Nelson Freire
(Klavier) und die Academy of St Martin
in the Fields, Alte Oper Frankfurt, 08.12.2018 (Eine Veranstaltung von PRO
ARTE Frankfurt)
Nelson Freire und die Academy of St Martin in the Fields (Foto: Paul Sklorz) |
Zwischen stürmisch drängend und tiefer Innerlichkeit
Der Abend galt dem Frühwerk Ludwig van Beethovens (1770-1827), dem Wendepunkt von der Klassik zur Romantik, von der aristokratischen Galanterie, dem Klaren und Singbaren, zum bürgerlichen Selbstbewusstsein, dem Extremen und Bizarren. Es ist die frühe und ausgesprochen erfolgreiche Schaffensphase des kaum 30-jährigen Genies, das bereits in Wien die Berühmtheit eines Haydn und Mozart erlangt hatte, ja sogar übertraf.
Nelson Freire
(*1944) und Academy of St Martin in the
Fields hatten sich für ein Programm entschieden, das die Zwiespältigkeit,
den Sturm und Drang des Komponisten zur Zeit der französischen Revolution und
der napoleonischen Umgestaltung Europas beeindruckend widerspiegelte: Die Romanze für Violine und Orchester Nr. 1
G-Dur op. 40 (1800/01), die Sinfonie
Nr. 2 D-Dur op. 36 (1800/03) sowie das 5.
Klavierkonzert Es-Dur op. 73 (1809/11)
Eine bedächtige Violinromanze
von tiefer romantischer Innerlichkeit eröffnete diesen denkwürdigen Abend. Tomo Keller (*1974), seit 2016 Leiter,
Konzertmeister und Solist der 'Academy' in personam, ließ dieses in keine
Gattung passende Stückchen zu einem musikalischen Dialog zwei Liebenden werden.
Ein berückendes Zwiegespräch zwischen
Ensemble und Solist (Keller spielte auf einer G.B. Guadagnini-Violine von 1778),
das der Romantik Tür und Tor öffnete.
Ganz stürmisch drängend dann die Sinfonie Nr. 2 D-Dur – 1803 in Wien uraufgeführt, aber bereits seit
1800 in Arbeit. Man ist geneigt, dem Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung von 1812 zu folgen, der dazu meinte:
„… warum wollen wir denn von dem Komponisten, der das Ganze, so wenig
erforschte Gebiet der Tonkunst in Anspruch nimmt, erwarten, dass er nur an
hergebrachten Formen hange; nur immer den Ohren schmeichle; nie uns
erschüttere, und über das Gewohnte, wenn auch etwas gewaltsam, erhebe?“ Im
Klartext: Schon damals trennt sich Beethoven von dem Stil Haydns und Mozarts,
seine unbestrittenen Vorbilder, um einen ganz eigenen, neuen Weg einzuschlagen. Durchaus im Schatten seiner Eroica,
der Dritten Sinfonie, zeigt er in dieser
vierteiligen Sinfonie bereits einen
klaren Paradigmenwechsel hin zur Romantik, vom objektiven Allgemeinen hin zum
subjektiven Individuellen.
Es ist die ungewöhnliche Themengebung, das einleitende Adagio molto des ersten Satzes mit seiner
kontrastreichen Gestaltung, es ist das Nebeneinander von fortissimo-Akkorden
und sanften Kantilenen, die herabstürzenden Dominantseptakkorde, die beinahe schon
an die Neunte erinnern. Dann das
spannend schöne Larghetto, wo
Galanterie und plötzliche dunkle Schattenseiten miteinander konkurrieren. Das Scherzo mit seinen dynamischen Wechseln,
rhythmischen Widerborstigkeiten und heftigen Dissonanzen sowie das
abschließendes Allegro molto, das den
Wahnsinn in Rondoform einführt und in einer Coda gipfelt, die in einem
Tutti-Fortissimo mit stockenden Fermaten und hämmernden Repetitionen einer
musikalischen Explosion gleichkommt.
All das wäre allerdings ohne die Academy undenkbar. Was die knapp dreißig Instrumentalisten unter der
umsichtigen Leitung von Tomo Keller auf die Bühne zauberten, war vom Feinsten:
Perfekte Akzentuierung, breitgestreute Dynamik, absolut harmonisches Zusammenspiel
ließen diesen frühen Beethoven zu einem ganz neuen Hörerlebnis werden.
Ein majestätischer Löwe lässt seine Pranken spielen
Ungewöhnlich die Aufteilung des Programms, denn das
Klavierkonzert wurde erst zum Schluss der Abendvorstellung präsentiert. Das aber
mit gutem Grund, denn das Konzert für
Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur (1809 entstanden und 1811 in Leipzig
uraufgeführt) ist das zuletzt verfasste Werk aus dieser illustren Reihe (Vierte und Fünfte Sinfonie sowie das Vierte
Klavierkonzert, die Chorfantasie
und die C-Dur Messe) und bildet quasi
den Abschluss einer Entwicklung, die, jenseits von Rokoko, Klassik sowie Sturm
und Drang, endgültig das Tor zur Romantik öffnet.
Nelson Freire sprang
für den leider erkrankten Murray Perahia ein. Das aber mit einer Verve und
Vitalität, was dem Konzert eine ganz eigenwillige Neuinterpretation verlieh. Einem
alten, majestätischen Löwen gleich bearbeitete er die Tasten mit seinen
Pranken, mal butterweich, dann wieder mit ausgefahrenen Krallen. Alle Hürden und
Schwierigkeiten bereits genommen, spielte er cool seinen Part und zeigte gleich
zu Anfang des Allegro, der
ungewöhnlichen Kadenz nach dem Es-Dur Dreiklang des Orchesters vor der Exposition,
wer der Herr im Hause ist – unglaublich virtuos und abgeklärt zugleich.
Das Adagio mit
gedämpften Streichern zu einer choralähnlichen Thematik machte aus dem Löwen
einen sanften Familienvater, der mit weicher Tatze über die Häupter seiner
Kinder strich. Ein berückender Dialog zwischen Orchester und Solist, der
tatsächlich offen ließ, wer hier die Dominanz inne hatte.
Ganz im Gegensatz dazu das Finale, das Allegro ma non tanto: ein
Rondo mit donnerndem Fortissimo eines aufstrebenden Dreiklangs und eingebauten rhythmischen
Verschiebungen. Beide, Orchester wie Solist, führten hier einen heftigen,
äußerst spannenden Dialog mit mehrmals folgender Rückführung zum Grundthema.
Dazwischen Ausflüge in verschiedene, vom Es-Dur weit entfernte Tonarten. Ein
Kampf der Giganten, brillant geführt mit scharfer Klinge. Hier zeigte der Löwe
erstmals Emotionen und man merkte, dass trotz des tänzerischen 6/8-Takts, das
Gefecht auf Messers Schneide geführt wurde. Die ausgedehnte Coda, eine längerer
Dialog zwischen Klavier und Pauke, führte denn doch zum triumphalen Gipfelpunkt,
wo das Klavier zumindest einen kleinen Sieg für sich verbuchen konnte.
Freire und die Academy of St Martin in the Fields – eine
Verbindung, die der Persönlichkeit Beethovens sehr nahe kam. Wie schrieb noch
Bettina Brentano, ein Freundin des Komponisten über ihn: „Er kann sehr zornig
werden, hat Wutausbrüche, wirkt schroff, sogar beleidigend … doch schnell
weicht dieser Zustand dem der Reue und rührend aufflackernden Güte.“ All das
ist in diesem Konzert enthalten und wurde von beiden Klangkörpern mit Bravour
in Szene gesetzt. Selten so etwas gehört.
Die Zugabe, eine Klavierbearbeitung von Willibald Glucks Der Reigen seliger Geist aus dessen Oper
Orpheus und Euridice, ließ noch
einmal die „rührend aufflackernde Güte“ des Meisters aufblitzen. So wie er die
Tasten streichelte wollte man selbst zum Konzertflügel werden. Der Beifall war
denn auch überschwänglich und ausgesprochen herzlich.
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