Doppelopernabend mit Herzog Blaubarts Burg (Béla Bartók) und Die sieben Todsünden (Kurt Weill), Premiere im Staatstheater
Wiesbaden, 01.03.2019
Herzog Blaubarts Burg: Judith Vesselina Kasarova (Judith), Johannes Martin Kränzle (Herzog Blaubart) Fotos: Karl & Monika Forster |
Einsamer Löwe kämpft gegen idealisierte Liebe
Eine wunderbare Mischung aus dem Kampf der Geschlechter und der Umwertung der Werte sowie der Frage danach, wie die Emanzipation des Menschen im 21. Jahrhundert aussehen könnte.
Es beginnt mit einem Märchen aus alter Zeit. Oder
ist es nicht vielmehr eine reale Geschichte? Denn Herzog Blaubarts Burg erweist sich eher als eine Metapher für die
Verschlossenheit, die psychologische Fassade eines Mannes, der alle Insignien
der Macht versteckt hält aus Angst, jemand könnte beim Öffnen der sieben Türen
hinter die Geheimnisse seiner Seele, letztendlich eine hohle Fassade, schauen,
und seine menschliche Abgründigkeit entlarven.
Es ist eine Geschichte, die bereits im 17. Jahrhundert von Charles
Perrault (1628-1703) publiziert, im 19. Jahrhundert von Maurice Maeterlinck
(1862-1949) neu interpretiert und später von Béla Balázs (1884-1949), in
Anlehnung an Richard Wagners Lohengrin
„Nie sollst du mich befragen …“, mit durchaus konservativer Schlusswendung – das
Patriarchat wird in keiner Weise infrage gestellt – in Béla Bartóks (1881-1945)
gleichnamiger Oper (1918 in Budapest uraufgeführt) ihren Niederschlag findet.
Eine seltsame Liebesgeschichte zwischen
Blaubart und Judith, die ihm auf die Burg gefolgt ist und dort in der Manier
der biblischen Eva vom Apfel der Erkenntnis essen möchte, indem sie von ihm die
Schlüssel der sieben verschlossenen Türen fordert. Widerwillig und zunehmend
leidend übergibt er ihr sie bis zur letzten, siebenten Türe, aus der Judiths
drei Vorgängerinnen treten. Ob ermordet, wie allgemein vermutet, denn Blaubart
ist das Sinnbild eines skrupellosen Mörders, bleibt offen.
Die drei Frauen symbolisieren den Morgen, den Mittag
und den Abend, und Judith wird als die Nacht: „Du warst die schönste meiner
Frauen“, hinzugefügt. Blaubart scheint entlarvt, denn hinter allen Türen klebt
Blut, Gewalt, fließen die Tränen der Schmerzen. Andererseits wiederum geht der
Geschlechterkampf weiter wie gehabt, denn Judith, ob tot oder lebendig, reiht
sich in die weibliche Trias ein, ohne sich mit einer der dreien vergleichen zu
wollen: „Nie kann ich mich mit ihr vergleichen!“, singt sie, wenn Blaubart die
Qualitäten einer jeden preist. Blaubart verbleibt im Dunkel seines Seelenlebens,
verschließt weiterhin seine Türen, steigt in den Aufzug und fährt abwärts in
die männliche Einsamkeit.
Judit Vesselina Kasarova (Judith), Johannes Martin Kränzle (Herzog Blaubart) |
Mit zwei außergewöhnlichen Besetzungen, nämlich
dem Bariton Johannes Martin Kränzle
als Herzog Blaubart, und der Mezzosopranistin Judit Vesselina Kasarova als Judith, wurde die Handlung zu einem
Liebeskrimi, der alle Register eines Geschlechterkampfes zog. Auffallend der
exorbitante Stimmumfang beider, Kränzle bis zum Bass, mit einem weitgefächerten
Stimmregister, das bis zum Tenor reichte, und Kasarova mit einem umwerfend
kräftigen Alt, vor allem wenn sie forderte, sowie einer resonanten Helle in
Szenen der Verführung. Schauspielerisch eine Meisterleistung: Liebesszenen wechselten mit Gewaltausbrüchen, Deklamationen mit sanfter, tränenreicher Stimme und
suggestive Impressionen mit stimmgewaltiger Expressivität. Bemerkenswert, dass
beide in ungarischer Sprache sangen, die der spezifischen Sprachmelodie noch besondere
Akzente verliehen.
Dazu ein bestens eingestelltes Orchester des Staatstheaters
Wiesbaden unter der umsichtigen Leitung von Philipp Pointner, das
die Musik – eine, die in vielerlei Hinsicht an Debussys Pelléas Mélisande erinnert, mit pentatonischen Elementen, bitonalen
Passagen und vielen Reibungen und Schwebungen, aber auch der brillanten Orchestrierung
von Richard Strauss verhaftet ist und bereits der osteuropäischen Folklore
huldigt – mit großer Verve und intensivem Vortrag präsentierte und perfekt auf
die beiden Akteure abgestimmt war.
Uwe
Eric Laufenberg (Regie) und seinem Team mit Matthias Schaller, Susanne Füller (Bühnenbild, Kostüme), Andreas Frank (Licht) sowie Katja
Leclerc (Dramaturgie) ist ein Wurf geglückt, der im Wesentlichen durch Schlichtheit
und Klarheit wirkte: Die Bühne bestand aus einer Vorhalle im Stile der 1980er
Jahre, mit Bett, Couches und Pflanzendekor hinter Glas, die Schlüssel öffneten
keine Türen, sondern Laptop, Aktentasche, Schmuckkasten. Lediglich die Ländereien,
eine unansehnliche graubraune Landschaft, wurde über Video transportiert, der
Tränensee durch künstliche Nebelerzeugung. Auch die Kostüme reihten
sich darin ein, konservativ und zeitlos. Einzig die drei Damen der
Vergangenheit traten in Schwarz gekleidet aus den Räumen und symbolisierten Jugend
(Morgen), Reife (Mittag) und Alter (Abend).
Die etwa einstündige Oper war vor allem auf die
beiden Akteure fokussiert, die aus diesem eigentlich wenig publikumswirksamen Sujet
einen Meilenstein modernen Musiktheaters zauberten. Lang anhaltender Beifall und
große Freude bei den Künstlern ließen die doch recht zurückgewandte Erzählung
(der Mann der ewig einsame Löwe, die Frau auf der ewigen Suche nach der idealen
Liebe) in den Hintergrund treten.
Die sieben Todsünden des Kleinbürgers: Nicola Beller Carbone (Anna) Fotos: Karl & Monika Forster |
Der Kampf des Humanen gegen das Vernünftige
Die
sieben Todsünden des Kleinbürgers, so der vollständige Titel
des 1933 in Paris uraufgeführten Ballettoper, ist in Zusammenarbeit zwischen
Bertold Brecht (Libretto) Kurt Weill (Musik) und George Balanchine, (Choreographie)
in nur zwei Wochen entstanden. Ein Stück voller Sozialkritik und krasser
Ablehnung des sogenannten American way of
life.
Eine typische Mittelstandsfamilie
aus der US-Provinz Louisiana, die alles im Leben dem Traum vom eigenen Häuschen unterordnet. Anna, die Tochter der fünfköpfigen Familie, wird
ausgeschickt, um das nötige Geld für den Kauf des Häuschens, für das
vermeintliche Glück der Familie, zu beschaffen. Dabei entpuppt sich ihr
Elternhaus als emotionale Erpressungsmaschine, die die Tochter gnadenlos in die
Selbstentfremdung treibt. Die Scheinmoral der Eltern und Brüder (parodistisch
im Kantatenstil von vier Männern gesungen und gespielt) treibt sie in die
sieben Todsünden: Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht und Neid, und
zu der Erkenntnis, dass im Haifisch-Kapitalismus die Umwertung aller Werte die eigentliche Bedingung des Überlebens ist.
Folglich teilt sich Anna in zwei Persönlichkeiten:
eine Vernünftige, behaftet mit den gesellschaftlich sanktionierten Todsünden, und
eine Humane, im unbeirrbaren Glauben an den Bestand echter, reiner, wahrer
Werte.
Die Eltern werden zum Synonym gesellschaftlicher
Erpressung. Am Ende geben sie sich symbolisch, wie Süchtige, den letzten Schuss. Anna kann sich nur vom
Frondienst, den Pressionen ihrer Familie befreien, indem diese aus ihrem Leben
verschwindet. Die Moral von der Geschicht´: Die gesellschaftlich geforderten
Todsünden zum Zwecke der ungehemmten Geldvermehrung können im übertragenen
Sinne nur aufgehoben werden, indem man ihre Ursachen beseitigt. In dieser
Parabel geben sich die Süchtigen selbst den Schuss, vielleicht auch deshalb, weil in der Person Annas die Seite des Humanen bis zum Schluss lebendig bleibt.
Szene Neid: Nicola Beller Carbone (Anna) |
Anna wurde von der Sopranistin Nicola Beller Carbone (*1964) mit tänzerischer Eleganz, natürlicher
Stimme – im Wechsel von Sprechgesang, ariosen Partien und Koloratur – sowie erfrischend
erotischer Ausstrahlung auf der Bühne zelebriert, dass es eine Lust war
zuzuschauen. Alle Todsünden durchlebte sie in einem Taumel der Gefühle, während
die Familie (Mutter: Florian Küppers,
Vater: Ralf Rachbauer, Bruder I: Julian Habermann und Bruder II: Daniel Carlson), meist im Hintergrund
agierend, ihre zynischen, ahnungslosen Kommentare abgab.
Regie (Magdalena
Weingut), Dramaturgie (Regine Palmai)
und Bühnenbild (Matthias Schaller) changierten zwischen Videosequenzen,
Lichteffekten (Video: Edouardo Mayorga,
Klaus Krauspenhaar), Allegorien (die Familie verkleidet in Figuren der
Wollust, des Zorns etc.) und Renaissance-Holzschnitten der Todsünden, vermutlich
von Pieter Bruegel dem Älteren. Sparsam aber wirksam, einschließlich der Kostüme
(Katarzyna Szukszta). Mittig stand
durchweg eine Wanne auf der Bühne – Symbol der Reinigung –, die der Sängerin
als Verwandlungsbasis und tänzerisches Medium diente.
Eine gute halbe Stunde Gebrauchsmusik vom Feinsten wurde
da aus dem Orchestergraben (das Staatsorchester unter der Leitung von Philipp Pointner) geboten, eine banale oft vulgäre Musik (die Dreigroschenoper und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny lassen
grüßen), aber immer der Handlungssituation und dem Gesang genial angepasst (so ist die Faulheit mit einem Ragtime unterlegt,
der Stolz mit verzerrten Walzerrhythmen
und Persiflagen aus dem Koffer von Johann Strauß´ Sohn, oder der Neid mit hymnisch geplärrten Einlagen
des gesamten Orchesters). Weill selbst spricht von „Verbrauchsmusik“, die den
Menschen der Zeit sprechen lässt, also das Musikbedürfnis breiter Schichten
befriedigt. Eine Popmusik also ohne trivial zu sein – und das traf absolut zu.
Ein kurzes Stück klassenkämpferischer Oper,
scheinbar ein Gegenstück zum konservativen Duktus von Bartóks Herzog Blaubart, aber dennoch mit vielen
Gemeinsamkeiten behaftet: Ist es in Herzog
Blaubarts Burg der ewige unentschiedene Machtkampf der Geschlechter, so ist
es in Die Sieben Todsünden der ewige unentschiedene
Kampf gegen die emotionale und soziale Erpressung in der Familie wie in der Gesellschaft.
Großer Respekt vor dem Mut des Wiesbadener Staatstheaters,
diese beiden Opern zusammenzuführen. Eine echte Bereicherung des
Opernangebots im Rhein-Main Gebiet und wohl ein einmaliges und gelungenes
Experiment in Deutschland.
Nächste Vorstellungen: 08.. 14., 23. und 31.03.
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