09.09.2018)

v.l.: Mickael Spadaccini (Der Aussätzige), Georg Festl (Saint François)
Fotos: Stephan Ernst



Ein künstlerisches Glaubensbekenntnis

Ein fulminantes Farbenspiel in drei Akten und acht Bildern. Über fünf Stunden ein künstlerisches Glaubensbekenntnis des Komponisten höchstpersönlich am Beispiel der persönlichen Entwicklung des Heiligen Franziskus von Assisi. Die Musik wird dabei zum Tranformationsriemen zwischen Welt und Gott, oder, wie Messiaen über die Chorhymne im letzten Bild singen lässt: „Musik und Poesie haben mich zu dir geführt, durch das Bild, durch das Symbol und durch Mangel an Wahrheit.“


Bilder und Symbolik begleiten die Oper: die Drei als Einheit Gottes, die Acht als Ewigkeit, Bilder der Wüste, als Ort der Einkehr und Besinnung, das Meer als endlose Bewegung und nicht zuletzt das Kreuz als Zeichen des Leidens und der Liebe. Olivier Messiaen (1908-1992) schrieb acht Jahre an diesem seinem Opus summum, seiner einzigen Oper. Das Libretto entnahm er im Wesentlichen der Vita des Franziskus (1228) von Thomas von Celano (1185-1260), der Legendensammlung der Fioretti aus dem 14. Jahrhundert sowie der Bibel vor allem Zitate aus der Offenbarung des Johannes. Als bekennender Katholik ist die Oper zugleich Ausdruck seines religiösen Bekenntnisses wie seiner musikalischen Sprache, die er nach eigenen Worten an Gott richtet: „Du sprichst durch Musik zu Gott. Er wird dir durch Musik antworten“, lässt er dem entsprechend Franziskus im Zweiten Akt singen.

Ein heiliger Opernstoff also? Einer, der bereits bei seiner Uraufführung 1983 im Salle Garnier in der Pariser Oper gar nicht recht überzeugen wollte? Mitnichten. Die Oper ist weder missionarisch noch an der christlichen Kirche orientiert. Sie ist stattdessen die reine Demut am Menschen und an allen Lebewesen. Sie ist ein Lobgesang auf die Besitzlosigkeit, Friedfertigkeit, der Nächsten- und Feindesliebe, ein quasi interreligöser Dialog zwischen dem Heiligen Franziskus und Messiaen selbst. Sie ist in nuce sein ureigenstes künstlerisches Glaubensbekenntnis. 

Und das offenbart sich eindrucksvoll aus seiner Musik. Ursprünglich als riesiger Orchesterapparat gedacht,  mit zwölffach besetzten Streichern, zehnfach besetzter Perkussion, sieben Flöten, sieben Klarinetten, sechs Hörnern sowie zehn Blechbläsern, dazu drei Ondes Martenots, Donnerbleche, vier Xylophone, Schlagstab- und Glockenspiele, Crotales und diverse Rasseln (Maracas), Becken und Templeblocks, schaffte es Johannes Harneit (musikalischer Leiter) mit einer abgespeckten Version dennoch, den großen Saal des Staatstheaters mit der eigenwilligen Tonsprache Messiaens regelrecht zu beglücken.

Herausragend die Vogelkonzerte im sechsten Bild mit aleatorischen Rhythmen und überlagernden Tempi der durcheinander singenden Vögel aus aller Herren Länder. Ebenso die Herausarbeitung der Leitmotivik. So hat Messiaen jedem Charakter eine eigene Klangfarbe zugeordnet. Dem Engel das Glockenspiel, Franziskus das Glücksmotiv, eine absteigende Fanfare der Blechbläser aus seiner Turangalila-Sinfonie, oder dem Kreuz zwei charakteristische Akkorde des Orchesters. Insgesamt sind es fünfzehn. Immer farbenreich und mit eigener Rhythmik. Messiaen verlässt außerdem die Tonalität und ersetzt sie durch zum Teil außereuropäische Modi, eigene Tonskalen, die geschichtet zu höchst dissonanten Clustern und Strukturen führen.
Das alles wirkte mitunter schrill und aufreizend, ließ aber die Musik in unterschiedlichsten Farbnuancen erklingen. Messiaens Aussage: „Meine Modi sind Farben, meine Akkorde sind Farben“, konnte unter dem glanzvollen Dirigat Harneits zur bestmöglichen klanglichen Wirkung kommen.

Katharina Persicke (Engel), Mönche 

Ein Wagnis mit durchschlagendem Erfolg


Der Gesang, in weiten Teilen ein Sprechgesang, ist konzentriert auf Saint François (Georg Festl, Bariton), den Engel (Katharina Persicke, Sopran) und Der Aussätzige (Mickael Spadaccini, Bariton). Alle drei konnten sängerisch wie schauspielerisch absolut überzeugen. Festl durch sprichwörtliche Glaubwürdigkeit, Persicke durch ihre clowneske Leichtigkeit in ihren Blinkschuhen und Spadaccini durch seine Leidensfähigkeit, die nach seiner Heilung in einem rauschhaften Tanz gipfelte.

Ebenso glaubhaft die begleitenden Mönche, Bruder Léon (Julian Orlishausen, Tenor), Bruder Massée (David Lee, Tenor), Bruder Élie (Michael Pegher, Tenor) und Bruder Bernhard (Johannes Seokhoon Moon, Bassbariton). Nachdenklich machte hingegen der Gehende (Erwin Aljukic), ein kleinwüchsiger Behinderter, der zwischen den Akten auftrat und bei vollkommener Stille mit heller Stimme: „Gott ist die einzige wahre Wirklichkeit. Er übersteigt alle Wahrheit“, sprach, dann beim zweiten Mal mit Kreide die lateinischen Buchstaben O.A.M.D.G. (übersetzt: Alles zur größeren Ehre Gottes) an den Bühnenvorhang schrieb. Eine Allegorie der Liebe des Franziskus zum leidenden Aussätzigen? Das reale Bild von Leid und Freud, nach den Worten des Engels: „Wo Leid und Traurigkeit ist, lass uns von der Freude singen?“

Die Neuinszenierung von Karsten Wiegand (Regie) und seinem Team um Bärbel Hohmann (Bühnenbild), Andrea Fisser (Kostüme), Nico Göckel (Licht), Roman Kuskowski (Video) und Gernot Wojnarowicz (Dramaturgie) – die Oper hat seit ihrer Deutschen-Erstaufführung 1997 in Leipzig lediglich drei weitere Inszenierungen in der BRD erfahren – ist wegen ihrer Monstrosität (riesige Orchesterbesetzung und überdimensionale Länge) und weitgehenden Handlungsarmut durchaus als ein Wagnisunternehmen für ein relativ kleines Opernhaus wie das Darmstädter zu bezeichnen. Dennoch ist diese Inszenierung angekommen, wobei das überaus abwechslungsreiche und durchdachte Bühnenbild, die angemessenen Kostüme, die herrlichen Videos (darunter die Giotto-Gemälde aus der Basilika San Francesco in Assisi, der symbolische Weg des Franziskus von der Kirche in die Innenstadt von Bensheim, oder auch das schlüpfende Küken aus dem Ei im Schlussakt), die gleißende Lichtscheibe im Finale sowie nicht zuletzt die diversen Farbenspiele zwischen den Szenen ihren wunderbar ergänzenden Beitrag leisteten.

Georg Festl (Franziskus)

Ebenso der Chor (Rhein-Main Kammerchor unter Johannes Püschel, Darmstädter Kantorei unter Christian Ross), der sowohl im gregorianischen Stil, im indischen Modus, als auch im Choral des Barock prächtig agierte. Hervorzuheben die Antiphone, die Wechselgesänge zwischen Chor und Franziskus im Finale (3. Akt): der Chor in Kreuzform inmitten der Zuschauer als Sprachrohr Gottes. Während das Küken mit größter Anstrengung aus dem Ei schlüpft, singt er die große Hymne der Auferstehung, ein Halleluja: „Der Glanz des Mondes ist anders als der Glanz der Sonne!“ Der Mond verschwindet und die die gleißende Sonnenscheibe blendet das Publikum bis zur Schmerzgrenze.

Eine kurzweilige, mit tiefem Gehalt inszenierte Oper, die das persönliche Bekenntnis Messiaens musikalisch und szenisch grandios erfasst hat, und das Publikum begeisterte. Stehende Ovationen und ein fünfmaliger Vorhang haben das Wagnis Saint François d´Assise zu einem durchschlagenden Erfolg werden lassen.

Zusätzliche Vorstellungen sind bis 2019 vorgesehen.  

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