STORY WATER,
Tanzfestival Rhein-Main mit Emanuel Gat Danse und Ensemble Modern, Frankfurt-LAB
07.11.2018
Emanuel Gat Danse und Ensemble Modern (Foto: Julia Gat) |
Zwei Formationen mit eigener Handschrift
Eine gewaltige Kulisse empfing das Publikum, wie in einer Arena postiert, im Frankfurt- LAB. Eine riesige Tanzfläche, weiß der Boden, weiß die Kleidung der Akteure, zweiundzwanzig Künstler, elf Tänzer und elf Instrumentalisten: ein imposanter Anblick.
Und unvermittelt geriet man in Raserei. Die Performance
für Körper und Musiker, aufgeteilt in drei Akte, begann mit Pierre Boulez´ Derivé 2 (2009), eine Musik, die der
Komponist als Forschungsarbeit an dem Problem der Periodizität, der
Wiederholungen also, begriff. Ein Stück, bestehend aus einer Sechstonreihe mit
Überlagerungen, Schichtungen und Verschiebungen, das sowohl zu explosiven
Ausbrüchen und scheinbar unkontrollierten Tonclustern führt, als auch die
einzelnen Instrumente zu einem bunten Wechsel von Solo und Tutti hervorhebt.
Emanuel
Gat
(*1969) und seine Kompanie, Emanuel Gat
Danse (2004), tanzten zweigeteilt, nach der logischen Folge der Partitur.
(eigentlich sollte sie zu Zwölft auftreten). Jede/r Tänzer/in folgte nach seinem/ihrem
eigenen Bewegungsmodul, das in der Gruppe ein Kaleidoskop von Bewegungen
erzeugte, aber dennoch ein harmonisches Ganzes bildete. Alles bis ins Detail
strukturiert und weitgehend an der Boulezschen Partitur orientiert.
Man gestikulierte, rief sich etwas zu, gab Hinweise
und Infos: Alles war getragen von größter Aufmerksamkeit. In vier Abschnitten, durch
Zwischenspiele des Ensembles und Verdunkelung des Raumes markiert (den
Abschnitten der Partitur folgend), entkleideten sich die Tänzer/innen (Kostüme: Thomas Bradley, Lichtregie: Guillaume Février). Es folgten
Modul- bzw. Bewegungswechsel, Synchronität zwischen Instrument und Tänzer. Der
vierte Teil, gleichzeitig die Coda, führte beide Gruppen zusammen. Kreisbildungen
wie Aufteilung in kleine Gruppen erzeugten eine wunderbare Synthese zwischen
Soloparts und Tutti des Ensemble Modern.
Man ist geneigt von seriellem Tanz zu sprechen, einem
Tanz, der nahezu rechnerisch choreographiert und mit großer körperlicher
Dynamik und ausgesprochen sportlicher Fitness auf die Bühne gebracht wurde.
Aber Emotionalität, Gefühl und Innerlichkeit – absolute Fehlanzeige und wohl auch nicht beabsichtigt.
Der Übergang zum 2. Akt erfolgte fließend. Mit Rebecca
Saunders Fury II (2009), ein
Solokonzert für Kontrabass (Paul Cannon),
begleitet von Klarinette, Percussion, Akkordeon, Piano und Violoncello) wurde
zumindest musikalisch die Aufgeregtheit,
die Wucht und Energie von Derivé 2 fortgesetzt.
Emanuel Gat Danse (Foto: Julia Gat) |
Höchste Anspannung und tiefe Erleichterung
Fury könnte auch mit Raserei oder auch mit den
römischen Rachegöttinnen in Verbindung gebracht werden. Nicht so in diesem
Mittelteil des Abends. Der Wechsel der Kleidung von sportlicher Unterwäsche zu
Kimono-ähnlichem-Outfit mit viel Rauschen und Rascheln spiegelte sich auch im
Tanz wider. Er besteht aus mehrfarbigen Bildern, expressiv und kubistisch
zugleich. Die sportliche Explosion von Derivé
2 weicht hier eher einer Implosion, einer Wut, die nach innen ausstrahlt.
Hier gibt es Anzeichen von Emotionalität, von Berührung, Anschmiegen und
Austausch, was in ständigen Gruppenwechseln zum Ausdruck kommt.
Kleiner Wermutstropfen mit großer Wirkung war aber
die unausgewogene Verstärkung der Instrumente. Der ausgezeichnete Paul Cannon
am Kontrabass stand zwar in der Mitte des Geschehens, eine perfekte Idee, aber
man hörte ihn nicht von dort, sondern viel zu laut von allen Seiten des Saales (Klangregie: Norbert Ommer, Live-Elektronik: Felix Dreher). Ein großes klangliches wie akustisches Manko, denn gerade hier hätte die Möglichkeit
bestanden, das spannungsgeladene Wechselspiel von stiller Wut und Eruption zur
Wirkung kommen zu lassen. Auch der abschließende Derwischtanz einer Tänzerin,
ein meditativer Drehtanz der Sufis, um in Ekstase zu geraten, konnte nicht so
recht einen Zusammenhang zur musikalischen Absicht herstellen.
Sehr erleichternd und erheiternd dann der 3. Akt, FolkDanse (2018) aus der Feder von Emanuel Gat (*1969) höchstpersönlich. Bekanntlich
war er bis 2004 als Musiker und Komponist tätig, bevor er sich dem Tanz und der
Choreographie zuwendete (siehe hierzu auch meinen Artikel vom 09.09.2018).
In Windeseile in bunte Kleider gehüllt, tanzte die
bis dahin arg geforderte und zuweilen gestresste Gruppe ausgelassen, ohne, oder
nur mit geringen choreographischen Vorgaben, nach Melodien verschiedener Völker
und Kulturen. Hier zeigte sich nicht nur die ausgesprochen technische und
sportliche Substanz von Emanuel Gat Danse,
sondern auch das improvisatorische Vermögen (von technischer Brillanz nicht zu
reden) des Ensemble Modern (Leitung: Josep Planells Schiaffino), das
zwischen Klezmer (Jaan Bossier, Klarinette), russischer Volksweise (Michael M.
Kasper, Violoncello), japanischem Wiegenlied (Megumi Kasakawa), Zigeunerweisen
nach Brahms (Giorgos Panagiotidis) irischem Riverdanse und englischem Shanti
changierte.
Warum aber alles in einem durchgehenden Marschrhythmus
erfolgen musste und die amerikanische Konföderationshymne: „I wish, I was in
Dixie Land“, die Hymne der Südstaaten aus der Zeit des amerikanischen
Bürgerkriegs, den Hauptteil dieses acht-minütigen Finales bilden musste, bleibt
wohl das Geheimnis des Komponisten. Zumindest ohne Text ein Ohrwurm, der zum
stampfenden Bauerntanz auch auf den Rängen einlud.
Frenetischer Beifall, viele junge begeisterte Leute
im Publikum, ein entspannter Ausklang mit pikanter Suppe und Sekt. Was will man
mehr.
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