Martin
Grubinger (Perkussion) und das Sydney Symphony Orchestra (David Robertson),
Alte Oper Frankfurt, 06.12.2018 (Eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)
Martin Grubinger (Perkussion), David Robertson (musikalische Leitung), Sydney Symphony Orchestra (Fotos: Daniel Juch) |
Ein Zauberer der
Gegenständlichkeit
Martin Grubinger (*1983) verkörpert nicht allein technische
Perfektion, Spielfreude und Vielseitigkeit, wie es in den allgemeinen
Lobeshymnen nahezu unisono heißt, sondern vor allem auch außergewöhnliche
Musikalität und innovatives Gespür, das ihn zweifelsohne zu den Avantgardisten
der Perkussionsszene zählen lässt. Dazu das Sydney
Symphony Orchestra, ein Klangkörper (übrigens erstmals in der Alten Oper
Frankfurt zu Gast), der bekannt ist für seine Offenheit für musikalische Neuentdeckungen
und Experimente. Eine ideale Ergänzung für den Zauberer an den Schlagwerken.
Mit dem umtriebigen und vielseitigen US-Amerikaner, David Robertson (*1958), kommt ein Chefdirigent dazu (er leitet dieses Orchester
seit 2014), der vor allem in der Neuen Musik bewandert, allein durch seine Persönlichkeit
und Ausstrahlung am Pult den letzten Zweifler zu überzeugen weiß.
Mit
drei sehr unterschiedlichen Werken von Leonard Bernstein (1912-190) Ouvertüre zu „Candide“ (1956), James MacMillan
(*1959) Concerto für percussion and orchestra
No. 2 (2014) sowie Sergei Prokofjew (1891-1953) Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100, versprach der Abend in der
vollbesetzten Alten Oper zu einem unvergessenen und mitreißenden Ereignis zu
werden.
Bernsteins
satirische Operette Candide war
bekanntlich nicht sonderlicher Erfolg beschieden. Dafür aber der Ouvertüre. Ein
Potpourri all der Szenen, die auch im Stück relevant sind. Es ist ein fulminantes,
rhythmisch komplexes mit Jazzelementen und eingängigen Melodien versehenes, nur
fünf Minuten dauerndes Bravourstückchen, das dieses groß besetzte Orchester mit
fantastischem Schwung, herrlich melodischen Linien, blendender Dynamik und
tänzerischer Leichtigkeit meisterte. Dazu das elegante Dirigat des Chefs. Ein
Einstieg nach Maß.
Dann
der Meister an den Schlagwerken. Ein verwirrender Aufbau an Geräten wie einem
Aluphon (umgedrehte Alutöpfchen), Kuhglocken, Steeldrum, Militärdrums,
Xylophone, Marimbaphon und Metallophon, Zimbeln und last but not least eine
Galerie mit Kochtöpfen. Grubinger rieb sich, der Kunstkletterei abgeschaut, vor
Beginn seines Auftritts die Hände mit Chalk (Magnesiumpulver) ein, um dann in
die Höchstschwierigkeiten seines Spiels einzusteigen.
Das
Stück von MacMillan besteht eigentlich aus einem Block und unterteilt sich in einen
schnellen, einen langsamen und wieder einen schnellen Teil. Die Themen sind
einfach, bauen auf ein Dreitonmotiv auf, das schrittweise erweitert bis zu
einer Zwölftonreihe wird. Grubinger beginnt beim Aluphon, wechselt zu den Militärtrommeln
und zur Galerie der Kochtöpfe und changiert bis zum langsamen Teil zwischen
diesen beiden Aufbauten hin und her. Synkopischer Rhythmus und
spannungsgeladenes Vorwärtstreiben, an Chatschaturjans Säbeltanz erinnernd, wird mit orchestralen Klängen, Reißen der Streichersaiten,
schwebende Blaseinlagen der Bleche oder fanfarenartigen Einwürfen von Tuba und
Posaunen ergänzt. Ein Wechselspiel zwischen Solist und Ensemble, in dem Gleichberechtigung
herrscht. Auch klassische Instrumente werden percussiv verfremdet.
Dann
der langsame Teil, einem Adagio angelehnt.
Nachdenklich, beschwörend. Es ist der sakrale Moment in diesem Werk. Man
scheint den Boden unter den Füßen zu verlieren. Vor allem der Part an der
Steeldrum, gemeinsam mit Tuba, Trompete, Violoncelli und Kontrabässen, wird
gleichsam zur liturgischen Psalmodie. Dazu die Kuhglocken und die chromatischen
Skalen des Orchesters: Hier ist dem Komponisten eine ganz spezifische Komposition
gelungen, die nur in dieser Zusammensetzung möglich ist.
Zurück
zum schnellen ersten Teil bekommt der dritte Abschnitt dennoch eine ganz eigene
Atmosphäre. Er ist nicht Reprise und doch ist er die Quintessenz des
Vorangegangenen. Wieder das Dreitonmotiv, wieder der Wechsel zwischen Aluphon
und Militärtrommeln, wieder die martialische Rhythmik. Aber, und das
unterscheidet diesen Teil vom ersten, der Klangzauber entwickelt sich zur
hymnischen Lobpreisung, zum Schlusschoral einer großen Messe. Während der
Solist die gesamte Klangwelt seines Schlagwerks bedient, von den höchsten Höhen
bis zu den tiefsten Tiefen, spielt das Orchester nebelige Klangwolken, im
Stil von Ligetis Atmosphères,
ungeheuer leise und von größter Reinheit. Ein Schluss von beeindruckender
Wirkung.
Überbordender
Beifall und eine Zugabe, ein akrobatisches Stückchen auf der Pipedrum, konnte
das restlos begeisterte Publikum kaum beruhigen. Man wollte den Zauberer der Gegenständlichkeit
nur ungern entlassen.
David Robertson (musik. Leitung), Martin Grubinger (Perkussion), Sydney Symphony Orchestra |
"Triumph des menschlichen Geistes" mit Brüchen
Prokofjews
viersätzige Sinfonie Nr. 5 ist, auch wenn zu Kriegszeiten (1944/45) in einer staatlichen
Künstlerkolonie in der Nähe von Moskau entstanden, dem „Triumph des
menschlichen Geistes“ gewidmet. Ganz in der klassisch-romantischen Tradition
geschrieben, unterscheidet es sich dennoch eklatant von seinen Vorgängern, der Dritten und Vierten Sinfonie. Die Gründe mögen vielfältig sein. Einer davon ist
das Kriegsgeschehen, dass sich zugunsten der UdSSR gewendet hatte. Der andere
ist seine Identität mit den Mächtigen, denen er Denkmal setzen wollte. Ein
heroisches Werk für die Sowjetunion und seine Bürger. Die Hoffnung auf Freiheit
und Frieden der Völker. Der ungeteilte Erfolg blieb nicht aus. Mit dieser
Sinfonie erreichte Prokofieff seinen Karrierehöhepunkt und avancierte zum
beliebtesten Komponisten seines Landes.
Ganze
in diesem Sinne beginnt sein 45-minütiges Opus mit einem episch breiten Kopfsatz
im Andante, dem allerdings ein düsterer
Grundton anhängt. Statt des erhabenen B-Dur scheint vielfach das schwermütige g-Moll
vorzuherrschen. Allerdings wird bei dem gewaltigen Orchesterapparat von gut 100
Instrumentalisten unterstützt von Schlaginstrumenten wie Trommel, Becken,
Tamtam und Triangel, diese Einleitung zu einem gewaltigen Bekenntnis von Wucht
und Eindringlichkeit. Der Zwischenapplaus wirkte da wie das Entladen eines dem
Zerreißen nahen Spannungsbogens.
Treibend
dagegen das Allegro marcato, ein
Scherzo mit militärischem Gleichschritt, aber auch hintersinnigem Humor und
schalkhaftem Witz. Wunderbar, wie der Dirigent allein durch seine körperliche
Präsenz die Stimmungen einfing und auf das Orchester übertrug. Unerwartet der skurrile
Schluss und die Überleitung zum Adagio.
Lyrisch,
aber auch wieder mit einem düsteren Impetus, der dritte Satz. Eine Art Dance Macabre
mit vielen Sekundintervallen und plötzlichen Ausbrüchen, wie Schreie voller
Verzweiflung oder Hoffnung (?) von den Bläsergruppen. Die abschließende
Rückbesinnung zum Anfangsthema appellierte an den Frieden, der, äußerst labil,
auf unsicherem Boden steht. Dann der unmittelbare Übergang ins Schluss-Allegro, einem Rondo-Finale, sehr
tänzerisch und von einer melodischen Linie, die entfernt an Bedřich Smetanas Die Moldau
erinnerte. Dennoch kommen Zweifel auf, ob es sich hier um das „Lied auf den
freien und glücklichen Menschen“, wie es Prokofieff formulierte, handelt. Alles
bleibt auch hier brüchig und ein wirklicher Hymnus an die Menschheit ist das
Finale keineswegs.
Was
bleibt sind gemischte Gefühle betreffend der Komposition wie auch der Interpretation.
Unbestritten war das Werk ausgesprochen erfolgreich und wurde, wegen seines
triumphalen Gestus, seiner leichten Verständlichkeit vor allem nach dem Sieg
der Roten Armee gegenüber Nazideutschland, zum Inbegriff der russischen Seele.
Andererseits ist seine Programmatik aus heutiger Sicht in ein eher
konventionelles musikalisches Prokrustesbett gezwängt, was die Erwartung an
Prokofieffs innovativen Kompositionsstil ein wenig enttäuscht.
Dazu die gewaltige Besetzung
des Sydney Symphony Orchestra (SSO),
das den großen Saal der Alten Oper in einen Klangrausch versetzte, der leider
allzu oft ins Bombastische anwuchs. Lautstärke allein macht nicht die Musik. Hier
vermisste man mitunter Differenzierungen und dynamische Wechsel.
Dennoch zeigte das SSO unter der eleganten und
optisch mitreißenden Leitung von David Robertson, dass es zu den besten der
Welt gehört und zu den regelmäßigen Gästen in Frankfurt und dem Rhein-Main Gebiet
zählen sollte.
Die
Zugabe, eine Polonaise aus Peter Tschaikowskis
Oper Eugen Onegin, mit großer Verve
gespielt, geriet noch einmal zu einem pompösen Reigen: eher ein Marsch als ein
Schreiten, dafür aber allgewaltig.
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