Leif
Ove Andsnes (Klavier) Rezital in der Alten Oper
Frankfurt, 12.12.2018
Leif Ove Andsnes (Fotos: Achim Reissner) |
Ein Poet am Klavier
Wenn schon die New York Times Leif Ove Andsnes (*1970) als einen Pianisten „von meisterhafter Eleganz, Kraft und Einsicht“ bezeichnet – welche steigernde Begriffe kann man da noch ergänzen, wenn damit das Wesen dieses außergewöhnlichen Künstlers im eigentlichen Sinne auf den Punkt gebracht ist? Ja man kann. Denn Andsnes muss man nicht nur gehört, sondern auch gesehen haben.
Ein Mann im besten Alter mit perfekt sitzendem Anzug
und Krawatte, modern gestylter Frisur und tadelloser Grandezza sitzt da am Konzertflügel
und spielt völlig ohne Gehabe und Pathos tief romantische Stücke von Robert
Schumann (1810-1856), Béla Bartók (1881-1945) und Leoš Janáček (1854-1928),
alles Werke mit autobiographischen Zügen, die ohne tiefes Eindringen in die Entstehungsgeschichte
zur reinen technischen Oberfläche gerieten, wenn nicht, ja wenn nicht ein Mann
wie Andsnes sich dieser Kompositionen annähme.
Zunächst erzählt Andsnes in Schumanns Drei Romanzen op. 28 (1839) etwas über
die Seelenlage eines Mannes (Schumann selbst), der, heillos verliebt in seine
Verlobte (Clara Wieck), eine Liebeserklärung in Töne fasst, die an kraftvoller
Dynamik und unbedingtem Willen nichts zu wünschen übrig lässt. So rahmt er das
Mittelstück, Clara bezeichnet es als „das schönste Liebesduett“, in eine treibend
dynamische, nahezu vor Erwartung berstende Einleitung sowie ein markantes
marschähnliches Schlussstück mit rhapsodischer Formgebung und gesanglicher
Mittellage.
Schumann, bekanntlich selten mit sich zufrieden, empfand zwar das
Stück „nicht gut u. würdig genug“, aber unter den Händen von Andsnes erhielt es
Lyrik und Ausdruckskraft, das viel über seinen Charakter offenlegte. Warm im Ton, aber auch sprunghaft, affektgeladen
treibend bis hin zur berückenden Liebeserklärung – eine Einleitung, die bereits
deutlich machte, wie tief sich der "Poet am Klavier", wie Andsnes auch genannt
wird, in das Seelenleben der Musikschöpfer hineinzudenken vermag.
Auf
verwachsene Pfade, (Serie 1, 1901-1908) von Leoš Janáček
begab er sich dann und erzählte die Geschichte eines Mannes, der Trauerarbeit
wegen des frühen Todes seiner gerade einmal 20-jährigen Tochter Olga (1882-1903)
leistete.
Auf verwachsene Pfade
besteht aus zehn autobiographischen Miniaturen, deren Musiksprache einzigartig
die Gefühlswelt eines trauernden, erschütterten und nachdenklichen Vaters, der
es blendend versteht, ohne Worte, rein musikalisch sein Innerstes freizulegen.
Es ist ein schlichtes Werk voller Traumbilder und Reminiszenzen, Erinnerungen an ein „verwehtes
Blatt“ (Nr. 2) oder die „Friedeker Mutter Gottes“ (Nr. 4), eine Modonnenfigur
von Asli Kilic, aber auch das unaussprechliche Leiden in „Es stockt das Wort“
(Nr. 6), oder „So namenlos bang“ (Nr. 8). Selbst wenn „Das Käuzchen schreit“ (Nr.
10) bleibt kein Trost zurück. In choralartigem Duktus, unterbrochen von den
Rufen der Eule in abfallender Terz, ließ
Andsnes keine Zweifel an der tiefen Verzweiflung des Komponisten zu jener Zeit
aufkommen. Herausragend seine Pedalbehandlung, wobei er über das Sostenutopedal, das mittlere Pedal
des Flügel, das Rollen der Tränen, das unendliche Leiden wie das Wehen des
Windes, bei ansonsten abgedämpften Tönen, fortklingen ließ und ganz im Sinne des Titels eine
verwachsene wie verhangene Atmosphäre erzeugte.
Leif Ove Andsnes am Konzertflügel im Mozart Saal der Alten Oper Frankfurt |
"Mit Haut und Haar in den Kosmos der Komponisten eingestiegen"
Kontrastierend dazu Bartóks Drei Burlesken SZ 47 für
Klavier op. 8c (1908-11). Ein humorvolles, ungestümes sowie tänzerisches
Stück in drei ganz unterschiedlichen Teilen: zunächst eine Zänkerei mit rasend schnelle Sechszehnteln und percussiv pochenden
Rhythmen, dann etwas angeheitert, eher
beschwipst, einem Eiertanz gleich, ein Ballett mit großer Rutschgefahr, sowie
einem abschließenden Capriccio, eine
witzige Parodie auf das Leben schlechthin mit chromatischem Aufs- und Abs, ein
Gnomentanz auf der Rasierklinge.
Bartók, seinerzeit bekannt auch als hervorragender Konzertpianist,
sagte man etwas Pantherartiges und Raubtierhaftes nach (ganz im Gegensatz
seiner Physiognomie). Dieses Werk, das er übrigens für seine Klavierschülerin
und erste Frau, Marta Ziegler, schrieb, charakterisiert ihn als jungen, verliebten
Wilden, allerdings auf hohem Niveau bei hintersinniger Ironie.
Andsnes allerdings
kontrollierte souverän die heftigen Ausbrüche und lustvollen Überschreitungen,
sodass zu keinem Zeitpunkt Absturzgefahr herrschte. So hätte man sich Bartók am
Klavier vorstellen können.
Carnaval
op. 9
(1833-35) von Robert Schumann bildete Abschluss und Höhepunkt des Rezitals zugleich.
Noch sind Clara Wieck und der Komponist nur verliebt. Verlobt ist er dagegen
mit Ernestine von Fricken, der Adoptivtochter eines Barons von Asch
(Tschechien). Noch strotzt Schumann vor Vitalität und Unternehmungsgeist. Das farbenfrohe Faschingstreiben in 21 Portraits ist Ausdruck seiner Jugend, seines
Sturm und Drangs, seines Schwarmgeistes, seiner romantischen Traumwelt.
Der Zyklus besteht infolgedessen aus Figuren der
Comedia dell´arte wie Pierrot, Arlequin, Columbine oder Pantalon,
aus geliebten Frauen wie Clara (Chiarina)
und Ernestine von Fricken, der er das Mittelstück Estrella widmet, aus bekannten Künstlern wie Chopin und Paganini, aus
erdachten Figuren wie Florestan und Eusebius (zwei Figuren, die er als
Kritiker als Pseudonyme verwendet), und nicht zuletzt aus Walzern (Valse noble) und tänzerischen Koketterien
(Coquette) sowie Lettres dansantes- (A.S.C.H.-S.C.H.A.
benannt nach dem Ort Asch, den Herkunftsort von Ernestine, und den Buchstaben
von Schumann) im Dreivierteltakt. Das Ganze ist gerahmt mit Préambule (Präambel) und dem finalen Marsch des „Davidsbündler“ gegen die
Philister. Ein monumentales Charakterstück
von gut einer halben Stunde, das quer durch die Gemütslage eines vor Ideen
überschäumenden Twens geht.
Andsnes verstand es mit großer Übersicht, kontrollierter
Ruhe und Gelassenheit, dieses vor Gefühlsausbrüchen überschäumende Werk zu
einem geschlossenen Charakterbild zu formen, wobei die vielen technischen Verzwicktheiten
bei ihm wie Selbstverständlichkeiten wirkten. So geriet beispielsweise der kaum
spielbare Paganini zu einem verblüffend runden Klangteppich und das
abschließende Vivo, Animato molto und Stretto gar nicht hektisch oder überschäumend, sondern eher
orchestral und dicht.
Insgesamt kreierte Andsnes einen Carnaval, der den Lebensabschnitt eines ehrgeizigen Stürmers und
Drängers in einer politischen Umbruchzeit nahezu perfekt in Töne fasste und dabei
ein beeindruckendes Charakterbild formte. Tatsächlich ist er kein Pianist im
herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr ein Gelehrter an den Tasten, der es
versteht, tief in die Seele der Komponisten einzudringen.
Seine Zugaben nach überschäumendem Beifall waren ein
Chopin Nocturne op. 15 Nr. 1 F-Dur und
das Intermezzo aus Schumanns Faschingsschwank aus Wien op. 26. Unvergleichlich zart und kraftvoll das eine, mit größter Energie das andere.
Andsnes steht zurzeit im Fokus der Alten Oper Frankfurt und wird gemeinsam mit dem
hr-Sinfonieorchester am 07. und 08. Feb 2019 und am 11. und 12. Mai 2019 mit dem
Mahler Chamber Orchestra noch vier weitere Konzerte geben. Ein unbedingtes Muss
für alle, die ihn gehört, gesehen und gespürt haben, und auch für jene, die das
auch noch erleben wollen.
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