Samstag, 19. Januar 2019


Das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Peter Eötvös, SolistInnen Vilde Frang (Violine), István Kovácsházi (Tenor) sowie die Internationale Chorakademie Lübeck, Alte Oper Frankfurt, 18.01.2019


Peter Eötvös und das hr-Sinfonieorchester in der Alten Oper Frankfurt (Fotos: Sascha Rheker)



Ein intimes Programm eines königlichen Adlers


Unter dem Motto The Gliding of the Eagle fand das krönende Projekt-Finale, „Eötvös³“, zum 75. Geburtstag von Peter Eötvös (*02.01.1944) im nicht ganz voll besetzten Große Saal der Oper mit einem sehr intimen musikalischen Programm statt. Eötvös meinte im Vorgespräch mit Christiane Hillebrand, dass ihm alle für das Konzert vorgesehenen Werke für sein Lebenswerk sehr wichtig seien: Zóltan Kodály (1882-1967) als sein Förderer und Vorbild mit Psalmus Hungaricus op. 13 (1923), Béla Bartók (1881-1945) als Spiegel seiner musikalischen Muttersprache, mit dem 1. Violinkonzert (1907/08), sowie seine eigenen beiden in diesem Konzert vorgestellten Werke,  Alle vittime senza nome (2016/17) und The Gliding of the Eagle in the Skies (2011/12715), die größte emotionale und weltanschauliche Bedeutung für ihn selbst bedeuteten.



Ein beeindruckender, nachdenklicher Abend, mit tiefen Einsichten und hoffnungsvollen, berührenden Elementen sollte musikalische Höhepunkte in Leben und Werk des hoch sympathischen, bescheidenen, feinen Herren bringen, der in einfachem Anzug, ohne Krawatte und Schnickschnack, mit seinem wunderbaren Dirigat Orchester, Chor und SolistInnen, wie auch das Publikum in seinen Bann zog.

Zunächst seine Deutsche Erstaufführung Alle vittime senza nome (zu deutsch: An die namenlosen Opfer), das seine Premiere 2017 in der Mailänder Scala feierte. Eine Art Requiem für die Opfer der massenhaften  Migration aus Nordafrika nach Italien. Diese 24-minütige Klage, der reine Aufschrei der Verzweiflung, ist als Auftragswerk von vier italienischen Orchestern (Rom, Mailand, Florenz und Turin) entstanden und hat bei seiner Uraufführung in der Mailänder Scala große Bestürzung, aber auch ungeteilte Anerkennung hinterlassen.

Eötvös malt hier in drei unbenannten Teilen mit einfachen Bildern, eingängigen Motivfolgen, zarten Melodien, einem großen Schlagwerkaufgebot mit vier Perkussionisten an Xylophonen, Vibraphonen und Glockenspielen, Crotales, Becken, Zimbeln, ein ganz persönliches Bild seiner Weltsicht. Auch der Tod seines Freundes Péter Esterházy, der im Jahre 2016 mit 66 Jahren viel zu früh verstorben ist, wird in dieser Totenmesse besungen, und voll Leid in abfallenden chromatischen Linien im Wechsel von Hörnern, Trompeten und Flöten hörbar und fühlbar gemacht. Wenn die gedämpfte Trompete die hoffnungslose Trauer zum Abschluss bringt, bleibt Sprachlosigkeit und tiefes Mitgefühl an einen verzweifelten Menschen, der mit seiner universellen Klage aber auch zur Umkehr aufruft.

Vilde Frang (Violine), Peter Eötvös und das hr-Sinfonieorchester

Romantische Träumereien einer verinnerlichten Violinistin


In scheinbarem Kontrast dazu das zweisätzige Violinkonzert (1907/08) von Béla Bartók. Es ist ein Frühwerk, noch ganz in der Tradition der Spätromantik verhaftet, und eine Liebeseloge an seinen damaligen, erst 18-jährigen Schwarm, Stefi Geyer, einer hochtalentierten Violinstudentin. Bekanntlich scheiterte die Liebe bereits nach kurzer Zeit und aus dem Konzert wurde lediglich ein zweisätziger Torso, der erst 1958 in Basel seine Uraufführung erfuhr.

Die Norwegerin Vilde Frang (*1986) versetzte sich tief in die Gemütslage des Komponisten und spielte auf ihrer Jean-Baptiste Vuillaume Geige (1866) mit zitterndem und zartem Strich, schmachtend und begehrend, mit Schmetterlingen im Bauch, ein Andante Sostenuto von ausgeprägter Innerlichkeit. Auch der zweite Satz, ein Allegro giocoso, dessen Stimmungswechsel stark an den Zauberlehrling von Paul Dukas erinnerte, änderte wenig an ihrem sehr leichten, fast immer im Piano verweilenden Strich und ihrer fragilen Spielweise, oft vom Orchester übertönt.

Wenn Eötvös in diesem Zusammenhang von einem gemeinsam gesungenen und in Ungarn bekannten Kanon auf einem Dorffest sprach, worin es heißt: „Der Esel ist ein dummes Tier, der Elefant kann nichts dafür, IA, IA, IA“, der für den zweiten Teil des Konzerts Pate gestanden und im Wesentlichen die Thematik bestimmt habe, dann war, trotz makelloser Technik, davon wenig zu spüren. Es überwogen dagegen die Feinheit, die Lyrik und romantische Gefühlswelt. Vilde Frang, so zart und zerbrechlich sie auf der Bühne wirkte, so gestaltete sie auch ihre Interpretation. Ihre Zugabe von Eugène Ysaÿe (1858-1931), ein Allegretto Amabile, wunderbar gespielt, bestärkte noch diesen Eindruck. Der Beifall war herzlich, aber nicht überschwänglich.

Dieses Werk Bartóks ist alles andere als für ihn typisch. Warum es Eötvös ausgewählt hat, bleibt wohl sein Geheimnis. An anderer Stelle sagte er einmal, Bartóks Musikstil habe er immer gemieden, weil er ihn einfach perfekt beherrschte. Alles andere wäre reines Plagiat. In diesem Violinkonzert hatte der junge Bartók noch nicht seinen Stil gefunden. Vielleicht machte ihn das für Eötvös so sympathisch.

Internationale Chorakademie Lübeck (Foto: Website der ICA)

Ein nationaler und globaler Hymnus


Eötvös zweites an diesem Abend aufgeführte Werk The Gliding of the Eagles in the Skies (2011/12/15), ein Auftrag des baskischen Euskadiko Okestra (damals unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada), zeigte wiederum die positive Seite dieses facettenreichen Menschen, Peter Eötvös.

2011 in Pamplona uraufgeführt und noch zweimal revidiert, verkörpert es die Freiheit des Adlers, der mit riesigen Schwingen die Welt durchfliegt und ihre Schönheiten in sich aufsaugt. Das gelingt ihm durch eine spezifische instrumentale Auswahl: Zwei Cajóns (Kastentrommeln), Congas, Crotales, Röhrenglocken, dazu vierteltönig verstimmte Harfen und Piccoloflöten, um einen folkloristischen „dreckigen Ton“ zu erzeugen, sowie durch die Bearbeitung typischer baskischer Volkslieder, nie zitiert, aber musikalisch darauf bezogen. Ein erfrischendes, mit Effekten gespicktes Werk, voller Lebenslaune und musikalischer Vitalität, das er selbst, wie er im Gespräch mit Hillebrand gestand, für sehr gut befunden hat. Ein Eötvös, wie man ihn auch schon in seiner Oper Der Goldene Drache (2014), 2016 letztmals im Bockenheimer Depot aufgeführt, erleben konnte.

Höhepunkt des Abends, sowohl theatralisch als auch musikalisch, war der Psalmus Hungaricus op. 13 (1923) von seinem verehrten Lehrer Zoltán Kodály. Eötvös dazu: es sei ihm eine Herzensangelegenheit, mit diesem Hymnus den Zyklus „Eötvös ³“ in Frankfurt zu beenden.

Kodály schrieb dieses Werk während einer sehr unruhigen Zeit, in der sich seine Heimat zwischen 1919 und der Entstehungszeit dieses Werkes befand. Die Räterepublik, der er, gemeinsam mit Bartók und Dohnányi, anhing, wurde vom erzkonservativen Horthy-Regime gestürzt. Er verlor seine Stellung als stellvertretender Musikdirektor der Budapester Musikhochschule, geriet in wirtschaftliche und politische Not und musste sich zermürbenden Disziplinarverfahren stellen. Ausgerechnet dieses Regime bot ihm zur 50-Jahr-Feier der Vereinigung von Buda, Pest und Òbuda zu Budapest (1923), eine frei zu wählende Komposition an. Kodály entschied sich für den Psalmus und stützte sich dabei auf den 1560 entstandene Text des Predigers und Dichteres, Mihály Végh (keine zuverlässigen Lebensdaten bekannt), eine Paraphrase des 55.Psalms Davids, die das Schicksal der Besetzung und Verwüstung weiter Teile Ungarns durch die Türken thematisiert.

Euphorisiert ob der glücklichen Fügung schrieb Kodály einen Hymnus von großer Eindringlichkeit für eine Tenorstimme, gemischten Chor und großes Orchester. 56 SängerInnen der Chorakademie Lübeck (Leitung: Rolf Beck), mehr als 80 Instrumentalisten des hr-Sinfonieorchesters und der ungarische Tenor István Kovácsházi brannten ein Feuerwerk der Klage und Anklage ab, das tief unter die Haut ging. Mal unisono, dann wieder mehrstimmig oder auch im zweistimmigen Organum des Mittelalters, bot der Chor eine gewaltige Klangfläche zum Gesang des kraftvollen Tenors, mit dessen Timbre die harte ungarische Sprachemelodie bestens harmonierte. Dazu das hoch engagierte Orchester, dessen Part die musikalische Sprache in Perfektion untermalte. Eine Klangsprache wie sie nur Kodály beherrschte.

Der Psalmus Hungaricus, der sich auf den König David stützt, ist eine Anklage an Streit und Hader, an die Gier der Reichen und Mächtigen, an den Hochmut der Frevler, aber auch ein Ruf an die Ewige Gerechtigkeit. Trotz des großen Erfolges bei der Uraufführung, er hatte das Werk „dem Publikum der Hauptstadt Budapest“ gewidmet, ist es eine versteckte Anklage an das herrschende Regime und noch heute an alle Unterdrücker und Ausbeuter gerichtet. Monumental und mitreißend. Wenn der Chor im Choral den Schlussvers: „So sagt ´s die Bibel, so schrieb es David …“ schmetterte, dann versank man förmlich im Strudel menschlicher Schwächen und universaler Bedeutungslosigkeit.

Ein Abschlusskonzert von großer Tragweite, das das Seelenleben und die Persönlichkeit eines Komponisten in symbolischer Weise auf die Stufe des biblischen David hob, obwohl Eötvös dies mit Sicherheit weit von sich weisen würde.

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