Donnerstag, 13. Dezember 2018


Leif Ove Andsnes (Klavier) Rezital in der Alten Oper Frankfurt, 12.12.2018

Leif Ove Andsnes (Fotos: Achim Reissner)

Ein Poet am Klavier


Wenn schon die New York Times Leif Ove Andsnes (*1970) als einen Pianisten „von meisterhafter Eleganz, Kraft und Einsicht“ bezeichnet – welche steigernde Begriffe kann man da noch ergänzen, wenn damit das Wesen dieses außergewöhnlichen Künstlers im eigentlichen Sinne auf den Punkt gebracht ist? Ja man kann. Denn Andsnes muss man nicht nur gehört, sondern auch gesehen haben. 


Ein Mann im besten Alter mit perfekt sitzendem Anzug und Krawatte, modern gestylter Frisur und tadelloser Grandezza sitzt da am Konzertflügel und spielt völlig ohne Gehabe und Pathos tief romantische Stücke von Robert Schumann (1810-1856), Béla Bartók (1881-1945) und Leoš Janáček (1854-1928), alles Werke mit autobiographischen Zügen, die ohne tiefes Eindringen in die Entstehungsgeschichte zur reinen technischen Oberfläche gerieten, wenn nicht, ja wenn nicht ein Mann wie Andsnes sich dieser Kompositionen annähme.

Zunächst erzählt Andsnes in Schumanns Drei Romanzen op. 28 (1839) etwas über die Seelenlage eines Mannes (Schumann selbst), der, heillos verliebt in seine Verlobte (Clara Wieck), eine Liebeserklärung in Töne fasst, die an kraftvoller Dynamik und unbedingtem Willen nichts zu wünschen übrig lässt. So rahmt er das Mittelstück, Clara bezeichnet es als „das schönste Liebesduett“, in eine treibend dynamische, nahezu vor Erwartung berstende Einleitung sowie ein markantes marschähnliches Schlussstück mit rhapsodischer Formgebung und gesanglicher Mittellage. 
Schumann, bekanntlich selten mit sich zufrieden, empfand zwar das Stück „nicht gut u. würdig genug“, aber unter den Händen von Andsnes erhielt es Lyrik und Ausdruckskraft, das viel über seinen Charakter offenlegte. Warm im Ton, aber auch sprunghaft, affektgeladen treibend bis hin zur berückenden Liebeserklärung – eine Einleitung, die bereits deutlich machte, wie tief sich der "Poet am Klavier", wie Andsnes auch genannt wird, in das Seelenleben der Musikschöpfer hineinzudenken vermag.

Auf verwachsene Pfade, (Serie 1, 1901-1908) von Leoš Janáček begab er sich dann und erzählte die Geschichte eines Mannes, der Trauerarbeit wegen des frühen Todes seiner gerade einmal 20-jährigen Tochter Olga (1882-1903) leistete. 
Auf verwachsene Pfade besteht aus zehn autobiographischen Miniaturen, deren Musiksprache einzigartig die Gefühlswelt eines trauernden, erschütterten und nachdenklichen Vaters, der es blendend versteht, ohne Worte, rein musikalisch sein Innerstes freizulegen. Es ist ein schlichtes Werk voller Traumbilder und  Reminiszenzen, Erinnerungen an ein „verwehtes Blatt“ (Nr. 2) oder die „Friedeker Mutter Gottes“ (Nr. 4), eine Modonnenfigur von Asli Kilic, aber auch das unaussprechliche Leiden in „Es stockt das Wort“ (Nr. 6), oder „So namenlos bang“ (Nr. 8). Selbst wenn „Das Käuzchen schreit“ (Nr. 10) bleibt kein Trost zurück. In choralartigem Duktus, unterbrochen von den Rufen der Eule in abfallender Terz, ließ Andsnes keine Zweifel an der tiefen Verzweiflung des Komponisten zu jener Zeit aufkommen. Herausragend seine Pedalbehandlung, wobei er über das Sostenutopedal, das mittlere Pedal des Flügel, das Rollen der Tränen, das unendliche Leiden wie das Wehen des Windes, bei ansonsten abgedämpften Tönen, fortklingen ließ und ganz im Sinne des Titels eine verwachsene wie verhangene Atmosphäre erzeugte.

Leif Ove Andsnes am Konzertflügel im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt

"Mit Haut und Haar in den Kosmos der Komponisten eingestiegen"


Kontrastierend dazu Bartóks Drei Burlesken SZ 47 für Klavier op. 8c (1908-11). Ein humorvolles, ungestümes sowie tänzerisches Stück in drei ganz unterschiedlichen Teilen: zunächst eine Zänkerei mit rasend schnelle Sechszehnteln und percussiv pochenden Rhythmen, dann etwas angeheitert, eher beschwipst, einem Eiertanz gleich, ein Ballett mit großer Rutschgefahr, sowie einem abschließenden Capriccio, eine witzige Parodie auf das Leben schlechthin mit chromatischem Aufs- und Abs, ein Gnomentanz auf der Rasierklinge. 

Bartók, seinerzeit bekannt auch als hervorragender Konzertpianist, sagte man etwas Pantherartiges und Raubtierhaftes nach (ganz im Gegensatz seiner Physiognomie). Dieses Werk, das er übrigens für seine Klavierschülerin und erste Frau, Marta Ziegler, schrieb, charakterisiert ihn als jungen, verliebten Wilden, allerdings auf hohem Niveau bei hintersinniger Ironie. 
Andsnes allerdings kontrollierte souverän die heftigen Ausbrüche und lustvollen Überschreitungen, sodass zu keinem Zeitpunkt Absturzgefahr herrschte. So hätte man sich Bartók am Klavier vorstellen können.

Carnaval op. 9 (1833-35) von Robert Schumann bildete Abschluss und Höhepunkt des Rezitals zugleich. Noch sind Clara Wieck und der Komponist nur verliebt. Verlobt ist er dagegen mit Ernestine von Fricken, der Adoptivtochter eines Barons von Asch (Tschechien). Noch strotzt Schumann vor Vitalität und Unternehmungsgeist. Das farbenfrohe Faschingstreiben in 21 Portraits ist Ausdruck seiner Jugend, seines Sturm und Drangs, seines Schwarmgeistes, seiner romantischen Traumwelt.

Der Zyklus besteht infolgedessen aus Figuren der Comedia dell´arte wie Pierrot, Arlequin, Columbine oder Pantalon, aus geliebten Frauen wie Clara (Chiarina) und Ernestine von Fricken, der er das Mittelstück Estrella widmet, aus bekannten Künstlern wie Chopin und Paganini, aus erdachten Figuren wie Florestan und Eusebius (zwei Figuren, die er als Kritiker als Pseudonyme verwendet), und nicht zuletzt aus Walzern (Valse noble) und tänzerischen Koketterien (Coquette) sowie Lettres dansantes- (A.S.C.H.-S.C.H.A. benannt nach dem Ort Asch, den Herkunftsort von Ernestine, und den Buchstaben von Schumann) im Dreivierteltakt. Das Ganze ist gerahmt mit Préambule (Präambel) und dem finalen Marsch des „Davidsbündler“ gegen die Philister.  Ein monumentales Charakterstück von gut einer halben Stunde, das quer durch die Gemütslage eines vor Ideen überschäumenden Twens geht.

Andsnes verstand es mit großer Übersicht, kontrollierter Ruhe und Gelassenheit, dieses vor Gefühlsausbrüchen überschäumende Werk zu einem geschlossenen Charakterbild zu formen, wobei die vielen technischen Verzwicktheiten bei ihm wie Selbstverständlichkeiten wirkten. So geriet beispielsweise der kaum spielbare Paganini zu einem verblüffend runden Klangteppich und das abschließende Vivo, Animato molto und Stretto gar nicht hektisch oder überschäumend, sondern eher orchestral und dicht.

Insgesamt kreierte Andsnes einen Carnaval, der den Lebensabschnitt eines ehrgeizigen Stürmers und Drängers in einer politischen Umbruchzeit nahezu perfekt in Töne fasste und dabei ein beeindruckendes Charakterbild formte. Tatsächlich ist er kein Pianist im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr ein Gelehrter an den Tasten, der es versteht, tief in die Seele der Komponisten einzudringen.

Seine Zugaben nach überschäumendem Beifall waren ein Chopin Nocturne op. 15 Nr. 1 F-Dur und das Intermezzo aus Schumanns Faschingsschwank aus Wien op. 26. Unvergleichlich zart und kraftvoll das eine, mit größter Energie das andere.
Andsnes steht zurzeit im Fokus der Alten Oper Frankfurt und wird gemeinsam mit dem hr-Sinfonieorchester am 07. und 08. Feb 2019 und am 11. und 12. Mai 2019 mit dem Mahler Chamber Orchestra noch vier weitere Konzerte geben. Ein unbedingtes Muss für alle, die ihn gehört, gesehen und gespürt haben, und auch für jene, die das auch noch erleben wollen.


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