Samstag, 15. Dezember 2018


„Schubert!- Projekt“, Carolin Widmann (Violine) und das he-Sinfonieorchester (Leitung Andrés Orozco-Estrada), Alte Oper Frankfurt, 14.12.2018

Carolin Widmann (Foto: Carolin Widmann)


Ein ganz persönliches Violinkonzert


Es ist das zweite von insgesamt vier Konzerten der zyklischen Gesamtaufführung von Franz Schuberts (1797-1828) insgesamt acht Sinfonien, die das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung ihres Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada innerhalb der Spielzeit 2018/19 auf dem Programm hat, kontrastreich ergänzt von Werken des Meisters selbst sowie zeitgenössischer Komponisten.


Am gestrigen Abend sind es neben der 8.Sinfonie D 944 (1826/27), genannt auch die „Große C-Dur-Sinfonie“ (die Sechste steht in derselben Tonart), noch Schuberts A-Dur Rondo für Violine und Orchester D 438 (1816) und eine Deutsche Erstaufführung, nämlich das 2.Violinkonzert (2018) von Jörg Widmann (*1973), gewidmet seiner Schwester Carolin (*1976) und Auftragswerk der Suntory Hall Tokyo, des Orchestre de Paris und des Hessischen Rundfunks.

Bereits im Vorgespräch mit Christine Hillebrand (Moderatorin) und Mareike Beckmann (Musikwissenschaftlerin) machte Carolin Widmann deutlich, warum sie Schuberts Musik so über die Maßen schätzt: Es seien seine direkte Emotionalität, seine Purheit im Ausdruck, sein Melodienreichtum. „Bei Schubert ist nichts Oberfläche, nichts blendet, nichts ist Selbstzweck“, lautete ihr Resümee und deutete gleichzeitig auf die enge Verwandtschaft Schuberts mit ihrer Musikauffassung und der ihres Bruders Jörg hin. Sein Violinkonzert sei eine Zusammenfassung ihrer gut vierzig-jährigen Geschwisterliebe. Ebenso pur, ebenso direkt und ebenso emotional wie die ihres Vorbildes. „Ich interpretiere deshalb nicht das Werk“, betont sie, „ich bin das Werk.“ Und zu ihrem Bruder meinte sie ergänzend: „Mit diesem Werk hat er sich selbst geschrieben. Das Violinkonzert ist er, egal ob es gefällt oder nicht.“

Das Rondo ist bekanntlich Schuberts einziges Werk, in dem er die Geige einem Orchester gegenüberstellt. Obwohl perfekt im Violin- und Bratschenspiel, hat er der Geige keine solistische Rolle zugedacht. Insofern könnte dieses ausdrucksstarke (Adagio) und  rhythmisch prägnante (Allegro), fast 15-minütige Stück einen gewissen Trost für ein entgangenes Violinkonzert dieses leider viel zu früh verstorbenen Komponisten bieten.

Unter den Händen der Solistin und den dreißig Streichern geriet dieser insgesamt doch heitere Rundtanz zu einem bewegenden, sehr romantischen, emotional überbordenden Ereignis. Widmann, in pastellgrün gekleidet, spielte bewegungsreich, mit sehr ausgeprägten Rubati und, entsprechend ihrer Farbwahl, mit viel Pathos und pastoser Farbgebung, wobei sie den Zwischenspielen jeweils eine eigene Dynamik und Ausdruckskraft verlieh. Ein stimmungsvoller Einstieg und eine, wie sich zeigte, musikalisch passende Überleitung zum Violinkonzert ihres Bruders.

Das 2. Violinkonzert bezeichnet Jörg Widmann als „eigene Gattung“. Er habe damit seinen Kompositionsstil in neue Bahnen gerückt. Allein das gewaltige Orchester (zehnfach besetzte Streicher, 22 Bläser, vier Perkussionisten, Celesta, Harfe, Kontrabass-Klarinette, Bassoboe, Bassfagott und diverse Klangkörper, wie Waterphone und Pfeifen), zeugt bereits von außergewöhnlicher Farbgebung und Fülle. In drei Teile gegliedert erzählt dieses 35-minütige Kolossalwerk die Geschichte der Violine („die Suche der Geige nach sich selbst“), und zugleich die der Menschen, die sie bespielen, deren Leben sie begleitet.

Kern des Werks ist eine Romanze, die, gerahmt von einem Prolog, Una Ricerca (die Suche nach dem Klang) und einem Epilog, Mobile (der Klang ist gefunden, aber nicht zu kontrollieren), im Duktus von Kinderliederfragmenten und Melodiesplitter (man vermeint mitunter Greensleeves zu hören) das gesamte Spektrum zwischen Trauer und Freude, zwischen Leid und Hoffnung, zwischen Liebe und Hass umfasst.

Im Moll-Charakter, zwischen Wiegenlied und Trauermarsch, mit Seufzermotivik und bedrohlich chaotischen Passagen im Dreifachforte, endet das Stück, Muster und Figuren des Vorangegangen fortspinnend, quasi übergangslos in Glissando ähnlichen Tonketten, rasend schnell, im Raum schwebend, dabei extrem kontrastreich. Ein dramatisches Nachspiel ohne festen Boden. Das ganze Orchester ist im Einsatz, während die Solistin mit glasklarem Flageolett und heftigen Tremoli in höchste Höhen zu entschweben scheint.

Carolin Widmann versank tief in das musikalische Geschehen und verstand es, die Seele dieser „heiligen Gattung“ musikalisch herauszuarbeiten. Besonders gelungen dabei war ihr suchender Einstieg in das Wesen des Instruments zu Anfang, mit Gesang und kindlichem Erforschen des Klangkörpers. Die Geburt einer Liebe, sehr menschlich und durchaus mit ganz persönlichen und geschwisterlichen Bezügen. Technisch makellos verstand sie es, dem doch postromantisch anmutenden Werk ihre ganz persönliche Note zu verleihen. Mit ihrem Bruder als Dirigenten wäre das Stück möglicherweise noch intimer geraten, aber auch so war es eine ganz besondere deutsche Erstaufführung von und mit zwei ganz besonderen Musikern.

Die große C-Dur-Sinfonie, das Opus Magnus eines viel zu früh Verstorbenen


hr-Sinfonieorchester, ein Geschenkpaket zu Weihnachten 2018 (Foto: Ben Knake)



Die Achte, eigentlich der Höhepunkt des Schubert-Projekt-Abends, ließ dann allerdings ein wenig die Flügel hängen. Es waren fast schon eineinhalb Stunden vergangen, als die fast 55-Minuten dauernde Große C-Dur-Sinfonie mit einer Hornfanfare, einem achttaktigen Thema, eingeleitet wurde. 

Die viersätzige Sinfonie ist definitiv die letzte und entsteht gemeinsam mit der f-Moll Fantasie, drei Klaviersonaten, dem 92. Psalm, diversen Liedern und Instrumentalwerken.
Mit anderen Worten: Trotz des herannahenden Todes schreibt Schubert fleißig an seinen am Ende über eintausend Werken und scheint, abgesehen von seiner voranschreitenden Krankheit (ob Typhus oder Syphilis sei dahingestellt), voller Tatendrang zu sein. Auch erhält er Geld für seine Arbeiten und bekommt sogar 800 Gulden für sein erstes öffentliches Konzert (März 1828), dass großes Aufsehen erregt. Andererseits scheint ihm jeglicher weitere Erfolg versagt, was sich auch an der Reaktion zu seiner letzten Großen Sinfonie zeigt. Sie wird zwar vom Wiener Konservatorium wohlwollend entgegengenommen, nicht aber gespielt. Erst zehn Jahre nach seinem Tod findet Robert Schumann bei seinem Bruder Ferdinand die Partitur, sendet sie an Mendelssohn Bartholdi nach Leipzig, der sie wenige Monate später mit Erfolg aufführt.

Was aber zeichnet diese Sinfonie aus? In der klassischen Form gehalten steht sie zwischen Mozart, Haydn und Beethoven und zählt zur Gattung der romantischen Sinfonien. Nicht motivisch-thematische Verarbeitung beherrschen es, sondern Lyrik und liedhafte Strukturen. Schubert dehnt die Form extrem – so umfasst der erste Satz (Andante-Allegro ma non troppo) allein 684 Takte, der zweite (Andante con moto) kaum weniger – und schafft so ein Mammutwerk, das überwiegend durch die rhythmischen Verflechtungen – der eigenwilligen trochäischen Punktierung (lang-kurz-lang-kurz) – zusammengehalten wird.

Es ist ein anstrengendes opus Magnus, voller Ideen, aber auch mit vielen Längen und Wiederholungen. So wirkten selbst das Scherzo und das abschließende Allegro Vivace, tänzerisch und lebendig vorzutragen, zumindest unter der gewohnt engagierten Leitung von Orozco-Estrada, eher zurückhaltend, langatmig und empathiearm. Obwohl klassisch besetzt (Bläser zweifach, Posaunen dreifach, Streicher achtfach) dominierte doch mehr der gedämpfte, verhaltene, romantisch verinnerlichte Ton. Es fehlten dagegen der Aufbruch und die Hoffnungsstimmung, die sich ebenfalls in dem Werk spiegelt. Denn Schubert mag zwar an seiner Krankheit und den politischen Verhältnissen der Metternich-Restauration gelitten haben, aber als knapp 30-jähriger war er gerade dabei, seinen ganz persönlichen Weg zu finden, der ihm leider verwehrt war.

Eine Achte, die nicht ganz überzeugen konnte. Aber ein Abend mit großen romantischen Gefühlen und wunderbaren Liedern, wenn auch, wie im Falle des 2.Violinkonzerts, nur angerissen, aber dafür die Fantasie beseelend.

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