Sonntag, 17. Februar 2019


Salome (1905), Musik-Drama von Richard Strauss (1864-1949), Staatstheater Wiesbaden, Premiere 16.02.2019



v.l.:Thomas de Vries (Jochanaan), Franz van Aken (Herodes), auf dem Video: Sera Gösch (Salome, beim Tanz der sieben Schleier)
Fotos: Karl und Monika Forster

Eine brandaktuelle Salome


Seit ihrer Uraufführung am 09. Dezember 1905 in der Dresdener Hofoper ruft die Salome gewaltige Skandale hervor, teils durch ihre hypermoderne Musik, teils durch die Problemstellung und den Text (nach dem gleichnamigen Roman von Oscar Wilde in der deutschen Übersetzung von Hedwig Lachmann), was bis zum heutigen Tage nicht nachgelassen hat. So auch in der Premiere am Staatstheater Wiesbaden. Buhruf und frenetischer Beifall wechselten sich ab und machten wieder einmal deutlich, wie brandaktuell die Salome immer noch ist.


Worum aber geht es? Das Musik-Drama Salome spielt in einer gesellschaftlichen Umbruchszeit. Es repräsentiert ein Machtsystem, wie es sich im eigentlichen Sinne quer durch die gesamte Geschichte der Menschheit zieht: totalitäre Macht, grenzenlos, inhuman, narzisstisch. Ein Machtsystem, in dem tiefenpsychologische Kräfte von ungeheurer Gewalt freigesetzt werden.

Hier sind es vier Figuren, die kontrastreicher kaum sein können: Der Prophet Jochanaan (Thomas de Vries), ein gnadenlos eindimensionales Sprachrohr Gottes, der die destruktiven Kräfte des Monotheismus offen legt. Der Tetrarch Herodes (Frank van Aken), ein durchschnittlicher „Jedermann“, von Ängsten geplagt und vom Aberglauben gebeutelt. Seine Frau Herodias (Andrea Baker), eine ewig nörgelnde Megäre, lüstern und machtgeil, sowie Salome (Sera Gösch), die „fleischgewordene Begierde“, eine wunderschöne Kindfrau im Gefühlswechsel von Neugier, Begierde, Hassliebe, Rachegelüste und Sehnsucht nach Reinheit. Vier spannende Charaktere, die ebenso der antiken biblischen Herrscherfamilie (die biblische Textquelle ist aus Matthäus 14 und Markus 6) wie auch einer modernen Bankiersfamilie entstammen könnten.

Das französische Regie-Team Le Lab (Jean-Philippe Clarac, Olivier Deloeuil), das auch die Bühne und die Kostüme kreierte, sowie das Licht und Video-Team (Christophe Pitoiset, Oliver Porst und Jean Baptiste Beïs) versetzten die Figuren in die heutige Zeit, wobei traditionelle Rückgriffe - wie bei den philosophisch schwadronierenden Juden (in Klezmer- Outfit) und den Nazarenern - durchaus erlaubt waren. Dabei konzentrierte Le Lab den Blick hauptsächlich auf das Sehen, das Betrachten, das Sichtbar-Werden tiefenpsychologischer Vorgänge der einzelnen Personen und nutzte dazu Spiegel wie auch Videoshows ins Innere des Kerkers sowie ins Mienenspiel der Protagonisten.

Die Zisterne (Kerker des Jochanaan) wird zu einer modernen Zelle, zu einem Verhörraum mit Spiegelgläsern. Im Hintergrund zeigt sich die rötlich gefärbte Wüstenei vor einem bedrohlichen Vollmond und im Vordergrund das sinnliche Treiben gelangweilter Hofschranzen, deren Sicht sich ausschließlich auf sich selbst bezieht. Ein Käfig voller Neurotiker und darüber eine Gloriole, die immer bedrohlicher zum Boden drängt und schlussendlich zu einem roten Feuerkranz ausartet.

Sera Gösch (Salome)


Einzig Jochanaan (gehüllt in Patchworkjacke und festgezurrten Brustlederriemen) meldet sich mit apokalyptischer Strenge und weckt die Aufmerksamkeit Salomes, Tochter Herodias und Stieftochter Herodes, wobei letzterer einen erotomanen Blick auf seine Ziehtochter wirft.

Es ist der Blick, das Sehen nach innen wie nach außen, das dieses Drama beherrscht und im Tanz der sieben Schleier seinen Höhepunkt erfährt. Nein, Salome tanzt nicht in dieser Inszenierung. Ihre Absicht allein ist es, vom notgeilen Stiefvater das Haupt des Jochanaan überreicht zu bekommen. Herodes verfolgt den „Tanz“ über eine Tablet, wie auch das Publikum per Video ins Foyer des Staatstheaters versetzt wird. Lasziv bewegt sich dort Salome in einem hautengen silberfarbenen Hosenanzug und wird betrachtet. Indirekt von Herodes, dafür aber unmittelbar von älteren Personen, die sich in der Halle aufhalten. Emotionslos, empathielos. Die Blicke töten nicht, die Augen werden nahe herangezogen, dupliziert durch Augenmasken, dann wieder zerrissen. Der Blick geht ins Leere. Ein Tanz der Augen, bei dem das homoerotische Gebaren der Salome zu einer Selbstschau ohne Wirkung wird – symbolisch sitzt auch Jochanaan mit einer Augenbinde inmitten der Schauenden. Ihr Tanz ist der einer Nabelschau, allein dem Zweck geschuldet, den Blick ihres Stiefvaters zu vernebeln und ihren Willen, Jochanaan vollständig zu besitzen, durchzusetzen. Ein eigenwilliger Tanz, der erst auf den zweiten Blick seine Wirkung erreicht und Diskussionsstoff bietet.

Auch wird Jochanaan nicht geköpft. In verwirrender Videotechnik wird ihm der Kopf versilbert und sein gesamter Körper Salome gereicht. Großartige die grauenvolle musikalische Stille, die die letzte Szene des Drama einleitet. Salome einverleibt sich der gesamten Gestalt ihres Widersachers. Jetzt hat sie ihren Wünsch erfüllt: Sie besitzt Jochanaan vollständig und kann ihn ohne Widerspruch – schmecken.
Mitte: Frank van Aken (Herodes), Video: die Augen, das Sehen und Betrachten 

Die toten Augen der Liebe


Der Hass in ihrer Stimme wandelt sich in tiefe Traurigkeit: „Warum hast du mich nicht angesehen?“, lamentiert sie, „mich hast du nie gesehen. Hättest du mich gesehen, du hättest mich geliebt.“ Ihre Vorstellung von Liebe schmeckt bitter. Ihre bestialische Vorstellung von Liebe, ihr ekstatischer Wahnsinn ist gleichzeitig ihr Todesurteil. Ihre Zwiesprache mit den toten Augen des Propheten lässt das ungelöste Geheimnis der Liebe zur Gewissheit des Todes werden, denn angeekelt von so viel Perversion lässt Herodes sie final erschießen.

Eine gewaltige und dichte Inszenierung ist da dem Staatstheater Wiesbaden geglückt. Dazu eine „psychoanalytische Musik“, die durch Mark und Bein ging. Patrick Lange, der GMD, setzte mit dem Hessischen Staatsorchester Wiesbaden in brillanter Weise die erforderlichen technischen Stimmungen der Straussschen Partitur um, mal sinnlich, chromatisch bei Salome, dann wieder klar, mit granitenen Harmonien bei Jochanaan. Kühn mit großen Melodiebögen, erotisch, exotisch und orientalisch im Tanz der sieben Schleier, voll wilder Raserei bei der Gegenüberstellung beiden Welten (Salome und Jochanaan) und traurig entrückt bis zu sehnsuchtsvoller Wehmut in der Schlussszene. Brutal dann die Trompetenfanfaren, als Herodes ruft: „Man töte dieses Weib!“

Bewundernswert das schauspielerische und sängerische Talent von Sera Gösch, die die Salome absolut glaubwürdig, mit großem Mut und Einsatz verkörperte. Sie war das Highlight der Premiere, auch wenn ihre jugendliche Sopranstimme mehr in den hohen Lagen überzeugte und das Orchester sie leider an vielen Stellen übertönte. Dazu Thomas de Fries als Jochanaan, dessen Bariton gewaltig und dessen Selbstherrlichkeit bedrückend zugleich war. Zwei Alphatiere sangen da gegeneinander, die sich nichts schuldig blieben. Jeder für sich einzigartig. 
Herauszuheben seien noch der Tenor Frank van Aken als Herodes, dessen Entsetzen vor seiner eigenen Entscheidung, ja vor sich selbst, vor allem in der Schlussszene große Wirkung zeigte; Andrea Baker als Herodias, die durchaus mit Ironie und Sarkasmus die Karikatur einer zänkischen Ehefrau abgab, und nicht zuletzt der Tenor Simon Bode, der, als in die Königstochter verliebter Offizier Narraboth, mit seinem lyrisch-frischen Timbre auffiel.

auf der Bahre Thomas de Vries (Jochanaan), liegend: Sera Gösch (Salome)

Alles in Allem eine wunderbare Premiere, eine Premiere, in der das Sehen, das Betrachten, kurz: die psychoanalytische Sicht nach innen wie nach außen zum Leitthema gemacht und zu einer zeitgemäßen und äußerst spannenden Salome verarbeitet wurde. Eine Salome mit Blick auf den grassierenden Narzissmus, auf die Nabelschau einer selbstverliebten Welt, in der Wünsche und Erfüllung, Wille und Vorstellung nicht mehr getrennt werden.  

Weitere Vorstellungen: 21., 24., 27.02., 02., 07., 10., 15., 28.03. und 03.05.


1 Kommentar:

  1. Kann ich nur voll inhaltlich bestätigen!
    Großartige Produktion Salome
    Großartige Sopranistin Salome

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