Rinaldo
(1711), Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Erste
Wiederaufnahme der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot, 12.01.2019 (Premiere:
16.09.2017 ebendort)
Jakub Józef Orliński als Rinaldo im Kampf mit den Geistern (TänzerInnen) Fotos: Barbara Aumüller |
Eine Oper – ganz nach dem Zeitgeist und ohne moralischen Zeigefinger
Rinaldo
sollte als Debütoper Händels im Londoner Queens Theatre am Haymarket, in der Absicht,
das verwöhnte Publikum für sich zu gewinnen und in dieser Weltstadt Fuß zu
fassen, zum großen Spektakel werden, was dem damals 25-jährigen, gerade in London Angekommenen, im Jahre 1711 auch auf ganzer Linie gelang.
Mit zwei kongenialen Helfern, dem Impresario und
Librettisten Aaron Hill und dem Texter Giacomo Rossi, schrieb er ein Dramma per Musica über eine europaweit
bekannte Geschichte von Almira und Rinaldo, eine Tragödie aus Torquato Tassos
Epos La Gerusalemme liberata (1574),
und spickte sie mit prächtigen Arien, effektvoller Musik, Donner und Blitz,
Vögeln, Drachen, Wasserfällen, mit Zauber und – was damals das imperiale
England überzeugte – mit einer Geschichte des moralischen Sieges der Christen
gegenüber die Muslime am Beispiel des Ersten Kreuzzuges (1099) unter der
Führung Gottfrieds von Bouillon (1060-1100). Bekanntlich gehört diese Oper zu
den erfolgreichsten seines umfangreichen Oeuvres.
Aber all das kann in der Frankfurter Inszenierung
von 2017 getrost vergessen werden. Das
Team um Ted Huffman (Regie), Annemarie Woods (Bühnenbild) Adam Weinert (Choreographie), Joachim Klein (Licht) und Simone die Felice (musikalische
Leitung) verwandelte das Sujet in einen Theaterzauber erster Güte. Statt Pomp Schlichtheit,
statt Materialschlacht viel Tanz und Bewegung auf schräger Bühne (Synonym für
einer Welt in Schieflage), statt religiöser Fundamentalismus und Chauvinismus
der schlichte Glaube an die Liebe als Fundament von Frieden und Freiheit. Dazu
eine effektvolle, emotionale, zur Handlung passende Musik, ein Gefühlsspektrum von
tiefer Trauer bis zu höchster Erregung, oder, wie es Huffman treffend
formulierte, eine Musik von ´unglaublicher emotionaler Intelligenz`.
Es beginnt mit einem äußerst gekonnten Schwertkampf
zwischen Rinaldo (Jakub Józef Orliński) und einem Gegner (beide in Kostümen der
Soldaten des Hochmittelalters und in den Farben hellgrau und schwarz, die
augenfälligste Unterscheidung zwischen den feindlichen Lagern). Bereits an
dieser Stelle wird die Idee der bewegten Architektur erkennbar. Die beiden Kontrahenten
orientieren sich am musikalischen Geschehen, bewegen sich im Rhythmus und der
Ausdruckskraft der Musik, kämpfen, halten inne oder wechseln in zeitlupenartige
Sequenzen. Mal wild, mal ruhig. Ein Dialog von Klang, Rhythmus und visueller
Erscheinung. Ein Einstieg nach Maß.
Die Szenerie beherrschen sechs Sänger und acht Tänzer.
Es gibt keinen Stillstand, allenfalls Fermaten, ein Innehalten. Jeder ist
gefordert, der nackten überdimensionierten Bühne Leben einzuhauchen. Und das
gelingt ohne Ausnahme und in überwältigender Manier.
Wie gesagt, es geht um die Liebe, die allerdings um
Intrigen nicht herumkommt, bevor sie denn voll zur Geltung kommen kann. Allen
voran Armida, von der Sopranistin Elizabeth
Reiter kongenial verkörpert, eine Zauberin, die sich in ihren Widersacher
Rinaldo unsterblich verliebt, dabei ihren Zauber verliert und stirbt. Rinaldo,
ein Krieger wider Willen, der aber nur seine Geliebte Almirena ehelichen kann,
wenn er den Gegner vernichtend schlägt. Der Countertenor Jakub Józef Orliński scheint wie geschaffen für diese absolut
schwierige Rolle. Nicht allein seine prächtig klaren und warm timbrierten Höhen überzeugten, sondern auch seine
tänzerisches Vermögen. Unglaublich in welchen körperlichen Positionen er noch
seine Arien mit sicherer Intonation und kraftvollem Impetus sang. Ein auch im
richtigen Leben schöner und begehrenswerter Mann setzte dem Geschehen auf der
Bühne unweigerlich seinen Stempel auf und machte aus dem Liebeszauber ein spannendes
und sehenswertes Kino.
Almirena, von der Sopranistin Karen Vuong gesungen, glänzte vor allem in ihrer Arie: Lascia ch´io pianga. Ergreifend und
hinreißend, aber ohne störendes Pathos, gelang ihr da ein extraordinärer Höhepunkt zu
Anfang des Zweiten Aktes. Goffredo, eine Hosenrolle von der Mezzosopranistin Julia Dawson besetzt, soll eigentlich
eine gefährliche Figur darstellen. Er ist versessen auf den Sieg und erpresst
seinen besten Streiter Ronaldo mit Almirena. Hier aber wurde er zu einem alten,
gebrechlichen Mann mit fußlangem Bart, der sich nur mühsam an Krücken
fortbewegte. Ein ausgestorbener Dinosaurier. Mit leicht metallener Stimmfarbe
verkörperte Dawson diese technisch und gesanglich anspruchsvolle Rolle in glaubwürdiger Weise.
Wären da noch Argante, der Bassbariton Gordon Bintner, und Eustazio, der Bass Daniel Miroslaw. Ersterer in der Rolle
des Geliebten der Armida, der sich aber heillos in die Gefangene Almirena verknallt,
und Letztgenannter, der Attaché und Bruder von Goffredo. Bintner, der als
einziger in der Runde sein Rollendebüt ablieferte, bestach vor allem
gesanglich mit heldenhafter Stentorstimme. Auch körperlich (groß und mächtig)
passte er in die Rolle des Kämpfers der Gegenseite. Allerdings hätte sein Bewegungsrepertoire
etwas flexibler sein können. Miroslaw, der wenig zu singen hatte, beeindruckte in
seiner Arie Siam prossimi al porto,
zu Beginn des zweiten Aktes. Ein starker Bass mit großem Stimmumfang.
Jakub Józef Orliński (Rinaldo), Karen Vuong (Almirena), im Hintergrund: TänzerInnen |
Eine unerwartete Wendung
Rinaldo wird in Frankfurt zu einer Zauberoper, bei der letztendlich nur die wirkliche Liebe siegt. Statt Ausstattung dominierten Tanz und Bewegung, was die acht Akteure, mal als Nymphen, mal als Geister, Sirenen oder Kämpfer, mit einfachen, aber ausdrucksstarken Bewegungsmustern realisierten.
Eine einfallsreiche Performance mit fantastischen Lichteffekten
und traumhaften Szenerien von stilisierten Bäumen, Vogelstimmen (aus dem Orchester),
Fabelwesen und gar einem Schiffsbug. Großartig der Kampf gegen die Geister im
3. Akt, der darin gipfelt, dass Rinaldo, nachdem er sie besiegt hat, noch
einmal von Armida in der Gestalt der Almirena verführt zu werden droht. Aber er erkennt den Betrug. Ihr Kuss(versuch) bedeutet zugleich ihr Todesurteil. Denn, Rinaldo erkennt den falschen Zauber und ersticht sie. Glänzend inszeniert, voller
Spannung und - nicht erwartet.
Prima
la musica, dopo le parole, dieser vielzitierte und kontrovers
diskutierte Satz trifft hier allerdings den Kern. Denn diese Musik dominiert
ohne Wenn und Aber. Faszinierend wie die etwa 30 Musiker auf barocken Instrumenten spielten, mit über 30
Arien und Rezitativen konfrontiert waren und zudem dem Tanz auf der Bühne den
nötigen Rhythmus boten. Simone die
Felice erwies sich als einfühlsamer – nie überstimmten die Musiker den
Gesang – und höchst aufmerksamer Leiter. Die Seccos und Accompagnati zu den
Arien gerieten durchweg zu einem poetischen Gedicht. Die Zwischenspiele
(Sinfonia) zu virtuosen Bravourstückchen. Der Sonderapplaus galt nicht allein
ihm, sondern vor allem auch den Musikern.
Eine fulminante Schlussarie Rinaldos: Or la tromba in suon festante mit kriegerischen,
Trompetenfanfaren, marschähnlichen Paukenschlägen und hoch virtuosem
Accompagnato sollte noch einmal den Sieg verkünden, dient hier aber lediglich
der endgültigen Versicherung Goffredos, Rinaldo die Hand Almirenas zur Hochzeit
zu reichen. Mit der Hymne an die „edlen Tugenden“ und dem Sieg gegenüber den „schändlichen
Leidenschaften“ kommt das Paar mit dem finalen ehrlichen Kuss endlich zusammen mit
allen Chancen, glücklich zu werden. Die Begeisterung ist grenzenlos und will
kein Ende nehmen.
Eine Operninszenierung, die den historischen Stoff von Armida und
Rinaldo einmal unter der zeitgemäßen
Lupe von wahrer Liebe, weiblicher Verzauberung und verräterischer Intrige betrachtet,
ohne den moralischen Zeigefinger zu
heben. Insofern ist Händels Oper, obgleich über 300 Jahr alt, es heute noch wert,
auf die Bühne gebracht zu werden. Zumal sie, zumindest in Frankfurt, beste
Musik, hoch virtuose Sänger sowie Tanz, statt überbordende Ausstattung bietet.
Nächste Vorstellungen: 14., 16., 18., 20., und 23.Januar
Immer wieder bin ich begeistert von Ihren sehr differenzierten, anregenden und glänzend formulierten Rezensionen!Auch die historischen und literarischen Bezüge sind immer sehr erhellend.
AntwortenLöschenHoffentlich werden sie wertschätzend honoriert!