Crossing Roads, Ensemble
Modern und Bridges – Musik verbindet, Abschlussveranstaltung des Festivals „Frankfurter
Positionen 2019, Grenzen der Verständigung", Mousonturm Frankfurt, 08.02.2019
Teilnehmer von Bridges - Musik verbindet (Foto: Sascha Rheker) |
Der Weg ist das Ziel – oder?
23 MusikerInnen aus 16 Nationen und ebenso vielen Kulturen und Traditionen fanden sich auf der Bühne des Künstlerhauses Mousonturm zusammen und spielten miteinander. Einfach so, mochte man meinen – ohne Netz und doppelten Boden, obwohl Uwe Dierksen (Euphonium) zumindest zu Anfang das vermeintliche Chaos elegant ordnete.
Ein Experiment, das die Grenzen der Verständigung tangierte
und gleichzeitig einen Weg der Gemeinsamkeiten herzustellen versuchte. Die
Frage in neoliberalistischen Zeiten, ob Kulturen eingeebnet und kapitalistischen
Verwertungsinteressen untergeordnet werden, oder anders formuliert: Ob die
immer wieder postulierte Buntheit der Kulturen, die als Toleranz verkauft wird,
nicht in Wahrheit zu einer farbigen Homogenität verkehrt wird (Philipp Krohn), diese
Frage wurde hier regelrecht auf die musikalische Tagesordnung gestellt.
Allein die Vielfalt der Instrumente war schon atemberaubend,
neben den herkömmlichen europäischen Klangkörpern sah man eine Krar (Harfe)
aus Äthiopien, eine Pferdekopfgeige aus der Mongolei, eine Oud aus dem Orient,
eine Kanun (Hackbrett) aus Albanien, eine Kaval (Flöte) aus dem Balkan
sowie eine Tabla (Schlagwerk) aus dem asiatischen Kontinent. Dazu Kontrafagott, Euphonium (eine Art
Flügelhorn) und diverse Perkussionsinstrumente wie Windmacher, Tamburin,
Trommeln und Rasseln.
Ein Trompetensolo von
Sava Stoianov leitete das gut einstündige Concerto grosso mit Texteinlagen von Hermann Kretzschmar ein. Ach
ja. Das spannungsgeladene, mit unterschiedlichsten musikalischen Stilen gemixte
Reisetagebuch, wurde förmlich zusammengehalten durch Texte von Henri Michaux
(1899-1984), einem surrealistischen Egomanen, Schriftsteller und Poeten des 20.
Jahrhunderts, und Jean Baudrillard (1929-2007), einem poststrukturalistischen
Philosophen, der über Amerika (USA) sagte: „Mag es auch beklagenswert, monoton
und oberflächlich sein, es gibt kein anderes.“
Molekulare
Kapillarität – eine Form der Kommunikation
So spielten zu Textfragmenten aus den Reisebuchaufzeichnungen
Michaux´ Ein Barbar auf Reisen (1933)
und Baudrillards Amerika (1986), mal
Oud (Hesham Hamra), Kanun (Eleanna Pitsikaki), Krar (Afewerki Mengesha), Pferdekopfgeige mit
Zungenflatter- und Obertongesang (Enkhtuya
Jambaldorj), oder auch mal alle Klangkünstler zusammen. Ein stetiger Wechsel zwischen
Text, Solo, Gruppen und Gesang mit ironischem Witz (Was denken Afrikaner über Deutsche,
was Japaner über Amerikaner?), virtuosen, sehr traditions- und kulturspezifischen
Einlagen, tänzerischen Varianten vom Rap, rumänischen Tänzen, Klezmer bis zu
orientalisch-indischen Rhythmen, alles war dabei; ja sogar der Versuch,
Schuberts Tod und das Mädchen (im Streichquartett),
Mozarts Zauberflöte auf Kaval, Liszts h-Moll Sonate oder gar George Crumb Streichquartett (1970) mit dem Vogelgesang
aus den Rest-Urwäldern oder der musique
concrète der Weltmetropolen zusammenzufügen. Ein Art Jam-Session, die
Baudrillard als molekulare Kapillarität bezeichnet hätte, als eine Kommunikation,
bei der sich die Körper nicht berühren, bei der das erotische Potenzial weder
verführt noch stört.
Es herrschte Heiterkeit und Ausgelassenheit. Der Wind peitschte
über die endlosen Flächen der Mohave-Wüste, der Deutsche wurde zur Kokosnuss
(außen hart und innen weich und schmackhaft) der Amerikaner zum Pfirsich (außen
weich, innen ein harter Kern), die Hindus konnten die Weißen nicht riechen
und die Weißen fanden die Afrikaner hässlich.
Es war wie es sein musste: eine crossing road, auf der es kein Ziel gab, auf der das Fremde fremd
blieb und das Vertraute vertraut. Eine Reise, auf der die Nähe und die Ferne
eine Frage der Perspektive blieb, eine Perspektive, deren Wechsel höchst
spannende Begegnungen erzeugte, aber nicht immer konnte. Vor allem dann nicht,
wenn außereuropäische Folklore zum Dekor zu werden drohte.
Die Frankfurter Initiative
Bridges – Musik verbindet bringt seit der großen Flüchtlingswelle 2015
Musiker zusammen, um den interkulturellen Dialog zu fördern. Die künstlerische
und politische Absicht sei mal dahingestellt: Crossing Roads jedenfalls kann man als Versuch werten, sehr begabte
Musiker (hier aus der Mongolei, aus Albanien, Syrien, dem Sudan und Iran) mit
den professionellen Musikern des Ensemble
Modern zusammenzuführen und das Experiment der Findung einer gemeinsamen
Musik zu wagen.
Herausgekommen ist ein Kaleidoskop sehr unterschiedlicher
Musiken, mit sehr unterschiedlichen Charaktereigenschaften und sehr
unterschiedlichen Rhythmen und Klangfarben. Ein buntes Gemisch im Grenzbereich
der Homogenisierung und Monochromie. Dennoch: Alle hatten ihren Spaß, sowohl
die Akteure als auch das Publikum, das immerhin noch zwei Zugaben
herausforderte, Zugaben, bei denen vor allem die Kanun-Spielerin, Eleanna Pitsikaki,
durch ihre Virtuosität und die Sängerin und Pferdekopfgeigerin, Enkhtuya
Jambaldorj, durch ihren Obertongesang und die perfekte Beherrschung des
zweisaitigen Instruments herausragten.
Zehn Tage Theorie und künstlerische Praxis über die Grenzen
der Verständigung fanden einen würdigen Abschluss und man ist geneigt zu sagen:
Bauen wir Brücken, aber nehmen wir den fremden Kulturen nicht ihren Zauber. Die
europäische Musik ist bärenstark, aber sie sollte und darf nicht erdrücken.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen