Samstag, 2. März 2019


Doppelopernabend mit Herzog Blaubarts Burg (Béla Bartók) und Die sieben Todsünden (Kurt Weill), Premiere im Staatstheater Wiesbaden, 01.03.2019

Herzog Blaubarts Burg: Judith Vesselina Kasarova (Judith), Johannes Martin Kränzle (Herzog Blaubart)
Fotos: Karl & Monika Forster

Einsamer Löwe kämpft gegen idealisierte Liebe


Eine wunderbare Mischung aus dem Kampf der Geschlechter und der Umwertung der Werte sowie der Frage danach, wie die Emanzipation des Menschen im 21. Jahrhundert aussehen könnte.


Es beginnt mit einem Märchen aus alter Zeit. Oder ist es nicht vielmehr eine reale Geschichte? Denn Herzog Blaubarts Burg erweist sich eher als eine Metapher für die Verschlossenheit, die psychologische Fassade eines Mannes, der alle Insignien der Macht versteckt hält aus Angst, jemand könnte beim Öffnen der sieben Türen hinter die Geheimnisse seiner Seele, letztendlich eine hohle Fassade, schauen, und seine menschliche Abgründigkeit entlarven.

Es ist eine Geschichte, die  bereits im 17. Jahrhundert von Charles Perrault (1628-1703) publiziert, im 19. Jahrhundert von Maurice Maeterlinck (1862-1949) neu interpretiert und später von Béla Balázs (1884-1949), in Anlehnung an Richard Wagners Lohengrin „Nie sollst du mich befragen …“, mit durchaus konservativer Schlusswendung – das Patriarchat wird in keiner Weise infrage gestellt – in Béla Bartóks (1881-1945) gleichnamiger Oper (1918 in Budapest uraufgeführt) ihren Niederschlag findet.

Eine seltsame Liebesgeschichte zwischen Blaubart und Judith, die ihm auf die Burg gefolgt ist und dort in der Manier der biblischen Eva vom Apfel der Erkenntnis essen möchte, indem sie von ihm die Schlüssel der sieben verschlossenen Türen fordert. Widerwillig und zunehmend leidend übergibt er ihr sie bis zur letzten, siebenten Türe, aus der Judiths drei Vorgängerinnen treten. Ob ermordet, wie allgemein vermutet, denn Blaubart ist das Sinnbild eines skrupellosen Mörders, bleibt offen.
Die drei Frauen symbolisieren den Morgen, den Mittag und den Abend, und Judith wird als die Nacht: „Du warst die schönste meiner Frauen“, hinzugefügt. Blaubart scheint entlarvt, denn hinter allen Türen klebt Blut, Gewalt, fließen die Tränen der Schmerzen. Andererseits wiederum geht der Geschlechterkampf weiter wie gehabt, denn Judith, ob tot oder lebendig, reiht sich in die weibliche Trias ein, ohne sich mit einer der dreien vergleichen zu wollen: „Nie kann ich mich mit ihr vergleichen!“, singt sie, wenn Blaubart die Qualitäten einer jeden preist. Blaubart verbleibt im Dunkel seines Seelenlebens, verschließt weiterhin seine Türen, steigt in den Aufzug und fährt abwärts in die männliche Einsamkeit.

Judit Vesselina Kasarova (Judith), Johannes Martin Kränzle (Herzog Blaubart)

Mit zwei außergewöhnlichen Besetzungen, nämlich dem Bariton Johannes Martin Kränzle als Herzog Blaubart, und der Mezzosopranistin Judit Vesselina Kasarova als Judith, wurde die Handlung zu einem Liebeskrimi, der alle Register eines Geschlechterkampfes zog. Auffallend der exorbitante Stimmumfang beider, Kränzle bis zum Bass, mit einem weitgefächerten Stimmregister, das bis zum Tenor reichte, und Kasarova mit einem umwerfend kräftigen Alt, vor allem wenn sie forderte, sowie einer resonanten Helle in Szenen der Verführung. Schauspielerisch eine Meisterleistung: Liebesszenen wechselten mit Gewaltausbrüchen, Deklamationen mit sanfter, tränenreicher Stimme und suggestive Impressionen mit stimmgewaltiger Expressivität. Bemerkenswert, dass beide in ungarischer Sprache sangen, die der spezifischen Sprachmelodie noch besondere Akzente verliehen.

Dazu ein bestens eingestelltes Orchester des Staatstheaters Wiesbaden unter der umsichtigen Leitung von Philipp Pointner, das die Musik – eine, die in vielerlei Hinsicht an Debussys Pelléas Mélisande erinnert, mit pentatonischen Elementen, bitonalen Passagen und vielen Reibungen und Schwebungen, aber auch der brillanten Orchestrierung von Richard Strauss verhaftet ist und bereits der osteuropäischen Folklore huldigt – mit großer Verve und intensivem Vortrag präsentierte und perfekt auf die beiden Akteure abgestimmt war.

Uwe Eric Laufenberg (Regie) und seinem Team mit Matthias Schaller, Susanne Füller (Bühnenbild, Kostüme), Andreas Frank (Licht) sowie Katja Leclerc (Dramaturgie) ist ein Wurf geglückt, der im Wesentlichen durch Schlichtheit und Klarheit wirkte: Die Bühne bestand aus einer Vorhalle im Stile der 1980er Jahre, mit Bett, Couches und Pflanzendekor hinter Glas, die Schlüssel öffneten keine Türen, sondern Laptop, Aktentasche, Schmuckkasten. Lediglich die Ländereien, eine unansehnliche graubraune Landschaft, wurde über Video transportiert, der Tränensee durch künstliche Nebelerzeugung. Auch die Kostüme reihten sich darin ein, konservativ und zeitlos. Einzig die drei Damen der Vergangenheit traten in Schwarz gekleidet aus den Räumen und symbolisierten Jugend (Morgen), Reife (Mittag) und Alter (Abend).

Die etwa einstündige Oper war vor allem auf die beiden Akteure fokussiert, die aus diesem eigentlich wenig publikumswirksamen Sujet einen Meilenstein modernen Musiktheaters zauberten. Lang anhaltender Beifall und große Freude bei den Künstlern ließen die doch recht zurückgewandte Erzählung (der Mann der ewig einsame Löwe, die Frau auf der ewigen Suche nach der idealen Liebe) in den Hintergrund treten.

Die sieben Todsünden des Kleinbürgers: Nicola Beller Carbone (Anna) Fotos: Karl & Monika Forster 

Der Kampf des Humanen gegen das Vernünftige


Die sieben Todsünden des Kleinbürgers, so der vollständige Titel des 1933 in Paris uraufgeführten Ballettoper, ist in Zusammenarbeit zwischen Bertold Brecht (Libretto) Kurt Weill (Musik) und George Balanchine, (Choreographie) in nur zwei Wochen entstanden. Ein Stück voller Sozialkritik und krasser Ablehnung des sogenannten American way of life.


Eine typische Mittelstandsfamilie aus der US-Provinz Louisiana, die alles im Leben dem Traum vom eigenen Häuschen unterordnet. Anna, die Tochter der fünfköpfigen Familie, wird ausgeschickt, um das nötige Geld für den Kauf des Häuschens, für das vermeintliche Glück der Familie, zu beschaffen. Dabei entpuppt sich ihr Elternhaus als emotionale Erpressungsmaschine, die die Tochter gnadenlos in die Selbstentfremdung treibt. Die Scheinmoral der Eltern und Brüder (parodistisch im Kantatenstil von vier Männern gesungen und gespielt) treibt sie in die sieben Todsünden: Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht und Neid, und zu der Erkenntnis, dass im Haifisch-Kapitalismus die Umwertung aller Werte die eigentliche Bedingung des Überlebens ist.

Folglich teilt sich Anna in zwei Persönlichkeiten: eine Vernünftige, behaftet mit den gesellschaftlich sanktionierten Todsünden, und eine Humane, im unbeirrbaren Glauben an den Bestand echter, reiner, wahrer Werte. 

Die Eltern werden zum Synonym gesellschaftlicher Erpressung. Am Ende geben sie sich symbolisch, wie Süchtige, den letzten Schuss. Anna kann sich nur vom Frondienst, den Pressionen ihrer Familie befreien, indem diese aus ihrem Leben verschwindet. Die Moral von der Geschicht´: Die gesellschaftlich geforderten Todsünden zum Zwecke der ungehemmten Geldvermehrung können im übertragenen Sinne nur aufgehoben werden, indem man ihre Ursachen beseitigt. In dieser Parabel geben sich die Süchtigen selbst den Schuss, vielleicht auch deshalb, weil in der Person Annas die Seite des Humanen bis zum Schluss lebendig bleibt.

Szene Neid: Nicola Beller Carbone (Anna)

Anna wurde von der Sopranistin Nicola Beller Carbone (*1964) mit tänzerischer Eleganz, natürlicher Stimme – im Wechsel von Sprechgesang, ariosen Partien und Koloratur – sowie erfrischend erotischer Ausstrahlung auf der Bühne zelebriert, dass es eine Lust war zuzuschauen. Alle Todsünden durchlebte sie in einem Taumel der Gefühle, während die Familie (Mutter: Florian Küppers, Vater: Ralf Rachbauer, Bruder I: Julian Habermann und Bruder II: Daniel Carlson), meist im Hintergrund agierend, ihre zynischen, ahnungslosen Kommentare abgab.

Regie (Magdalena Weingut), Dramaturgie (Regine Palmai) und Bühnenbild (Matthias Schaller) changierten zwischen Videosequenzen, Lichteffekten (Video: Edouardo Mayorga, Klaus Krauspenhaar), Allegorien (die Familie verkleidet in Figuren der Wollust, des Zorns etc.) und Renaissance-Holzschnitten der Todsünden, vermutlich von Pieter Bruegel dem Älteren. Sparsam aber wirksam, einschließlich der Kostüme (Katarzyna Szukszta). Mittig stand durchweg eine Wanne auf der Bühne – Symbol der Reinigung –, die der Sängerin als Verwandlungsbasis und tänzerisches Medium diente. 

Eine gute halbe Stunde Gebrauchsmusik vom Feinsten wurde da aus dem Orchestergraben (das Staatsorchester unter der Leitung von Philipp Pointner) geboten, eine banale oft vulgäre Musik (die Dreigroschenoper und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny lassen grüßen), aber immer der Handlungssituation und dem Gesang  genial angepasst (so ist die Faulheit mit einem Ragtime unterlegt, der Stolz mit verzerrten Walzerrhythmen und Persiflagen aus dem Koffer von Johann Strauß´ Sohn, oder der Neid mit hymnisch geplärrten Einlagen des gesamten Orchesters). Weill selbst spricht von „Verbrauchsmusik“, die den Menschen der Zeit sprechen lässt, also das Musikbedürfnis breiter Schichten befriedigt. Eine Popmusik also ohne trivial zu sein – und das traf absolut zu.

Ein kurzes Stück klassenkämpferischer Oper, scheinbar ein Gegenstück zum konservativen Duktus von Bartóks Herzog Blaubart, aber dennoch mit vielen Gemeinsamkeiten behaftet: Ist es in Herzog Blaubarts Burg der ewige unentschiedene Machtkampf der Geschlechter, so ist es in Die Sieben Todsünden der ewige unentschiedene Kampf gegen die emotionale und soziale Erpressung in der Familie wie in der Gesellschaft. 

Großer Respekt vor dem Mut des Wiesbadener Staatstheaters, diese beiden Opern zusammenzuführen. Eine echte Bereicherung des Opernangebots im Rhein-Main Gebiet und wohl ein einmaliges und gelungenes Experiment in Deutschland.

Nächste Vorstellungen: 08.. 14., 23. und 31.03.

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