Donnerstag, 8. November 2018


STORY WATER, Tanzfestival Rhein-Main mit Emanuel Gat Danse und Ensemble Modern, Frankfurt-LAB 07.11.2018

Emanuel Gat Danse und Ensemble Modern (Foto: Julia Gat)

Zwei Formationen mit eigener Handschrift


Eine gewaltige Kulisse empfing das Publikum, wie in einer Arena postiert, im Frankfurt- LAB. Eine riesige Tanzfläche, weiß der Boden, weiß die Kleidung der Akteure, zweiundzwanzig  Künstler, elf Tänzer und elf Instrumentalisten: ein imposanter Anblick.


Und unvermittelt geriet man in Raserei. Die Performance für Körper und Musiker, aufgeteilt in drei Akte, begann mit Pierre Boulez´ Derivé 2 (2009), eine Musik, die der Komponist als Forschungsarbeit an dem Problem der Periodizität, der Wiederholungen also, begriff. Ein Stück, bestehend aus einer Sechstonreihe mit Überlagerungen, Schichtungen und Verschiebungen, das sowohl zu explosiven Ausbrüchen und scheinbar unkontrollierten Tonclustern führt, als auch die einzelnen Instrumente zu einem bunten Wechsel von Solo und Tutti hervorhebt.

Emanuel Gat (*1969) und seine Kompanie, Emanuel Gat Danse (2004), tanzten zweigeteilt, nach der logischen Folge der Partitur. (eigentlich sollte sie zu Zwölft auftreten). Jede/r Tänzer/in folgte nach seinem/ihrem eigenen Bewegungsmodul, das in der Gruppe ein Kaleidoskop von Bewegungen erzeugte, aber dennoch ein harmonisches Ganzes bildete. Alles bis ins Detail strukturiert und weitgehend an der Boulezschen Partitur orientiert.

Man gestikulierte, rief sich etwas zu, gab Hinweise und Infos: Alles war getragen von größter Aufmerksamkeit. In vier Abschnitten, durch Zwischenspiele des Ensembles und Verdunkelung des Raumes markiert (den Abschnitten der Partitur folgend), entkleideten sich die Tänzer/innen (Kostüme: Thomas Bradley, Lichtregie: Guillaume Février). Es folgten Modul- bzw. Bewegungswechsel, Synchronität zwischen Instrument und Tänzer. Der vierte Teil, gleichzeitig die Coda, führte beide Gruppen zusammen. Kreisbildungen wie Aufteilung in kleine Gruppen erzeugten eine wunderbare Synthese zwischen Soloparts und Tutti des Ensemble Modern.
Man ist geneigt von seriellem Tanz zu sprechen, einem Tanz, der nahezu rechnerisch choreographiert und mit großer körperlicher Dynamik und ausgesprochen sportlicher Fitness auf die Bühne gebracht wurde. Aber Emotionalität, Gefühl und Innerlichkeit –  absolute Fehlanzeige und wohl auch nicht beabsichtigt.

Der Übergang zum 2. Akt erfolgte fließend. Mit Rebecca Saunders Fury II (2009), ein Solokonzert für Kontrabass (Paul Cannon), begleitet von Klarinette, Percussion, Akkordeon, Piano und Violoncello) wurde zumindest musikalisch  die Aufgeregtheit, die Wucht und Energie von Derivé 2 fortgesetzt.

Emanuel Gat Danse (Foto: Julia Gat)


Höchste Anspannung und tiefe Erleichterung


Fury könnte auch mit Raserei oder auch mit den römischen Rachegöttinnen in Verbindung gebracht werden. Nicht so in diesem Mittelteil des Abends. Der Wechsel der Kleidung von sportlicher Unterwäsche zu Kimono-ähnlichem-Outfit mit viel Rauschen und Rascheln spiegelte sich auch im Tanz wider. Er besteht aus mehrfarbigen Bildern, expressiv und kubistisch zugleich. Die sportliche Explosion von Derivé 2 weicht hier eher einer Implosion, einer Wut, die nach innen ausstrahlt. Hier gibt es Anzeichen von Emotionalität, von Berührung, Anschmiegen und Austausch, was in ständigen Gruppenwechseln zum Ausdruck kommt.

Kleiner Wermutstropfen mit großer Wirkung war aber die unausgewogene Verstärkung der Instrumente. Der ausgezeichnete Paul Cannon am Kontrabass stand zwar in der Mitte des Geschehens, eine perfekte Idee, aber man hörte ihn nicht von dort, sondern viel zu laut von allen Seiten des Saales (Klangregie: Norbert Ommer, Live-Elektronik: Felix Dreher). Ein großes klangliches wie akustisches Manko, denn gerade hier hätte die Möglichkeit bestanden, das spannungsgeladene Wechselspiel von stiller Wut und Eruption zur Wirkung kommen zu lassen. Auch der abschließende Derwischtanz einer Tänzerin, ein meditativer Drehtanz der Sufis, um in Ekstase zu geraten, konnte nicht so recht einen Zusammenhang zur musikalischen Absicht herstellen.

Sehr erleichternd und erheiternd dann der 3. Akt, FolkDanse (2018) aus der Feder von Emanuel Gat (*1969) höchstpersönlich. Bekanntlich war er bis 2004 als Musiker und Komponist tätig, bevor er sich dem Tanz und der Choreographie zuwendete (siehe hierzu auch meinen Artikel vom 09.09.2018).

In Windeseile in bunte Kleider gehüllt, tanzte die bis dahin arg geforderte und zuweilen gestresste Gruppe ausgelassen, ohne, oder nur mit geringen choreographischen Vorgaben, nach Melodien verschiedener Völker und Kulturen. Hier zeigte sich nicht nur die ausgesprochen technische und sportliche Substanz von Emanuel Gat Danse, sondern auch das improvisatorische Vermögen (von technischer Brillanz nicht zu reden) des Ensemble Modern (Leitung: Josep Planells Schiaffino), das zwischen Klezmer (Jaan Bossier, Klarinette), russischer Volksweise (Michael M. Kasper, Violoncello), japanischem Wiegenlied (Megumi Kasakawa), Zigeunerweisen nach Brahms (Giorgos Panagiotidis) irischem Riverdanse und englischem Shanti changierte.

Warum aber alles in einem durchgehenden Marschrhythmus erfolgen musste und die amerikanische Konföderationshymne: „I wish, I was in Dixie Land“, die Hymne der Südstaaten aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, den Hauptteil dieses acht-minütigen Finales bilden musste, bleibt wohl das Geheimnis des Komponisten. Zumindest ohne Text ein Ohrwurm, der zum stampfenden Bauerntanz auch auf den Rängen einlud.
Frenetischer Beifall, viele junge begeisterte Leute im Publikum, ein entspannter Ausklang mit pikanter Suppe und Sekt. Was will man mehr.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen