Gaechinger
Cantorey, Adventskantaten von Johann Sebastian Bach, Alte
Oper Frankfurt, 03.12.2018
Gaechinger Cantorey, vorne v.l.: Henriette Götte, Christina Landshamer, Hans-Christoph Rademann (musik. Leiter), Benjamin Bruns und Andreas Wolf (Foto: Christiane Grün) |
Zum ersten Advent – ein neuer Bachstil?
Bekannt als Gächinger Kantorei (1954) markiert der neu geschriebene Name Gaechinger Cantorey seit der Saison 2017/18 eine „neue Zeitrechnung“. Mit der Namensänderung „verbindet sich ein neu gegründetes Bachorchester und ein reformierter Chor zu einem Originalklangensemble“, heißt es im Programm, mit dem Ziel der „Entwicklung eines neuen Stuttgarter Bachstils“. Hans-Christoph Rademann, Leiter und Begründer dieses barocken Klangensembles, fordert mit dieser Stilansage ein Alleinstellungsmerkmal heraus, das mit der Auswahl von drei Adventskantaten von Johann Sebastian Bach (BWV 61, 62 und 36) sowie dem 1. Brandenburgischen Konzert f-Dur (BWV 1046) ein erstes Ausrufezeichen in den voll besetzten großen Saal der Alten Oper setzte.
Alle drei Kantaten schrieb Bach für den 1. Adventssonntag,
alle zu ganz unterschiedlichen Zeiten (1714, 1724 und 1731), und alle drehen
sich um das alte Lutherlied „Nun komm, der Heiden Heiland“ (1524). Dennoch
können sie unterschiedlicher nicht sein.
Zunächst die Kantate
mit dem Titel, „Nun komm der Heiden
Heiland“ (BWV 61) von 1714. Bach schrieb sie in seiner Weimarer Zeit (1708-1717)
unter dem Herzog Wilhelm Ernst und setzte sie in die Tradition der französischen
Ouvertüre, als festlich schreitender Rhythmus wie beim Erscheinen des
Sonnenkönigs. Mit viel Affekt und musikalischen Topoi singen Chor und drei
Solisten (Christina Landshamer, Sopran,
Andreas Wolf, Bass, und Benjamin Bruns, Tenor) zu Texten von
Luther, Philipp Nicolai (1556-1608) und aus der Offenbarung 3/20 von der erwarteten Ankunft Gottes, was sich im Schlusschoral
in dem Ausruf zuspitzt: „Deiner wart ich mit Verlangen.“
Eine kurzweilige Kantate, kaum zwölf Minuten lang,
die bereits das Spektrum dieses Klangkörpers offenlegte: harmonische
Abgestimmtheit zwischen Chor und Instrumentalisten sowie deutliche Konturierung
der Solostimmen und des Accompagnato, mal Tutti, mal Secco, immer aber klar den
Stimmen den Vorzug gebend. Ausgezeichnet hier der bewegliche Bassbariton, Andreas Wolf, dessen Textinterpretation
aus der Offenbarung: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe“, mit dem Zupfen
der Streicher und dem Pochen der Bläser zu einer eindrücklichen Klangperformance
heranwuchs.
Etwas langatmiger dann die Kantate „Schwingt freudig euch empor“ (BWV 36) von 1731. Sie ist,
vielfach in Text und Musik umgeschrieben, erst in seiner Zeit als Thomas Kantor
in Leipzig zu ihrem Abschluss gekommen, auf acht Teilstücke erweitert und mit
großer Expressivität bereichert worden.
Mit vier Solisten, einem Orchester mit 22 Personen,
darunter drei Oboen d´amore, ein Fagott, Naturhorn und Truhenorgel (ein Silbermann
Nachbau), sowie drei Arien und fünf Chorälen, scheint diese gut 35 Minuten
dauernde Monumentalkantate, zu Texten von Luther, Picander (1700-1764) und
Nicolai, persönliches Terrain von Bach zu betreten. Erinnert sei hier an Albert
Schweitzer, der ja in den Kantaten Bachs alles zu finden meinte, was die Person
des Komponisten ausmacht. Das könnte hier absolut zutreffen.
Herausgehoben sei nur der Choral mit dem Duett
(Nr. 2) für Sopran (Christina Landshamer)
und Alt (Henriette Götte), zum
Luther Text: „Nun komme, der Heiden Heiland“, wo Bach ein großer Wurf, voller
Hingabe und Gläubigkeit gelingt. Ebenso der erfrischende Abschlusschoral des
ersten Teils (Nr. 4): „Zwingt die Saiten
in Cythara“, nach dem bekannten Weihnachtslied von Nicolai aus seinem
Liederzyklus: „Wie schön leuchtet uns der Morgenstern“ (1597). Insgesamt aber
geriet das Tempo etwas schleppend und die SängerInnen konnten nicht durchweg
überzeugen.
Barocke Lebendigkeit aus Stuttgart
Das 1.
Brandenburgische Konzert (1721), mit großem Orchester (28), ohne Dirigent,
dafür mit drei Oboen, zwei Naturhörnern, Fagott und Basso continuo (Cembalo und
Truhenorgel) war ein überzeugender Beweis für die Qualität dieses Klangkörpers.
Alle Instrumentalisten standen (mit Ausnahmen natürlich) und gaben diesem
ursprünglich gedachten Geburtstagsständchen ein schwungvolles, ja tänzerisches
Flair.
Herausragend die erste Geigerin, Nadja Zwiener, die wunderbar den
Orchesterapparat beherrschte wie motivierte und selbst virtuose Soloeinlagen unter
perfektem Strich ihres Barockbogens bot. Vergleiche verbieten sich zwar, aber
an dieser Stelle ist es durchaus angebracht, an Teodor Currentzis zu erinnern, der
mit einer ähnlichen Idee wie die Gaechinger Cantorey, nämlich einen eigenen musikalischen
Stil zu entwickeln, ausgerechnet ab dieser Saison Chefdirigenten des SWR-Symphonieorchester
geworden ist. Hier bieten sich durchaus Synergieeffekte zwischen den
Klangkörpern an.
Die Abschluss Kantate:
„Nun kommt der Heiden Heiland“ (BWV 62) von 1724 – Bach war gerade ein Jahr
als Thomaskantor in Leipzig tätig – wurde zum sprichwörtlichen
Orchestergewitter. Man fühlte sich wie am „Jüngsten Tag“, Furcht und Erregung
bewegten die Gemüter und ergriffen sowohl Sänger, Orchester wie auch das
Publikum.
Rademann kitzelte förmlich an den feinsten
Nervenenden der Akteure, um den vollen Gehalt
dieses Werkes zur Geltung kommen zu lassen. Geradezu hymnisch die Arie des
Tenors, Benjamin Bruns, in „Bewundert, O Menschen, dies große Geheimnis“ (Nr. 2), streitbar mit virtuosen Melismen der
Bassbariton, Andreas Wolf, in
Rezitativ und Arie (Nr. 3 und 4) sowie engelhaft und lichthell das Duett
zwischen der Altistin, Henriette Götte,
und der Sopranistin, Christina
Landshamer.
Einem kurzen, knackigen Schluss-Choral: „Lob sei
Gott dem Vater“ folgte brausender Beifall mit Bravorufen allüberall. Die Zugabe
des Eingangschores: „Nun kommt der Heiden Heiland“, wie gesagt ein
Orchestergewitter mit einem beherrschenden Cantus firmus von erregender Wirkung,
wurde von Rademann augenzwinkernd mit dem Schlachtruf der Leipziger Fußballfans
nach einem gewonnen Spiel verglichen. Man hatte den Eindruck, dass Orchester
und Chor noch einmal eins drauflegten.
Ob hier ein neuer „Stuttgarter Bachstil“ kreiert
wurde, sei mal dahingestellt. Aber es scheint sich in dieser Stadt etwas
anzubahnen, dass der barocken Musik durchaus neue Lebendigkeit verleiht.
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