Saul
(1739), Oratorium von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Erste Wiederaufnahme
im Staatstheater Mainz, 25.01.2019 (Premiere: 09.09.2017, eine Übernahme vom Oldenburgischen Staatstheater)
oben v.l.: Neidtänzer David Krohn, Derick Ballard (Saul), Neidtänzer Léonard Schindler, unten:Chor und Extrachor, Statisterie (Fotos: Andreas J. Etter) |
Neiddebatte und Generationenkonflikt
Mit Saul, der Geschichte von David und Goliath, dem Sieg der Israeliten über die Philister, feierte Händel, nach langer Malaise und Erfolglosigkeit quasi seine Wiederauferstehung am Operntheaterhimmel Londons. Wieder einmal ein Spiegelbild der Intrigen der Königsfamilie um Georg II (von 1727-1760 König von England), seinem absoluten Gönner und Verehrer, fand diese von ihm quasi neu erfundene Gattung des Oratoriums ein neues begeistertes Publikum und ersetzte in glänzender Manier die bereits aus der Mode gekommene opera seria im italienischen Stil.
Was war neu, und warum konnte bereits die
Uraufführung von Saul, am 16.01.1739
im King´s Theatre am Londoner Haymarket, den durchschlagenden Erfolg feiern?
Ganz einfach. Es waren die ausgeprägten Chöre, die
im griechisch-antiken Stil das Geschehen kommentierten, aber auch der Wechsel zur
englischen Sprache, ganz im Sinne der protestantischen Liturgie, der
Ortswechsel aus der Kirche in weltliche Hallen, aber vor allem auch die
Möglichkeit, ausgefeiltere Texte erstellen, kürzere Arien und Rezitative sowie
affektgeladener und rhythmischer komponieren zu können.
Saul
war insofern bestens dafür geeignet, als Händel den Generationenkonflikt der
Königsfamilie (es ging kurz gesagt um die rechtmäßige Thronnachfolge der Royals
mit all ihren Querelen) in ein scheinbar bibelgebundenes Thema packte, bei dem
ihm sein Librettist Charles Jennens
(1700-1773), ein vermögender Grundbesitzer und Kunstliebhaber, genial zur Seite
stand.
In Händels Oratorium geht es in drei Akten, wesentlich
gestützt auf die Bücher Samuels, Abraham
Cowleys (1618-1667): Davideis und
Roger Boyles (1621-1679): Die Tragödie des
Saul, um den Sieg Davids über Goliath, den Anführer der Philister. Siegreich kehrt er nach Israel zurück, wird vom Volk gefeiert und als
neuer König gepriesen. Saul gerät in Rage wegen seines drohenden Machtverlustes
und plant seinen Tod mit allen Mitteln. Dazwischen stehen seine drei Kinder,
Michal und Jonathan, die beide die Partei Davids ergreifen, sowie Merab, die sich
auf die Seite ihres Vaters stellt. Es folgt ein Intrigenspiel, bei dem
schlussendlich David als Sieger hervorgeht. Saul und Jonathan sterben in der
Schlacht gegen die Amalekiter, einem semitischen Stamm in Kanaan, und David
wird in einem abschließenden Jubelgesang zum König von Israel ausgerufen. So
weit so knapp.
Was aber macht das Regieteam in Mainz daraus? Lydia Steier (Regie), in Frankfurt erst
kürzlich gefeiert für ihre Doppelinszenierung von peter Tschaikowskys Jolanta und Igor Strawinskys Oedipus Rex (Oktober 2018), geht es,
eigenen Aussagen zufolge, dagegen mehr um die Vergänglichkeit von Macht, um die
Angst vor dem Neuen, die Auflösung von Traditionen und den Kreislauf von Werden
und Vergehen. Dazu schafft sie ein Szenario von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
im Spiele einer Neiddebatte, die „zum Grundthema des Abends“ (Stephan Vogel in
der Einführung) wird. Saul verkörpert die Vergangenheit, David die Gegenwart und
ein Kind, später sechs Kinder, die Zukunft.
Katharina
Schlipf (Bühne), Ursula
Kudrna (Kostüme) sowie Peter Meier
(Licht) gelingt es eindrucksvoll, durch bild-, symbol- und allegorienreiche Darstellungsformen
eine lebendige Performance auf der Bühne zu ermöglichen. Da sind zwei/später
drei Neidtänzer (David Krohn, Lászlo Nágy, Léonard Schindler), die ihr
schändliches Spiel mit Saul, aber auch mit dem getriebenen Jonathan treiben. Da
ist der Kopf des Goliath in den Händen Michals oder Jonathans, goldfarben, der ihre
Liebe und Zuneigung zu David symbolisiert, da sind die Kostüme, die zwischen
barocker Fesselung bis zur befreienden Entkleidung in modernen Zeiten reichen. Oder
der Wechsel des Throns vom Habitus des Sonnenkönigs Ludwigs IV. bis zum
schlichten Bürostuhl eines Bankers. Da steht ab dem zweiten Akt ein Container
auf der Bühne, der den Wechsel von Ort und Zeit darstellen soll. Sogar der
Boden ist mit Rindenmulch belegt, um die Vergänglichkeit darzustellen. Nur eine Auswahl wunderbarer Ideen, die das blutrünstige Drama zu einem kurzweiligen und
spannenden Psychothriller werden lassen.
v.l.: Steven Ebel (Jonathan), Marie-Christine Haase (Merab), Alin Deleanu (David auf dem Pferd), Chor |
Statt Deus ex Machina ein Halleluja zum Fürchten
Ein zeitgemäß hergerichtetes Oratorium, das
allerdings nicht durchweg überzeugen konnte. Die alleinige Reduktion auf die
Neiddebatte erschien denn doch etwas zu simpel, vor allem, wenn am Schluss sich
der Kreis schließt und David genauso dem Neid erliegt wie die in den Startlöchern
wartenden Kinder, die es augenscheinlich nicht besser machen werden. So geriet
der von Händel anvisierte versöhnliche Schluss, das Deus ex Machina, die Moral der Geschicht´, in dieser Inszenierung
eher zur pessimistischen Erkenntnis, dass keine menschliche Entwicklung möglich
sei, da die Menschheit auch in Zukunft an sogenannten Neiddebatten zugrunde
gehen wird. Das abschließende „Halleluja“, gedacht als Krönung Davids zum neuen
König, wurde dadurch eher zu einer erschreckenden Hymne der Vernichtung. Ein
wenig dick aufgetragen, aber durchaus auch diskussionswürdig.
Absolut überzeugen konnten dagegen der Chor des
Staatstheaters Mainz (Sebastian
Hernandez-Laverny) und das Philharmonische Orchester Mainz (Andreas Spering). Es war gesanglich und
schauspielerisch ein Genuss, was der gewaltige Chor, mal Hofgesellschaft, mal revoltierendes
Volk, mal kommentierende Vernunftgesellschaft (ein aufklärerisches Moment, was
leider in der Inszenierung zu kurz kam) zeigte. Und musikalisch einfach
brillant, was die gut zwanzig Instrumentalisten an affektgeladenen Accompagnati
und Soloeinlagen (Cembalo, Orgel, Laute und Carillon) sowie tänzerischer
Frische boten.
Unter den Sängern seien der Bass, Derrick Ballard, als Saul sowie Marie-Christine Haase als Merab
hervorgehoben. Beeindruckend Ballards Arie zu Anfang des 3. Aktes: „Ich selbst
bin schuld an meinem Untergang. Gott hat mich verlassen“, und sein Wandel vom
gottesfürchtigen Herrscher zum Diener der Hölle. Koloratursicher mit einem
unwahrscheinlichen Tonumfang dagegen Marie-Christine Haas, was sie in der Arie des ersten Aktes – die von ihr abgelehnten Hochzeit mit David – hervorragend
bewies und durchaus einen Zwischenapplaus verdient gehabt hätte.
Zu erwähnen noch der Countertenor, Alin Deleanu, als David, der stimmlich
leider etwas blass blieb, Dorin Rahardja
als Michal, deren Sopran klar bis metallen wirkte und für die Rolle der hingebungsvoll
Liebenden vielleicht ein wenig wärmer und samtener hätte sein können. Alle
weiteren SängerInnen passten ausgezeichnet zu ihren Rollen, wenngleich sie
rollengemäß nicht besonders hervortraten. Warum allerdings die Stimme des
Knaben immer vom Tape eingespielt wurde (Florian
Scholz), blieb etwas im Dunkeln (möglicherweise sollte die abstrakte Zukunft
nicht direkt gesungen werden). Auch die Mord- und Selbstmordszene der
Schwestern (Michal ersticht ihre Schwester Merab und erhängt sich dann), eine
Abweichung vom Libretto, schien etwas blutrünstig ausgeweitet und trug wenig
zur „Moral“ bei.
Schlussszene, v.l.: David Krohn (Neidtänzer), Alin Deleanu (David), Léonard Schindler (Neidtänzer), Chor und Extrachor |
Dagegen wiederum war die entscheidende Schlacht, die das Ende
der Israeliten bedeutete (Ende dritten Aktes) gelungen und führte dann zum
weltberühmten Trauermarsch, der bereits
beim Begräbnis von Winston Churchill oder auch von Richard von Weizsäcker zu
hören war. Ein Hörgenuss, der allein den Besuch des Oratoriums lohnte.
Alles in allem ein sehenswertes bilderreiches und
symbolträchtiges Oratorium mit sehr gutem Chor und Orchester. Die
Inszenierungsidee der Neiddebatte und des Generationenkonflikts konnte nicht uneingeschränkt überzeugen, was allerdings durchaus auch
anders interpretiert werden könnte. Leider war der große Saal des Staatstheaters
nur mäßig besetzt und die Stimmung des Publikums (es gab weder Zwischen- noch begeisterten Schlussapplaus)
nicht unbedingt motivationsfördernd, was vielleicht am Schmuddelwetter gelegen
haben mag.
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