Donnerstag, 21. Februar 2019


Mitsuko Uchida, Klavierrecital in der Alten Oper Frankfurt, 20.02.2019

Mitsuko Uchida (Foto: Wonge Bergmann)


Eine Grande Dame an den Tasten wandert mit schwerem Gepäck


Ein schweres Programm hatte die mittlerweile 70-jährige Ausnahmepianistin, Mitsuko Uchida, da mitgebracht. Nicht allein eine Reise durch die romantischen Welten eines todessehnsüchtigen, von Weltschmerz geplagten und von Erlösungsfantasien getriebenen jungen Mannes, Franz Schubert (1797-1828), sondern auch einen physischen wie psychischen Gewaltmarsch über Gipfel, Täler und unwegsames Gelände.


Uchida, in elegant orientalisch schwarzer Hose mit schwarzem Top und einem grün-transparenten Überwurf, fiel vor allem durch silberne Ballettschuhchen und eine auffällig überdimensionierte Edelbrille auf, die ihrer filigranen Erscheinung ein schillerndes Charisma verlieh, was sie auch durchaus auf den Tasten bestätigte.

Drei Sonaten des zu Lebzeiten nicht gerade mit Ruhm und Glanz bedachten Komponisten hatte sie in ihrem 'schweren Gepäck': die Es-Dur Sonate D 568 (1826), eine, die erst Monate nach dem Ableben Schuberts überhaupt gedruckt wurde; die a-Moll Sonate D 784 (1823), die ebenfalls erst 1839 ihre Uraufführung erfuhr, sowie die A-Dur Sonate D 959 (1828), eine der drei letzten Sonaten, die Schubert, quasi parallel wenige Monate vor seinem Tod schrieb.
Drei Sonaten von seinen insgesamt zwölf, die an romantischem Gefühl, an Originalität, an Selbstbewusstsein, aber auch an Selbstzweifel, wie in der Es-Dur Sonate, an Düsternis und enigmatischer Fantasterei, wie in der a-Moll Sonate, oder gar an verträumter Weltabgewandtheit, wie der A-Dur Sonate, nichts zu wünschen übrig ließen.

Bereits in der Es-Dur Sonate zeigte Uchida mit klar konturierter Technik, sparsamen Pedal und durchsichtiger Spielweise ihr ganzes Repertoire pianistischer Vielfalt. Sehr gesanglich das Allegretto des viersätzigen Stückes und leicht wie transparent, wie ihr Umhang, das abschließende Finale, ein Reminiszenz auf den ersten Sonatenhauptsatz des Allegro moderato. Ein Einstieg in die Reise, vergleichbar mit einem Feldweg durch Wiesen und Auen.

Dann der abrupte Wechsel zur a-Moll Sonate. Ein nahezu nackter Oktavsatz mit Seufzermotiv. Was hier Schubert veranstaltet, grenzt an ein Psychodrama. Nicht von ungefähr behauptete Robert Schumann, der dessen Sonaten schätzte, dass Schubert diese Sonate wohl auf dem Krankenbett geschrieben habe. Kontrastierend dazu, nach einem intermezzohaften Mittelsatz, das finale Allegro vivace, ein Tanz der Naturgeister, wilde Wasserfälle, schroffe Felshänge, unwegsames Gelände. Uchida, technisch nicht immer auf der höchsten Höhe, wand sich in dramaturgischer Finesse durch das verwunschene, kaum zu überwindende Gestrüpp. Eine packende Interpretation, eigenwillig, mit langen Fermaten und ausufernder Pedalierung, dabei mit großer Kraft, ja mit Faust und Pranke, und völliger Hingabe.
 
Mitsuko Uchida (Foto: Wonge Bergmann)

„Für die Sünden entschuldigen und Gott um Verzeihung bitten“


Traumhaft, im wahrsten Sinne, dann die abschließende A-Dur Sonate, eine aus der Trilogie der letzten Sonaten, mit denen Schubert seine kompositorische Mission „auf das Vollkommenste“ (Johann Wolfgang Goethe) beendet.


Ganz im Geiste Beethovens, möchte man meinen (vor allem im Rondo Allegretto, das Beethovens Rondosatz aus dessen op. 31 Nr. 1 frappierend ähnelt), aber das greift entschieden zu kurz. Es ist die mittlere der letzten drei, durchaus dem Genie Beethovens geschuldet, aber trotz allem schon weit über ihn hinausgreifend. In Struktur, Länge und thematischer Verarbeitung. Nicht umsonst lobt Arnold Schönberg die „unfassbar große Originalität“ Schuberts darin. Denn was sich hier an musikalischer Dramatik abspielt, an impulsivem Ausdruck, an assoziativer Fantastik und improvisatorischer Freiheit, ist zwar erst 100 Jahre später wirklich erfasst worden, macht diese Sonate aber zu einer den Beethovenschen zumindest gleichwertigen.

Uchida stieg heftig atmend in den Kopfsatz ein, ein gewaltiges A-Dur Forte im Wechsel mit Arpeggien, der nach 18 Takten in Fortissimo thematisch abschließt. Kontrastierend dazu das lyrische Seitenthema, das die Pianistin mit Samtanschlägen zu einer verträumten Ballade werden ließ. Irritierend gespielt dann das Andantino des zweiten Satzes, in dem sich verträumte Elegie mit fanatischen Ausbrüchen duelliert. Das Scherzo des dritten Satzes wiederum kam fröhlich daher (man war an das Scherzo der B-Dur Sonate D 960 erinnert, wiewohl die Trilogie diverse musikalische Verklammerungen aufweist) und wurde von einem Rondo abgelöst, das neben Beethovens Anlehnungen viele Hinweise auf das umfangreiche Liedschaffen Schuberts aufwies (Gretchen am Spinnrad und Erlkönig) und im abschließenden Presto mit schnellen Triolenläufen und oktavierender Kadenz die letzte Energie aus der Interpretin heraussog. Es war wie das Erreichen des Gradus ad Parnassum, oder profaner, des Gipfels des Mount Everest.

Eine völlig erschöpfte, ausgepowerte Mitsuko Uchida, ganz dem Werk Schuberts ergeben, präsentierte dem kaum zu bändigenden Publikum noch einmal eine Zugabe aus Mozarts Sonatenschaffen: das Andante cantabile seiner C-Dur Sonate Nr. 7 (1779). Ein dolce im überwiegenden Pianissimo, das die ganze Meisterschaft dieser Frau auf den Punkt brachte. Es sei, kommentierte sie ihre Entscheidung für diese Zugabe, ein Stück, das die Sünden entschuldige und Verzeihung vor Gott bitte. Was die Grand Old Lady an den Tasten ihrer Hörerschaft und ihren Fans wohl damit sagen wollte?

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