Freitag, 22. Februar 2019


Martin Grubinger (Perkussion) und die Göteborger Symphoniker (Santtu-Matias Rouvali) im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt, 21.02.2019 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)




am Rand der Bühne v.l.: Santtu-Matias Rouvali (Dirigent), Martin Grubinger (an der Djembé), Göteborger Symphoniker
(Fotos: PRO ARTE/Paul Sklorz)

Der Geist Skandinaviens und die Seele Finnlands im Großen Saal der Alten Oper


Ganz im Geiste Skandinaviens – oder wurde die Seele der Finnen geweckt? Das Programm des denkwürdigen Konzerts in dem nicht ganz voll besetzten Großen Saal der Alten Oper Frankfurts war jedenfalls Jean Sibelius (1865-1957) und dem 1949 im finnischen Forssa geborenen Komponisten Kalevi Aho gewidmet. 


Das musikalische Spektrum reichte von der Tondichtung Finlandia, ein 1899 entstandenes Werk Sibelius´, das zur Identifikationshymne der Finnen avancierte, über die Sinfonie Nr. 5 Es-Dur (1915/16/19), ein von „Naturmystik und Lebensschmerz“ (Sibelius) geprägtes Glaubensbekenntnis eines depressiv veranlagten Menschen, bis zur schamanischen Opferstätte Sieidi (2012), einem Konzert für Schlagwerk und Orchester von Kalevi Aho, das eine tief emotionale, archaische, pathetische und, im positiven Sinne, äußerst polyglotte Wirkung hinterließ.

Gleich zu Beginn Finlandia: Ein satter, unnachahmlicher Klang der Blechbläser und Streicher ließ den Raum in düster-schwermütige Farben tauchen. Dazu ein jugendlich wirkender Dirigent, Santtu-Matias Rouvali, 1985 im finnischen Lahti geboren, der mit Wuschelkopf und legerer Kleidung (schwarzes Hemd und eng geschnittene Hose) durch exzentrisches Händespiel und elegante Linienführung gleich zum Hingucker wurde. Finlandia wurde unter seinen Händen zur Freiheitshymne, zum triumphalen Gesang finnisch-nationaler Selbstbestimmung. Nicht von ungefähr galt sie als Anklage an die damaligen russischen Besatzer und allgemein an jede Form von Fremdherrschaft und wurde deshalb auch viele Jahre nicht nur in Finnland verboten.

Als "schamanisches Konzert" wird es im Programm von PRO ARTE angekündigt. Gemeint ist Sieidi (übersetzt: Opferstätte) von Kalevi Aho, der den Namen aus der Sprache der Samen, einem indigenen Volk aus dem Norden Skandinaviens, herleitet.

Martin Grubinger (*1983), im diesjährigen Fokus der Alten Oper stehend, strahlte nicht nur größte Energie aus, sondern übersetzte sie auch auf das polyglotte Instrumentarium: eine Djembé (Beckentrommel aus Westafrika), eine Darbuka (Trommel aus dem Nahen Osten), ein Marimbaphon (Aufschlagdiaphon aus Südamerika), ein Vibraphon, diverse Becken und Paarbecken, Hölzer, Tamtam, Marschtrommeln, Snaredrums (global genutzte Rhythmusinstrumente).

v.l.: Santtu-Matias Rouvali (Dirigent), Martin Grubinger (an der Trommeln), Göteborger Symphoniker

Ein Schamane am Schlagwerk


In diesem fast 40 Minuten dauernden Opus, einem durchkomponierten Werk für großes Orchester und Schlagwerk, fängt der Komponist den Kosmos ritueller Kulthandlungen auf. Es beginnt mit gewaltigen Donnerschlägen auf riesigen Trommeln (drei Perkussionisten rahmen den Solisten) und Grubinger antwortet auf einer Darbuka mit hämmernden Rhythmen. Das Orchester setzt mit rufenden, flehenden, ja schreienden Sequenzen das bedrohliche Procedere fort.


Man fühlte sich wie auf einer schwarzen Messe. Der Solist wechselte seine Instrumente, erst zu vier Marschtrommeln, dann weiter zum Marimbaphon, zum Vibraphon, zu den Hölzern, zum Tamtam und den Becken, und wanderte dann wieder zurück. Ein klangreicher und polyrhythmischer Zyklus zwischen arabischer Harmonik, pentatonischer Tonfolge, verträumter, impressionistischer westeuropäischer Lyrik und finster pochender Magie. Grubinger verstand es prächtig, mit seinen percussiven Mitstreitern, die ihn übrigens großartig ergänzten, zu kommunizieren. Zudem schien das Orchester unter seinem Chefdirigenten den Kampf mit den Naturgeistern mit Verve und begeistertem Engagement fighten zu wollen.

Bemerkenswert der Schluss dieser Messa occulta: Sandrasseln und Streicherflageoletts im Pianissimo begleiteten Grubinger an der Darbuka, auf der er variierende Rhythmen mit leichter Hand strich. Zurück zur Natur mochte man meinen, aber es war eher ein Vorwärts in Richtung Ruhe und Friede. Ein spannungsgeladenes mit großem Pathos und archaisch-verzauberter Stimmung versehenes Werk, voller Eklektizismus, das das Seelenleben der Skandinavier durchscheinen ließ.

Außergewöhnlich die Zugabe: Grubinger spielte zusammen mit den drei Perkussionisten - Hans, Jonas und Frederik - und, man lese und staune, mit dem Dirigenten höchstpersönlich einen Ragtime (Look out little Ruth von Kurt Engel). Drei am Marimbaphon, einer am Waschbrett und einer an der Snaredrum. Ein jazziger Extraspaß, voller Witz und Humor, der das schauspielerische Talent des Dirigenten ebenso wie die prächtige Kommunikation unter den Musikern offenbarte und das Publikum vor Begeisterung von den Sitzen riss.

v.l.: Perkussionist der Göteborger Symphoniker, Santtu-Matias Rouvali (Dirigent), Martin Grubinger (am Tamtam) 

Das Glaubensbekenntnis eines Zweiflers


Die Sinfonie Nr. 5 gehört wohl zu den problematischeren in Sibelius Oeuvre. Sie ist ein Auftragswerk der finnischen Regierung zu seinem 50. Geburtstag. Zweimal hat er es überarbeitet und seine letzte Version, die von 1919, hatten die Göteborger Symphoniker in die Alte Oper mitgebracht. Ist es eine Sinfonische Dichtung, eine Fantasie oder mehr?


Tatsächlich fällt ihre Komposition in eine Zeit, in der die Moderne Einzug in die Musik hält (die Atonalität und Dodekaphonie kurz: die Emanzipation der Dissonanz) und Sibelius vor die Entscheidung stellte, entweder mit ihr zu gehen oder sich an die tonale Tradition zu halten. Er entschied sich für letztere. Die Fünfte schien ihm in diesem Sinne eine Herzensangelegenheit gewesen zu sein. So kommentierte er seine Revisionen: „Ich wollte meiner Sinfonie eine andere – humanere – Form geben, erdbezogener, lebendiger.“

Ein über 30-minütiges Werk für großes Orchester, mit zehnfacher Streicher-  und doppelter Bläserbesetzung, beginnt (nach einer längeren Unterbrechung wegen des Schwächeanfalls eines Zuhörers) mit einem Hornruf, begleitet von Fagott, Klarinette und Pauke. Dieses Material zieht sich weitgehend durch die zweigeteilte Sonatenhauptsatzform, in die der Komponist ein zusätzliches Scherzo einbaute: ein Allegro moderato, begleitet von einem lyrischen Fagott-Solo und einem volksliedhaften Trio. Dazu Sibelius: „Als wenn der liebe Gott Mosaikstücke eines Himmelsparketts herabwirft und mich bittet herauszufinden, um welches Muster es sich handelt.“ Besser kann man den Kopfsatz dieser Sinfonie nicht beschreiben.

Der zweite, ruhige Satz, das Andante Allegretto besteht wesentlich aus zwei miteinander dialogisierenden Pizzicati-Passagen der Streicher und lieblichen, lyrischen Holzbläser-Kommentaren. Eine religiöse Betrachtung der unendlichen Weiten Finnlands.
Das abschließende Allegro molto betrachtete Sibelius als sein ganz persönliches „Glaubensbekenntnis“. In sein Tagebuch notierte er 1915 diesbezüglich, er habe 16 Schwäne über dem See unterhalb seines Hauses Ainola gesehen und dies als „Naturmystik und Lebensschmerz“ zugleich empfunden. Herausgekommen ist eine elegische „Schwanenhymne“ im heiligen Ort der Natur, die mit einer außergewöhnlichen Schlusskadenz endet: Sechs Akkorde werden im Tutti einzeln gespielt, abrupt unterbrochen in lange Fermatenpausen geteilt. Ein zerrissener Schluss des Zweiflers und Kämpfers in einer Person.

Auch die Göteborger ließen sich eine Zugabe abringen. Den Valse triste von Sibelius aus der Bühnenmusik zu Jämefelts Drama Kuolema. Meisterlich und einzigartig ließen die Instrumentalisten die nordische Seele und den finnischen Geist im Raum schweben. Man fühlte förmlich die arktisch polare Luft, wie sie im Dreivierteltakt tänzelnd durch die Reihen des Publikums strömte. Ein denkwürdiger Abend an den heiligen Stätten des Nordens.

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