Donnerstag, 7. Februar 2019


Hélène Grimaud, Klavierrecital in der Alten Oper Frankfurt, 06.02.2019 (eine Veranstaltung von PRO ARTE)

Hélène Grimaud in der Alten Oper Frankfurt (Foto: Daniel Juch, PRO ARTE)

Was die Welt zusammenhält


Hélène Grimaud (*1969) ist ein Künstlerin, eine Universalistin auf der Suche nach der Faustischen Frage, was die Welt zusammenhält. Bekannt auch als Umweltschützerin (Stichwort Wölfe) und Schriftstellerin, sucht sie vor allem über die Auswahl und Zusammensetzung der von ihr gespielten Komponisten nach epochenübergreifenden thematischen Verbindungen und geistigen Gemeinsamkeiten. Bekannt sind ihre Soloalben wie Resonances (2011) oder Water (2016), in denen sie so unterschiedliche Komponisten wie Boulez, Takemitsu, Berio mit Liszt, Brahms oder Albeniz zusammenführt, immer ihrer philosophischen Grundhaltung folgend, dass  alles in der Welt verbunden ist. 


Memory, ihr aktuelles Album, kam erst im vergangenen September auf den Markt. Auch hier beschwört sie über eine Reihe von Miniaturen von Chopin, Debussy, Satie und Valentin Silvestrov (*1937), eigenen Aussagen zufolge, „Stimmungen vager Erinnerung herauf, ein Trugbild von dem, was war – oder was hätte sein können“.

Romantisierend könnte man es auch mit „Nachtgedanken“ (Programmheft) umschreiben, was Grimaud am Steinway Flügel in den Äther zauberte. In ein verträumtes Stimmungspaket verpackt spielte die in schlichtes anthrazitfarbenes Kostüm gekleidete Pianistin unter anderem von Claude Debussy Claire de Lune (aus der Suite Bergamasque, L 75), Réverie (L 76) und Arabesque E-Dur (aus Arabesques L 66), Träumereien aus seiner frühen Schaffenszeit, die von der Poesie Verlaines sowie Mallarmés inspiriert waren. Scheinbar im Gegensatz dazu von Eric Satie Gnossienne Nr. 1 und Nr. 4 oder die Pièces froides, die kalten Stücke, die das Nachtclub erfahrene Enfant terrible seiner Zeit ohne Regeln und Taktstrich aufs Papier brachte und ungläubiges Kopfschütteln erntete. Dann von Fréderic Chopin Nocturne Nr. 19 e-Moll op. posthum 72, Nr. 1, Mazurka a-Moll op. 17 und den Walzer Nr. 3 a-Moll op. 34 Nr. 2, relativ selten gespielte Piecen aus seinem übersichtlichen Oeuvre, bis hin zum in Kiew geborenen Valentin Silvestrov, aus dessen umfangreichen Werk sie zwei Bagatellen (2005) auswählte, die, ganz im tonalen Duktus, den tiefen Glauben des Komponisten, das alles schon einmal da gewesen sei, widerspiegelten.

Zwölf Stücke, ohne Pause und in einem Crossover Mix dargeboten, versetzten das Publikum des vollbesetzten Großen Saals der Alten Oper in die Traumwelt des Vergangenen, in die Erinnerung dessen was Kindheit einmal ausmachte, was das Erwachsensein prägt und was die Zukunft vielleicht sein könnte. Grimaud wählte dazu eine pastose Klangfarbe mit starker Pedalierung und verschwimmenden, geheimnisvollen Effekten. Extreme, fast schon manierierte Rubati bis hin zu verzerrter Rhythmik (Debussys: La plus que lente) machten diese fast fünfzig minütige Führung durch Romantik und Moderne zu einer bilderreichen Zeitreise von der Vergangenheit in die Zukunft.

Ein Selbstportrait von existentieller Strahlkraft


Denkt man an die Kreisleriana, dann assoziiert man sogleich E.T.A. Hoffmanns (1776-1822) Figur des Kapellmeisters Kreisler in der gleichnamigen Erzählung. Sein Alter Ego, der einem ebenfalls in den Romanen Lebensansichten des Kater Murr (1819) oder auch im Der goldene Topf (1814/19) begegnet. Diese Figur verkörpert die unruhige Zeit des frühen 19. Jahrhunderts, eine zwischen Revolution und Restauration. 


Für Robert Schumann (1810-1856) ein idealer Stoff, zumal er sich selbst in der Gestalt des Kapellmeisters wieder zu finden glaubte. In heftigen Gefühlen zu seiner späteren Frau Clara Wieck, der er das achtteilige Werk widmen wollte (was der Vater Claras verbot, Schumann widmete es dann Fréderic Chopin), entwickelt er in diesem gut halbstündigen Epos eine Charakterstudie über sich selbst: äußerst kontrastierend zwischen aufgeregtester Stimmung und tiefer Liebe zum Detail. Ein emotionales Auf und Ab von ungeheurer musikalischer Expressivität und grotesken Fantastereien.

Grimaud wurde hier zur Philosophin an den Tasten. Es ging ihr um das Existenzielle an musikalischer Ausdrucksmöglichkeit, um das Universelle der musikalischen Sprache. Die Kreisleriana op. 16 (1838 und 1850 revidiert) geriet unter ihren magischen Händen zu einem Selbstportrait. Saß sie ansonsten relativ gelassen auf dem Klavierstuhl, zeigte sie in dieser Interpretation bewegende Gefühle und man merkte mit jedem von ihr erzeugten Klang die innere Verbundenheit mit dieser Komposition.

Gewaltig auch ihre vier Zugaben vor allem aus dem Oeuvre von Sergei Rachmaninow, einem Komponisten, der bereits zu ihren frühen CD-Aufnahmen gehört: Drei Etüden aus op. 33 (1911). Und zum Abschluss noch von Claude Debussy La cathédrale engloutie aus dessen Préludes (1910, Buch 1, Nr. 10). Das Publikum wollte sie gar nicht gehen lassen und forderte sie stehend immer wieder auf die Bühne zurück. Ein Abend so außergewöhnlich wie unvergleichlich.


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