Hélène Grimaud,
Klavierrecital in der Alten Oper Frankfurt, 06.02.2019 (eine Veranstaltung von
PRO ARTE)
Hélène Grimaud in der Alten Oper Frankfurt (Foto: Daniel Juch, PRO ARTE) |
Was die Welt zusammenhält
Hélène Grimaud (*1969) ist ein Künstlerin, eine Universalistin auf der Suche nach der Faustischen Frage, was die Welt zusammenhält. Bekannt auch als Umweltschützerin (Stichwort Wölfe) und Schriftstellerin, sucht sie vor allem über die Auswahl und Zusammensetzung der von ihr gespielten Komponisten nach epochenübergreifenden thematischen Verbindungen und geistigen Gemeinsamkeiten. Bekannt sind ihre Soloalben wie Resonances (2011) oder Water (2016), in denen sie so unterschiedliche Komponisten wie Boulez, Takemitsu, Berio mit Liszt, Brahms oder Albeniz zusammenführt, immer ihrer philosophischen Grundhaltung folgend, dass alles in der Welt verbunden ist.
Memory, ihr aktuelles
Album, kam erst im vergangenen September auf den Markt. Auch hier beschwört sie
über eine Reihe von Miniaturen von Chopin, Debussy, Satie und Valentin
Silvestrov (*1937), eigenen Aussagen zufolge, „Stimmungen vager Erinnerung
herauf, ein Trugbild von dem, was war – oder was hätte sein können“.
Romantisierend könnte man es auch mit „Nachtgedanken“
(Programmheft) umschreiben, was Grimaud am Steinway Flügel in den Äther
zauberte. In ein verträumtes Stimmungspaket verpackt spielte die in schlichtes
anthrazitfarbenes Kostüm gekleidete Pianistin unter anderem von Claude Debussy Claire de Lune (aus der Suite Bergamasque, L 75), Réverie (L 76) und Arabesque E-Dur (aus Arabesques L 66), Träumereien aus seiner frühen Schaffenszeit, die von der Poesie Verlaines
sowie Mallarmés inspiriert waren. Scheinbar im Gegensatz dazu von Eric Satie Gnossienne Nr. 1 und Nr. 4 oder die Pièces froides, die kalten Stücke, die das Nachtclub erfahrene Enfant
terrible seiner Zeit ohne Regeln und Taktstrich aufs Papier brachte und
ungläubiges Kopfschütteln erntete. Dann von Fréderic Chopin Nocturne Nr. 19 e-Moll op. posthum 72, Nr. 1, Mazurka a-Moll op. 17 und den Walzer
Nr. 3 a-Moll op. 34 Nr. 2, relativ selten gespielte Piecen aus seinem übersichtlichen
Oeuvre, bis hin zum in Kiew geborenen Valentin Silvestrov, aus dessen
umfangreichen Werk sie zwei
Bagatellen (2005) auswählte, die, ganz im tonalen Duktus, den tiefen Glauben des
Komponisten, das alles schon einmal da gewesen sei, widerspiegelten.
Zwölf Stücke, ohne Pause und in einem Crossover Mix
dargeboten, versetzten das Publikum des vollbesetzten Großen Saals der Alten
Oper in die Traumwelt des Vergangenen, in die Erinnerung dessen was Kindheit
einmal ausmachte, was das Erwachsensein prägt und was die Zukunft vielleicht
sein könnte. Grimaud wählte dazu eine pastose Klangfarbe mit starker Pedalierung
und verschwimmenden, geheimnisvollen Effekten. Extreme, fast schon manierierte
Rubati bis hin zu verzerrter Rhythmik (Debussys: La plus que lente) machten diese fast fünfzig minütige Führung
durch Romantik und Moderne zu einer bilderreichen Zeitreise von der
Vergangenheit in die Zukunft.
Ein Selbstportrait von existentieller Strahlkraft
Denkt man an die Kreisleriana, dann assoziiert man sogleich E.T.A. Hoffmanns (1776-1822) Figur des Kapellmeisters Kreisler in der gleichnamigen Erzählung. Sein Alter Ego, der einem ebenfalls in den Romanen Lebensansichten des Kater Murr (1819) oder auch im Der goldene Topf (1814/19) begegnet. Diese Figur verkörpert die unruhige Zeit des frühen 19. Jahrhunderts, eine zwischen Revolution und Restauration.
Für Robert Schumann
(1810-1856) ein idealer Stoff, zumal er sich selbst in der Gestalt des Kapellmeisters
wieder zu finden glaubte. In heftigen Gefühlen zu seiner späteren Frau Clara
Wieck, der er das achtteilige Werk widmen wollte (was der Vater Claras verbot, Schumann
widmete es dann Fréderic Chopin), entwickelt er in diesem gut halbstündigen
Epos eine Charakterstudie über sich selbst: äußerst kontrastierend zwischen
aufgeregtester Stimmung und tiefer Liebe zum Detail. Ein emotionales Auf und Ab
von ungeheurer musikalischer Expressivität und grotesken Fantastereien.
Grimaud wurde hier zur Philosophin an den Tasten. Es ging
ihr um das Existenzielle an musikalischer Ausdrucksmöglichkeit, um das
Universelle der musikalischen Sprache. Die Kreisleriana
op. 16 (1838 und 1850 revidiert) geriet unter ihren magischen Händen zu einem
Selbstportrait. Saß sie ansonsten relativ gelassen auf dem Klavierstuhl, zeigte
sie in dieser Interpretation bewegende Gefühle und man merkte mit jedem von ihr
erzeugten Klang die innere Verbundenheit mit dieser Komposition.
Gewaltig auch ihre vier Zugaben vor allem aus dem Oeuvre von
Sergei Rachmaninow, einem Komponisten, der bereits zu ihren frühen CD-Aufnahmen
gehört: Drei Etüden aus op. 33 (1911).
Und zum Abschluss noch von Claude Debussy La
cathédrale engloutie aus dessen Préludes (1910, Buch 1, Nr. 10). Das
Publikum wollte sie gar nicht gehen lassen und forderte sie stehend immer
wieder auf die Bühne zurück. Ein Abend so außergewöhnlich wie unvergleichlich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen