Martin
Grubinger (Perkussion) und die Göteborger Symphoniker (Santtu-Matias Rouvali) im Großen Saal der
Alten Oper Frankfurt, 21.02.2019 (eine Veranstaltung von PRO ARTE Frankfurt)
am Rand der Bühne v.l.: Santtu-Matias Rouvali (Dirigent), Martin Grubinger (an der Djembé), Göteborger Symphoniker (Fotos: PRO ARTE/Paul Sklorz) |
Der Geist Skandinaviens und die Seele Finnlands im Großen Saal der Alten Oper
Ganz im Geiste Skandinaviens – oder wurde die Seele der Finnen geweckt? Das Programm des denkwürdigen Konzerts in dem nicht ganz voll besetzten Großen Saal der Alten Oper Frankfurts war jedenfalls Jean Sibelius (1865-1957) und dem 1949 im finnischen Forssa geborenen Komponisten Kalevi Aho gewidmet.
Das musikalische
Spektrum reichte von der Tondichtung Finlandia,
ein 1899 entstandenes Werk Sibelius´, das zur Identifikationshymne der Finnen avancierte,
über die Sinfonie Nr. 5 Es-Dur
(1915/16/19), ein von „Naturmystik und Lebensschmerz“ (Sibelius) geprägtes
Glaubensbekenntnis eines depressiv veranlagten Menschen, bis zur schamanischen
Opferstätte Sieidi (2012), einem
Konzert für Schlagwerk und Orchester von Kalevi Aho, das eine tief emotionale,
archaische, pathetische und, im positiven Sinne, äußerst polyglotte Wirkung
hinterließ.
Gleich zu Beginn Finlandia:
Ein satter, unnachahmlicher Klang der Blechbläser und Streicher ließ den Raum
in düster-schwermütige Farben tauchen. Dazu ein jugendlich wirkender Dirigent, Santtu-Matias Rouvali, 1985 im
finnischen Lahti geboren, der mit Wuschelkopf und legerer Kleidung (schwarzes
Hemd und eng geschnittene Hose) durch exzentrisches Händespiel und elegante
Linienführung gleich zum Hingucker wurde. Finlandia
wurde unter seinen Händen zur Freiheitshymne, zum triumphalen Gesang finnisch-nationaler
Selbstbestimmung. Nicht von ungefähr galt sie als Anklage an die damaligen russischen
Besatzer und allgemein an jede Form von Fremdherrschaft und wurde deshalb auch
viele Jahre nicht nur in Finnland verboten.
Als "schamanisches Konzert" wird es im Programm von PRO
ARTE angekündigt. Gemeint ist Sieidi (übersetzt:
Opferstätte) von Kalevi Aho, der den Namen aus der Sprache der Samen, einem
indigenen Volk aus dem Norden Skandinaviens, herleitet.
Martin
Grubinger (*1983), im diesjährigen Fokus der Alten Oper
stehend, strahlte nicht nur größte Energie aus, sondern übersetzte sie auch auf
das polyglotte Instrumentarium: eine Djembé (Beckentrommel aus Westafrika), eine Darbuka
(Trommel aus dem Nahen Osten), ein Marimbaphon (Aufschlagdiaphon aus Südamerika),
ein Vibraphon, diverse Becken und Paarbecken, Hölzer, Tamtam, Marschtrommeln,
Snaredrums (global genutzte Rhythmusinstrumente).
v.l.: Santtu-Matias Rouvali (Dirigent), Martin Grubinger (an der Trommeln), Göteborger Symphoniker |
Ein Schamane am Schlagwerk
In diesem fast 40 Minuten dauernden Opus, einem durchkomponierten Werk für großes Orchester und Schlagwerk, fängt der Komponist den Kosmos ritueller Kulthandlungen auf. Es beginnt mit gewaltigen Donnerschlägen auf riesigen Trommeln (drei Perkussionisten rahmen den Solisten) und Grubinger antwortet auf einer Darbuka mit hämmernden Rhythmen. Das Orchester setzt mit rufenden, flehenden, ja schreienden Sequenzen das bedrohliche Procedere fort.
Man fühlte sich wie auf einer schwarzen Messe. Der
Solist wechselte seine Instrumente, erst zu vier Marschtrommeln, dann weiter
zum Marimbaphon, zum Vibraphon, zu den Hölzern, zum Tamtam und den Becken, und wanderte
dann wieder zurück. Ein klangreicher und polyrhythmischer Zyklus zwischen arabischer
Harmonik, pentatonischer Tonfolge, verträumter, impressionistischer westeuropäischer
Lyrik und finster pochender Magie. Grubinger verstand es prächtig, mit seinen percussiven
Mitstreitern, die ihn übrigens großartig ergänzten, zu kommunizieren. Zudem
schien das Orchester unter seinem Chefdirigenten den Kampf mit den Naturgeistern
mit Verve und begeistertem Engagement
fighten zu wollen.
Bemerkenswert der Schluss dieser Messa occulta: Sandrasseln und
Streicherflageoletts im Pianissimo begleiteten Grubinger an der Darbuka, auf
der er variierende Rhythmen mit leichter Hand strich. Zurück zur Natur mochte
man meinen, aber es war eher ein Vorwärts in Richtung Ruhe und Friede. Ein spannungsgeladenes
mit großem Pathos und archaisch-verzauberter Stimmung versehenes Werk, voller Eklektizismus, das das Seelenleben der Skandinavier durchscheinen ließ.
Außergewöhnlich die Zugabe: Grubinger spielte
zusammen mit den drei Perkussionisten - Hans, Jonas und Frederik - und, man lese
und staune, mit dem Dirigenten höchstpersönlich einen Ragtime (Look out little Ruth von Kurt Engel). Drei
am Marimbaphon, einer am Waschbrett und einer an der Snaredrum. Ein jazziger Extraspaß,
voller Witz und Humor, der das schauspielerische Talent des Dirigenten ebenso
wie die prächtige Kommunikation unter den Musikern offenbarte und das Publikum vor
Begeisterung von den Sitzen riss.
v.l.: Perkussionist der Göteborger Symphoniker, Santtu-Matias Rouvali (Dirigent), Martin Grubinger (am Tamtam) |
Das Glaubensbekenntnis eines Zweiflers
Die Sinfonie Nr. 5 gehört wohl zu den problematischeren in Sibelius Oeuvre. Sie ist ein Auftragswerk der finnischen Regierung zu seinem 50. Geburtstag. Zweimal hat er es überarbeitet und seine letzte Version, die von 1919, hatten die Göteborger Symphoniker in die Alte Oper mitgebracht. Ist es eine Sinfonische Dichtung, eine Fantasie oder mehr?
Tatsächlich fällt ihre Komposition in eine Zeit, in
der die Moderne Einzug in die Musik hält (die Atonalität und Dodekaphonie kurz:
die Emanzipation der Dissonanz) und Sibelius vor die Entscheidung stellte, entweder
mit ihr zu gehen oder sich an die tonale Tradition zu halten. Er
entschied sich für letztere. Die Fünfte schien ihm in diesem Sinne eine
Herzensangelegenheit gewesen zu sein. So kommentierte er seine Revisionen: „Ich
wollte meiner Sinfonie eine andere – humanere – Form geben, erdbezogener,
lebendiger.“
Ein über 30-minütiges Werk für großes Orchester, mit
zehnfacher Streicher- und doppelter
Bläserbesetzung, beginnt (nach einer längeren Unterbrechung wegen des
Schwächeanfalls eines Zuhörers) mit einem Hornruf, begleitet von Fagott,
Klarinette und Pauke. Dieses Material zieht sich weitgehend durch die
zweigeteilte Sonatenhauptsatzform, in die der Komponist ein zusätzliches Scherzo einbaute: ein Allegro moderato, begleitet von einem
lyrischen Fagott-Solo und einem volksliedhaften Trio. Dazu Sibelius: „Als wenn
der liebe Gott Mosaikstücke eines Himmelsparketts herabwirft und mich bittet
herauszufinden, um welches Muster es sich handelt.“ Besser kann man den Kopfsatz
dieser Sinfonie nicht beschreiben.
Der zweite, ruhige Satz, das Andante Allegretto besteht wesentlich aus zwei miteinander
dialogisierenden Pizzicati-Passagen der Streicher und lieblichen, lyrischen
Holzbläser-Kommentaren. Eine religiöse Betrachtung der unendlichen Weiten
Finnlands.
Das abschließende Allegro molto betrachtete Sibelius als sein ganz persönliches „Glaubensbekenntnis“.
In sein Tagebuch notierte er 1915 diesbezüglich, er habe 16 Schwäne über dem
See unterhalb seines Hauses Ainola gesehen und dies als „Naturmystik und
Lebensschmerz“ zugleich empfunden. Herausgekommen ist eine elegische „Schwanenhymne“
im heiligen Ort der Natur, die mit einer außergewöhnlichen Schlusskadenz endet:
Sechs Akkorde werden im Tutti einzeln gespielt, abrupt unterbrochen in lange
Fermatenpausen geteilt. Ein zerrissener Schluss des Zweiflers und Kämpfers in
einer Person.
Auch die Göteborger ließen sich eine Zugabe
abringen. Den Valse triste von
Sibelius aus der Bühnenmusik zu Jämefelts Drama Kuolema. Meisterlich und einzigartig
ließen die Instrumentalisten die nordische Seele und den finnischen Geist im
Raum schweben. Man fühlte förmlich die arktisch polare Luft, wie sie im Dreivierteltakt
tänzelnd durch die Reihen des Publikums strömte. Ein denkwürdiger Abend an den
heiligen Stätten des Nordens.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen