Dienstag, 5. Februar 2019


Alexander Melnikov, Fantasien auf fünf Tasteninstrumenten, Mozartsaal der Alten Oper Frankfurt, 04.02.2019 (eine Veranstaltung der Frankfurter Bachkonzerte)

 Alexander Melnikov (Foto: Ronald Zak)

Fantastisches aus vier musikalischen Epochen auf fünf Tasteninstrumenten


„Der Mann mit den vielen Klavieren“, lautet zurzeit Alexander Melnikovs (*1973) musikalisches Projekt, und tatsächlich stehen auf der relativ kleinen Bühne des Mozart Saals dicht gedrängt fünf sehr anschauliche Tasteninstrumente: ein zweimanualiges Cembalo, ein originalgetreuer Nachbau von Henri Hemsch (1700-1769) von 1754, eine Hammerklavierkopie von 1795 nach Anton Walter (1752-1826), ein originaler Hammerflügel von Josef Simon (Lebensdaten unbekannt), vermutlich aus dem Jahre 1825, ein echter Ignaz Pleyel-Flügel von 1848 und schließlich ein Steinway-Flügel, Baujahr 2005. Es versteht sich von selbst, an dieser Stelle der Clavierwerkstatt Christoph Kern in Freiburg im Breisgau zu danken, die diese herrlichen Instrumente zur Verfügung gestellt hat. Allein das Bühnenbild war schon eine Augenweide. 


Melnikov, eher bekannt als introvertiert und so gar nicht auf Effekte und Schauspielerei aus, hatte ein fantastisches und emotionales Programm mitgebracht, nämlich Fantasien aus Barock, Klassik, Romantik und Moderne, die sich naturgemäß durch Improvisation, freie Tempi, Einfallsreichtum, freie Interpretation und Spontaneität auszeichnen.

300 Jahre fantasieren auf den Tasten und das in chronologischer Abfolge: von Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Chromatische Fantasie und Fuge (BWV 903), über Carl Philipp Emanuel Bachs (1714-1788) Fantasie in fis-Moll (Wq 67), zu Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) Fantasie Fragment (KV 396) und Fantasie (KV 475) und Felix Mendelssohn Bartholdys (1809-1847) Fantasie fis-Moll op. 28 bis zu Frederic Chopins (1810-1849) Fantasie f-Moll op. 49.  Alexander Scrjabins (1871-1915) Fantasie op. 28 und Alfred Schnittkes (1934-1998) Improvisation und Fuge, auf einem Steinway gespielt, repräsentierten dann den Übergang von der Spätromantik in die Moderne des 20 Jahrhunderts.  

Sieben sehr unterschiedliche Fantasien boten ein Experiment des musikalischen Fortschritts der Tastaturen (von fünf bis 7,3 Oktaven), des Klangs (Klangfarben und Dynamik) und der Technik (Pedale, Kniepedale, Lautenzüge). Melnikovs ungewöhnliche Entscheidung, historische Aufführungspraxis durch vier Musikepochen durchzuexerzieren war ein spannendes Experiment.

Durchaus noch gewohnt der typische Klang des Cembalos, das Anreißen der Saiten, dessen vergleichbar geringe Farbigkeit und geringe Dynamik durch Lautenzüge etwas differenziert werden konnte. Bemerkenswert die perlende polyphone Spielmöglichkeit wie auch die Grenzen der Akkordik, wo kein differenziertes Hören mehr möglich war.

Ganz anders dagegen das Hammerklavier, auf dem Melnikov Carl Philipp Emanuel Bachs und Wolfgang Amadeus Mozarts Fantasien spielte. Zwar war das Klangvolumen auch hier noch sehr dürftig und der obere Tonbereich extrem flach, aber Crescendi wie Diminuendi waren bereits ausgeprägt und die Pedalierung über die Knie ermöglichte einen galanten bis narrativ-lyrischen Tonfall. Andererseits verzeiht dieses Instrument keinen Fehler. Gerade der spinettartige Klang im oberen Bereich verlangt ein einfühlendes Fingerspiel, was ein herkömmlicher Konzertflügel souverän ausgleichen könnte.

Bereits mit relativ großem Klangvolumen ausgestattet dann schon der originale Simonflügel, auf dem Melnikov die äußerst virtuose Mendelssohnsche Fantasie, auch Sonate écossaise genannt, spielte. Ein wahrer Tanz auf den Tasten, aber immer noch weit entfernt von der Ausdruckskraft eines Konzertflügels. Sehr obertonreich mit langem Nachklang und immer in der Gefahr, zu einem Klangbrei zu verschmelzen. Das Spiel des Pianisten schien das Instrument zuweilen zu überfordern. Hier wäre ein direkter Vergleich auf dem Konzertflügel möglicherweise hilfreich gewesen.
Chopin auf dem originalen Pleyelflügel zu spielen, was könnte authentischer sein. Bekanntlich liebte der Komponist dieses Gerät so sehr, dass er es auch mit auf seine Reisen nahm (nicht dieses natürlich, um Missverständnissen vorzubeugen). Dieses Instrument kommt dem modernen Flügel schon sehr nahe. Es besitzt eine große Klangdichte, ein fast schon ausgewogenes Verhältnis von Höhen und Tiefen sowie eine Farbenvielfalt, die vor allem im melodischen Mittelteil voll zum Tragen kommt. Allerdings scheint das geringere Aufgewicht der Tastatur einen höchst sensiblen Anschlag vorauszusetzen, um nicht aus den komplexen Figuren einen geräuschhaften Klangschleier werden zu lassen. Melnikov versuchte, diese Problematik durch Lautstärke auszugleichen, was nicht immer gelang.

Alexander Melnikov (Foto: Josep Molina)

Muss Musik den Stil ihrer Zeit widerspiegeln?


Scrjabin und Schnittke hörte man dann auf dem Steinway-Konzertflügel und unmittelbar auch das orchestrale und farbenreiche Vermögen dieses Tastengeräts. Auch hatte man sogleich das Gefühl, dass Melnikov sein technisches Vermögen voll ausreizen konnte.


Scrjabins Fantasie, eigentlich in der Sonatenhauptsatzform geschrieben, steckt voller Anspielungen auf Richard Wagners Tristan und Chopins Balladen, wunderbare Melodien wechseln zu rhythmischer Obsession und nahezu haarsträubend virtuosen Passagen. Ein Stück zwischen Improvisation und klarer Thematik, eines, das zweifellos zu seinen schwierigsten Stücken zählt. Melnikov zeigte hier seine pianistische Klasse ohne allerdings dem Werk Glanz zu verleihen. Ähnlich Schnittkes Improvisation und Fuge. Ein gut 5-minütiges polystilistisches Hammerwerk zwischen Serialismus und Schostakowitsch, ein Unwetter mit Ansage. Melnikovs russische Seele wie seine emotionale Affinität zu Deutschland und seiner Kultur kamen hier voll zum Tragen.

Das Publikum erwartete natürlich Zugaben, die Melnikov, seit Jahren gern gesehener Gast der Frankfurter Bachkonzerte, mit Mozarts d-Moll Fantasie (KV 397) auf der Hammerklavier-Kopie von 1795 und eine Brahms Fantasie op.116 auf dem Pleyelflügel von 1848 erfüllte. Beide Zugaben verdeutlichten noch einmal den gewaltigen Fortschritt, den die Entwicklung der Tasteninstrumente im Laufe der Jahrhunderte genommen hat.

links: Pleyelflügel, rechts: Hammerklavier-Kopie von 1795, im
Hintergrund: Steinway Konzertflügel (Foto: Frankfurter Bachkonzerte)

Melnikov gilt höchster Respekt bei seiner Suche nach dem historischen Klang sowie seiner Auseinandersetzung mit der historischen Aufführungspraxis. Dennoch gibt es keinen Zweifel am Fortschritt, den die Entwicklung der Tasteninstrumente bis zum modernen Konzertflügel genommen hat. Ein Bach, Mozart oder Mendelssohn auf einem Steinway (oder ähnlichen Flügel) ist und bleibt ein besonderes Erlebnis. Und sei es auch müßig, die Frage zu stellen, ob die genannten Komponisten lieber auf einem modernen Konzertflügel ihre Musik gehört hätten, so lässt sich doch die Behauptung aufstellen: Sie hätten es. Denn Musik ist zeitlos, immer wieder neu zu interpretieren und muss bzw. kann nicht ihre Zeit widerspiegeln.

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