Joshua Bell und die Academy of St Martin in the Fields, Alte Oper Frankfurt, 15.01.2019
(Eine Veranstaltung von PRO ARTE)
vorne: Joshua Bell und Harvey de Souza, Academy of St Martin in the Fields (Fotos: PRO ARTE) |
Eine denkwürdige 60-Jahr-Feier der „Academy“
60 Jahre Academy of St Martin in the Fields: 1958 von Neville Marriner (1924-2016) und einigen namhaften Musikern gegründet und 1959 mit einem ersten Konzert in der Kirche Aufsehen erregt, deren Namen sie trägt, gehört dieser außergewöhnliche Klangkörper heute zu den führenden Kammerorchestern auf der Welt. Seit 2011 unter der Leitung von Joshua Bell (*1967) scheint dieses unverwechselbare Ensemble zu neuen musikalischen Gipfeln aufzusteigen. Denn ursprünglich kammerorchstral orientiert, spielen sie auch sinfonische Werke für großes Orchester, ohne Dirigent und ganz im Sinne ihrer Idee des kollegialen Geistes und der Gleichberechtigung aller Instrumentalisten.
Was die „Academy“,
wie man sie auch liebevoll nennt, gestern in der Alten Oper Frankfurt
präsentierte, war vom Allerfeinsten. Als Einstieg bot sie ein zeitgenössisches
Stückchen vom US-Amerikaner Edgar Meyer
(*1960), einem Kontrabassisten, Komponisten und engen Freund Bells, dessen Ouvertüre für Violine und Orchester (2017)
ganz zum Temperament des Sologeigers und des Ensembles passte. Ein
gleichberechtigter Dialog mit amerikanischem Countrysound, auch Bluegrass genannt, nervösen Figuraturen,
markanter Triolenmotivik und virtuosen Einlagen, durchaus publikumswirksam,
eklektisch aber im tonalen Bereich verbleibend. Ein 10-minütiges
Eröffnungsspiel, das bereits die außerordentlichen Qualitäten des Ensembles
sichtbar und hörbar machten: mitreißend, ansteckend und farbenfroh.
Bereits
Georges Bizets (1838-1875) C-Dur Sinfonie
Nr. 1 WD 33, heute eine der meistgespielten Sinfonien großer Orchester, zu
Lebzeiten des Komponisten allerdings nie aufgeführt und erst 100 Jahre später,
1935 in Basel, erstmals zu hören, zeigte, wie Sinfonie auch ohne Dirigent
funktioniert. Bell gesellte sich zu seinem Konzertmeister, Harvey de Souza, und
fungierte hauptsächlich als Impulsgeber, eine Frische und Vitalität
ausstrahlend, die jeden einzelnen Musiker einfach nur mitreißen konnte.
Und so, nur
so geriet diese Sinfonie zu einem großen
Erlebnis. Dazu sollte man wissen, dass der gerade einmal 17-jährige Bizet mit diesem, von ihm selbst unter Verschluss gehaltenem
Werk in die Fußstapfen Mozarts (1.Satz, Allegro)
und Schuberts (3. Satz, Scherzo) trat. Aber auch Anlehnungen an seinen Freund
Charles Gounod (Kantilene des 2. Satzes) und an Johann Sebastian Bachs
Fugentechnik (ebendort) könnten der Grund für seine Entscheidung gewesen sein.
Dennoch gilt die heute äußerst beliebte Sinfonie mit ihrer klaren Rhythmik,
Übersichtlichkeit, dem leichten Tonfall und dem mitreißenden Schwung als
Geniestreich des jugendlichen Bizet. Und diese Eigenschaften verkörperte die Academy auf der ganzen Linie. Dazu eine
Eleganz und Präzision im Detail, die sogar Zwischenapplaus des restlos begeisterten
Publikums aus dem vollbesetzten großen Saal der Alten Oper herausforderte.
Nach der
Pause Peter Tschaikowskys (1840-1893) erstes und einziges Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 (1881 in Wien
uraufgeführt). Noch keine 40 Musiker sollten das hoch virtuose Konzert für
großes Orchester begleiten? Ein technisch so anspruchsvolles Werk sollte vom
Solisten, Joshua Bell, auch noch geleitet werden? Wie sollte das funktionieren?
Ebenfalls hier zeigte die Academy die
ganze Palette ihres Könnens und Bell neben seiner fulminanten, sehr maskulinen
Spielweise, seinem starken Strich und seiner rasenden Virtuosität, auch noch seine
harmonischen Schwingungen zu seinem Klangkörper. Mal dirigierend, dann wieder
an seinen Konzertmeister delegierend, entfaltete sich ein Dialog der
Extraklasse.
Joshua Bell und die "Academy" |
Sportlich
bekleidet, nur noch mit schwarzem Hemd, die schwarze Weste hatte er bereits
abgelegt, demonstrierte der im amerikanischen Bloomington Geborene auf seiner
Stradivari (Huberman von 1713), Leidenschaft, technische Brillanz, unglaubliche
Klangfülle und fantastischen Farbenreichtum. Mit der Anspannung eines
Hochleistungssportlers, aber auch mit der geforderten Entspannung in der Canzonetta (2.Satz) voller russischer Melancholie, oder in den schwermütigen Passagen des Finales (3. Satz), befanden sich Solist
und musikalisches Team durchweg in der Premier League, symbolisch auf dem
Parnass der Musik.
Ein
absoluter musikalischer Wahnsinn, physisch bis an die Grenzen des Möglichen
gehend und musikalisch spannend wie ein Krimi raste das Publikum vor
Begeisterung. Eine Zugabe war gar nicht möglich, da Orchester und Solist völlig
ausgepowert waren. Eine denkwürdige 60-Jahr-Feier.
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