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Puritani (1835), Opera Seria in drei Akten und zehn Musiknummern von Vincenzo Bellini (1801-1845), Oper Frankfurt, Premiere am
02.12.2018
Kihwan Sim (Giorgio) und Brenda Rae (Elvira) Fotos: Barbara Aumüller |
Ein schwarzes Theater im Theater
Eigentlich muss man dieses opus summum des früh verstorbenen Vincenzo Bellini (1801-1835) in der Inszenierung von Vincent Boussard von hinten aufrollen. Eine Art schwarzes Theater zu Bellinis undurchsichtigem Tod, seiner Haltung zu Frauen, seinem Karrieredenken und last but not least zu seiner Rolle in der französischen Aristokratie in den Jahren 1833 bis 1835. Eine Umbruchsituation, die sowohl in Paris unter dem Bürgerkönig Louis Philippe lediglich eine trügerische Zeit der Ruhe herstellte, als auch viele italienische Intellektuelle wegen des Aufstandes gegen die österreichischen Besatzer zu Emigranten machte, die in Paris Asyl fanden. Debattierzentren waren die Salons, in denen politisiert und idealisiert wurde. Das bekannteste wohl das der Principessa Cristina Belgiojoso, eine italienische Emigrantin, in deren Salon die damals bekannte Literatur- und Musikszene verkehrte, darunter auch Bellini und der Librettist dieser Oper, Carlo Pepoli (1796-1881).
Warum von hinten aufrollen? Boussard stellte sich,
wohl auch zu Recht, die Frage, ob nicht Arturo, der Hauptprotagonist dieses
Dramas, Bellini höchst selbst sei. Eine etwas gruftige, konspirative
Gesellschaft spielt deshalb das Leben des Komponisten nach und gibt sich dazu
ein politisches Thema, nämlich die revolutionären Ereignisse aus dem englischen
Bürgerkrieg zwischen den Anhängern Oliver Cromwells (1599-1658), den
Puritanern, und den Royalisten, verkörpert durch die Königsfamilie der Stuarts.
All das aber wird erst al fine, in
einem unerwarteten Knalleffekt, deutlich.
Weit gefehlt aber von einer politischen Oper zu
sprechen. Geht es hier doch ausschließlich um eine Dreiecksbeziehung zwischen
Elvira (Brenda Rae), Riccardo (Iurii Samoilov), ihrem Verehrer, und Arturo
(John Osborn), der den von den Puritanern besiegten Royalisten angehört, nichtsdestotrotz
aber abgöttisch und bedingungslos von Elvira geliebt wird.
Dazu kommen noch Giorgio (Kihwan Sim), ihr Onkel und
Freund, ihr Vater, Lord Valton (Thomas Faulkner), die zum Tode verurteile
Königin, Enrichetta di Francia (Bianca Andrew), und ein Offizier, Sir Bruno
Roberton (Michael Porter). Dazu ein gewaltiger Chor, der mal kriegerisch, mal
kommentierend, mal parteiisch die Szenerie auf der Bühne begleitet.
Die Handlung ist schnell erzählt: Es könnte alles
reibungslos verlaufen – die Hochzeit ist vom Vater genehmigt, das Fest
vorbereitet –, wenn nicht das Todesurteil an der Königin Enrichetta vollzogen
werden sollte. Arturo gerät in den Konflikt, seine Herrin preis zugeben und
entscheidet sich aus politischer Räson für ihre Rettung vor den Henkern. Sie, in
das Hochzeitskleid seiner Geliebten Elvira gehüllt, entkommt den Häschern, was
bei Elvira den Verdacht erhärtet, Arturo wäre ihr untreu geworden und mit einer
Nebenbuhlerin ausgebüchst. Wohl auch eine Episode aus Bellinis
skandalumwitterten Liebesleben.
Sei´s drum: Elvira wird wahnsinnig darüber, sieht
erst wieder klar, als Arturo zurückkehrt und ihr seine ewige Liebe versichert.
Glückliches Ende, Lieto fine? Nein, mitnichten: Jetzt bekommt die Oper einen
nationalen, um nicht zu sagen revolutionären Touch. Elvira, wieder klar im
Kopf, spricht von verhängnisvollem Klang in ihren Ohren, von Verrat am
Vaterland und der Ehre und erschießt ihren Geliebten. Tut sie es, weil sie eine
weitere Eskapade von ihm verhindern will oder aus Vaterlandsliebe und republikanischer
Überzeugung? Das bleibt offen.
Am Schluss, Knalleffekt hin oder her, sind sich
dennoch alle wieder einig. Der erschossene Arturo, die gerettete Königin stehen
vereint mit all den anderen Republikaner auf der Bühne, verbeugen sich vor dem
Chor (Publikum) und singen gemeinsam: „Freut euch, die Stuarts sind besiegt,
die Gefangenen befreit, Cromwell sei ewiger Ruhm, aller Kummer ist vergessen.“
Bemerkenswert das Bühnenbild (Johannes Leiacker) und die Kostüme (Christian Lacroix), die eine insgesamt düstere Atmosphäre schafften:
zu Anfang der Friedhof Père Lachaise in
Paris, auf dem Bellini zunächst neben anderen Größen seiner Zeit beerdigt wurde
(ein Paar - womöglich Bellini und eine weibliche Schicksalsgestalt,
Sofia Pintzou, die während der gesamten Oper erscheint - kopulierte auf Bellinis Grab unter den Klavierklängen von Franz Liszts Hexameron, Variationen über ein Thema aus Bellinis I Puritani). Dann
eine abgebrannte, an die Galerien der Arena von Verona erinnernde Kulisse,
dreistöckig, auf der der Chor wie auch die Sänger agierten. Und im Mittelpunkt
der Bühne ein Flügel, der sowohl als Accessoire eines Salons wie auch als
Inbegriff eines damals revolutionären, technisch innovativen und höchst
fortschrittlichen Instruments verstanden wurde.
John Osborn (Arturo) und Brenda Rae (Elvira) |
Zwischen puritanischer Strenge und Pariser Modestyle um 1830
Die Kostüme bestanden aus einer Mischung von
puritanischer Strenge, Rokoko-Faltenreichtum und bürgerlichem Pariser Modestyle
zur Zeit der französischen Julirevolution. Farblich in Rottönung bis Schwarz
(ausgenommen Elvira in Weiß); Großartig und überwältigend. Dazu das gedimmte, der Situation
angepasste Licht (Joachim Klein) und
die perfekt eingewobenen Videos (Isabel
Robson), mit Gaze-Leinwand und diversen Projektionen sowie einem mondähnlichen
Durchblick auf das Geschehen, das bis zum Schlussakt eine Distanz zu den
Personen und einen schicksalsbestimmten Verlauf ermöglichte. Fantastisch. Ebenso
kamen die Personen, außer im Prolog (die genannte Grabszene zur Musik von Franz Liszt)
und im Finale (Elvira und Arturo) nie zusammen.
Ein Beleg für die Absicht der Regie (Vincent Boussard) und Dramaturgie (Zsolt Horpácsy), dieser Oper ein
Spannungsfeld zwischen individuellen Bedürfnissen, Gefühlen und Emotionen einerseits
sowie gesellschaftlichen Anforderungen, Regeln und Räsonnements andererseits zu
verleihen, was ihr auch tatsächlich gelungen ist.
Die Sänger waren durchweg von höchster Klasse. Allen
voran Elvira, die vom ehemaligen Ensemblemitglied, der Sopranistin Brenda Rae, hinreißend mit allergrößtem
Ausdruck und inniger Hingabe verkörpert wurde. Ihre Wahnsinnszenen zu Ende des
1. Aktes und zu Beginn des 2. Aktes waren an Überzeugungskraft kaum zu
überbieten. Man musste fast schon Angst um die zarte, sinnliche und
zerbrechliche Person bekommen. Ihr Gesang zeugte von bewegender Eindringlichkeit.
Ebenso ist der Bassbariton Kihwan Sim herauszuheben. In der Rolle des Onkels und Freundes von
Elvira brillierte er vor allem im 2. Akt in der Cabaletta „Suoni la tromba e intrepido“, die er im Duett mit
Riccardo, dem Bariton Iurii Samoilov,
in überzeugender Weise vortrug. Das „Viva la Libertà“ von beiden war äußerst
martialisch und von hymnischen Trompetenklängen wirksam untermalt. Überhaupt
waren beide eine wunderbare Kombination zwischen überbordender Aufgeregtheit
und verständnisvoller Vermittlung.
Nicht zu vergessen natürlich John Osborn, ein Spinto-Tenor, der mühelos bis zum f´´´ zu singen
in der Lage war. Er, als Arturo, glänzte vor allem im Schlussakt. Sein Duett
mit Elvira „Unsere Qualen sind vorüber, endlich vereint uns die Liebe“, eine
Romanze von ungeheurer Eindringlichkeit, geriet zum dramaturgischen Höhepunkt
dieser Oper. In höchsten Tönen, der absolute Wahnsinn, duellierte sich das
Liebespaar, ohne wirklich zusammen zukommen.
Chor der Frankfurter Oper, unten Mitte mit erhobenen Armen, Iurii Samoilov (Riccardo) |
Stilistische Wendung und alles Andere als Effekthascherei
Die Musik Bellinis, voll theatralischer Effekte
und oft mit musikalischen Anleihen bei Rossini, Donizetti, Spontini oder Cherubini,
was bereits in seinen Opern Norma
oder Somnambula zu großem Erfolg
führte, hat hier dennoch eine stilistische Wendung genommen. Sie enthält im
eigentlichen Sinne keine Nummern mehr, sondern verfolgt einen Bogen, der in
Vielem schon die Techniken von Richard Wagner vorausdenkt. So sind die Arien,
es gibt nur wenige davon, zumeist gestützt vom Chor oder sie erweitern sich in
Duette, Terzette oder Quartette. Das gibt dieser Oper dramatisches Flair und führt,
wie der Dirigent und musikalischer Leiter, Tito
Ceccherini, betont, „zu einem
organischen Aufbau“, der es erlaubt, den Gefühlswelten einen „langen Atem“ zu
geben. Mit anderen Worten: Wir haben hier sowohl eine Grande opera á la Meyerbeer vorliegen, als auch bereits die Auflösung
der Nummernoper zugunsten des durchkomponierten musikalischen Dramas.
Hervorragend agierte hier das Opern- und Museumsorchester
unter der sicheren und gefühlvollen Hand von Ceccherini sowie der Chor der Oper
Frankfurt, unter der Leitung von Tilman
Michael, der bereits gewohnt hervorragend sang und spielte.
Diese Oper mag, wie vielfach unterstellt, inhaltlich
unlogisch, lediglich ein „vokales Schauspiel für Sopran und Tenor“, und hauptsächlich
auf Effekte aus sein. Was aber das
Frankfurter Opernteam aus ihr gemacht hat, ist einzigartig. Ein schwarzes Theater im Theater,
mit einem ideenreichen Prolog und einem absolut unerwarteten Schluss, eine
psychologische Studie über ein Genie, einen skandalumwitterten Narziss, einen Ehrgeizling
(Bellini/Arturo), der schlussendlich an seinen persönlichen und politischen Ansprüchen
zugrunde geht. Das Spiegelbild einer vorrevolutionären Epoche mit allen
individuellen und gesellschaftlichen Brüchen. In diesem Sinne ein gesanglicher,
musikalischer wie auch handlungslogischer Genuss und durchaus in seiner
Bedeutung heute wieder hochaktuell.
Viel Beifall für die extraordinären SängerInnen, den
Chor und das Orchester, aber auch Buhrufe für die Inszenierung, allerdings völlig
fehl am Platze.
Nächste Vorstellungen: 06., 08., 14., 16., 21., 26.
28.12. und 04., 12., 18.01.2019
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