Happy
New Ears 2019, Portrait Olga Neuwirth,
Werkstattkonzert im Foyer der Oper Frankfurt mit dem Ensemble Modern (Ltg. Karsten Januschke),
19.02.2019
Olga Neuwirth (Foto: OE 1 - ORF) |
Die „seligen Ohrwascheln“ zum Vibrieren gebracht
Es ist das erste von insgesamt drei Werkstattkonzerten in der Saison 2018/19 und man bekommt gleich die Ohren gewaschen von der eigenwilligen Olga Neuwirth (*1968), die bereits durch ihre Deutsche Erstaufführung der surrealen Oper Lost Highway im September 2018 im Bockenheimer Depot die Frankfurter Kulturszene in Aufruhr versetzte.
Olga Neuwirth lässt sich tatsächlich schwer
einordnen, was sie ja auch möchte, denn anecken und provozieren scheint Teil
ihres Charakters zu sein. So gibt sie in der spannenden Unterhaltung mit dem
Moderator des Abends, Olaf A. Schmitt, unumwunden zu, dass sie „kein Freund der
Geige“ sei, den Auftrag, über das Vierte
Brandenburgische Konzert Johann Sebastian Bachs eine moderne Bearbeitung zu
schreiben, zunächst abgelehnt habe, aber leider umfiel, wegen der wiederholten
freundlichen Bitten des Auftraggebers, dass es ihr aber dann Spaß gemacht habe,
eine „Katastrophenmusik“ aus Bachs Werk zu machen, das sie Aello (im Februar 2018 in Schweden uraufgeführt) nannte, eine der
griechisch mythologischen Harpyien, geflügelte Mischwesen, die nach Geheiß des
Zeus die Seelen quälen oder gar Menschen töten, die seinen Zorn erregen.
In Aello
wechselt die Komponistin die Soloinstrumente – statt Violine Querflöte, statt
zwei Blockflöten, zwei Trompeten. Dazu gesellt sie ein elektronisch verstärktes
Cembalo, eine Olivetti Lettera 22, zu Deutsch: Schreibmaschine mit
intellektuellem Kultstatus, unterschiedlich gestimmte Streichinstrumente (443
Hz die Solisten und ersten Geiger, 415 Hz die zweiten Geigen und 431 Hz das
Cembalo) und last but not least eine Glasharmonika, ein Milchschäumer und diverse
perkussive Schnickschnacks. Herausgekommen ist, bei Erhalt der typisch barocken
Struktur, der Dreiteiligkeit, Allegro-Andante-Presto, und der Bachschen Erkennungsmerkmale
wie Zitate, Ritornell und Fugenform sowie Tänze, eine höchst spannendes und
vielschichtiges Werk, das die „seligen Ohrwascheln“ (das Motto der Reihe) des Publikums
zum Vibrieren brachte.
Sehr pointiert, mit maschineller Motorik gespickt,
aber dennoch tänzerisch aufreizend der erste Satz, schwebend, geisterhaft, in
weltentrückte Fernen abschweifend dann der zweite Teil (das Gemisch aus
Glasharmonika und Milchschäumer, der an eine Triangel gehalten wurde, schaffte
eine Atmosphäre zwischen Tartaros und Olymp, um bei der griechischen Mythologie
zu bleiben). Eruptiv das Finale. Eine überdrehte Maschine, die rastlos nach
vorwärts strebte, ohne allerdings Raum zu gewinnen. Ein langer Orgelpunkt mit
hilflosen Zitatsplittern bereitete dem Stretto-Taumel ein Ende.
Ein heftiges, befreiendes Ausatmen des Solisten, Dietmar Wiesner, ließ allen Druck, alle
Wildheit, allen Sturmwind der Harpyie Aello im Nichts verebben. Wiesners
ausgefeilte Spieltechniken, obertonreich, mit komplexem Zungen- und Atemspiel
(Tongue ram und jet whistle), machte aus dem „mechanischen Ballett“ (so der
Untertitel des Werks) ein atemberaubendes Spiel mit Klangfarben, konterkariert
durch maschinelle Rhythmen des Ensemble Modern (Ltg. Karsten Januschke), die wie kaputtes Spielzeug herumwirbelten.
Eine Hommage, ein Malheur, eine Karikatur
Hommage
á Klaus Nomi (1998/2008) scheint eine Herzensangelegenheit
der Komponistin zu sein. Bereits mit acht Jahren habe sie erstmals die Stimme von
Klaus Nomi/Sperber (1944-1983) gehört und sich sogleich in seinen androgynen
Counterklang verliebt. Auf den Salzburger Festspielen 1998 uraufgeführt, habe
sie Stationen der New Wave Ikone (Nomi spielte mit der Musik, ob E- oder
U-Musik, und mit sich, er trat vorwiegend in clowneskem Look auf)
kompositorisch nachvollzogen und seine schillernde Person von verschiedenen
Seiten beleuchtet. Neuwirth nennt ihr Werk „ein mit Zweifel gespicktes,
leichtes, ironisches Requiem auf einen Visionär“.
Dazu bot sie sechs Lieder aus einem insgesamt
75-minütigen Zyklus, ließ die Stimme Nomis über Samples hören, aber auch life singen
vom Countertenor und Bariton Daniel Gloger. Dazu
noch acht Instrumentalisten: zwei Perkussionisten, eine E-Gitarre, ein Kontrabass, eine Bassklarinette
sowie zwei Keyboards und ein Violoncello.
Mit elektronischen Effekten gespickt, kam es gleich
zu einem Malheur. Ein Keyboard streikte und Ersatz schien nicht in Sicht.
Neuwirth wollte weder ein „halbertes Stück“ hören noch ein „bad guy“ sein und zog
sich zurück. Schmitt, der Moderator, erklärte noch einmal dem Publikum, wie
wichtig das Funktionieren zwischen fixem Tempo des Samples und der exakten Stimmführung
sei, als dann doch ein Ersatz nahte und das Stück ein zweites Mal begonnen
wurde.
Gloger, sichtlich angefressen, bewältigte seinen
Part zwar beeindruckend (mit riesigem Konterfei Nomis an der Opernwand),
wenngleich man den Eindruck nicht los wurde, dass er lediglich die Kultfigur Klaus
Nomi zu imitieren hatte. Seine Lieder Simple
Man und Last Danse von Kristian
Hoffmann, Cold Song aus Henry
Purcells King Arthur, oder der berühmte
Song von Friedrich Hollaender Ich bin von
Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt (Marlene Dietrich lässt grüßen) waren
ein Gemisch aus Broadway-Glamour, Musical, barockes Lamento (Henry Purcell) und
Filmmusik-Trailer. Viel Witz, schräg und
abseitig, eine Art „Verfremdung der Verfremdung“ (Neuwirth), wobei die Rolle
des live Sängers im Unklaren blieb.
Sollte Gloger Nomi imitieren, was gar nicht geht,
oder ersetzen? Warum aber dann die Einspielungen von Nomis Stimme? Hier hätte
ein klärendes Wort genügt, um Aufschluss zu geben. Vielleicht eine Einbeziehung
von Gloger in das Gespräch und seine ganz persönliche Rolle in dieser Hommage? So aber blieb der
leidenschaftliche Countertenor/Bariton und gefragte Sänger für zeitgenössisches
Musiktheater ein wenig fremd auf der Bühne und wirkte vor dem riesigen Foto
Nomis wie eine Karikatur.
Über die Musik lässt sich trefflich streiten. Viel
Show, ein wenig geckig und voller Selbstironie – das Phänomen Nomis und seine
visionäre Sicht auf die Musik blieb allerdings im Dunkeln.
Nächste Werkstattkonzerte: 02.04. mit Fausto Romitelli, 10.06. mit Georg Friedrich Haas
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen