Samstag, 9. Februar 2019


Crossing Roads, Ensemble Modern und Bridges – Musik verbindet, Abschlussveranstaltung des Festivals „Frankfurter Positionen 2019, Grenzen der Verständigung", Mousonturm Frankfurt, 08.02.2019

Teilnehmer von Bridges - Musik verbindet (Foto: Sascha Rheker)

Der Weg ist das Ziel – oder?


23 MusikerInnen aus 16 Nationen und ebenso vielen Kulturen und Traditionen fanden sich auf der Bühne des Künstlerhauses Mousonturm zusammen und spielten miteinander. Einfach so, mochte man meinen – ohne Netz und doppelten Boden, obwohl Uwe Dierksen (Euphonium) zumindest zu Anfang das vermeintliche Chaos elegant ordnete.


Ein Experiment, das die Grenzen der Verständigung tangierte und gleichzeitig einen Weg der Gemeinsamkeiten herzustellen versuchte. Die Frage in neoliberalistischen Zeiten, ob Kulturen eingeebnet und kapitalistischen Verwertungsinteressen untergeordnet werden, oder anders formuliert: Ob die immer wieder postulierte Buntheit der Kulturen, die als Toleranz verkauft wird, nicht in Wahrheit zu einer farbigen Homogenität verkehrt wird (Philipp Krohn), diese Frage wurde hier regelrecht auf die musikalische Tagesordnung gestellt.

Allein die Vielfalt der Instrumente war schon atemberaubend, neben den herkömmlichen europäischen Klangkörpern sah man eine Krar (Harfe) aus Äthiopien, eine Pferdekopfgeige aus der Mongolei, eine Oud aus dem Orient, eine Kanun (Hackbrett) aus Albanien, eine Kaval (Flöte) aus dem Balkan sowie eine Tabla (Schlagwerk) aus dem asiatischen Kontinent. Dazu Kontrafagott, Euphonium (eine Art Flügelhorn) und diverse Perkussionsinstrumente wie Windmacher, Tamburin, Trommeln und Rasseln.

Ein Trompetensolo von Sava Stoianov leitete das gut einstündige Concerto grosso mit Texteinlagen von Hermann Kretzschmar ein. Ach ja. Das spannungsgeladene, mit unterschiedlichsten musikalischen Stilen gemixte Reisetagebuch, wurde förmlich zusammengehalten durch Texte von Henri Michaux (1899-1984), einem surrealistischen Egomanen, Schriftsteller und Poeten des 20. Jahrhunderts, und Jean Baudrillard (1929-2007), einem poststrukturalistischen Philosophen, der über Amerika (USA) sagte: „Mag es auch beklagenswert, monoton und oberflächlich sein, es gibt kein anderes.“


Molekulare Kapillarität – eine Form der Kommunikation


So spielten zu Textfragmenten aus den Reisebuchaufzeichnungen Michaux´ Ein Barbar auf Reisen (1933) und Baudrillards Amerika (1986), mal Oud (Hesham Hamra), Kanun (Eleanna Pitsikaki), Krar (Afewerki Mengesha), Pferdekopfgeige mit Zungenflatter- und Obertongesang (Enkhtuya Jambaldorj), oder auch mal alle Klangkünstler zusammen. Ein stetiger Wechsel zwischen Text, Solo, Gruppen und Gesang mit ironischem Witz (Was denken Afrikaner über Deutsche, was Japaner über Amerikaner?), virtuosen, sehr traditions- und kulturspezifischen Einlagen, tänzerischen Varianten vom Rap, rumänischen Tänzen, Klezmer bis zu orientalisch-indischen Rhythmen, alles war dabei; ja sogar der Versuch, Schuberts Tod und das Mädchen (im Streichquartett), Mozarts Zauberflöte auf Kaval, Liszts h-Moll Sonate oder gar George Crumb Streichquartett (1970) mit dem Vogelgesang aus den Rest-Urwäldern oder der musique concrète der Weltmetropolen zusammenzufügen. Ein Art Jam-Session, die Baudrillard als molekulare Kapillarität bezeichnet hätte, als eine Kommunikation, bei der sich die Körper nicht berühren, bei der das erotische Potenzial weder verführt noch stört.

Es herrschte Heiterkeit und Ausgelassenheit. Der Wind peitschte über die endlosen Flächen der Mohave-Wüste, der Deutsche wurde zur Kokosnuss (außen hart und innen weich und schmackhaft) der Amerikaner zum Pfirsich (außen weich, innen ein harter Kern), die Hindus konnten die Weißen nicht riechen und die Weißen fanden die Afrikaner hässlich.
Es war wie es sein musste: eine crossing road, auf der es kein Ziel gab, auf der das Fremde fremd blieb und das Vertraute vertraut. Eine Reise, auf der die Nähe und die Ferne eine Frage der Perspektive blieb, eine Perspektive, deren Wechsel höchst spannende Begegnungen erzeugte, aber nicht immer konnte. Vor allem dann nicht, wenn außereuropäische Folklore zum Dekor zu werden drohte.

Die Frankfurter Initiative Bridges – Musik verbindet bringt seit der großen Flüchtlingswelle 2015 Musiker zusammen, um den interkulturellen Dialog zu fördern. Die künstlerische und politische Absicht sei mal dahingestellt: Crossing Roads jedenfalls kann man als Versuch werten, sehr begabte Musiker (hier aus der Mongolei, aus Albanien, Syrien, dem Sudan und Iran) mit den professionellen Musikern des Ensemble Modern zusammenzuführen und das Experiment der Findung einer gemeinsamen Musik zu wagen.

Herausgekommen ist ein Kaleidoskop sehr unterschiedlicher Musiken, mit sehr unterschiedlichen Charaktereigenschaften und sehr unterschiedlichen Rhythmen und Klangfarben. Ein buntes Gemisch im Grenzbereich der Homogenisierung und Monochromie. Dennoch: Alle hatten ihren Spaß, sowohl die Akteure als auch das Publikum, das immerhin noch zwei Zugaben herausforderte, Zugaben, bei denen vor allem die Kanun-Spielerin, Eleanna Pitsikaki, durch ihre Virtuosität und die Sängerin und Pferdekopfgeigerin, Enkhtuya Jambaldorj, durch ihren Obertongesang und die perfekte Beherrschung des zweisaitigen Instruments herausragten.

Zehn Tage Theorie und künstlerische Praxis über die Grenzen der Verständigung fanden einen würdigen Abschluss und man ist geneigt zu sagen: Bauen wir Brücken, aber nehmen wir den fremden Kulturen nicht ihren Zauber. Die europäische Musik ist bärenstark, aber sie sollte und darf nicht erdrücken.

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