Freitag, 7. Dezember 2018


Martin Grubinger (Perkussion) und das Sydney Symphony Orchestra (David Robertson), Alte Oper Frankfurt, 06.12.2018 (Eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)

Martin Grubinger (Perkussion), David Robertson (musikalische Leitung), Sydney Symphony Orchestra (Fotos: Daniel Juch)



Ein Zauberer der Gegenständlichkeit

Martin Grubinger (*1983) verkörpert nicht allein technische Perfektion, Spielfreude und Vielseitigkeit, wie es in den allgemeinen Lobeshymnen nahezu unisono heißt, sondern vor allem auch außergewöhnliche Musikalität und innovatives Gespür, das ihn zweifelsohne zu den Avantgardisten der Perkussionsszene zählen lässt. Dazu das Sydney Symphony Orchestra, ein Klangkörper (übrigens erstmals in der Alten Oper Frankfurt zu Gast), der bekannt ist für seine Offenheit für musikalische Neuentdeckungen und Experimente. Eine ideale Ergänzung für den Zauberer an den Schlagwerken. Mit dem umtriebigen und vielseitigen US-Amerikaner, David Robertson (*1958), kommt ein Chefdirigent dazu (er leitet dieses Orchester seit 2014), der vor allem in der Neuen Musik bewandert, allein durch seine Persönlichkeit und Ausstrahlung am Pult den letzten Zweifler zu überzeugen weiß.


Mit drei sehr unterschiedlichen Werken von Leonard Bernstein (1912-190) Ouvertüre zu „Candide“ (1956), James MacMillan (*1959) Concerto für percussion and orchestra No. 2 (2014) sowie Sergei Prokofjew (1891-1953) Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100, versprach der Abend in der vollbesetzten Alten Oper zu einem unvergessenen und mitreißenden Ereignis zu werden.

Bernsteins satirische Operette Candide war bekanntlich nicht sonderlicher Erfolg beschieden. Dafür aber der Ouvertüre. Ein Potpourri all der Szenen, die auch im Stück relevant sind. Es ist ein fulminantes, rhythmisch komplexes mit Jazzelementen und eingängigen Melodien versehenes, nur fünf Minuten dauerndes Bravourstückchen, das dieses groß besetzte Orchester mit fantastischem Schwung, herrlich melodischen Linien, blendender Dynamik und tänzerischer Leichtigkeit meisterte. Dazu das elegante Dirigat des Chefs. Ein Einstieg nach Maß.

Dann der Meister an den Schlagwerken. Ein verwirrender Aufbau an Geräten wie einem Aluphon (umgedrehte Alutöpfchen), Kuhglocken, Steeldrum, Militärdrums, Xylophone, Marimbaphon und Metallophon, Zimbeln und last but not least eine Galerie mit Kochtöpfen. Grubinger rieb sich, der Kunstkletterei abgeschaut, vor Beginn seines Auftritts die Hände mit Chalk (Magnesiumpulver) ein, um dann in die Höchstschwierigkeiten seines Spiels einzusteigen.

Das Stück von MacMillan besteht eigentlich aus einem Block und unterteilt sich in einen schnellen, einen langsamen und wieder einen schnellen Teil. Die Themen sind einfach, bauen auf ein Dreitonmotiv auf, das schrittweise erweitert bis zu einer Zwölftonreihe wird. Grubinger beginnt beim Aluphon, wechselt zu den Militärtrommeln und zur Galerie der Kochtöpfe und changiert bis zum langsamen Teil zwischen diesen beiden Aufbauten hin und her. Synkopischer Rhythmus und spannungsgeladenes Vorwärtstreiben, an Chatschaturjans Säbeltanz erinnernd, wird mit orchestralen Klängen, Reißen der Streichersaiten, schwebende Blaseinlagen der Bleche oder fanfarenartigen Einwürfen von Tuba und Posaunen ergänzt. Ein Wechselspiel zwischen Solist und Ensemble, in dem Gleichberechtigung herrscht. Auch klassische Instrumente werden percussiv verfremdet.

Dann der langsame Teil, einem Adagio angelehnt. Nachdenklich, beschwörend. Es ist der sakrale Moment in diesem Werk. Man scheint den Boden unter den Füßen zu verlieren. Vor allem der Part an der Steeldrum, gemeinsam mit Tuba, Trompete, Violoncelli und Kontrabässen, wird gleichsam zur liturgischen Psalmodie. Dazu die Kuhglocken und die chromatischen Skalen des Orchesters: Hier ist dem Komponisten eine ganz spezifische Komposition gelungen, die nur in dieser Zusammensetzung möglich ist.

Zurück zum schnellen ersten Teil bekommt der dritte Abschnitt dennoch eine ganz eigene Atmosphäre. Er ist nicht Reprise und doch ist er die Quintessenz des Vorangegangenen. Wieder das Dreitonmotiv, wieder der Wechsel zwischen Aluphon und Militärtrommeln, wieder die martialische Rhythmik. Aber, und das unterscheidet diesen Teil vom ersten, der Klangzauber entwickelt sich zur hymnischen Lobpreisung, zum Schlusschoral einer großen Messe. Während der Solist die gesamte Klangwelt seines Schlagwerks bedient, von den höchsten Höhen bis zu den tiefsten Tiefen, spielt das Orchester nebelige Klangwolken, im Stil von Ligetis Atmosphères, ungeheuer leise und von größter Reinheit. Ein Schluss von beeindruckender Wirkung.

Überbordender Beifall und eine Zugabe, ein akrobatisches Stückchen auf der Pipedrum, konnte das restlos begeisterte Publikum kaum beruhigen. Man wollte den Zauberer der Gegenständlichkeit nur ungern entlassen.

David Robertson (musik. Leitung), Martin Grubinger (Perkussion), Sydney Symphony Orchestra


"Triumph des menschlichen Geistes" mit Brüchen


Prokofjews viersätzige  Sinfonie Nr. 5 ist, auch wenn zu Kriegszeiten (1944/45) in einer staatlichen Künstlerkolonie in der Nähe von Moskau entstanden, dem „Triumph des menschlichen Geistes“ gewidmet. Ganz in der klassisch-romantischen Tradition geschrieben, unterscheidet es sich dennoch eklatant von seinen Vorgängern, der Dritten und Vierten Sinfonie. Die Gründe mögen vielfältig sein. Einer davon ist das Kriegsgeschehen, dass sich zugunsten der UdSSR gewendet hatte. Der andere ist seine Identität mit den Mächtigen, denen er Denkmal setzen wollte. Ein heroisches Werk für die Sowjetunion und seine Bürger. Die Hoffnung auf Freiheit und Frieden der Völker. Der ungeteilte Erfolg blieb nicht aus. Mit dieser Sinfonie erreichte Prokofieff seinen Karrierehöhepunkt und avancierte zum beliebtesten Komponisten seines Landes.

Ganze in diesem Sinne beginnt sein 45-minütiges Opus mit einem episch breiten Kopfsatz im Andante, dem allerdings ein düsterer Grundton anhängt. Statt des erhabenen B-Dur scheint vielfach das schwermütige g-Moll vorzuherrschen. Allerdings wird bei dem gewaltigen Orchesterapparat von gut 100 Instrumentalisten unterstützt von Schlaginstrumenten wie Trommel, Becken, Tamtam und Triangel, diese Einleitung zu einem gewaltigen Bekenntnis von Wucht und Eindringlichkeit. Der Zwischenapplaus wirkte da wie das Entladen eines dem Zerreißen nahen Spannungsbogens.
Treibend dagegen das Allegro marcato, ein Scherzo mit militärischem Gleichschritt, aber auch hintersinnigem Humor und schalkhaftem Witz. Wunderbar, wie der Dirigent allein durch seine körperliche Präsenz die Stimmungen einfing und auf das Orchester übertrug. Unerwartet der skurrile Schluss und die Überleitung zum Adagio.

Lyrisch, aber auch wieder mit einem düsteren Impetus, der dritte Satz. Eine Art Dance Macabre mit vielen Sekundintervallen und plötzlichen Ausbrüchen, wie Schreie voller Verzweiflung oder Hoffnung (?) von den Bläsergruppen. Die abschließende Rückbesinnung zum Anfangsthema appellierte an den Frieden, der, äußerst labil, auf unsicherem Boden steht. Dann der unmittelbare Übergang ins Schluss-Allegro, einem Rondo-Finale, sehr tänzerisch und von einer melodischen Linie, die entfernt an Bedřich Smetanas Die Moldau erinnerte. Dennoch kommen Zweifel auf, ob es sich hier um das „Lied auf den freien und glücklichen Menschen“, wie es Prokofieff formulierte, handelt. Alles bleibt auch hier brüchig und ein wirklicher Hymnus an die Menschheit ist das Finale keineswegs.

Was bleibt sind gemischte Gefühle betreffend der Komposition wie auch der Interpretation. Unbestritten war das Werk ausgesprochen erfolgreich und wurde, wegen seines triumphalen Gestus, seiner leichten Verständlichkeit vor allem nach dem Sieg der Roten Armee gegenüber Nazideutschland, zum Inbegriff der russischen Seele. Andererseits ist seine Programmatik aus heutiger Sicht in ein eher konventionelles musikalisches Prokrustesbett gezwängt, was die Erwartung an Prokofieffs innovativen Kompositionsstil ein wenig enttäuscht. 
Dazu die gewaltige Besetzung des Sydney Symphony Orchestra (SSO), das den großen Saal der Alten Oper in einen Klangrausch versetzte, der leider allzu oft ins Bombastische anwuchs. Lautstärke allein macht nicht die Musik. Hier vermisste man mitunter Differenzierungen und dynamische Wechsel. 

Dennoch zeigte das SSO unter der eleganten und optisch mitreißenden Leitung von David Robertson, dass es zu den besten der Welt gehört und zu den regelmäßigen Gästen in Frankfurt und dem Rhein-Main Gebiet zählen sollte.
Die Zugabe, eine Polonaise aus Peter Tschaikowskis Oper Eugen Onegin, mit großer Verve gespielt, geriet noch einmal zu einem pompösen Reigen: eher ein Marsch als ein Schreiten, dafür aber allgewaltig.


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