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ein musikalischer Nachruf auf Dieter Schnebel (1930-2018), hr-Sendesaal,
09.11.2018
Dieter Schnebel, 2016 in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) (Foto: selbst) |
Keine Trauer, dafür viel Zuversicht und Humor
Eine würdige Reminiszenz an einen vielseitigen, der Tradition wie dem Experiment verpflichteten Komponisten der Gegenwart: Dieter Schnebel (1930-2018). Mit zwei seiner zuletzt komponierten Stücke, Trauermusik und Variationen über das Heideröslein (Goethe), beide kurz vor seinem Tode am 20.Mai diesen Jahres extra für das hr-Sinfonieorchester fertiggestellt, sowie seinem Wagner-Idyll (1980), eine Huldigung an Richard Wagner und dessen Karfreitagszauber aus Parsifal (1882), gelang eine wohldurchdachte und denkwürdige Auswahl, die das ganze Spektrum seines musikalischen, kompositorischen und ästhetischen Selbstverständnisses einzufangen wusste.
Ein
Gruß
(2018) seines langjährigen Freundes und Wegbegleiters, Ernstalbrecht Stiebler (*1934) und das Parsifal-Vorspiel Richard Wagners, erwiesen dem bekennenden Wagnerianer
zusätzlich eine eindrückliche Reverenz. Ein rundes Programm, das dem
vielseitigen Komponisten, Avantgardisten, Essayisten, Dozenten und evangelischen
Theologen wohl selbst sehr gefallen hätte.
In sich geschlossen und stimmungsvoll die Einleitung
des Konzerts mit Wagners Parsifal-Vorspiel.
Hier bewies bereits der junge britische Dirigent, Duncan Ward (*1988), seine Meisterschaft der Interpretation.
Prägnant herausgearbeitet die Leitmotivik des Grals und des Abendmahls.
Er schaffte mit dem sehr aufmerksamen und bestens auf ihn eingestellten
Orchester eine hinreißende Stimmung der Weihe, des Glaubenswunders und der
seelischen Erhebung.
Eine gelungene Vorbereitung zu Schnebels Trauermusik, ein sechs-minütiges Werk aus
einem geplanten fünfteiligen Zyklus, das, einer Marcia funebre ähnlich, die gesamte Bandbreite seiner Kompositionstechniken
in sich vereinigte. Ein gewaltiges Orchester, zehnfach die Streicher, vierfach
die Bläser und achtfach die Percussion besetzt, mit Zimbeln, Snare,
Löwengebrüll, Xylophon, Marimba, Vibraphon, Bassdrums, diversen Hölzern, und
Blechen, Wassereimern, Sirenen, Windmaschinen und Vielem mehr bestückt, erzeugte
dieses Monument eine Atmosphäre zwischen Resignation und Aufbruch, eine zwischen
Glaube, Liebe und Hoffnung: in seiner reduzierten Struktur an Anton Weberns Orchesterstücke op 6 (1909) angelehnt,
in seinem Gestus allerdings mit Wagners Parsifal
(1882) verwandt. Bemerkenswert das Finale (von der Trompete geblasen und von
flirrenden Streichern und Trommelwirbeln begleitet), das Auferstehungsmotiv aus dem dritten Akt des Weihefestfestspiels, das Motiv des Glaubens an den Frühling, an die
Auferstehung, an die Erlösung.
Schnebel hat mit diesem Werk, das übrigens
dankenswerterweise wiederholt wurde, ein musikalisches Manifest der
künstlerischen Freiheit in tiefem Glauben an den heiligen Geist geschaffen. Oder, um mit Wagner zu sprechen: Er ist vom unwissenden Knaben am Ende seines Lebens zum
durch Mitleid Wissenden geworden.
Ganz im Geiste Franz Schuberts dann seine sieben Variationen über das Heideröslein (Goethe).
Auch hier wieder reich an Percussion, sang und sprach die Sopranistin, Elena Harsányi, mit voluminöser wie
zarter Stimme das Lied: „Sah ein Knab ein Röslein stehen …“, begleitet mit
Löwengebrüll, Militärtrommel und Snare. Aggressiv und von Blue-Notes begleitet
das: „Knabe sprach ich breche dich … Röslein sprach, ich steche dich …“.
Schnebels kritischer Geist – er war sowohl Theologe
als auch Marxist – fand in diesem doppeldeutigen Gedicht einen adäquaten musikalischen
Ausdruck seiner persönlichen Befindlichkeit, worin er viele Ähnlichkeiten mit
Franz Schubert aufweist, der zeitlebens, ein Außenseiter der Gesellschaft, von
Gefühlen der Verlassenheit und Fremdheit geplagt war.
Schnebel, in der Tradition vieler zeitgenössischer
Komponisten wie Hans Zender oder Klaus Huber, verstand seine „Re-Visionen“ (so
nannte er seine Bezüge zur Tradition) als neue Musik, die Linien zum Vertrauten
zieht und „die Grenze des Vertrauten in unbekanntes Terrain erweitert.“ Die Variationen gehören ebenso in diesen
Reigen, wie auch sein abschließendes Wagner-Idyll
von 1980, dem allerdings noch der ein gruß
von Ernstalbrecht Stiebler vorangeschickt war.
Die Sopranistin Elena Harsányi (Foto: Jan Voth) |
Ein Gruß und der verklärte Zauber eines Unvergessenen
Ein
Gruß
besteht aus Oktaven, Quinten und Tritonus (übermäßige Quarten, auch
Teufelsintervalle genannt). Eine reduktionistische Abfolge der Intervalle im
Wechsel durch alle Orchestergruppen mit langen Haltepassagen und zwischenzeitlichen
Hornrufen wie von den Gipfeln der Alpen. Stieblers minimalistische Ästhetik lud
zum Meditieren ein, zum Versinken in den orchestralen Klangraum. Ob Schnebel
dieser Gruß gefallen hätte? Man weiß es nicht. Das Publikum allerdings
goutierte diese Uraufführung mit freundlichem Applaus.
Das Wagner-Idyll,
ein Werk aus dem Zyklus der Re-Visionen, galt Schnebel als Versuch einer „strukturellen
Neukomposition“ des Karfreitagszaubers
aus dem Parsifal. In den 1980ern ein
Wagnis, da sowohl Wagner, wie auch Anleihen an die Tradition überhaupt unter
der Avantgarde und den Anhängern der Neuen Musik noch ziemlich verpönt war.
„Eigentlich wollte ich Wagner verschönern“, lautete dagegen
das Credo Schnebels, womit er durchaus recht hat. In der Rolle der Kundry
sprach und sang mit Leidenschaft und tiefer Hingabe die Sopranistin, Elena Harsányi, „die verklärteste
Musik, die Wagner überhaupt geschrieben hat“ (Bernd Oberhoff). Begleitet von
einem kleinen Ensemble bestehend aus Bratsche, Violoncello, Orgel, Saxophonen, Xylophon,
Harfe und Trompete, konnte der Komponist Wagners Musik zwar nicht toppen, was er
wohl auch kaum gewollt hatte. Aber verblüffend wagnerisch war dafür sein
instrumentales Farbenspiel und berührend der vom Licht der Gnade beseelte Gesang
der Kundry.
Schnebel und Wagner, ein scheinbares Paradoxon in
der Neuen Musik, wurden in diesem Konzert auf einen denkwürdigen musikalischen Sockel
gehoben, wozu vor allem das hr-Sinfonieorchester mit seinem Dirigenten, Duncan
Ward, sowie die ausgezeichnete Sopranistin, Elena Harsányi, ein gehöriges Maß
beitrugen.
Der abschließende „Schnebel Nachtisch“, ein Einmarsch
der gesamten Bläsertruppe auf die Bühne, bei schmetternder Begleitung der
Streicher, bereitete einen großen Spaß und mischte den vorangegangenen Ernst
mit einem kräftigen Schuss Humor.
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