Mitsuko
Uchida, Klavierrecital in der Alten Oper Frankfurt, 20.02.2019
Mitsuko Uchida (Foto: Wonge Bergmann) |
Eine Grande Dame an den Tasten wandert mit schwerem Gepäck
Ein schweres Programm hatte die mittlerweile 70-jährige Ausnahmepianistin, Mitsuko Uchida, da mitgebracht. Nicht allein eine Reise durch die romantischen Welten eines todessehnsüchtigen, von Weltschmerz geplagten und von Erlösungsfantasien getriebenen jungen Mannes, Franz Schubert (1797-1828), sondern auch einen physischen wie psychischen Gewaltmarsch über Gipfel, Täler und unwegsames Gelände.
Uchida, in elegant
orientalisch schwarzer Hose mit schwarzem Top und einem grün-transparenten
Überwurf, fiel vor allem durch silberne Ballettschuhchen und eine auffällig
überdimensionierte Edelbrille auf, die ihrer filigranen Erscheinung ein
schillerndes Charisma verlieh, was sie auch durchaus auf den Tasten bestätigte.
Drei Sonaten
des zu Lebzeiten nicht gerade mit Ruhm und Glanz bedachten Komponisten hatte
sie in ihrem 'schweren Gepäck': die Es-Dur
Sonate D 568 (1826), eine, die erst Monate nach dem Ableben Schuberts
überhaupt gedruckt wurde; die a-Moll
Sonate D 784 (1823), die ebenfalls erst 1839 ihre Uraufführung erfuhr,
sowie die A-Dur Sonate D 959 (1828),
eine der drei letzten Sonaten, die Schubert, quasi parallel wenige Monate vor
seinem Tod schrieb.
Drei Sonaten
von seinen insgesamt zwölf, die an romantischem Gefühl, an Originalität, an
Selbstbewusstsein, aber auch an Selbstzweifel, wie in der Es-Dur Sonate, an Düsternis und enigmatischer Fantasterei, wie in
der a-Moll Sonate, oder gar an
verträumter Weltabgewandtheit, wie der A-Dur
Sonate, nichts zu wünschen übrig ließen.
Bereits in
der Es-Dur Sonate zeigte Uchida mit
klar konturierter Technik, sparsamen Pedal und durchsichtiger Spielweise ihr
ganzes Repertoire pianistischer Vielfalt. Sehr gesanglich das Allegretto des
viersätzigen Stückes und leicht wie transparent, wie ihr Umhang, das
abschließende Finale, ein Reminiszenz auf den ersten Sonatenhauptsatz des
Allegro moderato. Ein Einstieg in die Reise, vergleichbar mit einem Feldweg
durch Wiesen und Auen.
Dann der
abrupte Wechsel zur a-Moll Sonate.
Ein nahezu nackter Oktavsatz mit Seufzermotiv. Was hier Schubert veranstaltet,
grenzt an ein Psychodrama. Nicht von ungefähr behauptete Robert Schumann, der dessen
Sonaten schätzte, dass Schubert diese Sonate wohl auf dem Krankenbett
geschrieben habe. Kontrastierend dazu, nach einem intermezzohaften Mittelsatz,
das finale Allegro vivace, ein Tanz
der Naturgeister, wilde Wasserfälle, schroffe Felshänge, unwegsames Gelände.
Uchida, technisch nicht immer auf der höchsten Höhe, wand sich in
dramaturgischer Finesse durch das verwunschene, kaum zu überwindende Gestrüpp. Eine
packende Interpretation, eigenwillig, mit langen Fermaten und ausufernder
Pedalierung, dabei mit großer Kraft, ja mit Faust und Pranke, und völliger Hingabe.
„Für die Sünden entschuldigen und Gott um Verzeihung bitten“
Traumhaft, im wahrsten Sinne, dann die abschließende A-Dur Sonate, eine aus der Trilogie der letzten Sonaten, mit denen Schubert seine kompositorische Mission „auf das Vollkommenste“ (Johann Wolfgang Goethe) beendet.
Ganz im
Geiste Beethovens, möchte man meinen (vor allem im Rondo Allegretto, das Beethovens Rondosatz aus dessen op. 31 Nr. 1 frappierend ähnelt), aber das
greift entschieden zu kurz. Es ist die mittlere der letzten drei, durchaus dem
Genie Beethovens geschuldet, aber trotz allem schon weit über ihn
hinausgreifend. In Struktur, Länge und thematischer Verarbeitung. Nicht umsonst
lobt Arnold Schönberg die „unfassbar große Originalität“ Schuberts darin. Denn
was sich hier an musikalischer Dramatik abspielt, an impulsivem Ausdruck, an
assoziativer Fantastik und improvisatorischer Freiheit, ist zwar erst 100 Jahre
später wirklich erfasst worden, macht diese Sonate aber zu einer den
Beethovenschen zumindest gleichwertigen.
Uchida stieg
heftig atmend in den Kopfsatz ein, ein gewaltiges A-Dur Forte im Wechsel mit
Arpeggien, der nach 18 Takten in Fortissimo thematisch abschließt.
Kontrastierend dazu das lyrische Seitenthema, das die Pianistin mit
Samtanschlägen zu einer verträumten Ballade werden ließ. Irritierend gespielt
dann das Andantino des zweiten
Satzes, in dem sich verträumte Elegie mit fanatischen Ausbrüchen duelliert. Das
Scherzo des dritten Satzes wiederum
kam fröhlich daher (man war an das Scherzo der B-Dur Sonate D 960 erinnert, wiewohl die Trilogie diverse
musikalische Verklammerungen aufweist) und wurde von einem Rondo abgelöst, das neben Beethovens Anlehnungen viele Hinweise auf
das umfangreiche Liedschaffen Schuberts aufwies (Gretchen am Spinnrad und Erlkönig)
und im abschließenden Presto mit
schnellen Triolenläufen und oktavierender Kadenz die letzte Energie aus der
Interpretin heraussog. Es war wie das Erreichen des Gradus ad Parnassum, oder
profaner, des Gipfels des Mount Everest.
Eine völlig
erschöpfte, ausgepowerte Mitsuko Uchida, ganz dem Werk Schuberts ergeben,
präsentierte dem kaum zu bändigenden Publikum noch einmal eine Zugabe aus Mozarts
Sonatenschaffen: das Andante cantabile
seiner C-Dur Sonate Nr. 7 (1779). Ein
dolce im überwiegenden Pianissimo,
das die ganze Meisterschaft dieser Frau auf den Punkt brachte. Es sei, kommentierte sie ihre Entscheidung für diese Zugabe, ein Stück, das die Sünden
entschuldige und Verzeihung vor Gott bitte. Was die Grand Old Lady an den
Tasten ihrer Hörerschaft und ihren Fans wohl damit sagen wollte?
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