Mittwoch, 20. Februar 2019


Happy New Ears 2019, Portrait Olga Neuwirth, Werkstattkonzert im Foyer der Oper Frankfurt mit dem Ensemble Modern (Ltg. Karsten Januschke), 19.02.2019

Olga Neuwirth (Foto: OE 1 - ORF)

Die „seligen Ohrwascheln“ zum Vibrieren gebracht


Es ist das erste von insgesamt drei Werkstattkonzerten in der Saison 2018/19 und man bekommt gleich die Ohren gewaschen von der eigenwilligen Olga Neuwirth (*1968), die bereits durch ihre Deutsche Erstaufführung der surrealen Oper Lost Highway im September 2018 im Bockenheimer Depot die Frankfurter Kulturszene in Aufruhr versetzte.


Olga Neuwirth lässt sich tatsächlich schwer einordnen, was sie ja auch möchte, denn anecken und provozieren scheint Teil ihres Charakters zu sein. So gibt sie in der spannenden Unterhaltung mit dem Moderator des Abends, Olaf A. Schmitt, unumwunden zu, dass sie „kein Freund der Geige“ sei, den Auftrag, über das Vierte Brandenburgische Konzert Johann Sebastian Bachs eine moderne Bearbeitung zu schreiben, zunächst abgelehnt habe, aber leider umfiel, wegen der wiederholten freundlichen Bitten des Auftraggebers, dass es ihr aber dann Spaß gemacht habe, eine „Katastrophenmusik“ aus Bachs Werk zu machen, das sie Aello (im Februar 2018 in Schweden uraufgeführt) nannte, eine der griechisch mythologischen Harpyien, geflügelte Mischwesen, die nach Geheiß des Zeus die Seelen quälen oder gar Menschen töten, die seinen Zorn erregen.

In Aello wechselt die Komponistin die Soloinstrumente – statt Violine Querflöte, statt zwei Blockflöten, zwei Trompeten. Dazu gesellt sie ein elektronisch verstärktes Cembalo, eine Olivetti Lettera 22, zu Deutsch: Schreibmaschine mit intellektuellem Kultstatus, unterschiedlich gestimmte Streichinstrumente (443 Hz die Solisten und ersten Geiger, 415 Hz die zweiten Geigen und 431 Hz das Cembalo) und last but not least eine Glasharmonika, ein Milchschäumer und diverse perkussive Schnickschnacks. Herausgekommen ist, bei Erhalt der typisch barocken Struktur, der Dreiteiligkeit, Allegro-Andante-Presto, und der Bachschen Erkennungsmerkmale wie Zitate, Ritornell und Fugenform sowie Tänze, eine höchst spannendes und vielschichtiges Werk, das die „seligen Ohrwascheln“ (das Motto der Reihe) des Publikums zum Vibrieren brachte.

Sehr pointiert, mit maschineller Motorik gespickt, aber dennoch tänzerisch aufreizend der erste Satz, schwebend, geisterhaft, in weltentrückte Fernen abschweifend dann der zweite Teil (das Gemisch aus Glasharmonika und Milchschäumer, der an eine Triangel gehalten wurde, schaffte eine Atmosphäre zwischen Tartaros und Olymp, um bei der griechischen Mythologie zu bleiben). Eruptiv das Finale. Eine überdrehte Maschine, die rastlos nach vorwärts strebte, ohne allerdings Raum zu gewinnen. Ein langer Orgelpunkt mit hilflosen Zitatsplittern bereitete dem Stretto-Taumel ein Ende.

Ein heftiges, befreiendes Ausatmen des Solisten, Dietmar Wiesner, ließ allen Druck, alle Wildheit, allen Sturmwind der Harpyie Aello im Nichts verebben. Wiesners ausgefeilte Spieltechniken, obertonreich, mit komplexem Zungen- und Atemspiel (Tongue ram und jet whistle), machte aus dem „mechanischen Ballett“ (so der Untertitel des Werks) ein atemberaubendes Spiel mit Klangfarben, konterkariert durch maschinelle Rhythmen des Ensemble Modern (Ltg. Karsten Januschke), die wie kaputtes Spielzeug herumwirbelten.

Eine Hommage, ein Malheur, eine Karikatur


Hommage á Klaus Nomi (1998/2008) scheint eine Herzensangelegenheit der Komponistin zu sein. Bereits mit acht Jahren habe sie erstmals die Stimme von Klaus Nomi/Sperber (1944-1983) gehört und sich sogleich in seinen androgynen Counterklang verliebt. Auf den Salzburger Festspielen 1998 uraufgeführt, habe sie Stationen der New Wave Ikone (Nomi spielte mit der Musik, ob E- oder U-Musik, und mit sich, er trat vorwiegend in clowneskem Look auf) kompositorisch nachvollzogen und seine schillernde Person von verschiedenen Seiten beleuchtet. Neuwirth nennt ihr Werk „ein mit Zweifel gespicktes, leichtes, ironisches Requiem auf einen Visionär“.

Dazu bot sie sechs Lieder aus einem insgesamt 75-minütigen Zyklus, ließ die Stimme Nomis über Samples hören, aber auch life singen vom Countertenor und Bariton Daniel Gloger. Dazu noch acht Instrumentalisten: zwei Perkussionisten, eine E-Gitarre, ein Kontrabass, eine Bassklarinette sowie zwei Keyboards und ein Violoncello.

Mit elektronischen Effekten gespickt, kam es gleich zu einem Malheur. Ein Keyboard streikte und Ersatz schien nicht in Sicht. Neuwirth wollte weder ein „halbertes Stück“ hören noch ein „bad guy“ sein und zog sich zurück. Schmitt, der Moderator, erklärte noch einmal dem Publikum, wie wichtig das Funktionieren zwischen fixem Tempo des Samples und der exakten Stimmführung sei, als dann doch ein Ersatz nahte und das Stück ein zweites Mal begonnen wurde.

Gloger, sichtlich angefressen, bewältigte seinen Part zwar beeindruckend (mit riesigem Konterfei Nomis an der Opernwand), wenngleich man den Eindruck nicht los wurde, dass er lediglich die Kultfigur Klaus Nomi zu imitieren hatte. Seine Lieder Simple Man und Last Danse von Kristian Hoffmann, Cold Song aus Henry Purcells King Arthur, oder der berühmte Song von Friedrich Hollaender Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt (Marlene Dietrich lässt grüßen) waren ein Gemisch aus Broadway-Glamour, Musical, barockes Lamento (Henry Purcell) und  Filmmusik-Trailer. Viel Witz, schräg und abseitig, eine Art „Verfremdung der Verfremdung“ (Neuwirth), wobei die Rolle des live Sängers im Unklaren blieb.

Sollte Gloger Nomi imitieren, was gar nicht geht, oder ersetzen? Warum aber dann die Einspielungen von Nomis Stimme? Hier hätte ein klärendes Wort genügt, um Aufschluss zu geben. Vielleicht eine Einbeziehung von Gloger in das Gespräch und seine ganz persönliche Rolle in dieser Hommage? So aber blieb der leidenschaftliche Countertenor/Bariton und gefragte Sänger für zeitgenössisches Musiktheater ein wenig fremd auf der Bühne und wirkte vor dem riesigen Foto Nomis wie eine Karikatur.

Über die Musik lässt sich trefflich streiten. Viel Show, ein wenig geckig und voller Selbstironie – das Phänomen Nomis und seine visionäre Sicht auf die Musik blieb allerdings im Dunkeln. 

Nächste Werkstattkonzerte: 02.04. mit Fausto Romitelli, 10.06. mit Georg Friedrich Haas

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