„Schubert!- Projekt“, Carolin Widmann (Violine) und das he-Sinfonieorchester (Leitung
Andrés Orozco-Estrada), Alte Oper Frankfurt, 14.12.2018
Carolin Widmann (Foto: Carolin Widmann) |
Ein ganz persönliches Violinkonzert
Es ist das zweite von insgesamt vier Konzerten der zyklischen Gesamtaufführung von Franz Schuberts (1797-1828) insgesamt acht Sinfonien, die das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung ihres Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada innerhalb der Spielzeit 2018/19 auf dem Programm hat, kontrastreich ergänzt von Werken des Meisters selbst sowie zeitgenössischer Komponisten.
Am gestrigen Abend sind es neben der 8.Sinfonie D 944 (1826/27), genannt auch die „Große C-Dur-Sinfonie“ (die
Sechste steht in derselben Tonart), noch Schuberts A-Dur Rondo für Violine und Orchester D 438 (1816) und eine Deutsche
Erstaufführung, nämlich das 2.Violinkonzert (2018) von Jörg Widmann (*1973), gewidmet seiner Schwester
Carolin (*1976) und Auftragswerk der Suntory Hall Tokyo, des Orchestre de Paris
und des Hessischen Rundfunks.
Bereits im Vorgespräch mit Christine Hillebrand
(Moderatorin) und Mareike Beckmann (Musikwissenschaftlerin) machte Carolin Widmann
deutlich, warum sie Schuberts Musik so über die Maßen schätzt: Es seien seine
direkte Emotionalität, seine Purheit im Ausdruck, sein Melodienreichtum. „Bei Schubert
ist nichts Oberfläche, nichts blendet, nichts ist Selbstzweck“, lautete ihr
Resümee und deutete gleichzeitig auf die enge Verwandtschaft Schuberts mit
ihrer Musikauffassung und der ihres Bruders Jörg hin. Sein Violinkonzert sei
eine Zusammenfassung ihrer gut vierzig-jährigen Geschwisterliebe. Ebenso pur,
ebenso direkt und ebenso emotional wie die ihres Vorbildes. „Ich interpretiere
deshalb nicht das Werk“, betont sie, „ich bin das Werk.“ Und zu ihrem Bruder
meinte sie ergänzend: „Mit diesem Werk hat er sich selbst geschrieben. Das Violinkonzert
ist er, egal ob es gefällt oder nicht.“
Das Rondo ist
bekanntlich Schuberts einziges Werk, in dem er die Geige einem Orchester gegenüberstellt.
Obwohl perfekt im Violin- und Bratschenspiel, hat er der Geige keine
solistische Rolle zugedacht. Insofern könnte dieses ausdrucksstarke (Adagio) und rhythmisch prägnante (Allegro), fast 15-minütige Stück einen gewissen Trost für ein
entgangenes Violinkonzert dieses leider viel zu früh verstorbenen Komponisten
bieten.
Unter den Händen der Solistin und den dreißig
Streichern geriet dieser insgesamt doch heitere Rundtanz zu einem bewegenden,
sehr romantischen, emotional überbordenden Ereignis. Widmann, in pastellgrün
gekleidet, spielte bewegungsreich, mit sehr ausgeprägten Rubati und,
entsprechend ihrer Farbwahl, mit viel Pathos und pastoser Farbgebung, wobei sie
den Zwischenspielen jeweils eine eigene Dynamik und Ausdruckskraft verlieh. Ein
stimmungsvoller Einstieg und eine, wie sich zeigte, musikalisch passende
Überleitung zum Violinkonzert ihres Bruders.
Das 2.
Violinkonzert bezeichnet Jörg Widmann als „eigene Gattung“. Er habe damit
seinen Kompositionsstil in neue Bahnen gerückt. Allein das gewaltige Orchester
(zehnfach besetzte Streicher, 22 Bläser, vier Perkussionisten, Celesta, Harfe,
Kontrabass-Klarinette, Bassoboe, Bassfagott und diverse Klangkörper, wie
Waterphone und Pfeifen), zeugt bereits von außergewöhnlicher Farbgebung und
Fülle. In drei Teile gegliedert erzählt dieses 35-minütige Kolossalwerk die
Geschichte der Violine („die Suche der Geige nach sich selbst“), und zugleich
die der Menschen, die sie bespielen, deren Leben sie begleitet.
Kern des Werks ist eine Romanze, die, gerahmt von einem Prolog, Una Ricerca (die Suche nach dem Klang) und einem Epilog, Mobile (der Klang ist gefunden, aber
nicht zu kontrollieren), im Duktus von Kinderliederfragmenten und
Melodiesplitter (man vermeint mitunter Greensleeves
zu hören) das gesamte Spektrum zwischen Trauer und Freude, zwischen Leid und
Hoffnung, zwischen Liebe und Hass umfasst.
Im Moll-Charakter, zwischen Wiegenlied und
Trauermarsch, mit Seufzermotivik und bedrohlich chaotischen Passagen im
Dreifachforte, endet das Stück, Muster und Figuren des Vorangegangen fortspinnend,
quasi übergangslos in Glissando ähnlichen Tonketten, rasend schnell, im Raum
schwebend, dabei extrem kontrastreich. Ein dramatisches Nachspiel ohne festen
Boden. Das ganze Orchester ist im Einsatz, während die Solistin mit glasklarem
Flageolett und heftigen Tremoli in höchste Höhen zu entschweben scheint.
Carolin Widmann versank tief in das musikalische
Geschehen und verstand es, die Seele dieser „heiligen Gattung“ musikalisch
herauszuarbeiten. Besonders gelungen dabei war ihr suchender Einstieg in das Wesen
des Instruments zu Anfang, mit Gesang und kindlichem Erforschen des
Klangkörpers. Die Geburt einer Liebe, sehr menschlich und durchaus mit ganz
persönlichen und geschwisterlichen Bezügen. Technisch makellos verstand sie es,
dem doch postromantisch anmutenden Werk ihre ganz persönliche Note zu verleihen.
Mit ihrem Bruder als Dirigenten wäre das Stück möglicherweise noch intimer
geraten, aber auch so war es eine ganz besondere deutsche Erstaufführung von
und mit zwei ganz besonderen Musikern.
Die große C-Dur-Sinfonie, das Opus Magnus eines viel zu früh Verstorbenen
hr-Sinfonieorchester, ein Geschenkpaket zu Weihnachten 2018 (Foto: Ben Knake)
Die Achte,
eigentlich der Höhepunkt des Schubert-Projekt-Abends,
ließ dann allerdings ein wenig die Flügel hängen. Es waren fast schon
eineinhalb Stunden vergangen, als die fast 55-Minuten dauernde Große C-Dur-Sinfonie mit einer
Hornfanfare, einem achttaktigen Thema, eingeleitet wurde.
Die viersätzige Sinfonie ist definitiv die letzte
und entsteht gemeinsam mit der f-Moll
Fantasie, drei Klaviersonaten,
dem 92. Psalm, diversen Liedern und Instrumentalwerken.
Mit anderen Worten: Trotz des herannahenden Todes
schreibt Schubert fleißig an seinen am Ende über eintausend Werken und scheint,
abgesehen von seiner voranschreitenden Krankheit (ob Typhus oder Syphilis sei
dahingestellt), voller Tatendrang zu sein. Auch erhält er Geld für seine
Arbeiten und bekommt sogar 800 Gulden für sein erstes öffentliches Konzert (März
1828), dass großes Aufsehen erregt. Andererseits scheint ihm jeglicher weitere
Erfolg versagt, was sich auch an der Reaktion zu seiner letzten Großen Sinfonie zeigt. Sie wird zwar vom
Wiener Konservatorium wohlwollend entgegengenommen, nicht aber gespielt. Erst
zehn Jahre nach seinem Tod findet Robert Schumann bei seinem Bruder Ferdinand
die Partitur, sendet sie an Mendelssohn Bartholdi nach Leipzig, der sie wenige
Monate später mit Erfolg aufführt.
Was aber zeichnet diese Sinfonie aus? In der
klassischen Form gehalten steht sie zwischen Mozart, Haydn und Beethoven und
zählt zur Gattung der romantischen Sinfonien. Nicht motivisch-thematische Verarbeitung
beherrschen es, sondern Lyrik und liedhafte Strukturen. Schubert dehnt die Form
extrem – so umfasst der erste Satz (Andante-Allegro
ma non troppo) allein 684 Takte, der zweite (Andante con moto) kaum weniger – und schafft so ein Mammutwerk, das
überwiegend durch die rhythmischen Verflechtungen – der eigenwilligen
trochäischen Punktierung (lang-kurz-lang-kurz) – zusammengehalten wird.
Es ist ein anstrengendes opus Magnus, voller Ideen, aber auch mit vielen Längen und Wiederholungen.
So wirkten selbst das Scherzo und das
abschließende Allegro Vivace, tänzerisch
und lebendig vorzutragen, zumindest unter der gewohnt engagierten Leitung von Orozco-Estrada,
eher zurückhaltend, langatmig und empathiearm.
Obwohl klassisch besetzt (Bläser zweifach, Posaunen dreifach, Streicher achtfach)
dominierte doch mehr der gedämpfte, verhaltene, romantisch verinnerlichte Ton.
Es fehlten dagegen der Aufbruch und die Hoffnungsstimmung, die sich ebenfalls
in dem Werk spiegelt. Denn Schubert mag zwar an seiner Krankheit und den politischen
Verhältnissen der Metternich-Restauration gelitten haben, aber als knapp
30-jähriger war er gerade dabei, seinen ganz persönlichen Weg zu finden, der
ihm leider verwehrt war.
Eine Achte,
die nicht ganz überzeugen konnte. Aber ein Abend mit großen romantischen
Gefühlen und wunderbaren Liedern, wenn auch, wie im Falle des 2.Violinkonzerts, nur angerissen, aber dafür
die Fantasie beseelend.
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