Samstag, 26. Januar 2019



Saul (1739), Oratorium von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Erste Wiederaufnahme im Staatstheater Mainz, 25.01.2019 (Premiere: 09.09.2017, eine Übernahme vom Oldenburgischen Staatstheater)



oben v.l.: Neidtänzer David Krohn, Derick Ballard (Saul), Neidtänzer Léonard Schindler, unten:Chor und Extrachor,
Statisterie (Fotos: Andreas J. Etter)

Neiddebatte und Generationenkonflikt


Mit Saul, der Geschichte von David und Goliath, dem Sieg der Israeliten über die Philister, feierte Händel, nach langer Malaise und Erfolglosigkeit quasi seine Wiederauferstehung am Operntheaterhimmel Londons. Wieder einmal ein Spiegelbild der Intrigen der Königsfamilie um Georg II (von 1727-1760 König von England), seinem absoluten Gönner und Verehrer, fand diese von ihm quasi neu erfundene Gattung des Oratoriums ein neues begeistertes Publikum und ersetzte in glänzender Manier die bereits aus der Mode gekommene opera seria im italienischen Stil.


Was war neu, und warum konnte bereits die Uraufführung von Saul, am 16.01.1739 im King´s Theatre am Londoner Haymarket, den durchschlagenden Erfolg feiern?

Ganz einfach. Es waren die ausgeprägten Chöre, die im griechisch-antiken Stil das Geschehen kommentierten, aber auch der Wechsel zur englischen Sprache, ganz im Sinne der protestantischen Liturgie, der Ortswechsel aus der Kirche in weltliche Hallen, aber vor allem auch die Möglichkeit, ausgefeiltere Texte erstellen, kürzere Arien und Rezitative sowie affektgeladener und rhythmischer komponieren zu können.

Saul war insofern bestens dafür geeignet, als Händel den Generationenkonflikt der Königsfamilie (es ging kurz gesagt um die rechtmäßige Thronnachfolge der Royals mit all ihren Querelen) in ein scheinbar bibelgebundenes Thema packte, bei dem ihm sein Librettist Charles  Jennens (1700-1773), ein vermögender Grundbesitzer und Kunstliebhaber, genial zur Seite stand.

In Händels Oratorium geht es in drei Akten, wesentlich gestützt auf die Bücher Samuels, Abraham Cowleys (1618-1667): Davideis und Roger Boyles (1621-1679): Die Tragödie des Saul, um den Sieg Davids über Goliath, den Anführer der Philister. Siegreich kehrt er nach Israel zurück, wird vom Volk gefeiert und als neuer König gepriesen. Saul gerät in Rage wegen seines drohenden Machtverlustes und plant seinen Tod mit allen Mitteln. Dazwischen stehen seine drei Kinder, Michal und Jonathan, die beide die Partei Davids ergreifen, sowie Merab, die sich auf die Seite ihres Vaters stellt. Es folgt ein Intrigenspiel, bei dem schlussendlich David als Sieger hervorgeht. Saul und Jonathan sterben in der Schlacht gegen die Amalekiter, einem semitischen Stamm in Kanaan, und David wird in einem abschließenden Jubelgesang zum König von Israel ausgerufen. So weit so knapp.

Was aber macht das Regieteam in Mainz daraus? Lydia Steier (Regie), in Frankfurt erst kürzlich gefeiert für ihre Doppelinszenierung von peter Tschaikowskys Jolanta und Igor Strawinskys Oedipus Rex (Oktober 2018), geht es, eigenen Aussagen zufolge, dagegen mehr um die Vergänglichkeit von Macht, um die Angst vor dem Neuen, die Auflösung von Traditionen und den Kreislauf von Werden und Vergehen. Dazu schafft sie ein Szenario von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Spiele einer Neiddebatte, die „zum Grundthema des Abends“ (Stephan Vogel in der Einführung) wird. Saul verkörpert die Vergangenheit, David die Gegenwart und ein Kind, später sechs Kinder, die Zukunft.

Katharina Schlipf (Bühne), Ursula Kudrna (Kostüme) sowie Peter Meier (Licht) gelingt es eindrucksvoll, durch bild-, symbol- und allegorienreiche Darstellungsformen eine lebendige Performance auf der Bühne zu ermöglichen. Da sind zwei/später drei Neidtänzer (David Krohn, Lászlo Nágy, Léonard Schindler), die ihr schändliches Spiel mit Saul, aber auch mit dem getriebenen Jonathan treiben. Da ist der Kopf des Goliath in den Händen Michals oder Jonathans, goldfarben, der ihre Liebe und Zuneigung zu David symbolisiert, da sind die Kostüme, die zwischen barocker Fesselung bis zur befreienden Entkleidung in modernen Zeiten reichen. Oder der Wechsel des Throns vom Habitus des Sonnenkönigs Ludwigs IV. bis zum schlichten Bürostuhl eines Bankers. Da steht ab dem zweiten Akt ein Container auf der Bühne, der den Wechsel von Ort und Zeit darstellen soll. Sogar der Boden ist mit Rindenmulch belegt, um die Vergänglichkeit darzustellen. Nur eine Auswahl wunderbarer Ideen, die das blutrünstige Drama zu einem kurzweiligen und spannenden Psychothriller werden lassen.

v.l.: Steven Ebel (Jonathan), Marie-Christine Haase (Merab), Alin Deleanu (David auf dem Pferd), Chor

Statt Deus ex Machina ein Halleluja zum Fürchten


Ein zeitgemäß hergerichtetes Oratorium, das allerdings nicht durchweg überzeugen konnte. Die alleinige Reduktion auf die Neiddebatte erschien denn doch etwas zu simpel, vor allem, wenn am Schluss sich der Kreis schließt und David genauso dem Neid erliegt wie die in den Startlöchern wartenden Kinder, die es augenscheinlich nicht besser machen werden. So geriet der von Händel anvisierte versöhnliche Schluss, das Deus ex Machina, die Moral der Geschicht´, in dieser Inszenierung eher zur pessimistischen Erkenntnis, dass keine menschliche Entwicklung möglich sei, da die Menschheit auch in Zukunft an sogenannten Neiddebatten zugrunde gehen wird. Das abschließende „Halleluja“, gedacht als Krönung Davids zum neuen König, wurde dadurch eher zu einer erschreckenden Hymne der Vernichtung. Ein wenig dick aufgetragen, aber durchaus auch diskussionswürdig.

Absolut überzeugen konnten dagegen der Chor des Staatstheaters Mainz (Sebastian Hernandez-Laverny) und das Philharmonische Orchester Mainz (Andreas Spering). Es war gesanglich und schauspielerisch ein Genuss, was der gewaltige Chor, mal Hofgesellschaft, mal revoltierendes Volk, mal kommentierende Vernunftgesellschaft (ein aufklärerisches Moment, was leider in der Inszenierung zu kurz kam) zeigte. Und musikalisch einfach brillant, was die gut zwanzig Instrumentalisten an affektgeladenen Accompagnati und Soloeinlagen (Cembalo, Orgel, Laute und Carillon) sowie tänzerischer Frische boten.

Unter den Sängern seien der Bass, Derrick Ballard, als Saul sowie Marie-Christine Haase als Merab hervorgehoben. Beeindruckend Ballards Arie zu Anfang des 3. Aktes: „Ich selbst bin schuld an meinem Untergang. Gott hat mich verlassen“, und sein Wandel vom gottesfürchtigen Herrscher zum Diener der Hölle. Koloratursicher mit einem unwahrscheinlichen Tonumfang dagegen Marie-Christine Haas, was sie in der Arie des ersten Aktes – die von ihr abgelehnten Hochzeit mit David – hervorragend bewies und durchaus einen Zwischenapplaus verdient gehabt hätte.

Zu erwähnen noch der Countertenor, Alin Deleanu, als David, der stimmlich leider etwas blass blieb, Dorin Rahardja als Michal, deren Sopran klar bis metallen wirkte und für die Rolle der hingebungsvoll Liebenden vielleicht ein wenig wärmer und samtener hätte sein können. Alle weiteren SängerInnen passten ausgezeichnet zu ihren Rollen, wenngleich sie rollengemäß nicht besonders hervortraten. Warum allerdings die Stimme des Knaben immer vom Tape eingespielt wurde (Florian Scholz), blieb etwas im Dunkeln (möglicherweise sollte die abstrakte Zukunft nicht direkt gesungen werden). Auch die Mord- und Selbstmordszene der Schwestern (Michal ersticht ihre Schwester Merab und erhängt sich dann), eine Abweichung vom Libretto, schien etwas blutrünstig ausgeweitet und trug wenig zur „Moral“ bei. 

Schlussszene, v.l.: David Krohn (Neidtänzer), Alin Deleanu (David), Léonard Schindler (Neidtänzer), Chor und Extrachor

Dagegen wiederum war die entscheidende Schlacht, die das Ende der Israeliten bedeutete (Ende dritten Aktes) gelungen und führte dann zum weltberühmten Trauermarsch, der bereits beim Begräbnis von Winston Churchill oder auch von Richard von Weizsäcker zu hören war. Ein Hörgenuss, der allein den Besuch des Oratoriums lohnte.

Alles in allem ein sehenswertes bilderreiches und symbolträchtiges Oratorium mit sehr gutem Chor und Orchester. Die Inszenierungsidee der Neiddebatte und des Generationenkonflikts konnte nicht uneingeschränkt überzeugen, was allerdings durchaus auch anders interpretiert werden könnte. Leider war der große Saal des Staatstheaters nur mäßig besetzt und die Stimmung des Publikums (es gab weder Zwischen- noch begeisterten Schlussapplaus) nicht unbedingt motivationsfördernd, was vielleicht am Schmuddelwetter gelegen haben mag.

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